Mit ‘Musikfilm’ getaggte Beiträge

Freddie Mercury hatte eine einzigartige, voluminöse und vielseitige Stimme, mit der er sowohl geradlinige Pop- und Rocksongs, Pianoballaden und opernhafte, theatralische Stücke intonieren konnte. Zudem war er „Frontmann“ und Rampensau, dem das Publikum aus der Hand fraß und für den das klischeehafte Wort „charismatisch“ viel zu klein war. Er war Gesicht einer Band, deren Sound bis heute so einflussreich wie unverwechselbar ist, die ein breites stilistisches Spektrum abdeckte und den Spagat zwischen kompositorischem und musikalischem Anspruch und Pop-Appeal meisterhaft schaffte, mit ihrer visuellen Selbstinszenierung zudem ihrer Zeit weit voraus war. (For the record: Ich mag Queen nicht besonders.) Er war außerdem eine Ikone der Schwulenbewegung, versteckte seine sexuellen Vorlieben nicht, sondern rieb sie den Menschen mit seinem Schnurrbart geradezu lustvoll unter die Nase – und er war natürlich das vielleicht prominenteste AIDS-Opfer zu einer Zeit, als die Krankheit noch Angst und Schrecken verbreitet. BOHEMIAN RHAPSODY, inszeniert von Bryan Singer, macht daraus ein Biopic, das um die wirklich spannenden Aspekte seiner Biografie einen unwürdigen Eiertanz vollzieht, jederzeit durchschaubare Formeln aus dem Drehbuch-Lehrgang abspult und die Frage aufwirft, warum man eigentlich die Biografie eines Weltstars benötigt, wenn man am Ende durch Abhaken fauler Plot Points doch nur wieder dieselbe Geschichte erzählt, die auch schon hundert vergleichbare Filme davor erzählt haben.

Klar, das Leben mag die besten Geschichten bereithalten, aber sie sind halt nicht so schön dreiaktig aufbereitet, mit einem sich durchziehenden Leitmotiv, dem großen Konflikt und der Versöhnung rechtzeitig zum dramatischen Happy End. BOHEMIAN RHAPSODY ist nach Lehrbuch gescriptet, sauberes Handwerk, aber leider auch bar jeder Inspiration, die eigentlich das Kerngeschäft eines Films um einen außergewöhnlichen Künstler sein sollte. Freddie ist der Loser mit den Immigranten-Eltern und dem putzigen Überbiss, der jedoch ganz entgegen seinem Aussehen über ein riesiges Selbstbewusstsein und eine Jahrhundertstimme verfügt, mit der er seine Bandkollegen in spe auf dem Parkplatz des schäbigen Schuppens wegbläst, in dem sie eben noch aufgetreten sind. Er hat die Visionen von Rockopern, die Ideen für die spektakulären Outfits, er weiß, wie die Songs und Gitarrensoli klingen müssen, er treibt die Band, die weitestgehend aus langweiligen Spießern besteht, zu Höchstleistungen, und macht sie zu Superstars. Wenn da nur sein ausschweifender Lebensstil nicht wäre: Dann hätte er seine one true love Mary (Lucy Boynton) nicht verloren, die Bandkumpels nicht verprellt, sich nicht mit der Schurkenschwuchtel Paul (Allen Leech) eingelassen und sich auch kein Aids eingefangen. Zum Glück kommt er rechtzeitig zum großen Finale noch zur Besinnung, entschuldigt sich für seine Egotrips und Ausbrüche und entsagt dem wilden Lebenswandel, sonst wäre der Welt der Auftritt bei Band Aid durch die Lappen gegangen und Bob Geldof jede Menge Geld. Denn erst als Queen die Bühne des Wembley Stadiums entern, klingeln die Telefone und die Zuschauer spenden Geld für die dritte Welt. Ich fühlte mich gegen Ende des Films wie bei „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“. Es fehlte eigentlich nur der weggelaufene Hund, der dann an Heiligabend von einem freundlichen Unbekannten unerwartet wieder zurück gebracht wird.

Auch Oberhack Bryan Singer kann BOHEMIAN RHAPSODY nicht komplett vergeigen, auch wenn er sich alle Mühe gibt: Immer wenn die Songs erklingen, reißt das auch die triste Soap Opera raus, aber es ist schon beeindruckend, wie scheiße ein Film aussehen kann, der sich um eine der visuell aufregendsten Bands des letzten Jahrhunderts rankt. Selbst bei Szenen in Londoner Vororten hat man den Eindruck, da wäre der Greenscreen aufgebaut worden, und so gut die Bandmitglieder auch gecastet sind, der Film wirkt einfach wie lustiger Mummenschanz auf Omas Dachboden. Rami Malek, den ich mir in der Hauptrolle ehrlich zugegeben gar nicht vorstellen konnte, gibt eine überzeugende Vorstellung, aber sein Kampf mit der Zahnprothese erinnert trotzdem mehr als einmal an den seligen Dieter Krebs oder Loriot – und mal ganz davon abgesehen muss ich einfach noch einmal festhalten: Wenn sich Film darauf beschränkt, Wirklichkeit imitieren zu wollen, ist irgendwas schiefgegangen. Den Film in einer rund 15-minütigen Simulation des Live-Aid-Gigs enden zu lassen, ist eine kreative Bankrotterklärung, ganz egal, wie authentisch das Original da nachgestellt wurde.

Das größte Ärgernis sind aber die schon angesprochenen Verrenkungen, die BOHEMIAN RHAPSODY vollführt, um sich bloß nicht zu sehr mit Mercurys Sexualität beschäftigen zu müssen. Die eine jugendfreie Sexszene des Films hat Mercury mit seiner Gattin, und auch sonst wird seine Homosexualität behandelt wie eine ärgerliche Laune des Schicksals, ein Laster, dem der Mann einfach nicht entsagen kann. Sein Freund Paul übernimmt die Rolle eines manipulierenden, die Band entzweienden und Mercury weiter in die gayness treibenden Schurken und wird bar jeder positiven Eigenschaften gezeichnet. Jim Hutton (Aaron McCusker), Mercurys langjähriger Lebensgefährte, ist dagegen ein braver, etwas biederer Gentleman, der mit dem Star wahrscheinlich eine rein platonische Beziehung eingeht. Das Drehbuch arrangiert sich mit Mercurys Sexulität ungefähr so wie dessen Filmeltern. Sie nehmen es hin. Es ist halt ihr Sohn und Hauptsache, er ist glücklich. Es ist traurig, das mitansehen zu müssen.

 


 

Ein wiederkehrendes Thema meiner Texte in diesem Blog ist das unabsichtliche Einschlafen während meiner Filmsichtungen. Das passiert in den letzten Jahren immer häufiger, wobei ich differenzieren muss zwischen Filmen, die ich gern sehen würde, aber bei denen mich die Müdigkeit übermannt, und solchen, die ich mehr oder weniger in dem Wissen einwerfe, dass ich sie eh nicht durchhalten werde und zum Einschlafen einlege. ROADIE, der schon seit Jahren ungesehen bei mir im Schrank rumsteht, gehört eher zur letzteren Kategorie und hält wahrscheinlich den Rekord für die meisten schlafbedingten Abbrüche und Neuanfänge. Ich habe nicht mitgezählt, aber ich versuche seit einem guten Monat, diesen Film zu schauen, wieder und wieder. Ich habe den Film bestimmt fünfmal an ein und derselben Stelle wieder aufgenommen, weil ich bereits zehn Minuten später bereits eingepennt war. Zum Zeitpunkt, zu dem diese ersten Zeilen geschrieben wurden, hatte ich es immerhin bis ungefähr zur Mitte und zum Auftritt von Debbie Harry geschafft. Erstaunlich daran ist, dass mir das den Film nicht komplett verleidet hat. Heute morgen habe ich das Langzeitprojekt dann endlich erfolgreich beenden können.

