Archiv für Dezember, 2015

herculesLuigi Cozzis Wiederbelebung des Peplums sieht ungefähr genauso aus, wie man das nach seinem STAR CRASH erwarten durfte: Die Kostüme sind offenherzig und fantasievoll, die Spezialeffekte bemühen Mitte der Achtzigerjahre bereits reichlich veraltete Techniken, die dem Film eine kindliche Naivität verleihen, überall blitzt und funkelt es und statt eines kontinuierlich entwickelten Spannungsbogens gibt es eine Aneinanderreihung von Episoden, deren Logik nicht immer unmittelbar nachvollziehbar ist. Trotz dieser Gemeinsamkeiten ist HERCULES aber ein völlig anderer Film als Cozzis Weltraumoper (die nur Unmenschen ohne Geschmack und Stil als STAR WARS-Rip-off bezeichnen). Cozzi wirft sich mit offenem Visier in die Schlacht, versucht nicht, die alten Sandalenfilme auf einen historisch fundierteren Boden zu stellen, sondern empfängt den dem Genre inhärenten Kintopp mit offenen Armen, schafft aber gleichzeitig ein Werk, dessen hoher Abstraktionsgrad es schon fast in den Rang des dekonstruktivistischen Metafilms hebt.

Für mich besonders auffällig: HERCULES wird niemals „lebendig“, wie es die alten Herkules-Filme ohne Zweifel wurden, die ihre Zuschauer in eine pittoreske Pseudoantike voller schöner Frauen, edler Recken, finsterer Schurken und gräuslicher Ungeheuer entführten. Stattdessen spielt Cozzis Film in einer beinahe entvölkerten Welt, über der des Nachts ein planetenreiches Weltall prangt und deren wenigen Bewohner keinen normalen Alltag zu kennen scheinen, sondern ständig irgendwelche seltsamen Pläne schmieden. Der Film beginnt mit keinem geringeren Ereignis als der Erschaffung der Welt, bei der Pandoras Büchse – hier eher: ein Tonkrug – eine wichtige Rolle spielt. Am Ende des Vorgangs kommen die auf dem Mond (!) lebenden Götter Zeus (Claudio Cassinelli), Athene (Delia Boccardo) und Hera (Rossana Podestà) auf die Idee, einen Superhelden aus reinem Licht zu schaffen, um den nun auf der Erde waltenden bösen Mächten etwas entgegenzusetzen. An seinem neuen Bestimmungsort angelangt, wird der kleine Hercules sogleich als potenziell gefährlicher Göttersohn enttarnt und auf einem Floß ausgesetzt, auf dem der Tausendsassa seinen Pflegeeltern in die Arme treibt. In diesem Stil setzt sich der gesamte folgende Film aus Elementen zusammen, die man entweder aus anderen Mythen und Märchen oder aber aus zu jener Zeit erfolgreichen Filmen (vor allem CLASH OF THE TITANS und SUPERMAN müssen genannt werden) kennt, die aber nie im Stile des nervtötenden Zitatekinos mit wissendem Augenzwinkern refrenziert werden.

Lou Ferrignos Held scheint selbst nie so ganz zu begreifen, was da um ihn herum eigentlich vorgeht, und der böse Plan seiner Gegenspieler – der schurkische König Minos (William Berger) und seine Gefährtin Ariadne (Sybil Danning) – ist kaum mehr als ein Vorwand, um ihn auf die Reise durch verschiedene Set Pieces zu schicken. Hier und da schnappt man mal etwas auf, was man kennt – den Augiasstall oder Charon, den knochigen Fährmann -, aber mehr als an griechischen Mythen ist Cozzi offenkundig am Spinnen eigenen Seemannsgarns interessiert. Sein Hercules tritt gegen riesige Roboterwesen an, die eine weibliche Zauberin namens Daedalus (Eva Robins) zum Leben erweckt hat, Circe (Mirella D’Angelo) verwandelt ihn in einen Riesen, sodass er die Kontinente Europa und Afrika trennen kann, der Finalkampf findet im Inneren eines brodelnden Vulkans statt, den Minos als Energiequelle nutzt. Atlantis wird auch mal kurz erwähnt, genau wie der Feuervogel Phoenix und es ist erstaunlich, dass ein Film, der so konfus ist, gleichzeitig so aufgeräumt wirkt.

Die Legende besagt, dass der back to back mit Fragassos und Matteis I SETTE MAGNIFICI GLADIATORI gedrehte HERCULES ursprünglich als „erwachsen“ angelegt war und erst auf Initiative des entrüsteten Ferrigno entschärft wurde. Ein HERCULES UNBOUND wäre sicher interessant gewesen, aber ich finde Cozzis Film auch so sehr schön. Er ist nicht ganz so ein selig machender Knaller wie STAR CRASH, aber welcher Film ist das schon? Ich finde jedenfalls, dass er – wie eigentlich alle Filme von Cozzi – als verlachtes So-bad-it’s-good-Vehikel reichlich unter- und vor allem geringgeschätzt wird.

poster20-20pillow20talk_02PILLOW TALK ist wohl einer der manipulativsten Filme, die ich in der jüngeren Vergangenheit gesehen habe. Wie er sich seinen Protagonisten und vor allem Doris Day gegenüber verhält, ist schon eine ziemliche Unverschämtheit. Darüber hinaus liefert er natürlich einen aufschlussreichen Einblick in die Geschlechterpolitik der späten Fünfzigerjahre, als die Welt sexuell noch wohlgeordnet war, zumindest in Hollywoodkomödien. Als aufgeschlossener und aufgeklärter Zuschauer bekommt man hier eine teilweise ziemlich harte Nuss zu knacken, aber gerade auch deshalb fand ich den Film so toll. Dass er diese wunderbar farbenfrohe Optik und den typischen Schwung und Drive von Hollywood-Komödien jener Zeit hat, schadet gewiss auch nicht. Und das wichtigste: PILLOW TALK ist trotz – oder gerade wegen – aller Vorbehalte ziemlich lustig.

