Mit ‘Psychothriller’ getaggte Beiträge

HEREDITARY stellt einen radikalen Gegenentwurf zu Muschiettis IT Vorstellung von Horror dar: Statt des gut ausgeleuchteten, jederzeit vorhersehbaren Films um einen Killerclown, der einem Actionhelden gleich im Fünf-Minuten-Takt durch Geisterbahnsettings gehetzt wird, auf dass er sein Teenie-, Hausfrauen- und „Ich-grusel-mich-halt-so-gern“-Publikum erschrecke, gibt es hier Horror, der weitestgehend ohne Schreckgespenst auskommt, seinen Schrecken fast ausschließlich aus dem menschlichen Miteinander bezieht, dabei gleichermaßen verstört und wehtut und auch noch formal einiges zu bieten hat.

Es dauert nicht lang, bis der Zuschauer merkt, dass in der Familie von Mutter Annie (Toni Collette), Vater Steve (Gabriel Byrne), Sohn Peter (Alex Wolff) und Tochter Charlie (Milly Shapiro) einiges im Argen liegt: Annies tyrannische, psychisch kranke Mutter ist soeben verstorben, eine Familientradition von Geisteskrankheit inklusive Gewalt und Selbstmord lastet auf ihren Schultern – und möglicherweise in ihrem Erbgut? Der Druck, den sie verspürt, wird direkt an die Familie, vor allem an de ungeliebten Sohn Peter, weitergegeben. Als Charlie, Lieblingskind sowohl der toten Oma als auch der Mutter und selbst in einer eigenen Welt lebend, in Peters Obhut bei einem bizarren Unfall sprichwörtlich den Kopf verliert und ums Leben kommt, zerfällt auch noch der letzte Anschein eines zivilisierten Miteinanders. Dass die eh schon am Rande des Nervenzusammenbruchs balancierende Annie mithilfe der freundlichen Joan (Ann Dowd) Kontakt zur toten Tochter aufnimmt, ist nur der letzte Schritt in die eh schon vorprogrammierte Katastrophe: Peter wird von einem aggressiven Geist heimgesucht, der sich für den Tod an Charlie rächen zu wollen scheint. Es sieht so aus, als sei die Oma mit okkulten Mächten im Bunde gewesen. Oder sind das alles nur die Hirngespinste Annies, bei der die Geisteskrankheit sich nun manifestiert?

Wie die meisten Horrorfilme, die diese Schnittstelle zwischen Psychologie und Übersinnlichkeit beackern, entscheidet sich auch Regisseur Ari Aster gegen Ende zumindest vordergründig zugunsten der letzteren. Ich schätze, dass ich das Ende von HEREDITARY noch vor 10, 15 Jahren als handfeste Enttäuschung empfunden hätte, aber heute kann ich sehr gut damit leben. Mehr noch: HEREDITARY ist locker einer der stärksten und eigenständigsten Horrorfilme der letzten Jahre, selbst wenn seine Vorbilder unverkennbar sind. Vor allem ROSEMARY’S BABY muss natürlich als Inspirationsquelle genannt werden, THE EXORCIST wäre eine weitere, aber es ist nicht nötig, bis ins Golden Age zurückgehen, um Artverwandte zu finden. Das arg tendenziöse Review im Slant Magazine zieht sogar Parallelen zu den Filmen Wes Andersons, vermutlich in der Absicht, Aster ein „Style over Substance“ vorzuwerfen, womit er gleich beiden Unrecht tut. HEREDITARY verwendet die detailverliebten Dioramen, die seine Protagonistin in obsessiver Feinarbeit anfertigt, als eine Art Leitmotiv sowie als formales Leitbild: Die Räume des Hauses werden immer wieder so inszeniert, als schaue der Betrachter in einen Kasten, eine Technik, die mich mehr als einmal an Mendes‘ AMERICAN BEAUTY erinnert hat, der sie zu einem ähnlichen, wenngleich auch deutlich weniger verstörenden Effekt einsetzt. Aster beginnt direkt damit, fährt mit der Kamera ganz dicht an eines der Puppenhäuser in Annies Atelier heran, bis sich die Puppen darin als Peter und Steve entpuppen. Immer wieder baut Aster gezielt auf die Täuschung des Zuschauers, für den sich die vermeintliche Realität bei näherer Betrachtung als ihre Miniaturabbildung entpuppt. Ein Hinweis auf die Dramen, die sich nur in Annies Kopf abspielen, von ihr aber als „wahr“ empfunden werden: Vor allem zum Ende hin, wenn die Mutter dem Abgrund entgegentaumelt, häufen sich Szenen, in denen sich die Realität als Albtraum oder auch als Albtraum im Albtraum entpuppt und es keinen Ausweg aus dem Wahnsinn mehr zu geben scheint. Gleichzeitig bewahrt Aster sich die Ruhe des allmächtigen Puppenspielers, der die Fäden immer in der Hand hat, auch wenn sie für den Betrachter hoffnungslos verknotet sind. Es ist auch diese Ruhe, die den Film so wirkungsvoll macht.