Ich bin nicht gerade ein intimer Kenner von Rudolphs Werk, habe vor bestimmt 20 Jahren mal seinen Aliens-infizieren-Kühe-Wissenschaftsschocker ENDANGERED SPECIES gesehen und kann sonst nicht viel zu ihm sagen, aber beim Blick auf seine Filmografie scheint ROADIE schon ein Außenseiter zu sein: Es handelt sich um eine schrille, überdrehte, comicartige, bisweilen satirische im Musikbusiness angesiedelte Komödie mit vielen Gastauftritten, die man zur leichteren Orientierung durchaus mit John Landis‘ BLUES BROTHERS bezeichnen könnte (die Blues Brothers haben auch einen kleinen Cameo-Auftritt, der aber nicht von John Belushi und Dan Aykroyd, sondern von zwei Lookalikes absolviert wird). Der Titelcharakter ist Meat Loafs liebenswert-einfacher Redneck und Lkw-Fahrer Travis Redfish, der durch Zufall zum Roadie wird und sich in das minderjährige Groupie Lola Bouillabaisse (Kaki PORKY’S Hunter) verliebt, die es sich wiederum in den Kopf gesetzt hat, von Alice Cooper entjungfert zu werden und den dicken Träumer damit fürchterlich verprellt. Am Ende kriegen sich die beiden dann aber doch, denn wie Cheap Trick im Quasi-Titelsong singen „Everything will work out if you let it“, aber dann kommt ihnen ein UFO in die Quere, das die Hilfe des Roadies braucht, um weiterfliege zu können.

ROADIE springt von der einfach strukturierten, aber ziemlich seltsamen Hillbilly-Welt Travis‘ geradewegs in den Wirbel des L.A.-Showbiz mit seinen Cokeheads, größenwahnsinnigen Promotern, verpeilten Hängern, sensiblen Stars und coolen Profis und macht seinen unwahrscheinlichen Protagonisten, ein Kleinkind im Körper eines Bären, zu einer Art unterbelichtetem, aber überirdisch begabtem Messias der Bühnentechnik. Der Film beginnt im texanischen Hinterland, wo Travis mit seinem Schrotthändler-Papa Corpus Redfish (Art Carney) und seiner an Popeyes Olive Oil erinnernden Schwester Alice Poo (Rhonda Bates) das mit unzähligen Röhrenfernsehern und anderem Elektroschrott vollgestellte Haus der Familie Sawyer aus Tobe Hopes THE TEXAS CHAINSAW MASSCARE bewohnt (noch eine Parallele zum Klassiker: Gürteltiere). Travis ist ein gutmütiger Simpleton, der einen Cowboyhut trägt, zu Countrymusic das Bein schwingt, mit Kumpel B. B. Muldoon (Gailard Sartain) im Biertruck herumfährt und von der Welt da draußen noch nicht viel mitbekommen hat. Das ändert sich, als er Lola und sie ihn wie ein Blitzschlag trifft. Sein technisches Genie kommt dem Konzertpromoter Mohammed Johnson (Don Cornelius) gerade recht und so rettet Travis zum Beispiel mit Kuhdung den Tag, als Konservative einem Festival den Strom abdrehen. ROADIE strickt an dem beliebten Mythos, dass es die Leute im Hintergrund sind, die den Rockzirkus eigentlich am Laufen halten, Groupies wie Lola, die sich als „spark plug“ bezeichnet, die mit dem Rock’n’Roll die „greatest energy in the world“ entfesseln, oder eben Roadies wie Travis, die die technischen Mittel bereitstellen und letzten Endes die Grundlage für die Rock-Poeten schaffen, denen die Herzen so oder so zufliegen.

ROADIE ist all over the place, aber er wird eben auch von dieser Energie, die er besingt, zusammengehalten. Auf dem Soundtrack geht alles drunter und drüber, stehen New-Wave-Acts wie Blondie (die dann aber „RIng of Fire“ intoniert) oder Pat Benatar neben mal mehr, mal weniger schnarchigen Country-Acts wie Hank Williams jr., Asleep at the Wheel oder Eddie Rabbit, dem Quasi-Punk Alice Cooper – der den Karriereknick schon hinter sich hatte, aber noch kurz vor dem Totalabsturz stand -, den Classic-Rockern von Cheap Trick und einer Legende wie Roy Orbison, der auch einen kleinen Gastauftritt absolviert. Zu dem Tohuwabohu aus Verfolgungsjagden, Musiknummern, hirnrissigen Dialogen, einer Szene, in der Waschmittel mit Kokain mit den erwartbaren Folgen verwechselt wird, und anderem Quatsch passt auch das Finale mit dem UFO, das man nicht zu Gesicht bekommt, weil es zuvor bei einer Panne zerstört wurde. Die größte Entdeckung ist die Soul Train-Ikone Don Cornelius, die großes Vergnügen mit seinem an Don King angelehnten Zampano hat: „I’m gonna rape you career!“ Auch Alice Cooper, der so gar nicht dem Bild des unchristlichen, unmoralischen Punks entspricht, das Lola sich von ihm gemacht hat, nutzt seine paar Minuten Screentime für eine Darbietung, die deshalb denkwürdig ist, weil sie kaum richtig auffällt. Das passt: ROADIE nicht wirklich gut, aber er ist auf durchaus interessante und nicht unsympathische Art und Weise anders. Er lebt in seiner eigenen Welt, wie Lola und Travis.

HARD ROCK ZOMBIES ist zumindest nominell der wahrscheinlich bekannteste aus der kleinen Gruppe von Hardrock-zentrierten Horrorfilmen, die Mitte bis Ende der Achtziger auf den Markt geworfen wurden, als die heute als „Hairmetal“ verunglimpfte Musik auf dem Zenith ihrer Popularität war. Filme wie ROCK N ROLL NIGHTMARE, BLACK ROSES, SHOCK ‚EM DEAD, ROCKTOBER BLOOD oder TRICK OR TREAT fallen spontan ein, aber Shah brachte mit seinem Titel alles auf den Punkt. HARD ROCK ZOMBIES gilt als „Baddie“, also als unfreiwillig komischer Trash, aber dem würde ich nach meiner Sichtung widersprechen wollen. Krishna Shah (der sein Handwerk an der UCLA gelernt und mit SHALIMAR einige Jahre zuvor den bis dato teuersten indischen Film gedreht hatte) war keineswegs dem Irrtum erlegen, einen ernstzunehmenden Horrorfilm zu drehen, stattdessen legte er ein ziemlich freidrehende, wüste Farce mit milde satirischen Untertönen vor, an der er offenkundig ebenso viel Spaß hatte wie alle seine Schauspieler. Das ganze Ding dürfte ziemlich billig gewesen sein, weshalb man hier und da Abstriche machen muss, aber mit Kameramann Tom Richmond (u. a. Todd Solondz‘ PALINDROMES, Rob Zombies HOUSE OF 1000 CORPSES, C. M. Talkingtons LOVE AND A .45 und Roger Avarys KILLNG ZOE), Make-up-Experte John Carl Buechler und Komponist Paul Sabu waren hier durchaus Leute am Werk, die wussten, was sie taten. Das sieht und hört man durchaus – auch wenn man dafür seine Sinne im Griff haben muss, denn Shah schickt den Zuschauer mit HARD ROCK ZOMBIES auf einen wilden Ritt.

Nicht nur zelebriert er seine bescheuerte Grundidee, er hat darüber hinaus auch noch etlich weitere: Es handelt sich bei HARD ROCK ZOMBIES um eine jener Filme, die ihre Geschichte schon zur Mitte auserzählt haben, nur um dann einfach mit noch absurderem Quatsch weiterzumachen. Der Gedanke, sich um der Stringenz und Kohärenz willen auch mal von einer Idee zu trennen, war offensichtlich niemandem der Beteiligten irgendwann mal gekommen und so sind die hart rockenden Zombies nur eine der vielen Sehenswürdigkeiten, die HARD ROCK ZOMBIES zu bieten hat: Um ehrlich zu sein, sind sie sogar fast das normalste am ganzen Film, der sich um die aufstrebende Metalband „Silent Rage“ dreht, die in der Kleinstadt „Grand Guignol“ vor einem wichtigen A&R-Mann spielen soll. Dort herrscht nicht nur die Auffassung, dass Rockmusik Teufelswerk ist, das zu sündigem Verhalten führt und demnach verboten werden muss, einer der illustren Einwohner der Stadt ist außerdem niemand Geringeres als der GröFaZ Adolf Hitler, der nur darauf gewartet hat, mit seiner Ehefrau Eva (die eine Geheimidentität als Werwolf hat) und seinen diversen Schergen (zwei Lilliputaner – einer davon entstellt -, ein glatzköpfiger Killer, ein sadistischer Fotograf (?) und eine geile, langbeinige Tänzerin, die Opfer als Anhalterin einsammelt) die Weltherrschaft an sich zu reißen. Nachdem die Hardrocker also von Hitlers Gehilfen umgebracht worden sind, spielt Cassie, das jugendliche Love Interest von Sänger Jesse, ein Tape mit einer alten Beschwörungsformel ab, die „Silent Rage“ zu neuem Leben verhilft. Die Hardrock-Zombies rächen sich dann zwar kurz und schmerzlos an den Nazis, doch nun hat Grand Guignol ein veritables Zombieproblem, das der Manager der Rockband mit den restlichen Überlebenden zu bekämpfen versucht.