Seine Prämisse ist wie folgt: Die erfolgreiche und alleinstehende Inneneinrichterin Jan Morrow (Doris Day) muss sich mit dem Komponisten und Filou Brad Allen (Rock Hudson) eine Telefonleitung teilen. Selbst kommt sie kaum zum Telefonieren, weil Brad ständig die Leitung mit seinen unzähligen Eroberungen blockiert, denen er im Stile eines Casanovas sweet nothings ins Ohr säuselt. Jan ist nicht nur genervt, sie ist auch von der durchsichtigen Masche des Junggesellen und der Naivität seiner Gespielinnen schockiert und hält mit dieser Meinung ihm gegenüber nicht hinterm Berg. Für ihn hingegen ist klar, dass Jan eine frustrierte Jungfer ist, die dringend mal einen richtigen Kerl braucht. Als Jans wohlhabender Kunde und Verehrer Jonathan (Tony Randall), gleichzeitig ein Freund Brads, diesem von seinem neuesten Schwarm berichtet, und Brad begreift, um wen es da geht, wird er neugierig: Er nähert sich Jan unter Vorspiegelung einer falschen Identität und erobert das Herz der Frau, die natürlich irgendwann hinter den Betrug kommt …

Die größte Unverfrorenheit von PILLOW TALK steht gleich am Anfang, wenn der Film sich Brads Meinung über Jan komplett zu eigen macht. Mag ihr Gehabe auch etwas humorlos und verkniffen sein, ihr Ärger über den Mann, der ihre Telefonleitung in Beschlag nimmt, ist durchaus verständlich, sie deshalb zur sexuell frustrierten Lustfeindin zu erklären, reinster Sexismus. Nach Auffassung von PILLOW TALK ist eine Frau, die nicht die heilige Ehe und das Hausfrauendasein an der Seite eines erfolgreichen Mannes anstrebt und den ganzen Tag darauf wartet, sich von ihrem Hengst begatten zu lassen, nur eine halbe. Sogar Jans Haushälterin, die schon morgens sturzbesoffene Alma (Thelma Ritter), ist der Überzeugung, ihre Arbeitgeberin solle sich nicht so anstellen und mal ordentlich durchziehen lassen. Das hedonistische Machogehabe Brads hingegen, der allen seinen floozys erzählt, was sie hören wollen, sie glauben lässt, sie wären sein ein und alles, ist im höchsten Fall ein Kavaliersdelikt, eigentlich aber sogar insgeheim adorable. PILLOW TALK kommt im weiteren Verlauf zu einer etwas diplomatischeren, differenzierteren Betrachtung, schlägt sich bis dahin aber in einer Art und Weise auf die Seite Brads, dass einem die Spucke wegbleibt.

Er wird durch das Drehbuch in eine gegenüber seinem weiblichen Gegenüber privilegierte Situation gebracht: Er weiß, wer Jan ist, ohne dass diese eine Ahnung über seine wahre Identität hat. Als texanischer Tourist Rex nähert er sich ihr als wahrer Gentleman, schaltet sich aber als Brad immer wieder in ihre Telefonate mit dem virtuellen Rex, um sich einen Spaß mit der nichts ahnenden Frau zu machen – und sich selbst als Rex wiederum in eine bessere Position zu bringen. Einmal warnt er die in Männerdingen ja so unbeschlagene Jan: Er kenne solche „gentlemen“ zu Genüge, in Wahrheit wollten auch sie nichts anderes, als ihre Eroberung in ein Hotelzimmer und dann auf die Matratze zu zerren. Tatsächlich nimmt „Rex“ Jan beim nächsten Date mit in sein Hotelzimmer, doch anstatt sie dort zu überfallen, zeigt er ihr nur die Aussicht über den Central Park. Als Jan dies gegenüber Brad geradezu triumphierend mitteilt, suggeriert er ihr, dass Rex ein heimlicher Schwuler sein könnte, der unter einem Mutterkomplex leide. Das Drehbuch hält Jan den ganzen Film über in der passiven Rolle der manipulierten Frau und freut sich mit Brad über dessen „gelungenen“ Streich. Dass er sich tatsächlich in sie verliebt hat, ist eher der Konvention geschuldet, als es das Machtverhältnis umdrehen würde. Erst ganz am Schluss gestattet der Film seiner Protagonistin die Rache, als sie Brads Wohnung in einen innenausstatterischen Albtraum voller Ethnokitsch, grauenhafter Statuen, ausgestopfter Tiere und von der Decke hängender Vorhängn und Troddeln verwandelt. Aber da hat sie selbst insgeheim schon beschlossen, mit ihm zusammen sein zu wollen.