Im Zeitlupentempo kriecht er voran, entfaltet in aller Ruhe und mit einer geduldigen Kamera, die geradezu in die Köpfe der Protagonisten einzudringen sucht, ein Familiendrama, das mit jeder Sekunde unerträglicher wird. Die Scares und Schocks sitzen, aber als noch verstörender empfand ich die Szenen, in denen ich dabei zusehen musste, wie jedes einzelne Mitglied dieser Familie zugrunde gerichtet wird durch das Unausgesprochene, das sich nun Ausdruck verschafft, wie da lang zurück gehaltene Gefühle einmal losgelassen eine Wucht entwickeln, vor der nichts Stand hält und wie die als Resultat herausgeschleuderten Worte Leben vernichten. Die Szene, in der Peter begreift, dass er für den Tod seiner Schwester mitverantwortlich ist? Wie er sich stumm in sein Bett schleicht und regungslos die Schreie der Mutter hört, als die die kopflose Leiche ihrer Tochter findet? Niederschmetternd. Als die Trauer über den Tod Charlies sich in einer Hasstirade gegen den eigenen Sohn Luft macht, der ihren Angriffen wehrlos ausgeliefert ist? Verheerend. Wie er nach einem Albtraum aufwacht, die Mutter bei ihm im Zimmer steht und er annehmen muss, dass sie ihn umbringen wollte? Unbeschreiblich. Toni Collette und Alex Wolff agieren an unterschiedlichen Enden des Spektrums, sie ein kurz vor der Explosion stehendes Nervenbündel, er ein immer mehr in sich zusammensackender, sich unter dem Druck beinahe in Luft auflösender Tropf, und die ungleiche Kräfteverteilung verleiht dem Film im Wesentliche seine Spannung. Beide sind grandios. Zwischen ihnen steht Gabriel Byrnes Steve, dessen verzweifelte Versuche, den Frieden zu wahren, die Fassade aufrechtzuerhalten, so bemitleidenswert wie verblendet sind. Er ist weniger auffällig als seine Kollegen, aber für das Gelingen des Films absolut zentral: Er ist das Auge des Tornados, der ruhende Pol, um den das Chaos seine Bahnen ziehen kann. Aster entwickelt mithilfe seiner Charaktere eine Dynamik, nein, er entfacht einen Sturm, der, einmal losgelassen, unaufhaltsam ist. Die verstorbene Oma mag die mächtige Puppenspielerin gewesen sein, die den entscheidenden Impuls gab – ob als Okkultistin oder schlicht als Träger einer vererblichen Geisteskrankheit – aber ihre Nachfahren sind nie in der Lage, sich ihrem Einfluss zu entziehen und die Fäden zu zerschneiden. Es gelingt ihnen nicht, aus dem Puppenhaus herauszutreten und von außen auf sich, ihre Welt, ihr Leben und ihr Miteinander zu blicken. HEREDITARY ist eine griechische Tragödie im Gewand eines Horrorfilms.

 

 

tumblr_nf7cy7sdiz1tfvxpao1_1280Über diesen Film zu schreiben und dabei etwas Gehaltvolles zu sagen, ohne auf die große Überraschung hinzuweisen, die den Zuschauer am Ende erwartet, scheint mir nahezu unmöglich. Ich versuche es trotzdem, weil ich niemandem den Spaß verderben will. Und fange konservativ an.

Samantha (Lynne Frederick), eine populäre Eiskunstläuferin, musste als Kind mitansehen, wie ihre Mutter von ihrem Liebhaber William Haskin (Jack Watson) brutal ermordet wurdeNun ist Haskin auf freiem Fuße und Samantha bereit, ihrem Partner Alan (John Leyton) das Ja-Wort zu geben. Als Haskin aus der Zeitung von der anstehenden Hochzeit erfährt, packt er ein Messer ein, und begibt sich nach London. Samantha wird fortan von ihm verfolgt und fürchtet um ihr Leben.