Ich schätze, nach dieser kurzen Zusammenfassung ist jeder weitere Versuch, zu verdeutlichen, wie haarsträubend bescheuert HARD ROCK ZOMBIES ist, ziemlich überflüssig: Spätestens, wenn die Überlebenden mit den riesigen Pappkonterfeits von Jimi Hendrix, John Lennon oder Marilyn Monroe herumlaufen, weil die Zombies angeblich nichts mehr hassen als Köpfe, ist alles aus. Bezeichnend, dass Shah trotzdem noch einen draufsetzt: Die Zombies sollen durch ein Jungfrauenopfer besänftigt werden, denn beim Anblick einer solchen verwandeln sie sich in unaufhaltsame Fickmaschinen – und zwar geschlechtsübergreifend! Die schiere Menge an Blödsinn, die Shah über dem Betrachter ausgießt, ist schon bemerkenswert, dass es aber auch immer wieder Szenen und Einfälle gibt, die tatsächlich witzig sind und clever umgesetzt wurden (sowie natürlich eine deutsche Synchro, die es sich nicht nehmen lässt, ihren eigenen Senf dazuzugeben), hilft immens – und ist Ursache dafür, dass es mir schwerfällt, HARD ROCK ZOMBIES einfach als Schrott abzutun. Es gibt ziemlich am Anfang eine niedliche, geradezu herzerwärmende Montagesequenz, die die Band als Spielkinder beim Schwarwenzeln, Skaten und Tanzen durch die Stadt zeigt. Während der Zombieapokalypse kommt es zu einer wunderbaren Szene, als der Manager auf zwei Untote trifft und sich tarnt, indem er einfach ihr Verhalten nachahmt. Ein späteres Zusammentreffen mit dem mittlerweile zombefizierten A&R-Mann ist toll choreografiert: Der Manager, der nicht weiß, dass sein gegenüber ein Untoter ist, entgeht dessen ungeschickten Angriffen völlig unbewusst, indem er, vertieft in seinen Monolog, immer genau dann einen Schritt macht, wenn der Zombie gerade zuschlagen will. Und die Zeichnung der heuchlerischen amerikanischen Zivilgesellschaft, die lieber eine protofaschistische Herrschaft installiert, als ihre Kinder Rockmusik auszusetzen, ist ebenfalls sehr liebreizend und treffsicher. HARD ROCK ZOMBIES ist demnach eine bunte Wundertüte des Blödsinns, für deren Genuss man sich nicht erst eine doppelt verglaste Ironiebrille aufsetzen muss.

Simpson, Bruckheimer, Lyne, Eszterhas. Man müsste gar nicht mehr über FLASHDANCE sagen. Er ist tatsächlich die Summe dessen, wofür diese Namen stehen: ein gelecktes, zielgruppenoptimiertes, hohles, sexistisches und quasipornografisches Nichts, das mit „Glaube an dich selbst“- und „Nutze deine Chance“-Mantra einen amerikanischen Traum reaktivieren möchte, den die Produzenten selbst längst durch Koks, Geld und käuflichen Sex ersetzt haben. Die vier Genannten haben alle ihre Leichen im Keller, aber ja auch irgendwas vorgebracht, was man bei aller hedonistischen Schmierigkeit lieben kann: Das Beste, was sich indessen über FLASHDANCE sagen lässt, ist dass es Kameramann Donald Peterman gelingt, Arbeit im Stahlwerk und den Arsch der Hauptdarstellerin gleichermaßen attraktiv aussehen zu lassen, und der Soundtrack von Giorgio Moroder ganz gut reinknallt, wenn man mit seinem pathetisch-opernhaftem Discopop klarkommt.

Die Blödheiten der Geschichte sind, glaube ich, bereits bekannt: Selbst wenn es irgendwo auf der Welt eine bildschöne 18-Jährige gibt, die ihr Geld als Schweißerin im Stahlwerk verdient und nebenbei eine talentierte Tänzerin ist, die von der Aufnahme in eine Ballettschule träumt, während sie in der Realität die grölenden, besoffenen Männer in einer drittklassigen Absteige animiert, so glaube ich nicht, dass sie sich von ihrem Gehalt diese riesige Loftwohnung leisten könnte, die sie hier bewohnt. Ich glaube auch nicht, dass sie eine erfüllende Liebesbeziehung mit ihrem großherzigen, attraktiven Chef unterhielte und statt einer Mutter eine ältere Dame mit russischem Akzent besuchte, die sie zum Studium an der Tanzakademie motiviert. Ich glaube auch nicht, dass sie die Polenwitze, die ihr Kumpel Richie (Kyle T. Heffner) bei seinen Auftritten als Comedian zu reißen pflegt, lustig fände. Oder dass sie nicht die Polizei riefe, wenn ihr Chef sie mit dem Porsche nach Hause verfolgt, nachdem er einen Korb von ihr bekommen hat. Ich glaube auch nicht, dass sich dieses Mädchen wirklich mit seinen dreckigen Arbeitsschuhen in der Akademie einschreiben wollen würde. Oder dass die allesamt brutal talentierten Tänzerinnen in ihrer Tittenbar beste Freundinnen wären. Fraglich auch, ob ihr schnauzbärtiger Geldgeber Abend für Abend die Kohle für ihe extravaganten Darbietungen und Kostüme rausschmisse und im Gegenzug nicht darauf bestünde, dass sie auch mal blank ziehen.

FLASHDANCE häuft wirklich eine unglaubliche Menge an Unfug an und fordert den Betrachter dazu auf, ihm das alles abzukaufen. Es gelingt ihm mit seiner unverschämten Verführungsstrategie: Jennifer Beals schaut mit ihren braunen Kulleraugen unter dem störrischen Pony einfach zu süß, ihre Oberschenkel glänzen zu schön im Neonlicht, der Dampf im Stahlwerk wabert zu dekorativ, die Synthies von Moroder orgeln zu enthusiastisch, als dass man davon nicht betäubt würde. Es ist schon auch irgendwie klar, warum FLASHDANCE ein solcher Erfolg war, warum seine beiden großen Tanzszenen am Anfang und Ende mittlerweile zum kollektiven Bilderschatz zählen: Der Film umgeht – besser: umtanzt – die Zuschauerhirne und zielt direkt auf das etwas einfältige, leicht zu beeindruckende und immer geile Lustzentrum ab, den Ort, wo Irene Caras „What a Feeling“ in Dauerschleife rotiert und alle berechtigten, aber auch kleinlichen Fragen nach dem Sinn übertönt. Warum soll man sich mit Sexismus und Altherrenschmierigkeit befassen, wenn man stattdessen Jennifer Beals (oder ihrem Body Double) auf den Hintern schauen kann? Wieso sollte man annehmen, dass dieses für ihren Traum kämpfende Feenwesen eine Fantasie notgeiler Männer ist, anstatt ein Vorbild für die jungen Mädchen da draußen, die von der blühenden Tanzkarriere träumen, während sie das Schweißgerät schwingen? Warum sollte man sich vor ihrem Chef ekeln, der sie bei ihren Auftritten ansabbert, dann mit seiner Kohle ködert, sich anschließend in ihr Leben einmischt, dafür aber vom Drehbuch als Heiliger mit von der Liebe verdrehtem Kopf behandelt wird? Sind Polenwitze eigentlich wirklich in Ordnung, nur weil ein Pole sie reißt? Oder ist das nicht vielmehr auch nur eine der fiesen Strategien, mit der dieser Film seine eigene Verlogenheit tarnen und legitimieren möchte? Und worin genau liegt die Faszination von neureichen Geldsäcken wie Bruckheimer und Simpson für die Arbeiterklasse oder das, was sie dafür halten? Die Antworten sind klar.