In einer sehr bizarren Episode versteckt sich Brad in der Praxis eines Entbindungsarztes und sieht sich gezwungen, bei der verdutzten Sprechstundenhilfe einen Termin wegen diffuser Magenprobleme zu machen. Als er die Praxis danach wieder verlässt, bekommt die arme Frau den Ärger des Arztes ab, der in dem vermeintlich schwangeren Mann ein Wunder der Medizin vermutet. Der Gag wird später noch einmal aufgegriffen, wenn die Sprechstundenhilfe Brad aus einer Frauentoilette kommen sieht. Dieser kleine Exkurs lässt vermuten, dass sich PILLOW TALK über die rigiden gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen für Mann und Frau bewusst ist, aber wirklich distanzieren kann er sich nicht davon. Eher ist er davon überzeugt, dass das, was vor 1.000 Jahren schon „richtig“ war, auch heute nicht umgeworfen werden muss. Das Typecasting von Doris Day und Rock Hudson tut sein Übrigen: Die Rollenklischees werden mit Augenzwinkern zur Kenntnis genommen, aber dann doch wieder zementiert. Die herzlichsten Lacher gehen auf das Konto von Thelma Ritter und Tony Randall. Beste Szene: Ritters Alma säuft Hudsons Brad am hellichten Tag unter den Tisch. Seine konsternierte Zusammenfassung des Erlebnisses: „I stayed with her through a bottle of Scotch and then lost her half way through the Vodka.“

its_a_wonderful_life_movie_posterIT’S A WONDERFUL LIFE ist – zumindest in den USA – der Inbegriff des weihnachtlichen Feelgood Movies und bietet als solcher natürlich reichlich Ansatz für Ideologiekritik: Man könnte Capras Film vorwerfen, dass er die Verlierer des Kapitalismus, die einfachen Leute, mit ihrer Niederlage versöhnt, anstatt sie aufzuwiegeln, dass er ihnen Honig ums Bärtchen schmiert und ihnen ihr Dasein schmackhaft macht, anstatt es ihnen zu verleiden. Ich glaube aber, dass eine solche Kritik am Kern des Films vorbeigeht. IT’S A WONDERFUL LIFE ist zwar in der Realität angesiedelt – die Jahre der Depression und der Zweite Weltkrieg haben eine wichtige Bedeutung für die Handlung -, aber doch auch in einer märchenhaften Parallelwelt. Bedrock Falls, der Ort, in dem der Film spielt, ist eine idealtypische, gemütliche amerikanische Kleinstadt voller liebenswürdiger, schrulliger, rechtschaffener Bürger, die beim Grüßen den Hut ziehen und sich alle untereinander kennen. Der einzige, der aus der Rolle fällt, ist der griesgrämige Potter (Lionel Barrymore), ein unbarmherziger Kapitalist, der nur seinen Gewinn im Sinn hat und dafür auch bereits ist, Leben zu zerstören. Nicht von ungefähr erinnert er an Ebenezer Scrooge aus Dickens‘ Weihnachtsgeschichte. Sein Gegenspieler ist der empathische Humanist George Bailey (James Stewart), der als Leiter eines privaten Bankhauses auch den ärmsten der Armen noch Kredite gewährt, bei der Rückzahlung der Raten gern ein Auge zudrückt, so zwar ständig am Konkurs entlangschrammt, aber eben auch überaus beliebt ist bei den Einwohnern seines Heimatstädtchens, die ihm oft nicht weniger als die Existenz zu verdanken haben.

Natürlich hat Bailey mit seiner aus kaufmännischer Sicht mehr als fragwürdigen Geschäftsphilosophie auf lange Sicht keine Chance gegen Potter, aber Regisseur Capra, vielleicht der größte Humanist des US-Kinos, lässt ihn am Ende dennoch triumphieren: Als seinem Unternehmen der Konkurs und ihm Gefängnis droht, erinnern sich die Bürger von Bedrock Falls daran, wie er ihnen einst half und retten ihn, indem sie ihm etwas von ihrem Geld geben, um seine Schulden zu begleichen. Tue Gutes und es wird sich auszahlen, das könnte die Botschaft sein, aber Capra liegt solches Profitdenken eigentlich fern. Der Humanismus, das verantwortungsbewusste, rücksichtsvolle Handeln, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe sind ihm Werte an sich, die nicht weniger wertvoll und wichtig sind als die Fähigkeit, imposante Bauwerke zu errichten, Maschinen zu konstruieren, Bücher zu schreiben oder sonstige sichtbare Spuren zu hinterlassen.Baileys Drama ist es, dass ihn sein Altruismus sein ganzes Leben davon abgehalten hat, seine eigenen Träume zu verwirklichen: Als junger Mann will er Bedrock Falls verlassen, um sich die Welt anzusehen, da macht der Tod seines Vaters es erforderlich, dass er bleibt und sich um das Geschäft kümmert. Sein energisches Eintreten gegen Potter imponiert dem Aufsichtsrat des Bankhauses so sehr, dass sie ihn zum neuen Geschäftsführer machen: Um die Philosophie seines Vaters am Leben zu halten, nimmt er den Job, der auch das Ende seiner eigenen Pläne bedeutet, zähneknirschend an. Später sitzt er mit seiner Gattin Mary (Donna Reed) im Auto auf dem Weg in die Flitterwochen, als der schwarze Freitag ihn dazu zwingt, sein Privatvermögen und damit auch den Urlaub mit der Frau für die Kunden zu opfern. Bailey, der eigentlich Dinge „erschaffen“ will, sieht sich als Opfer seiner eigenen Überzeugungen. Er trifft wichtige Entscheidungen, ja, aber alle diese Entscheidungen führen ihn auf einen Lebensweg, den er nie einschlagen wollte. Die Pointe des Films ist bekannt: Als er sich das Leben nehmen will, zeigt ihm ein Engel (Henry Travers), wie es in Bedrock Falls aussähe, wenn es ihn nie gegeben hätte. Dieser Blick erst zeigt George, dass er tatsächlich etwas von Wert geschaffen, dass er überall Spuren hinterlassen hat, dass der ganze Ort deutliche Zeichen seines Wesens trägt.