Bis zum Showdown erzählt Walker seine Geschichte als straightes Stalk’n’Slash: Samantha beobachtet immer wieder die Gestalt aus der Vergangenheit in ihrer Nähe, ohne dass sich die Bedrohung jemals wirklich konkretisieren würde. Ihre Versuche, Hilfe zu suchen, scheitern am Unglauben ihrer Freunde, die Überspanntheit und eine lebhafte Fantasie hinter den Ängsten Samanthas vermuten. Dass die Zahl der in ihrem erweiterten Bekanntenkreis aufgefundenen Toten auffällig ansteigt, wird dem Zufall in die Schuhe geschoben. Diese Psychospielchen inszeniert Walker gewohnt souverän und es macht durchaus Freude, den Film dank der blitzsauberen, aber schön körnigen Redemption-Bluray anzuschauen. Ein Riesencoup ist es gewiss, den großartigen Jack Watson als Psychopathen zu besetzen, einen Veteran des britischen Kinos, der eigentlich auf die einfachen, ehrlichen Haudegen von echtem Schrot und Korn abonniert ist (etwa in THE WILD GEESE). Trotzdem fragt man sich irgendwann, warum dieser simple Plot von Walker mit diesem Ernst und dieser Geduld ausgebreitet wird. Die Antwort ist einfach: Weil da natürlich noch was kommt (was sich durchaus auch intradiegetisch andeutet, so ist es nicht). Und weil einem so irgendwann klar wird, dass die Dinge nicht so sein können, wie sie sich darstellen, wird der Finalenthüllung etwas die Kraft genommen, die sie eigentlich haben sollte. Zumal sich nicht gerade viele Optionen anbieten. Will sagen: SCHIZO ist ein guter Film, mit ein hübsch kruden, ketchupblutigen Morden und tollem Seventies-Look, aber keine von Walkers Großtaten. Eher was für Zwischendurch.

 

shutter_island_ver2_xlgAls ich in den Neunzigerjahren begann, die Splatting Image zu lesen, gab es eine Textreihe von Bodo Traber, die sich mit dem sogenannten „Paranoia-Film“ beschäftigte. Ich wusste zwar, was sich unter dem Begriff der „Paranoia“ verbarg, aber die Methode, Filme quasi motivisch zu sortieren, war mir neu. Was sollte das sein, ein „Paranoia-Film“, was hatten die doch sehr unterschiedlichen Filme, die Traber besprach, miteinander gemein? Mit den Jahren verstand ich besser, dass der Paranoia-Film keine willkürlich erfundene Kategorie war, sondern dass tatsächlich viele Genres und Subgenres ganz natürlich um das Gefühl einer alles niederdrückenden, zermalmenden Angst kreisen: Horrorfilme, Science-Fiction- und Invasionsfilme, Psychothriller, Serienmörderfilme, Monster- und Katastrophenfilme, Kriegsfilme und etliche mehr. Trotzdem war Paranoia ein Thema, dass mit dem Leben, wie ich es kannte, nur wenig zu tun hatte. Das hat sich in den letzten 15 Jahren massiv gewandelt und heute neige ich fast zu der These, dass der Verfolgungswahn und die Angst, von einem übermächtigen, nicht greifbaren Feind bedroht zu werden, zu einer Art Volkskrankheit geworden sind.

Die Leute, die meinen, dass ihnen „Ausländer“ die Arbeitsplätze wegnehmen, der Islam sich anschicke, den Kopftuchzwang in Deutschland einzuführen oder Homosexuelle ihre Kinder schwul machen wollen, gehören ja erstaunlicherweise noch zu den gemäßigteren Vertretern einer Spezies, die ihre empfundene Machtlosigkeit zum Anlass nimmt, immer wüster ins Kraut schießende Verschwörungstheorien zu entwickeln. Die jüdische Weltverschwörung, Chemtrails, Illuminaten, Reichsbürgertum und was da sonst noch so kreucht und fleucht: Alle diese Theorien haben den Vorteil, dass sie durch den Widerspruch nicht zum Einsturz gebracht, sondern im Gegenteil noch verstärkt werden. Wer nicht an Chemtrails glaubt, hat nicht etwa die besseren Argumente, er ist lediglich selbst ein hoffnungsloses Opfer der Staatspropaganda. Die Verschwörungstheorie ist ein autopoietisches System: Wenn sie einmal „implementiert“ ist, vereinnahmt sie alles in ihr Theoriegebilde. Sie ist nicht falsifizierbar. Sehr praktisch für Leute, die sich ihren Solipsismus nicht durch lästige Fakten kaputt machen lassen wollen.