Andererseits komme ich mir immer furchtbar doof vor, wenn ich Ressentiments und Bedenken wiederkäue, die die Feuilletonisten schon vor 30 Jahren zu Recht runtergebetet haben. Ja, FLASHDANCE ist wirklich ziemlich impertinent, aber weil man das ja eigentlich schon längst weiß, möchte ich mal infrage stellen, ob er wirklich noch „gefährlich“ ist. Ich habe mich über den Auftritt der Rocksteady Crew gefreut. Über Lee Ving, einst asozialer Sänger der noch asozialeren Punkband Fear, in einer Nebenroll als asozialer Besitzer der noch asozialeren Konkurrenz-Tittenbar (eigentlich, so deutet das Drehbuch an, ist er aber ein guter Kerl, der nur etwas Liebe braucht). Und über Laura Branigans unverschämtes „Gloria“, das ich seit zig Jahren nicht mehr gehört habe. Ansonsten möchte ich meine unmaßgeblichen Betrachtungen zu FLASHDANCE mit einer bekannte Redensart schließen, die mir an dieser Stelle sehr passend erscheint: Dumm fickt gut.

Die Geschichte ist eigentlich bekannt, deshalb hier nur ein Kurzabriss: 1994 wurde der damals gerade 21-jährige Norweger Varg Vikernes, unter dem Künstlernamen „Count Grishnack“ zuvor Mitglied in diversen Bands der sogenannten „Second Wave of Black Metal“, wegen des Mordes an Labelbesitzer Øystein „Euronymous“ Arseth sowie Brandstiftung an drei norwegischen Kirchen zur Höchststrafe von 21 Jahren verurteilt. Seine Inhaftierung war der Endpunkt einer ca. zwei Jahre dauernden Zeit, in der die norwegische Black-Metal-Szene mit Kirchenverbrennungen und rechtsradikalen Aussagen für weltweites Aufsehen gesorgt hatte. Metal war plötzlich wieder mehr als die längst zum Klischee geronnene Geisterbahn mit satanistischen Motiven und Gewaltfantasien: Der karge, klirrende Sound, der da auf Platten wie Darkthrones „A Blaze in the Northern Sky“ einem Blizzard gleich über die Nordsee zu uns wehte, klang nicht nur böse und fremdartig, das was sich dahinter verbarg wirkte kaum minder gefährlich. Im kalten, dunklen Norwegen war Metal für ein paar blässliche Kids eine toternste Angelegenheit, für die sie sich selbst und andere umbrachten – und nebenbei echte terroristische Ambitionen verfolgten, die ihr Land sowohl vom Christentum wie auch vom Kulturimperialismus der USA befreien sollten.

Aites und Ewell arbeiten diese mehr als 20 Jahre zurückliegende Geschichte in UNTIL THE LIGHT TAKES US noch einmal auf, indem sie den zum Zeitpunkt der Dreharbeiten noch inhaftierten Vikernes seine Fassung der Ereignisse darstellen lassen, aber der eigentliche Protagonist ist Fenriz, seines Zeichens Schlagzeuger von Darkthrone. Die Filmemacher folgen ihm durch Oslo, filmen ihn in seiner Wohnung, bei einem Telefoninterview, beim Besuch der Ausstellung des Künstlers Bjarne Melgaard, der die Black-Metal-Motivik für seine poppigen Bilder nutzt (sehr zum Unverständnis Fenriz‘), lassen ihn über seine Inspirationen erzählen, die Bedeutung der Musik und ihres speziellen Sounds und natürlich auf die schicksalhaften Ereignisse von einst zurückblicken. Andere Musiker, die zu Wort kommen, sind Hellhammer von Mayhem, Abbath und Demonaz von Immortal sowie Garm von Ulver und Frost von Satyricon – letzterer liefert den denkwürdigen Höhepunkt des Films mit einem Performance-Auftritt, bei dem er sich mit einem Messer brutal verstümmelt. Aber insgesamt ist UNTIL THE LIGHT TAKES US weder auf plumpen Shock Value aus noch betreibt er sensationalistischen Katastrophentourismus. Im Gegenteil ist er um Sachlichkeit und Neutralität bestrebt: Die Filmemacher treten überhaupt nicht selbst in Erscheinung, noch nicht einmal als Fragesteller aus dem Off, eine Kommentierung oder gar Bewertung findet nicht statt. Man soll sich als Zuschauer selbst sein Bild machen.

Und zu welchem Eindruck kommt man da? Zunächst einmal kann es kaum zwei Meinungen über die Taten Vikernes‘ und seine rassistischen, bisweilen gar nationalsozialistischen Ideen geben (die in UNTIL THE LIGHT TAKES US übrigens keinen Raum bekommen). Selbst wenn man seine Beweggründe zum Teil nachvollziehen kann – das was er da über die Amerikaner und Christen sagt, die den Norwegern ihre Kultur weggenommen haben, unterscheidet sich nicht so sehr von dem, womit die AfD heute auf Stimmenfang geht: Das als Anlass zu nehmen, Kirchen niederzubrennen, muss man spätpubertärem Omnipotenzwahn zuschreiben. Tatsächlich ist das „Monstrum“ Count Grishnack bei seiner Verurteilung ein Milchbubi – allerdings einer, dessen süffisantes Grinsen klar macht, dass er keinerlei Schuldbewusstsein kennt. Auch der Mord an Euronymous scheint letztlich das Resultat eines übel aus dem Ruder gelaufenen Schwanzvergleichs. Das macht das alles aber nicht besser. Auch wenn man es eben nicht mit psychopathischen Satansjüngern zu tun hat, sondern mit Kids, die ein bisschen zu viel Zeit hatten, um ihren komischen Ideen nachzuhängen, und zu wenig begradigenden Einfluss von außen, liegt gerade in dieser Banalität des Ganzen enorm verstörendes Potenzial. Vikernes ist geradezu beunruhigend sympathisch und artikuliert, Fenriz wirkt immer etwas gelangweilt und scheint selbst nicht so genau begriffen zu haben, was damals eigentlich los gewesen ist, Abbath und Demonaz von Immortal behandeln alles wie einen großen Scherz, Hellhammer lästert auch 20 Jahre nach dem von einem Weggefährten begangenen Mord an einem Homosexuellen noch über „faggots“. Das Leben geht weiter, so einfach ist das.

Aites und Ewell gehen nicht auf Ursachenforschung, und was genau damals so fatal schief gelaufen ist, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht liegt eine mögliche Antwort in dieser unheimlichen Tristesse, die der Film ausstrahlt, in der Kargheit, die man ja auch in der Musik immer wieder hört. Oslo wirkt wie ausgestorben und irgendwie unfreundlich, es gibt wenig Menschen, mit denen Fenriz interagieren würde, dafür sieht man ihn häufig allein, wie er seinen Gedanken nachhängt. Irgendetwas scheint mit diesen Musikern gesprochen zu haben – und immer noch zu sprechen -,  was andere nicht hören. Anders konnten sie auch diese singuläre, bizarre, gleichzeitig wunderschöne wie abstoßende Musik nicht erfinden.

purple20rainIch bin nicht der Typ, der anlässlich der Todesnachrichten von Prominenten regelmäßig in Trauer verfällt. Menschen sterben, und ab einem gewissen Alter ist das nur der natürliche Lauf der Dinge. Prince‘ Tod in der vergangenen Woche war schon von daher etwas anderes: Gerade einmal 57 Jahre alt, hätte er eigentlich noch ein paar Jahrzehnte auf diesem Planeten haben sollen. Es scheint mir unnötig, geradezu verschwenderisch, jemanden von solch unglaublichen Fähigkeiten in diesem Alter abzuberufen, noch dazu aufgrund einer Verkettung unglücklicher, dummer, wahrscheinlich vermeidbarer Umstände. Ich habe Prince‘ Musik in den letzten Jahren zugegebenermaßen nicht mehr verfolgt. Das letzte Album, das ich mir von ihm gekauft habe, war „The Rainbow Children“ aus dem Jahr 2001, und schon damals stieß mir seine zunehmend esoterische Ader etwas sauer auf. Als ein paar Jahre später „Musicology“ erschien, keimte kurz die Hoffnung, er könne in großem Stile zurückkommen, aber das war natürlich auch etwas naiv. Ich glaube, Prince hatte gar kein Interesse mehr daran, in den Charts herumzuhampeln und sich Mikros von MTV-Moderatorinnen unter die Nase halten zu lassen, die seine Kinder sein konnten.