Einer Ideologiekritik, die dem Film vorwürfe, er sediere die vom Kapitalismus Unterdrückten, indem er ihnen ihr trauriges Leben zum Heldentum verzeichnen, würde ich also entgegnen, dass George ja keineswegs ein „John Doe“ ist, ein Durchschnittsbürger, der in der Masse versinkt. Im Gegenteil: Er tritt immer und überall für seine Überzeugungen ein, auch dann, wenn es ihm zum eigenen Nachteil gereicht. Nie geht er den Weg des geringsten Widerstandes, auch dann nicht, wenn er davon profitierte, immer hat er das große Ganze im Blick, seine Heimatstadt und die dort lebenden Menschen, die ihn brauchen. Das nicht länger Bedrock Falls, sondern Pottersville heißende Städtchen, das ihm am Ende vorgeführt wird, ist dann auch in etwas puritanischer Übersteigerung ein wahres Sündenbabel voller Stripschuppen und dubioser Nachtbars, die mit blinkenden Neonschildern wüste Versprechungen in die Nacht streuen. Blendet man die etwas piefige Lustfeindlichkeit aus, die aus der Gleichsetzung von Sex und Sünde spricht, bleibt ein Bild, das durchaus an unsere Innenstädte erinnert: Alles ist Kommerz und schöner Schein, im Vordergrund steht nicht mehr die Gemeinschaft, das Interesse am Wohlergehen des Nächsten, sondern der Profit. Bailey wird mit seinem Bankhaus niemals reich werden, sein Name wird niemals in den Geschichtbüchern verewigt werden, aber nichtsdesstotrotz hat er einen wichtigen Beitrag zum Leben geleistet: Er hat gezeigt, dass man für seine Überzeugungen und Werte einstehen muss, dass noch der kleinste Beitrag große Wirkungen zeitigen kann. IT’S A WONDERFUL LIFE entlässt seine Zuschauer nicht aus der Verantwortung, im Gegenteil: Er fordert ihnen eine Menge ab.

Kleiner Nachtrag: Ich habe den Film mehr aus Versehen in einer nachkolorierten Fassung geschaut, die dem Vergnügen aber keinen Abbruch getan hat. Im Gegenteil: Ich fand, dass die pastelligen, leicht unnatürlichen Farben den märchenhaften Charakter des Films und das Idyll von Bedrock Falls sehr schön unterstrichen haben.

sauft benzin, ihr himmelhunde

Veröffentlicht: Dezember 24, 2015 in Action, Film, Zum Lesen
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12342458_543854822446831_6134096822251974533_nEinige von euch werden sich sicherlich noch an das Blog „Sauft Benzin, ihr Himmelhunde!“ erinnern, in dem Marcos Ewert und ich uns von 2006 bis 2009 in schriftlichen Dialogen über Actionfilme ausgelassen haben. Wer unsere Texte so sehr mochte, dass er sie am liebsten auch zum Einschlafen lesen würde, oder wer sie noch nicht kennt und sich gern ganz oldschool bei einem Becher Kakao auf der Chaiselongue „festlesen“ möchte, der kann das ab sofort tun: Im neu gegründeten Verlag Editions Moustache erscheinen unsere gesammelten Werke in gedruckter Form. Weitere actionlastige Bücher sind in Planung und ich versichere euch: Da braut sich ein Sturm zusammen, der euch wegblasen wird. „Sauft Benzin, ihr Himmehunde!“ bestellt ihr über die üblichen Vertriebskanäle oder über BoD. Wir freuen uns über eure Unterstützung.

EDIT 24.01.2016: Leider haben sich in die Erstauflage bei der Übergabe vom Satz an den Druck ein paar für uns ärgerliche Fehler eingeschlichen, die wir schnellstmöglich beheben wollen. Ich bitte die Leute, die das Buch bereits gekauft haben, um Verständnis. Es sind eher kosmetische Dinge, die schiefgelaufen sind, am Inhalt der Texte ändern sie nichts. Aber natürlich möchten wir trotzdem ein möglichst fehlerfreies Buch auf den Markt bringen. Ich werde einen Beitrag veröffentlichen, sobald die neue Fassung fertig ist.

the-black-watch-1929Fords erster richtiger Tonfilm ist auch – zumindest von denen, die ich gesehen habe (was ja nur ein Bruchteil von dem ist, was er bis dahin tatsächlich gedreht hatte) – sein bis dahin mit einigem Abstand schwächster: Ja, eigentlich überhaupt der erste, den man tatsächlich als „misslungen“ bezeichnen kann. Zur Ehrenrettung des Meisters würde ich die Umstände, sowohl die meiner Sichtung als auch die, unter denen Ford den Film inszenierte, strafmildernd hinzuziehen: Das unscharfe, kontrastarme, akustisch teilweise unverständlich-vermatschte, dann wieder unangenehm übersteuerte VHS-Rip, das mir zur Verfügung stand, ist gewiss nicht die ideale Quelle, diesen Film angemessen zu beurteilen. Aber THE BLACK WATCH hat auch so unübersehbare Schwächen, von denen eine darauf zurückzuführen ist, dass sich die meisten Schauspieler wohl erst mit der neuen Drehsituation und Technik anfreunden mussten. Myrna Loy, nur wenige Jahre später kongeniale Partnerin von William Powell in den THIN MAN-Filmen, ist hier eine einzige Zumutung, die Intonierung ihrer Dialoge furchtbar gekünstelt und leblos. Man kann hier am Objekt beobachten, was ein Allgemeinplatz der Filmgeschichte geworden ist: dass der Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm erst einmal einen gewaltigen künstlerischen Rückschritt bedeutete. Die Dialogszenen sind statisch und ungeschickt aufgelöst, der Text selbst schmucklos und umständlich. Der Film wirkt steife, unechter und theatralischer als alle vorangegangene Stummfilme. Weg ist die Eleganz und Ökonomie.