Scorseses SHUTTER ISLAND, seit CAPE FEAR der erste Ausflug des Regisseurs ins Gefilde des Horrorfilms, enttäuscht zunächst einmal damit, dass er ins 2010 schon etwas angegraute Subgenre des „Mindfuck“-Movies eingemeindet werden muss und damit hoffnungslos rückständig wirkt – zumindest für einen Film eines sogenannten Meisterregisseurs. Die Auflösung, die zwei Drittel des Films zur Wahnvorstellung eines psychisch Kranken macht, sieht man schon von Weitem heraufziehen, und richtig originell ist diese Entscheidung auch nicht. Bis dahin strengt sich SHUTTER ISLAND kräftig an, möglichst viele pulpige Geschmacklosigkeiten in kürzester Zeit abzuhaken. Kindsmord, Nazis, Konzentrationslager, Kommunistenjäger, Menschenexperimente, Hardboiled-Cops, augenrollende Irre und eiskalte Psychologen in einer verfallenen Irrenanstalt: SHUTTER ISLAND hat alles und noch dazu eine von der Welt vergessene Insel im grauen, wettergepeitschten Ozean. Der US-Marshal Teddy Daniels (Leonardo DiCaprio) reist hier mit seinem neuen Partner Chuck Aule (Mark Ruffalo) an, um eine unter mysteriösen Umständen aus ihrer Zelle verschwundene Kindsmörderin zu finden. Der Anstaltsdirektor Dr. Cawley (Ben Kingsley) gibt sich kaum Mühe, sein diabolisches Grinsen zu verbergen und als dann auch noch ein deutscher Arzt (= Nazi) namens Dr. Naehring (Max von Sydow) auftaucht, ist eigentlich alles klar. Doch dann gibt Daniels seine Rolle als objektiver Beobachter auf, offenbart seine ganz individuelle Verstrickung in die Geschichte: Er sucht unter den Insassen den Mann, der einst den Tod seiner Frau verursachte.

Von diesem Moment an dauert es nicht mehr lange, bis SHUTTER ISLAND seine angesprochene 180-Grad-Wendung vollzieht. Eine echte Überraschung ist diese Entwicklung, wie oben erwähnt, nicht. Das hat strukturelle Gründe, liegt aber auch an Scorseses eigener Haltung zum Stoff. Er selbst glaubt seinem Protagonisten nicht, kann ihm nicht glauben, weil er ja weiß, was mit ihm los ist, und es gelingt ihm nicht, sich dessen Wahnvorstellung zu eigen zu machen. Scorsese wird und wurde von vielen seiner Kritiker als kaltschnäuzig bezeichnet, die Gewaltdarstellung in Filmen wie TAXI DRIVER oder besonders GOOD FELLAS, hatte immer eine sehr dunkle, verlockende Komponente, auch SHUTTER ISLAND geizt nicht mit grellen Geschmacklosigkeiten (wobei die abstoßendeste Szene die grauenhaft kitschige CGI-Vision der langsam verbrennenden Gattin ist), aber hier ist es die spürbare Empathie für diesen Daniels, die den Effekt des „Twists“ unterminiert. Scorsese will seine Heilung. Und zu dieser treibt er ihn mit dem unermüdlichen Schwung eines Actionfilmers. Langweilig ist SHUTTER ISLAND nicht.

Womit wir wieder am Anfang wären: Daniels ist kein Spinner wie die Leute, die dem Kopp-Verlag die Bücher aus den Händen reißen oder auf Chemtrail-Kundgebungen rumlaufen. Er ist krank. Aber wie die ganzen Verschwörungstehoretiker hat auch er sich eine Welt aufgebaut, die immun ist gegen den Versuch, sie zum Einsturz zu bringen. Warum? Weil die Wahrheit zu schmerzhaft für ihn ist. In seiner Welt ist er ein Cop auf der nimmermüden Suche nach dem Mörder seiner Frau, der von skrupellosen mad scientists, Kommunistenhassern und Ex-Nazis gedeckt wird, in Wirklichkeit aber ein armer Tropf, dem das Schicksal ganz übel mitgespielt hat. Man muss mit ihm fühlen, etwas, was mir bei oben genannten Trotteln beim besten Willen nicht gelingen mag. Und ich habe auch meine Zweifel, ob sie sich in diesem Daniels wiedererkennen würden.

 

 

macabre7Der deutsche Titel MACABRO – DIE KÜSSE DER JANE BAXTER begleitet mich auch schon seit Jahrzehnten, dank des Horrorfilm-Lexikons aus dem Hause Hahn/Jansen. Die Inhaltsangabe empfand ich aber als ziemlich verstörend und malte mir den Film immer als kalten, handlungsarmen Kunstschocker aus. Dieses Bild verfing sich irgendwie durch Selbstsuggestion: Auch als ich längst wusste, wer dieser Bava ist und was für Filme er sonst so machte, traute ich mich an sein Regiedebüt nicht so recht heran. Wer weiß, wofür es gut war, denn immerhin kann ich heute verlautbaren, dass Bava mit MACABRO einen Einstand nach Maß feierte und gleich einen seiner besten Filme vorlegte (soweit ich das beurteilen kann, denn es gibt da noch viele Lücken, die ich zu schließen habe). Will sagen: MACABRO ist toll.