Aber selbst wenn Prince‘ Musik keine echte Rolle mehr in meinem Leben spielte: Er war eigentlich immer da gewesen, hatte mich in unterschiedlicher Intensität mein ganzes Leben begleitet und es ein paar Jahre lang mit seiner Musik und seiner Persona versüßt. Sein „Raspberry Beret“ war auf der ersten Platte, die ich selbst besaß, ein Compilation-Album namens „Hits3“, das ich zu Weihnachten 1985 von meinen Eltern geschenkt bekommen hatte. Ich weiß noch, wie mich der Song mit seiner poppigbunten flamboyance und der karnevalesken Stimmung damals verwirrte. Nichts auf der Platte klang auch nur annähernd vergleichbar.Songs, die damals neben ihm standen, sind heute vergessen oder nur noch für den kurzen Nostalgieflash gut, „Raspberry Beret“ ist noch immer so frisch wie eine Brise Sommerwind, die den Geruch von Erdbeereis und Sonnenmilch mit sich trägt. So sehr Prince als Musiker und Künstler auch die Achtziger mitprägte: Er gehörte nie so richtig dazu, schien über allen anderen zu schweben. Stars wie Madonna oder Michael Jackson waren größer als er oder überholten ihn irgendwann, aber sie waren immer ausgesprochen weltlich. Prince war eine Ausnahmeerscheinung, die in ihrer besten Zeit nur nach sich selbst klang, sich an niemandem orientierte und Musik machte, die wirklich zeitlos war.

Als ich die Nachricht von seinem Tode las, stand da ganz kurz die Möglichkeit im Raum, es handle sich um einen schlechten Internetscherz. Tatsächlich war einen Tag zuvor schon via Twitter die Nachricht seines Todes herumgegangen, doch die Hinweise auf diesen Hoax verschwanden binnen kürzester Zeit, als klar wurde, dass die Meldung diesmal echt war. Ich war fassungslos, begann sofort die diversen Nachrufe, Artikel und Essays zu lesen, die bis heute veröffentlicht werden, Videos zu schauen und, ja, zu trauern. Ich weinte. Mir wurde immer klarer, was für ein Unikat uns da verlassen hatte, wie unwahrscheinlich es ist, dass unsere Welt in absehbarer Zeit einen ihm ebenbürtigen Künstler hervorbringt. Und selbst wenn: Die Zeiten haben sich geändert. Nach Prince zu leben, bedeutet auch, in einer Welt aufzuwachsen, in der viele Grenzen schon niedergerissen wurden. Man schaue sich nur das Video von seinem Auftritt bei American Bandstand an (ich kann das leider nicht direkt verlinken, aber es findet sich hier auf Platz 13), wo er von zwei Rednecks angkündigt wird und dann mit schenkelhohen Schaftstiefeln, Leopardentanga und -top bekleidet und in schönstem Falsett „I wanna be your lover“ singt. Er musste anno 1980 ja nicht nur extrem mutig sein, so aufzutreten, als Schwarzer zudem: Er musste dieses Outfit ja auch verkaufen können. Und boy, how he did sell it! Er war Anfang 20 bei diesem Auftritt, aber er bewegt sich mit dem unverschämten Selbstbewusstsein echter Showbiz Royalty, fordert Respekt und Bewunderung ein. In Unterwäsche! Es gibt Bühnenkünstler, die sind mal mehr, mal weniger für ihren Job geboren, denen fliegen die Herzen des Publikums mal mehr, mal weniger zu und die verstehen, mal mehr, mal weniger diese Liebe zurückzugeben. Und dann gibt es einige wenige Künstler wie Prince, die einem das Gefühl geben, man befinde sich in der Gegenwart eines Gottes, der nur deshalb menschliche Gestalt angenommen hat, damit wir das Gebotene wenigstens halbwegs verarbeiten können.

Ein guter Startpunkt für die Prince-Huldigung ist PURPLE RAIN, der Film, der ihn im Verbund mit dem dazugehörigen Soundtrack endgültig zum Superstar machte und außerdem zeigte, dass der Musiker/Sänger/Songwriter/Produzent sich nicht damit begnügen wollte, einfach nur Platten aufzunehmen. Zwar waren schauspielernde Musiker in den Achtzigerjahren längst nichts Neues mehr, doch die Art der Selbstinszenierung, oder besser: Selbstmythologisierung, die Prince vorschwebte, war eher die Ausnahme. Selbst kommerzielle Schwergewichte und Ikonen wie Elvis oder The Beatles hatten sich bei ihren Leinwandausflügen meist als nahbare Jungs von nebenan ablichten lassen, die eher zufällig gut singen konnten oder aber geniale Songwriter waren und durch diese Tatsache kaum wesentlich tangiert wurden. PURPLE RAIN hingegen bezieht seinen Reiz gerade aus der unüberwindbaren Kluft, die zwischen Prince‘ überirdischem Talent und seinem Menschsein klafft. Prince, der während seiner beispiellosen Karriere nur höchst selten wie „einer von uns“ anmutete, spielt „The Kid“, einen Musiker aus einfachen Verhältnissen, der mit seiner Band „The Revolution“ versucht, den Durchbruch zu schaffen. Bei ihrem Engagement im Rockclub „First Avenue“ in Minneapolis (Prince‘ realer Heimatstadt) konkurrieren sie mit dem schmierigen Morris Day und seiner Funk-Band The Time um die Gunst der Zuschauer, die Existenz als Musiker und die Anerkennung als Künstler. Mit seinem offen sexuellen, aber Genderunterschiede niederreißenden Auftreten („I’m not a woman/I’m not a man/I’m something that you’ll never understand“, singt er in „I would die 4 U“), der (vor allem im Vergleich zum businessmäßigen Funk von Morris Day and The Time) sehr seltsamen Musik und den extravaganten Outfits, zieht The Kid längst nicht nur Bewunderung, sondern Befremden, Neid und Verachtung auf sich. Und er scheint selbst noch nicht wirklich er selbst zu sein, ist hin- und hergerissen zwischen seinen Ambitionen und seinen künstlerischen Instinkten auf der einen Seite, seinem Bedürfnis, dazuzugehören auf der anderen Seite. Erst als er den Frieden mit seinem alkoholkranken, gewalttätigen Vater (Clarence Williams III) schließt, kann er mit vollem Selbstbewusstsein er selbst sein. Der Film ist gewissermaßen Prince‘ origin story.

PURPLE RAIN war damals ein Riesenerfolg, trotz eines völlig namenlosen Regisseurs und eines Casts, der zu einem Großteil aus Nicht-Schauspielern rekrutiert worden war. Ein Grund dafür war natürlich die Musik. Viele halten das zugehörige Soundtrack-Album bis heute für Prince‘ bestes Werk: Angetrieben von Hits wie dem fantastischen Titeltrack, einer tieftraurigen Ballade mit Gospelanklängen und rätselhaften Lyrics, die sich mit einem der großartigsten Gitarrensolos aller Zeiten und Prince‘ wortlosem Falsettgesang in die totale Transzendenz hineinsteigert, und dem makellosen „When doves cry“ (von Irrsinnsnummern wie „The beautiful ones“, „Darling Nikki“ und „I would die 4 U“ gar nicht zu reden), entwickelte es sich zu seinem bis dahin größten Verkaufsschlager, dominierte die amerikanischen Charts und verbannte selbst einen sicheren Mittelstandshelden wie Bruce Springsteen mit seinem ebenfalls monumentalen „Born in the USA“ auf die Ränge. Aber es war natürlich auch Prince‘ Persona mit seinen fantasievollen Outfits und den provokanten Sexlyrics, die entwaffnende Naivität seines Spiels und die Geschichte vom Kampf eines Außenseiters um seine (künstlerische) Autonomie, die Heranwachsende in den Achtzigerjahren einfach ansprechen mussten. Wenn man Prince in den letzten Jahrzehnten als mysteriösen Eigenbrötler wahrgenommen hat, der sich selbst als „Slave“ seiner Plattenfirma bezeichnete, ein gespaltenes Verhältnis zum Internet entwickelte und idiosynkratische betitelte Platten an allen „normalen“ Vertriebswegen vorbei veröffentlichte, wird überrascht sein, wie naiv, jungenhaft, unsicher und tatsächlich nahbar er in PURPLE RAIN wirkt. Möglicherweise war er nie wieder so nah an seinem Publikum wie in diesem Film, in dem er über den Selbstmordversuch seines Vaters weint, seine Freundin Apollonia (Apollonia Kotero) schlägt, weil er mit ihren Widerworten nicht umgehen kann, seine Mitmusiker verprellt, weil er Angst hat, dass sie ihm etwas wegnehmen könnten, er nach der Darbietung von „Purple Rain“ voller Angst von der Bühne in die Katakomben rennt, bis er bemerkt, dass das Publikum vor Begeisterung tobt. PURPLE RAIN ist das Porträt eines tief zerrissenen Mannes, der seinen sicheren Schritt erst noch finden muss – auch wenn in jeder Sekunde offensichtlich ist, dass er längst ganz genau weiß, was er tut.