Darüber hinaus ist aber auch das ganze Sujet des Films problematisch. THE BLACK WATCH erzählt von Captain Donald King (Victor McLaglen), stolzes Mitglied des titelgebenden Regiments der schottischen Armee, der zu Beginn des Ersten Weltkriegs nicht mit seinen Kameraden nach Frankreich gehen darf, sondern stattdessen auf eine Sondermission nach Indien geschickt wird. Dort hat sich unter der Führung der verführerischen Yasmani (Myrna Loy) eine Rebellenarmee zusammengetan, die die britische Kolonie bedroht. Kings Aufgabe ist es, sich das Vertrauen der Frau zu erschleichen und sie und ihre Leute unschädlich zu machen. Alles ist streng geheim, und so halten Kings Kameraden ihn für einen Drückeberger, weil er ihnen den wahren Grund für seinen Rückzieher nicht nennen kann.

Diese Geschichte bietet zwar Raum für exotisch-fantasievolle Studiosettings, Kostüme und Charaktere sowie einige aufwändige Actionszenen, ist in der Umsetzung aber vor allem eins: Camp in Reinkultur. Die Inder tragen allesamt imposante Bärte und Turbane, sprechen der Einfachheit halber in einem altmodischen Englisch voller thees, thys und thous und rollen bedrohlich mit ihren verschlagenen Augen, die Rebellen leben im temple of doom und Myrna Loy liegt mit dunklen, sehnsüchtig ins Nichts starrenden Augen auf dem Diwan oder spricht in diesem salbungsvoll-poetischen Tonfall, den Hollywood auch gern für tapfere Indianer verwendet hat und der hier effektiv verhindert, dass man sie als Menschen aus Fleisch und Blut ernstnehmen kann. Die Liebesgeschichte, die sich zwischen ihr und King anbahnt, funktioniert dann auch zu keiner Sekunde. In einem bunten, übersteuerten Abenteuerschinken könnte man sich das alles gefallen lassen, aber dafür ist Ford nicht der richtige Mann bzw. hatte er hier sichtlich anderes im Sinn. Die Ernsthaftigkeit, mit der er seine Räuberpistole erzählt, fühlt sich deplatziert an. Wenn sich THE BLACK WATCH für zwei Szenen Kings Kameraden auf den europäischen Schlachtfeldern zuwendet, hat man plötzlich einen ganz anderen Film vor Augen. In nur wenigen Minuten entfaltet Ford eine physische Dramatik, die dem restlichen Mummenschanz leider total abgeht.

Wie gesagt: Sehr wahrscheinlich, dass THE BLACK WATCH in einer vernünftigen Kopie besser wegkäme, an Fords vorangegangene Großtaten würde er aber auch dann eher nicht anknüpfen können. So finde ich den Film eigentlich nur deshalb ganz interessant, weil er ein Beispiel für einen frühen Agentenfilm ist, einer der Ursprünge der späteren Bond-Filme sozusagen. Mal sehen, wie es weitergeht.

Ausblick auf 2016

Veröffentlicht: Dezember 23, 2015 in Film

henryhathaway

Wie es seit einigen Jahren schöne Tradition ist, wird mein Jahresrückblick 2015 auch diesmal wieder Bestandteil des großen Listen-Rundumschlags von Hard Sensations sein, der die Leser im Januar, also spät, aber noch rechtzeitig, erwartet. Statt der gängigen Top 10 bis Flop 100, die man dieser Tage überall zu lesen bekommt, richte ich an dieser Stelle den Blick nach vorn, auf das, was meine Leser im kommenden Jahr hier im Blog erwartet bzw. erwarten könnte.

Es ist sicher kein Geheimnis, dass mich das aktuelle Filmgeschehen immer weniger interessiert, ich die dadurch frei gewordene Zeit lieber in das Aufarbeiten von Filmgeschichte investiere. Derzeit eröffnet mir die Ford-Werkschau eine ganz neue Perspektive auf die Traditionen filmischer Narration: Techniken, die ich bislang für Errungenschaften der 50er-, 60er-, 70er- oder 80er-Jahre hielt, erweisen sich plötzlich als alte Hüte, die man schon zu Stummfilmzeiten zu tragen pflegte. Wissenslücken zu schließen, ist immer gut: Jeder, der sich mit Begeisterung einem Hobby widmet, weiß, dass sich die Decke niemals schließt, sich stattdessen immer neue Lücken auftun, je tiefer man in die Materie eindringt. Die Hofbauer-Kongresse haben mich aber auch gelehrt, dass es sich genauso lohnt, den Blick etwas schweifen zu lassen, nicht nur die filmhistorischen Fixsterne in den Blick zu nehmen, sondern auch das, was sich in deren unmittelbarer Nähe ereignete.