Ganz anders als man es bei einem Horrorfilm aus dem Jahr 1980 vielleicht erwartet, handelt es sich weder um einen Slasherfilm, noch um einen Zombie-, Kannibalen-, Alien- oder Okkultismusschocker, sondern um ein finsteres Psychogramm um Wahnsinn und – Obacht! – Nekrophilie. Bei seinem Pièce de resistance angelangt, steht MACABRO den blutigen Vertretern oben genannte Subgenres was puren Ekel angeht in nichts nach, der Effekt ist aber ungleich verstörender, gerade weil Bava seinen (u. a. von Pupi Avati gescripteten) Film so ruhig und bedacht inszeniert – und natürlich weil das Gezeigte deutlich näher an der Realität liegt als auferstandene Tote. Bavas Vorbilder waren also keine grellen Schocker, sondern wohl in erster Linie ein Film wie Polanskis REPULSION: ein Film, der den langsamen geistigen Verfall einer jungen Frau gewissermaßen aus der Innenperspektive zeigte. Wie Polanskis einflussreicher Thriller spielt auch MACABRO überwiegend in den abgeschlossenen Räumen eines Hauses, die handelnden Figuren sind im Wesentlichen die Protagonistin Jane Baxter (Bernice Stegers) sowie ihr Vermieter, der blinde Robert (Stanko Molnar), ein schüchterner junger Mann, der ein Faible für seine einzige Mieterin entwickelt – und ihrem dunklen Geheimnis auf die Schliche kommt, das sie in einem abgeschlossenen Gefrierschrank aufbewahrt.

Es passiert nicht viel, Bava lässt sich Zeit damit, langsam eine Ahnung aufzubauen. Bernice Stegers ist großartig als Jane Baxter, weil sie ganz normal scheint, dann aber wieder einen Blick auflegt, der an ihrem Verstand zweifeln lässt. Nur konkret wird lange Zeit nichts. Kritisieren könnte man, dass das an Terence Youngs WAIT UNTIL DARK angelehnte Spiel mit Roberts Blindheit dem Film nicht wirklich etwas bringt: Man sorgt sich etwas um den jungen Mann, aber um wirklich mit ihm mitzufiebern, ist er selbst viel zu seltsam. Außerdem: Eine wirklich konkrete Bedrohung gibt es ja gar nicht. Klar, man ahnt, dass bei Jane ein paar Schrauben nachgezogen werden müssten, aber sie zeigt keinerlei Anzeichen dafür, dass sie zur blutrünstigen Mörderin würde. Dieser kleine Makel fällt aber nicht weiter ins Gewicht, weil Robert und Jane so ein schönes Paar sind, gerade das Mit- und Nebeneinander der beiden Freaks unter einem Dach sehenswert und ungewöhnlich ist. Es ist ein bisschen schade, dass es zwischen ihnen nicht funkt: Wohl auch, weil der Film dann engültig wie eine Genreversion eines D’Amato-Softsexers wirken würde. Nicht nur, dass MACABRO wie so viele Filme des Meisters aus den Achtziger- und Neunzigerjahren in Nw Orleans gedreht wurde, Jane Baxter könnte mit der Lust, die sich in ihren Augen abzeichnet, als sie sich auf den Weg zu ihrem Lover macht (dabei ihre Kinder sorglos der Obhut ihres Gärtners überlassend), auch gut eine D’Amato-Heldin sein. Sie wäre gewiss besser damit gefahren und hätte Sex mit Robert haben dürfen, statt mit einen fauligen Kopf. Hinterher ist man immer klüger.

 

 

christmas-evil-posterWarum dieser Film kein heiß und innig geliebter Klassiker von Freunden düsterer Serienmord-Thriller ist, ist mir ein Rätsel. Liegt es vielleicht daran, dass allzu viele seiner potenziellen Verehrer ihn aufgrund seines weitaus bekannteren Titels CHRISTMAS EVIL für bloß einen weiteren Slasherfilm mit Weihnachtsbezug gehalten und deshalb gemieden haben? Ich gebe zu, auch selbst auf die Suggestionen von Titel und DVD-Cover hereingefallen zu sein, hätte auch nichts gegen eine SILENT NIGHT, DEADLY NIGHT-Variante gehabt, wurde so aber völlig auf dem falschen Fuß erwischt und mehr als positiv überrascht. Puh, was für ein finsteres kleiner Bastard!