Was mir aufgefallen ist und mich am meisten fasziniert hat (am Film, aber auch in der Wiederbegegnung mit Prince‘ Musik): So sehr er in den Achtzigern verwurzelt ist, so sehr seine Kompositionen mit vielen Details belegen, dass sie aus dieser Zeit stammen, so vollkommen eigen und singulär klingen sie. Man muss sich nicht in den Nostalgiemodus begeben, um zu erkennen, dass „Darling Nikki“ oder „When doves cry“ Songs für die Ewigkeit sind, dass „Purple Rain“ aus seinen klar benennbaren Einflüssen etwas macht, das Zeit und Raum überdauert. Es ist mir unbegreiflich, wie solche Musik, solche Ideen aus diesem einen Menschen (der körperlich nicht gerade ein Riese war) sprudeln und in solcher Brillanz umgesetzt werden konnten. Die Welt wird Prince vermissen. PURPLE RAIN ist der Beweis, dass er tatsächlich ein Mensch war.

 

 

 

miami-connection-1Wie der zuletzt besprochene ROAR ist auch MIAMI CONNECTION eine Wiederentdeckung des Alamo Drafthouse in Austin. Bei seinem Kinostart im Jahr 1988 ging der für rund eine Million Dollar unabhängig produzierte Actionfilm gnadenlos unter – unter dem Titel AMERICAN STREETFIGHTER erlebte er sogar einen Deutschlandstart -, nach seiner Neuveröffentlichung 2012 avancierte er zum Kultfilm der So-bad-it’s-good-Fraktion. Ich habe hier schon häufiger versucht zu erklären, warum ich diese Haltung gegenüber meist mit bescheidenen Mitteln, aber dafür viel ungebremstem Enthusiasmus produzierten Filme reichlich unsympathisch finde: Und MIAMI CONNECTION ist ein gutes Beispiel dafür, warum es einfach idiotisch ist, kleine Filme an Maßstäben zu messen, die man üblicherweise an professionelle Hollywoodproduktionen anlegt. MIAMI CONNECTION wäre unter solchen Studiobedingungen niemals entstanden. Es ist gut, dass er da ist und in genau dieser Form existiert. Er ist einzigartig, voller Passion, voller Ideen. Warum sollte man das kleinreden, indem man ihm unterstellt „schlecht“ zu sein? Er ist anders. Punkt.

MIAMI CONNECTION packt Elemente zusammen, die in dieser Form – aus gutem Grund – nie zusammengeführt wurden, vereint alles, was in den Achtzigern angesagt war, in einer wüsten Story, ohne sich jemals die Mühe zu machen, die Welt, in der das alles zusammengeht, aufzubauen. Der Film beginnt mit dem Überfall einer Gruppe von Ninjas auf zwei Gangsterbanden, die gerade einen Drogendeal abwickeln, wechselt danach zu den eigentlichen Protagonisten, einer sechsköpfigen multikulturellen Musiktruppe namens „Dragon Sound“, deren Mitglieder zusammen wohnen, studieren und außerdem Taekwondo praktizieren. Die Verbindung zu den mafiös organisierten Ninjas besteht darin, dass Jeff (William Ergle), der Bruder der Sängerin Jane (Kathy Collier), mit diesen gemeinsame Sache macht, und von einer anderen Band, deren Engagement zugunsten von „Dragon Sound“ gekündigt wurde, angeheuert wird, sie aus dem Club zu vertreiben, in dem sie jeden Abend frenetisch gefeiert werden. Natürlich setzen sich die Freunde unter Aufbietung ihrer Martial-Arts-Skillz gegen die Bösewichte zur Wehr. Diese hanebüchene Story wird ohne jeden Flow, ohne jedes Gespür für eine innere Dramaturgie oder Handlungslogik als Aneinanderreihung allerdings ziemlich geiler, bisweilen haarsträubend absurder Szenen erzählt. Dass kein einziger der Akteure den Begriff „Schauspieler“ verdient, MIAMI CONNECTION sich teilweise zu einer auf naivem Sesamstraßen-Niveau angesiedelten Huldigung grenzenloser Freundschaft versteigt, und nach seinem Schlussgemetzel mit einer Schrifteinblendung schließt, die den Weltfrieden propagiert, setzt dem Ganzen dann noch die wohlverdiente Krone auf.

Unmöglich, hier auf alles einzugehen, was Woo-sang Park und Y.K. Kim in den Topf geworfen haben, deshalb nur die herausragendsten Elemente. Als erstes ist da natürlich die Band „Dragon Sound“, die nicht nur den lahmarschigsten Plastik-AOR der Welt spielen, sondern auch eine geradezu verstörende Bühnenpräsenz hat. Die Mitglieder sind jeder für sich genommen schon nicht die attraktivsten Menschen des Planeten, darüber hinaus passen sie optisch aber auch kein Stück zusammen, wissen offensichtlich nicht, wie man sich anzieht, und benehmen sich auf der Bühne in einer Art und Weise, die selbst den frenetischsten Fan ihres eierlosen Sounds nach kürzester Zeit in die Flucht schlagen müsste: Einmal etwa kneift Mark (Y.K. Kim) seinem Bandkollegen Jim (Maurice Smith) auf der Bühne mit zum Tritt hochgerechten, nackten Fuß in die Nase. „Coolness“ oder „Souveränität“ sind diesen Heinis definitiv Fremdwörter. Der Song „Friends“, den die mit lockiger Vokuhila und Schnurrbart ausgestattete Trichterbrust Tom (Angelo Janotti), der „Spaßvogel“ der Combo, zum Besten gibt, verfügt über die folgenden herzerwärmenden Lyrics: „Friends through eternity, Loyalty, honesty, We’ll stay together, Through thick or thin. Friends forever, We’ll be together, We’re on top, Cause we play to win.“ Der andere voll ausgespielte (!) Hit lautet „Against the Ninja“ und wird von der in ihren biederen Tanzmoves und tantigem Outfit etwas an Schlagertante Paola erinnernden Sängerin Jane intoniert. Natürlich rastet das alle Alters- und Gesellschaftsschichten abdeckende Publikum trotzdem völlig aus. Es ist nur seltsam.

Ein sehr merkwürdiger Subplot dreht sich um die Suche des Afroamerikaners Jim nach seinem leiblichen Vater: Die Mitglieder von „Dragon Sound“ eint nämlich nicht nur der mangelnde Sexappeal, die Begeisterung für Taekwondo und indiskutable Musik sowie die Tatsache, dass sie allesamt Kinder von Einwanderern, sondern auch Waisen sind. Es wird sich den ganzen Film unheimlich viel Mut zugesprochen und sich liebgehalten, bedröppelt dreingeschaut und Verständnis füreinander gehabt, einmal träumen die Musiker gemeinsam von einer Welttournee, die sie in die Heimatländer ihrer Eltern führen soll, und am meisten leiden darf eben Jim, dessen Vater irgendwo da draußen ist. Irgendwann erhält er einen Brief mit seiner Adresse, woraufhin alle ihr Geld zusammenschmeißen, um ihm einen chicen Anzug für das Wiedersehen zu kaufen. Der Vater taucht dann am Schluss auf, ein mit grau gefärbten Haaren und Augenbrauen wenig überzeugend auf alte getrimmter Mann, der seinem Sohn nun ewige Unterstützung anbietet. Entrückt grinsend formieren sich alle zu einem Freeze Frame, mit dem MIAMI CONNECTION in einer wahren Harmonieüberdosis schließt. Dass die Kumpels kurz zuvor eine ganze Armee von Ninjas massakriert haben, ist da schon wieder vergessen.