WALSH, RAOUL

Aus diesem Grund habe ich mir ein paar Regisseure ausgeguckt, die nächstes Jahr Gegenstand einer intensiven Betrachtung werden könnten. Da viele dieser Filmemacher ihr Handwerk zu Stummfilmzeiten oder kurz danach erlernten, also zu einer Zeit, als die Studios noch einen um ein Vielfaches höheren Output hatten als heute, und jeder von ihnen um die 40 bis 50 Filme drehen konnte, werde ich sie unmöglich alle in einem Jahr unterbringen können. Zumal mich John Ford, von dem ich noch gut 60 Filme vor der Brust habe, mit Sicherheit noch das ganze nächste Jahr beschäftigen wird. Trotzdem wollte ich euch einige meiner Ideen als kleinen Appetizer für die Feiertage mitgeben. Vielleicht lasse ich mich von eurem Zuspruch oder eurer Ablehnung ja sogar beeinflussen. Wer weiß?

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Sehr naheliegend ist es natürlich, nach John Ford mit Howard Hawks weiterzumachen, dem anderen maßgeblichen, klassischen US-Regisseur. Aber auch ein paar andere Klassiker interessieren mich brennend, darunter etwa Raoul Walsh, William Wyler, Henry Hathaway, Anthony Mann, John Sturges, Robert Wise und Nicholas Ray. Eher thematisch orientierte Reihen mit einigen Überschneidungen zu den genannten Leuten wären eine Screwball-, Film-noir- und eine Pre-code-Retrospektive. Die Don-Siegel-Reihe, einst die erste Werkschau, die mich hier im Blog beschäftigte, harrt seit Jahren ihrer „Vollendung“, die nun endlich greifbar ist: Sein Frühwerk liegt mir mittlerweile fast vollständig vor. Als Kontrast dazu stelle ich mir derzeit eine farbenfrohe Elvis-Reihe überaus reizvoll vor, und modernere, von mir nicht minder geschätzte Filmemacher wie John Frankenheimer, Sidney Lumet, Michael Winner und Peter Hyams haben ebenfalls noch Werke im Programm, die mir unbekannt sind und dringend nachgeholt werden müssen.

Wie ihr seht, habe ich viele Ideen und irrsinnig viel Lust auf das kommende Jahr, das, so hoffe ich, wieder mindestens genauso viele Entdeckungen bereithält wie dieses. Der 15. Hofbauer Kongress sollte Anfang 2016 einen adäquaten Startschuss liefern, Ende Januar gibt es beim zweiten Mondo-Bizarr-Weekender die geballte Ladung Bahnhofskino. Und sollte euch meine Auflistung in ihrer US-Zentrierung zu langweilig sein, so kann ich euch beruhigen: Ich werde auch weiterhin fleißig in Italien, Deutschland und Spanien stöbern und euch wissen lassen, was ich dabei gefunden habe.

In diesem Sinne: Frohes Fest!

 

Viel ist bereits über Aleksey Germans monströsen ES IST SCHWER, EIN GOTT ZU SEIN geschrieben worden. Anlässlich der vorbildlichen Heimkino-Version von Bildstörung gebe jetzt auch ich meinen Senf dazu – bei den Kollegen von Hard Sensations. Am besten, ihr kämpft euch selbst durch dieses Teil, das Kino als peinvolle Zangengeburt in kotigem Urschlamm erfahrbar macht. Viel wahnsinniger kann Film kaum werden.

1111_il_mostro_di_firenzeZwischen 1968 und 1985 werden in der Provinz Florenz insgesamt 16 Menschen von einem Serienmörder umgebracht, den die Medien schnell „Das Monster von Florenz“ taufen. Der Modus operandi ist immer derselbe: Immer überrascht der Killer ein Liebespärchen beim Schäferstündchen im geparkten Auto, tötet sie durch Schüsse aus seiner Beretta Kaliber 22 oder Messerstiche, verstümmelt anschließend die Geschlechtsteile der weiblichen Opfer. Erst 1994 wird der vermeintliche Täter verhaftet und verurteilt, nur wenig später jedoch begnadigt. Bevor es zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens kommen kann, verstirbt er unter ungeklärten Umständen. Bis heute bleibt die brutale Mordserie ungelöst.

Regisseur Cesare Ferrario beteiligt sich mit seinem Regiedebüt anlässlich des damals aktuellen (und, was niemand wissen konnte, auch letzten) Akts der Mordserie an den Spekulationen über den Killer und drehte einen Film, der ganz von der damals über der toskanischen Stadt und ihren Bewohnern hängenden Unsicherheit geprägt ist. Protagonist von IL MOSTRO DI FIRENZE ist, wenn man ihn denn so nennen will, der Schriftsteller Andreas Ackerman (Leonard Mann), der schon nach den ersten Mordern begonnen hatte, einen auf den Tatsachen basierenden Roman zu schreiben, diesen jedoch abbrach, als er mit der Charakterisierung des Mörders „steckenblieb“. Was veranlasste ihn zu seinen Taten? Was könnte sein Hintergrund sein? Wie gelingt es ihm, nach all den Taten weiterhin unentdeckt zu bleiben? Mit seiner Lebensgefährtin, der Journalistin Giulia (Bettina Giovannini) stellt Andreas Spekulationen über die psychische Disposition des Mannes an: Er leidet unter einer sexuellen Störung, einer möglicherweise dysfunktionalen Mutterbindung und an Impotenz. Gleichzeitig erlaubt ihm ein gewisses Maß an Wohlstand, die bürgerliche Fassade aufrechtzuerhalten. Die andere Hälfte des Films widmet sich dem – möglichen – Täter, dergestalt, dass die Spekulationen Andreas‘ und Giulias anhand eines weiteren Charakters, des reichen Muttersöhnchens Enrico (Gabriele Tinti), verbildlicht werden. Am Ende steht Andreas seiner „Schöpfung“ auf den Straßen von Florenz gegenüber, doch was sollte er tun? Er muss den Mann ziehen lassen und weiter mit der Gewissheit leben, dass der Mörder irgendwo da draußen herumläuft, unerkannt und unbehelligt.