CHRISTMAS EVIL beginnt zunächst tatsächlich Slasher-typisch mit einer Rückblende, zeigt den späteren Protagonisten Harry als Kind mit seinem Bruder, die beide Zeuge werden, wie ihre Mama sich vor dem heimischen Kamin von einem lüsternen Weihnachtsmann  vernaschen lässt. Harry (Brandon Maggart) trägt einen mittelschweren Schaden davon, der ihn zwar nicht daran hindert, in die Chefetage einer Spielzeugfabrik aufzusteigen, ihm wohl aber eine gesteigerte Wahrnehmung für die „Sünden“ der Nachbarskinder und Mitmenschen mit auf den Weg gibt. So setzt die biedere Spätvierziger in seiner Freizeit das Werk des Weihnachtsmannes fort, führt akribisch Buch über die Verfehlungen der Blagen von Nebenan (vor allem den kleinen Moss hat er auf dem Kieker, weil der ständig im Penthouse blättert) und mahnt seine Kollegen dazu, bei der Spielzeugproduktion äußerste Sorgfalt walten zu lassen, so als handle es sich bei ihnen um hilfreiche Wichtelmänner. Der Zuschauer ahnt, dass Harrys Marotten bald drastische Auswirkungen nach sich ziehen werden, und so kommt es dann auch.

Was interessant ist an YOU BETTER WATCH OUT ist die Tatsache, dass Harry sich grudnsätzlich dem Guten verpflichtet fühlt. Weil sein Glauben an Santa Claus durch sein Kindheitserlebnis erschüttert ist, will er selbst ein besserer Weihnachtsmann sein, den Menschen den Glauben an ihn zurückgeben, den er einst verloren hat. Hier kommt dann eine milde, niemals predigende Gesellschaftskritik zum Zuge: Weihnachten bedeutet in Harrys Welt einfach nichts mehr, die ramschigen Spielzeuge werden nicht gemacht, um Kinderherzen zu erfreuen, sondern um Geld einzufahren, Nächstenliebe wird als Vorwand genutzt, sich selbst einen Vorwand zu verschaffen. Harry ist einer der vielen psychopathischen Moralisten der Filmgeschichte, aber zunächst will er nichts Böses. Wenn er endlich als Weihnachtsmann mit einer Wagenlandung voller Geschenke unterwegs ist, die er den verwöhnten Kindern aus der Nachbarschaft unter dem Baum weggeklaut hat, zum Krankenhaus fährt, um sie an die stationierten Kinder zu spenden, und vorher noch die perfekte Santa-Claus-Stimme einübt, dann schaut man einem Mann zu, der tut, wozu er offensichtlich gemacht ist. Seine Freude und die Begeisterung für die Idee, die hinter Weihnachten einmal stand, sind greifbar, und man wünschte ihm, dass er damit einen Platz in der Gesellschaft hätte finden können. Leider hat ihn sein Trauma aber auch zum Fanatiker gemacht, der mit alttestamentarischer Härte gegen die kleinen Sünder vorgeht, als der Druck auf ihn zu groß wird.

YOU BETTER WATCH OUT kann sich ganz auf seinen großartigen Hauptdarsteller verlassen, der im letzten Drittel, unter Rauschebart und Mütze verborgen, fast ausschließlich mit seinen Augen arbeitet, zeichnet dessen graduellen Abstieg in den Wahnsinn mit großer Ruhe und einem wachsamen Blick für wirkungsvolle Details und die dem Stoff inhärente Tragik und Komik nach. Die tolle Fotografie kontrastiert abgeschmackten Weihnachtskitsch mit urbaner Tristesse, wirklich sympathische Figuren gibt es nicht, am Ende wird der zum Mörder gewordene Harry von einem aufgebrachten Lynchmob mit Fackeln durch die Straßen gehetzt wie Frankensteins Monster. Aber es gibt ein Happy End für ihn: Als er mit seinem Lieferwagen durch eine Absperrung kracht, stürzt sein Wagen nicht etwa den Abhang hinunter, sondern startet durch zum Mond wie der Schlitten seines großen Vorbilds. Ganz, ganz groß.

 