Das Bild von Freundschaft, dass dieser Film zeichnet und dass ihn auszeichnet, so viel sollte jetzt klar geworden sein, ist einfach nur bizarr. Die Protagonisten benehmen sich wie kleine, schlecht erzogene oder auch geistig behinderte Kinder, haben eine erschreckend zu nennende Vorstellung von Humor und man fragt sich, was sie überhaupt auf einer Universität verloren haben. Sie leben komplett in ihrer eigenen Welt und es ist absolut unvorstellbar, dass sie außerhalb ihres vertrauten Bandrahmens überhaupt existieren könnten, einen respektablen Beruf ausüben oder gar eine Familie ernähren. Das nimmt dann auch für den Film ein, der über ganz ähnliche Eigenschaften verfügt. Teilweise wirkt es so, als hätten seine Macher selbst noch nie einen Film gesehen, als hätten sie sich die Welt über dämliche Comics oder drittklassige Fernsehshows erschlossen, als hätten sie wegen einer schweren Kinderkrankheit ihr Zimmer in einer prägenden Lebensphase nicht verlassen dürfen und sich hoffnungslos in ihren Tagträumen verloren. MIAMI CONNECTION ist der Autist unter den Actionfilmen. Er entführt seine Zuschauer in eine Welt, in der nur er zu Hause ist.

 

 

body_rock_poster_01Ich habe ja schon im vergangenen Jahr eine kleine Liebeserklärung an Lorenzo Lamas verfasst. Anlass war damals FINAL IMPACT, einer seiner Kickboxfilme aus den Neunzigerjahren, als der FALCON CREST-Star auf harten Loner machte. BODY ROCK präsentiert einen ganz anderen Lamas und das ist nicht allein seinem jüngeren Alter geschuldet. Als Chilly, Anführer der Breakdance- und Grafitti-Posse „Body Rock Crew“, spielt er entgegen seines sonstigen Profils als cooler Macho einen jungen, etwas naiven Träumer, der sich von gerissenen Geschäftemachern umgarnen und einspannen lässt und darüber fast seine Freunde – und seine große Liebe – verliert. Und es ist tatsächlich seine schauspielerische Leistung, die den Film zusammenhält.

Wie die Cannon-Filme BREAKIN‘ und BREAKIN‘ 2: ELECTRIC BOOGALOO oder andere Werke der frühen bis mittleren Achtzigerjahre, die sich diesem rätselhaften neuen Phänomen namens „Rap“ oder „Breakdance“ widmeten (etwa RAPPIN‘, BEAT STREET oder KRUSH GROOVE), zeigt auch BODY ROCK zuallererst, dass Studio-Executives von dem, was die Jugend so bewegt, für gewöhnlich wenig bis gar keine Ahnung haben. Auch wenn Epsteins Film sich in seinem Narrativ relativ stark an WILD STYLE orientiert, einem der wenigen wirklich respektablen Hip-Hop-Filme jener Epoche, scheitert er kläglich an der so wichtigen Authentizität. Ironischerweise ist Lamas, der den Film mit seinem Spiel rettet, auch derjenige, der ihm hinsichtlich seiner Street Credibility am meisten im Wege steht. Sein Chilly kann als einziger aus der „Body Rock Crew“ überhaupt nicht breaken, reißt auch als Rapper nicht gerade Bäume aus und wird doch als einziger von dem schleimigen Manager Terrence (Ray Sharkey) als Bühnenstar für dessen neuen Club engagiert. Nun gut, das ist streng genommen ja nur folgerichtig, schließlich hielten die Produzenten des Films den FALCON CREST-Schönling ja auch für die geeignete Besetzung eines B-Boys, obwohl er keinerlei Befähigung dazu hat. Doch damit noch nicht genug: In dem ausschließlich reichen Wall-Street- und Künstler-Snobs frequentierten Schuppen tritt Chilly nicht etwa, wie es naheligend wäre, als Rapper oder Breakdancer auf: Nein, er agiert dort als leicht bekleideter Sänger grotesker Synthie-Popsongs in supertheatralischen Bühnenchoreografien, für die er vom Publikum bejubelt wird wie der wiedergeborene Heiland. Breakdance und Musical-Tanznummern scheinen in der Welt von BODY ROCK irgendwie dasselbe zu sein, jedenfalls wird Chilly von den alten Kumpels nie ein Stilbruch vorgeworfen, nur, dass er vergessen hat, wo er eigentlich herkommt. Gut, dass er mit einer reichen Künstlerschlampe ins Bett steigt, obwohl er eigentlich was mit der süßen Darlene (Michelle Nicastro) laufen hat, könnte man ihm auch negativ ankreiden, aber der Film und die Hintergangene gehen mit diesem Fehltritt sehr nachsichtig um.

Wie ich oben schon schrieb, tut das dem Spaß keinerlei Abbruch. BODY ROCK hat ein paar schöne Breakdance-Performances zu bieten und auch die anderen Tanznummern – ich denke da vor allem an jene, in der die Tänzer mit phosphoreszierender Farbe bemalt sind – sind sehenswert, darüber hinaus gibt es ein paar tolle Impressionen aus dem New York der Achtzigerjahre und eine geile Montagesequenz, in der Chilly mit geilem Ledermantel durch Brooklyn flaniert und bald schon einen ganzen Tross von neidischen Kids hinter sich herzieht wie einst Rocky Balboa. Und Lamas‘ Spiel macht tatsächlich Spaß: Sein Chilly erinnert ein wenig an Travoltas Tony Manero in SATURDAY NIGHT FEVER. Wie der ist auch Chilly ein Naivling, voller Träume von Ruhm und Erfolg, aber ohne Vorstellung von den Schattenseiten oder überhaupt den Mechanismen des Geschäfts. Er rennt mit ungebremstem Enthusiasmus ins Verderben, kann von Glück sagen, dass er nicht der Protagonist eines realistischen Dramas, sondern einer etwas einfältigen Zeitgeist-Schmonzette ist, die am Ende ein unglaubwürdiges Happy End für ihn und seine Kumpels herbeizaubert. Gut so, schließlich ist das Kino ein Ort, an dem man ungehemmt träumen soll.

roller-boogie-posterAls mein Kurztrip durch das Musical/den Musik- und Zeitgeistfilm der Siebziger- und Achtzigerjahre mich zu diesem Film führte, war die Vorfreude groß: Zum Gipfelpunkt des Discofiebers und Rollerskate-Trends inszeniert von Mark L. Lester, der in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren diverse Großtaten im Bereich des Action- und Gewaltfilms vollbringen sollte – CLASS OF 1984, FIRESTARTER, COMMANDO, CLASS OF 1999, SHOWDOWN IN LITTLE TOKYO, EXTREME JUSTICE -, mit Linda Blair besetzt und fotografiert von niemand Geringerem als Dean Cundey, versprach ROLLER BOOGIE ein Quell bubblegumbunter Freude zu sein.