IL MOSTRO DI FIRENZE ist ein hochgradig seltsamer Film, auch wenn er sich durchaus erfolgreich um Nüchternheit und Sachlichkeit bemüht. Aber da Ferrario nicht daran gelegen ist, der Realität vorzugreifen und selbst Fakten zu schaffen, ihm aber auch der lange Atem und die Akribie fehlt, um sich im Stile von David Finchers ZODIAC durch turmhohe Aktenberge zu wühlen und die Arbeit von jahrzehntelanger, letztlich ergebnisloser Ermittlungsarbeit zu protokollieren, ist sein Giallo von auffallender Statik. Nichts von dem, was passiert, ist von Belang, ja, im Grunde genommen ist eigentlich völlig unklar, ob das, was da passiert, Wirklichkeit ist oder nur der Vorstellungskraft des Protagonisten entspringt, mithin Spekulation ist. Darf die erste Hälfte des Films noch suggerieren, die Überlegungen des Schriftstellers führten zu irgendeinem – vielleicht gar überraschenden, unerwarteten? – Ergebnis, so kommt die diegetische Gegenwart des Films in der zweiten Hälfte zum völligen Stillstand: Andreas schaut da nachdenklich zum Fenster raus, geht in seinem Zimmer auf und ab oder setzt sich an seine Schreibmaschine, um seine neuesten Gedanken festzuhalten. Weiteren Anteil an der Handlung hat er nicht. IL MOSTRO DI FIRENZE spielt sich ausschließlich in seinem Kopf ab, seine Überlegungen ersetzen jede greifbare Wirklichkeit, werden nur für den Zuschauer „wahr“, der nicht mehr genau weiß, was er da eigentlich glauben soll. So muss es wohl damals auch den Menschen in Florenz gegangen sein …

136855-riley-the-cop-0-230-0-345-cropJames „Aloysius“ Riley (J. Farrell MacDonald) ist ein Streifenpolizist in New York, alleinstehend und mit einer ganz besonderen Erfolgsphilosophie ausgestattet: Wie gut man als Polizist ist, lasse sich an den Festnahmen ablesen, die man nicht gemacht habe. Und Riley ist nach dieser Philosophie ein Meister: 20 lange Jahre ist er ohne eine einzige Verhaftung ausgekommen. Er versteht seinen Job eher als Sozialarbeit, und wenn ihm doch mal eine Ordnungswidrigkeit begegnet, dann schickt er deren Urheber schnell auf die andere Straßenseite, in das Revier von seinem Rivalen Krausmeyer (Harry Schultz). Mit dieser Strategie hat er es geschafft, als Musterbeispiel für Effizienz angesehen zu werden, sodass man ihm auch die wenig vorteilhafte Körperhaltung, eine gewisse Faulheit und die bootsgroßen Füße verzeiht. Sein ganzer Stolz sind die junge Mary (Nancy Drexel) und ihr Liebhaber David (David Rollins), die Riley von Kindesbeinen an beobachtet und wie seine eigenen Kinder ins Herz geschlossen hat. Ihrer bevorstehenden Hochzeit fiebert er fast genauso nervös entgegen wie die beiden selbst. Doch dann gibt es Ärger: Während David seine reisende Mary in Europa sucht, wird ihm in den USA Veruntreuung vorgeworfen. Riley soll ihn in München einsammeln und zurück nach New York bringen. Aber dann freundet er sich mit deutschem Bier und der schönen Lena (Louise Fazenda) an …

Mit knapp 70 Minuten Länge ist RILEY THE COP nach den deutlich ambitionierteren FOUR SONS und HANGMAN’S HOUSE wieder eines der eher kleineren Ford-Projekte „für Zwischendurch“. Außerdem handelt es sich um eines jener auf der Schwelle zum Tonfilm entstandenen Werke, die bereits mit der neuen Technik experimentieren, aber den entscheidenden Schritt noch vor sich haben: In RILEY THE COP gibt es immer wieder Szenen, in denen Soundeffekte, Stimmen und Geräusche die Musikspur ergänzen und so eine neue, ungewohnte Lebendigkeit schaffen. Inhaltlich ist RILEY THE COP zwar vergnüglich (sehr schön der Running Gag, dass Riley immer wieder anhand seiner großen Füße identifiziert wird), aber auch etwas dünn. Worin da am Ende die Entwicklung des Titelhelden besteht bzw. ob es diese überhaupt gibt, ist mir nicht klar geworden. Riley ist ein von äußeren Einflüssen nahezu ungerührter Gesell, ganz im Hier und Jetzt geerdet, ohne Träume und Hoffnungen, aber auch ohne Zweifel oder Unzufriedenheit. Ja, er findet im Verlauf der Geschichte eine Frau, die ihm bislang noch fehlte, aber wenn er unter dieser Einsamkeit wirklich gelitten haben sollte, wusste er gut, das zu verbergen. Doch scheint die Handlung auch nur wenig zwingend, so gibt es doch das ein oder andere interessante Detail.