Noch bevor ich überhaupt wusste, worum es in dem Film überhaupt geht, wusste ich, dass er ein „Skandalfilm“ ist. Wenn es um DER FAN geht, dauert es garantiert nicht lang, bis der Begriff fällt, und natürlich habe auch ich heute, als ich Kollegen von DER FAN erzählt habe, denen der Titel unbekannt war, selbst auf diese Kategorisierung zurückgegriffen. Man macht damit sofort klar, dass man nicht nur irgendeinen alten Film gesehen hat, sondern einen, der für einen kurzen Moment einmal die Gemüter erregt hatte, eine gewisse gesellschaftliche Bedeutung erlangte. Lustigerweise soll das Wort „Skandalfilm“ so verwendet eine gewisse Respektabilität bringen, anstatt zu stigmatisieren. Das zeigt natürlich auch, wie unsinnig es ist, mit solchen Begriffen, die binnen von 30 Jahren komplett ihre Bedeutung verlieren, überhaupt zu operieren. Die Aufregung um DER FAN hat sich natürlich irgendwann gelegt, und 2003 wurde der Film sogar vom Index genommen. Heute ist der Weg frei für seine Neubewertung unter künstlerischen Gesichtspunkten. Sicherlich mag er auf manche auch heute noch allein wegen der Tatsache, dass die damals 16-jährige Désirée Nosbusch darin in ihrer ganzen jugendlichen Pracht zu sehen ist, eine gewisse Anziehungskraft ausüben (warum auch nicht, sie war ja tatsächlich sehr hübsch), aber das ist eher zu vernachlässigen. Wer sich DER FAN heute aus der Distanz anschaut, der wird wahrscheinlich darüber staunen, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit damals an etwas so Oberflächlichem wie der Nacktheit der Hauptdarstellerin aufhing. Vielleicht war das eine Schutzmaßnahme, denn alles andere an DER FAN ist noch deutlich verstörender als es jede vermeintliche „Ausbeutung“ gewesen sein könnte (die Nosbusch klagte kurz nach Erscheinen des Films, weil sie behauptete, man habe ihr die Zusage gegeben, ihre Nacktszenen zu kürzen).

Kurz zum Inhalt: Simone (Désirée Nosbusch), Schülerin im Teenageralter, ist glühender Verehrer des Popstars R (Bodo Steiger) und schreibt ihm regelmäßig Liebesbriefe, auf die sie sehnsüchtig eine Antwort erwartet, die jedoch ausbleibt. Schließlich gelingt es ihm, bei einem Fernsehauftritt seine Aufmerksamkeit zu erringen. Er nimmt sie mit zu sich nach Hause, schläft mit ihr und will sie dann wieder verlassen – sie ist nur eines von vielen Mädchen, die ihm ihre Liebe gestehen und die er benutzt, bevor er sich der nächsten zuwendet. Sie  erschlägt ihn, zerstückelt seine Leiche mit einem Elektromesser, kocht und verspeist ihn, bevor sie seine Knochen zu Staub verarbeitet. In der letzten Szene schreibt sie ihm einen Brief, in dem sie ihm gesteht, dass sie schwanger von ihm ist. Der Film endet mit einem Türklingeln.

Wie bei GIB GAS – ICH WILL SPASS wusste die zeitgenössische Kritik mit dem Film rein gar nichts anzufangen. Die Handvoll Rezensionen, die exemplarisch auf der Wikipedia-Seite des Films zitiert werden, lassen die tiefe Verunsicherung und Ratlosigkeit erkennen, die Schmidt mit seiner Inszenierung verursacht hatte. Das steife und leichenhafte Spiel der beiden Hauptdarsteller, das im Spiegel kritisiert wird, ist, das sieht ein Blinder mit Krückstock, natürlich beabsichtigt und soll das detachment von einer Gesellschaft illustrieren, die den beiden Protagonisten völlig fremd geworden ist. Und wenn das Lexikon des internationalen Films bemängelt, dass „weder das Verhalten des Mädchens noch die gesellschaftskritischen Ansätze glaubhaft entwickelt“ würden, dann übersieht der Autor dieser Zeilen total, dass es Schmidt weder um eine konkret ausformulierte Gesellschaftskritik noch um Psychologie geht. Was Schmidt in DER FAN besser und eindrucksvoller gelingt als zahlreichen anderen Filmemachern, die sich mit dem Abdriften in den Wahnsinn beschäftigt haben, ist gerade die Darstellung der Zäsur, des Risses, des Sprungs. Es gibt keine Erklärung, die Simones Tat hinreichend erklären würde. Anstatt Indizien anzuhäufen, die sich dann wie bei einem Puzzle zu einem lückenlosen Bild zusammensetzen, macht Schmidt das Gegenteil: Er saugt alles, was als Träger von Bedeutung fungieren könnte, aus dem Film heraus. Zurück bleibt eine Welt ohne Verständnis, ohne Wärme, ohne Empathie, die totale Leere. Wie sollte man die anders füllen, als damit, den Menschen, den man zu lieben glaubt, kurzerhand zu verspeisen und damit für immer zu behalten, jedoch ohne jemals auf ihn hören zu müssen?