Doch leider, leider opfert der Film alle diese potenziellen Tugenden auf dem Altar der biederen Mittelmäßigkeit. Die leidlich interessante, aus Dutzenden von Liebes-, Musik. und Teeniefilmen bekannte Story – Mädchen aus reichem Hause liegt mit ihren Eltern über Kreuz, verliebt sich in den einfachen Rollerskater, gewinnt mit ihm einen Wettbewerb, rettet nebenbei den von finsteren Geschäftemachern bedrohten Skaterink vor der Schließung und versöhnt sich über all diesen Ereignissen mit den Eltern – wird hier in einer besonders leblosen Variante abgespult. All das Sommerfeeling, das der in Venice Beach gedrehte Film verströmt, muss wirkungslos verpuffen. Die Versäumnisse von ROLLER BOOGIE stechen besonders ins Auge, wenn man den Film mit dem inhaltlich sehr ähnlichen DIRTY DANCING vergleicht. Der ist nun auch nicht gerade ein Meisterwerk, aber er hat im Zentrum zwei Protagonisten, deren Paarung Funken versprüht und all die Klischees, die die Handlung auftürmt, vergessen macht. Linda Blair hingegen hat als nur rudimentär entwickelte Terry Barkley nicht viel mehr als ihre eigene gewinnende Persona ins Rennen zu werfen. Und Jim Bray, kein Schauspieler, sondern ein Rollerskate-Champion, dessen einziger Film dies blieb, macht seine Sache zwar ordentlich, entwickelt aber keinerlei Chemie mit dem Star. Was die beiden aneinander finden, bleibt das Geheimnis des Films, und es ist fast eine Erlösung, wenn die beiden am Ende wieder eigene Wege gehen. Allzu schwer fällt ihnen der Abschied dann auch nicht. ROLLER BOOGIE versäumt es total, irgendetwas Unverwechselbares zu erschaffen: Alles bleibt oberflächlich, flach. Die Dramaturgie besteht aus einem lustlos-geschäftigen Abhaken von standardisierten Plotpoints, die in regelmäßigen Abständen von mit aktuellen Hits untermalten Rollerskate-Szenen unterbrochen wird. Das finale Turnier, das eigentlich der Höhepunkt sein sollte, wird eilig abgespult, ohne dass da auch nur ein Iota von Spannung aufkäme oder man gar das Gefühl hätte, der Film interessiere sich wenigstens selbst für dessen Ausgang. Es bleibt ein Nachgedanke und selten wirkte ein Hauptgewinn so unverdient, so vorhersehbar, so leicht errungen. Seltsam überdies, dass es keinen Aufstand unter den Mitbewerbern darüber gibt, dass die Jury alles andere als unparteiisch ist: Sie besteht aus Terrys Eltern, dem Kumpel ihres Tanzpartners und dem Veranstalter, der den Besitz des Etablissements überhaupt nur dem Engagement des Protagonistenpärchens zu verdanken hat. Das steht exemplarisch dafür, wie leicht man es sich hier gemacht, wie sehr man sich auf die Zugkraft der Zeitgeist-Zutaten verlassen hat. Selbst unter der Voraussetzung, dass man hier eh kein Meisterwerk erwarten durfte, ist das ein bisschen zu wenig. Schade drum.

cant_stop_the_music_poster_01Die Village People sind heute, mehr als 30 Jahre nach ihrer kommerziellen Hochphase, während der auch dieser Film entstand, und ihrem misslungenen Comeback als Co-Stars der geschmacksverwirrten deutschen Nationalmannschaft anno 1994, kaum mehr als ein reichlich abgedroschener Treppenwitz der Musikgeschichte. Vor allem auf ihrer Schwulheit wird immer wieder herumgeritten, hahahaha, dabei war diese doch von Anfang an Teil des Konzepts, der sich schon am Bandnamen ablesen lässt (Greenwich Village, das zahlreichen Studenten und Künstlern eine Heimat bot, war für seine homosexuelle Szene bekannt), und von Anfang an nur totalen Spießern oder komplett Ahnungslosen verborgen bleiben konnte. Auch in CAN’T STOP THE MUSIC, der 1980 als „Schlechtester Film des Jahres“ ausgezeichnet wurde, ist Homosexualität in unmissverständlichen Songs wie „Liberation“ oder natürlich „Y.M.C.A.“ allgegenwärtig, auch wenn sie nie direkt thematisiert wird. Der Film, der ursprünglich DISCOLAND – WHERE THE MUSIC NEVER ENDS heißen sollte, kam für die Produzenten – Alan Carr hatte kurz zuvor mit GREASE eine sprichwörtliche Ölquelle angezapft – leider zu spät, um vom bereits wieder abebbenden Disco-Craze, dem auch die Village People ihren zwar immensen, aber auch kurzlebigen Ruhm verdankten, noch profitieren zu können. Auch die Titeländerung konnte den sich anbahnenden Reinfall nicht mehr verhindern: CAN’T STOP THE MUSIC fand nach verheerenden Rezensionen nie sein Publikum und spielte nur ein knappes Zehntel seines üppigen 20-Millionen-Budgets ein. Was für einen Film, der von der Überzeugung getragen wird, seine Helden seien eine absolute Popsensation, natürlich doppelt peinlich ist. Auch die Dreharbeiten gestalteten sich schwierig: Regisseurin Walker zerstritt sich mit Hauptdarstellerin Perrine und überließ alle ihrer Szenen dem DoP Bill Butler. Und der Dreh selbst wurde von homosexuellen Aktivisten, die eigentlich gegen Friedkins zur selben Zeit am selben Ort entstandenen CRUISING protestieren wollten, die Crews aber verwechselten, immer wieder gestört. Probleme über Probleme also.

Aber ehrlich gesagt ist CAN’T STOP THE MUSIC viel, viel besser als sein Ruf. Ja, die Village People sind keine Schauspieler, aber das wussten die Macher dadurch aufzufangen, dass sie ihre Geschichte von anderen Charakteren tragen lassen. Der Film handelt in erster Linie von den Bemühungen des leidenschaftlichen, aber erfolglosen Songwriters Jack Morell (Steve Guttenberg in einer Rolle, die an den Village-People-Erfinder Jacques Morali angelehnt ist), endlich einen Plattenvertrag zu ergattern. Dabei hilft ihm seine gute Freundin Samantha (Valerie Perrine), ein ehemals erfolgreiches Model mit zahlreichen guten Kontakten ins Showbusiness, unter anderem zum Plattenfirmenchef Steve Waits (Paul Sand). Weil Jack leider überhaupt nicht singen kann, trommelt Samantha auf der Straße einige talentierte Männer zusammen, die sich schließlich zu den Village People formieren. Es gibt noch einige Hürden zu überwinden, aber am Ende ist der Vertrag eingetütet, die Combo legt einen umjubelten Auftritt hin und Samatha heiratet den Anwalt Ron (Bruce Jenner). – CAN’T STOP THE MUSIC orientiert sich nur lose an der wahren Entstehungsgeschichte der Band, präsentiert sich weniger als ödes Biopic, denn als munter-lebhafte Komödie mit zahlreichen putzigen Charakteren. Hervorzuheben sind etwa Tammy Grimes als Samanthas ehemalige Agentin Sydney Channing, die in einer der besten Szenen des Films mit ihren Fingernägeln in der Wählscheibe eines öffentlichen Telefons hängenbleibt, Marilyn Sokol als Lulu Brecht, deren Assistentin, die das Ex-Model auf Geheiß der Chefin zurückholen soll, stattdessen aber Choreografin für die Combo wird, die sie stets notgeil und offenherzig umgarnt, und Jacks Mutter Helen (June Havoc), die vom Genie ihres Sohnes überzeugt ist und Waits am Ende mit jüdischen Delikatessen („kreplach“) zu einem Vertrag überreden kann. Der ehemalige Zehnkämpfer Bruce Jenner gefällt als spießig-hilfloser Freund Samanthas – er wird gleich bei seiner Ankunft in New York Opfer einer räuberischen Oma -, dessen Rolle mit heutigem Wissen um seine kürzlich erfolgte Geschlechtsumwandlung (Bruce heißt seit vergangenem Jahr Caitlyn) besonders interessante Perspektiven aufwirft.

Das Piece de resistance ist aber ganz ohne Zweifel die videoclipartige Montagesequenz zu „Y.M.C.A.“, die die Village People inmitten zahlreicher gut gebauter junger Männer bei verschiedenen sportlichen Aktivitäten in einem Fitnessstudio zeigt. Es sind Szenen wie diese, die dem Film seinen Kultstatus in der Gay Community beschert und seinen Ruf von einem Razzie-Preisträger und Megaflop zu einem Camp-Klassiker gewandelt haben, als den man ihn auch sehen sollte. Überhaupt sind die Musikszenen allesamt sehr aufwändig und mit viel Pomp umgesetzt, pures Eye Candy mit viel Glitter und sexuellem Innuendo, und die endlose Verzögerung des ersten Auftritts folgt fast dem Muster eines Suspense-Thrillers, lässt die Erwartung fast fieberhaft ansteigen, bis sich die Anspannung mit einer relaxten Darbietung von „Magic Night“ entladen darf. Eigentlich gibt es nur einen echten Kritikpunkt: Mit einer Lauflänge von opulenten 120 Minuten ist CAN’T STOP THE MUSIC duetlich zu lange geraten. Auf Evergreens wie „In the Navy“ oder „Macho Man“ wartet man trotzdem vergeblich, aber dafür „versöhnt“ der ad infinitum ausgedehnte Schlussvortrag des Titelsongs mit seiner endlosen Wiederholung des Refrains, der so gewissermaßen zur self fulfilling prophecy wird. Man kann die Musik einfach nicht stoppen. Noch nicht einmal den Village People ist dieses Kunststück gelungen.