Bereits in meinem Text zu 3 BAD MEN hatte ich angemerkt, dass Ford seinen Film streng genommen aus der Sicht dreier Nebenfiguren erzähle, nämlich der titelgebenden „drei bösen Männer“, die dem jungen Pärchen – den eigentlichen Hauptfiguren – den Weg in einer strahlende Zukunft bereiten und dabei selbst verschwinden. In RILEY THE COP ist das so ähnlich: Für Riley steht nichts auf dem Spiel, es sind Mary und David, die etwas zu verlieren haben und die Hilfe Rileys gut gebrauchen können: Sie haben ihr Leben noch vor sich, wollen einander heiraten und eine Familie gründen. Riley hingegen steht außerhalb gängiger gesellschaftlicher Konventionen: Er hat weder Frau noch Kinder oder sonstige Angehörige, auch der Job scheint keine existenzielle Bedeutung in seinem Leben zu haben, einen wirtschaftlichen Zweck zu erfüllen. So, wie Ford diesen Riley darstellt, fragt man sich, ob er überhaupt ein Leben außerhalb seines Berufes hat. Ford arbeitet im Grunde genommen mit einer archetypischen, quasimythischen Charakterisierung – der Held als außerhalb jeder Gesellschaft stehende autonome Gestalt ohne Vergangenheit und Zukunft -, aber er verlegt diese in einen absolut banalen, aller dramatischen Übertreibungen freien Alltag. Riley ist nicht etwa ein mysteriöser Reiter, der auf seinem Hengst aus dem Nichts geritten kommt, um den Tag zu retten, sondern ein etwas grober, nicht besonders intelligenter Streifenpolizist mit Quadratlatschen. Das sorgt zum einen für den Humor des Films, liegt zum anderen aber voll auf der Linie von Fords Verehrung der Alltagshelden. Es sind eben nicht die in leuchtender Rüstung vom Himmel herabsteigenden Ritter, die die Erde zu einem bessere Ort – zur geliebten Heimat – machen, sondern Leute wie Riley mit ihrer intakten Moral und dem Mut, die Dinge beherzt und unverdrossen anzupacken. Und manchmal führt auch ein Umweg zum Ziel: Letzten Endes rettet Riley den Tag, indem er in einem Pariser Nachtlokal versumpft. Das ist wahre Größe.

11180826_oriDie Drohung Dicksons (Ice Cube) vom Ende des ersten Teils, die beiden Helden undercover aufs College zu schicken, wird wahr gemacht: Wieder gilt es einen Drogenring auszuheben, der diesmal die Designerdroger WhyPhy auf den Markt bringen will. Doch Jenko hat andere Pläne: Er wittert die Chance, zusammen mit dem „seelenverwandten“ Studenten Zook (Wyatt Russell) Football-Karriere zu machen. Schmidt ist auf sich allein gestellt …

Der im Vorgänger noch recht milde selbstreflexive Charakter wird im zweiten Teil wesentlich mehr in den Vordergrund gerückt. Running Gag ist etwa das ständige Beharren von Schmidts (Jonah Hill) und Jenkos (Channing Tatum) Vorgesetzten, bei diesem Fall sei alles ganz genauso wie beim vorangegangenen, man habe diesmal lediglich mehr Geld zur Verfügung. Durchsichtige Plotvariationen – die aus dem Vorläufer bekannte Dynamik zwischen den beiden Protagonisten wird nun einfach umgekehrt -, sinnlose „Verbesserungen“ – das zuvor noch reichlich schäbige Hauptquartier der Undercover-Cops ist nun mit reichlich eitlem Hightech-Zeug zugestellt – werden von den Charakteren höchstselbst bemerkt und immer wieder aufs Korn genommen. Ein schöner Einfall ist eine Verfolgungsjagd, bei der die eigentlich zu Budgeteinsparungen angehaltenen Protagonisten sich zufällig stets für genau jenen Weg entscheiden, auf dem sie den größten Schaden anrichten: Da wird dann ein Geldautomat umgefahren, sodass die Banknoten durch die Luft wirbeln oder ein ganzer Skulpturenpark geschrottet. 22 JUMP STREET wandelt auf einem schmalen Grat, riskiert ständig, dass man ihn nur noch als Parodie wahr-, seine Geschichte gar nicht mehr ernstnehmen kann. Dass ihm die Gratwanderung gelingt, liegt erneut an der Chemie des Hauptdarstellerpärchens: Hill und Tatum haben sich das Image von liebenswerten, schlitzohrigen Underdogs, die man gern anfeuert und denen man auch einen Fehltritt gern verzeiht, hart erarbeitet, und das färbt auch auf den Film ab. Die beiden haben die Gabe, selbst einen schwächeren Gag noch zum Gewinner zu machen. Großartig ist auch wieder Ice Cube, der zum heimlichen Star der Show wird: Sein Ausraster am Buffet eines feinen Restaurants ist ein Highlight. (Er hat noch ein weiteres, das ich hier aber nicht verrate.)

Alles in allem hat mir das Sequel am Ende sogar noch besser gefallen als der erste Teil, einfach weil die Gagdichte höher ist. Man kann ganz bestimmt darüber streiten, ob die beständige Selbstironie nun eher einen Fall von bequemer Absicherung gegen Kritik oder aber im Gegenteil sogar reichlich sibversiv ist. Ich tendiere zu letzterem, denn ein solch freidrehende, respektlose, gleichermaßen bescheuerte wie intelligente und schlicht gut gelaunte Komödie halte ich für einen ausgesprochenen Glücksfall. Besser kann man ein Sequel eines Films, dessen erste Installaton die meisten schon für eine Schnapsidee hielten, kaum gestalten.