Zu spartanischer Synthiemusik intoniert R in typischer New-Wave-Sprechgesang-Diktion den Text zu „Augenblick“: „Ich lebe für den Augenblick“, heißt es da, doch was das genau bedeutet, wie ein Leben, das man im Bewusstsein seiner Flüchtigkeit leben soll, aussehen könnte, diese Erklärung bleiben sowohl R wie auch der Film schuldig. Auch Simone weiß das nicht, nur dass das Leben, wie es sich für sie darstellt, nicht lebbar ist. Es findet keine Kommunikation statt außer der einseitigen mit R in ihren Briefen (die er nicht beantwortet). Ihre Eltern sprechen zu statt mit ihr, ohne durchzudringen und ohne wirkliches Interesse für ihre Belange zu zeigen. Ein kurzes Insert zeigt den Vater, der direkt in die Kamera schreit, dass sie etwas erleben könne, wenn sie noch einmal blau mache. Ihre Reaktion darauf sieht man nicht, aber es ist klar, dass es in DER FAN nichts zwischen Gleichgültigkeit und Konfrontation gibt. Die Leute stehen so rum, ergehen sich in Konventionen, aber darüber hinaus passiert nichts. Wie sollte eine 16-Jährige darauf anders reagieren, als sich einen Traumprinzen als Antwort auf alle ihre Fragen zu schaffen? Doch auch der ist ja nur ein Mensch und Sex mit ihm nur eine fast geschäftliche Transaktion, bei der sich zwei Körper berühren, sonst nichts.

DER FAN ist eiskalt, ohne sich aber in typisch „kalten“ Bildern zu ergehen. Es ist eher die Haltung, die Schmidt zum Geschehen einnimmt bzw. die Distanz, die er wahrt, der sein Film diese zutiefst hoffnungslose, traurige Atmosphäre verdankt – und natürlich der Musik von Rheingold, der Band von R-Darsteller Steiger. Noch einmal zum „Skandalfilm“: Es ist schon klar, dass das Finale damals verstörte. Die gut 15-minütige Sequenz, die Simones Abstieg in den Wahnsinn mit herausfordernder Ruhe begleitet, ihr grausames Verbrechen ohne jeden Anflug von Aufregung protokolliert, ist harter Tobak, auch wenn es kaum Grafisches zu sehen gibt. Und die Nosbusch, eine unschuldige Fernsehmoderation in dieser Rolle zu sehen, war natürlich ein starkes Stück. (In einer Szene ist Joachim Fuchsberger als Moderator von „Auf los geht’s los“ zu sehen, der noch Jahre später als Fürsprecher der Moderatorin fungierte, die mit einigen undiplomatischen, aber ehrlichen Aussagen in der deutschen Öffentlichkeit zur Persona non Grata geworden war.) Das Unbehagen, das der Film verursacht, resultiert aber nicht aus der Tat allein: Es ist die Ungewissheit darüber, wie die Geschichte weitergehen wird, die Vorstellung Simone könne ganz normal weitermachen, ohne dass jemals etwas von ihrem Verbrechen ans Licht kommt, die so schockierend ist. In der Welt von DER FAN fällt Simone nicht aus dem Rahmen.

b70-7517TWISTED NERVE erlangte dank Quentin Tarantino einen über den Status des damals 40 Jahre alten britischen Psychothrillers hinausgehenden Bekanntheitsgrad, als der sich dazu entschied, Bernard Herrmanns Titelthema, eine prägnant gepfiffene Melodie, prominent in seinem KILL BILL VOL. 1 einzusetzen. Es ist ein bisschen ungerecht, dass der Film seitdem – und schließlich auch hier von mir – immer in Zusammenhang mit dem Rachefilm genannt und im gleichen Atemzug durch die Fürsprache des amerikanischen Übernerds gewissermaßen „legitimiert“ wird. TWISTED NERVE, vom 1968 bereits seit 30 Jahren als Regisseur tätigen Veteranen Boulting inszeniert, hat das eigentlich nicht nötig und muss auch den Vergleich mit exponierteren Genrevertretern – Hitchcocks kurze Zeit später entstandener FRENZY drängt sich nicht nur wegen des gemeinsamen Darstellers Barry Foster auf – nicht scheuen.

Dabei erwischte er mich gestern auf dem falschen Fuß: Ich hatte einen deutlich exploitativeren, blutigeren, mehr dem Horrorgenre zugehörigen Film erwartet und war von der Subtilität und Ernsthaftigkeit von Boultings Psychogramm überrascht. Am ehesten verbindet ihn noch seine aus heutiger Sicht naiv anmutende Spekulation über die Wirkung von genetischen Defekten, der Glaube an eine Art „Mordgen“ und der Brückenschlag von Down-Syndrom (hier noch ganz politisch unkorrekt als „Mongolismus“ bezeichnet) zu mörderischer Psychose mit den spekulativeren Vertretern des Thrillerkinos. Jene Szenen, in denen ein herangezogener Wissenschaftler seine diesbezüglichen Thesen ausbreitet, sind dann auch die schwächsten des ganzen Films, der ganz gut ohne solch fragwürdige Verwissenschaftlichung ausgekommen wäre.

TWISTED NERVE lässt Martin (Hywel bennett), den Psychopathen mit dem Engelsgesicht – einen 21-Jährigen mit extrem ausgeprägtem Oedipus-Komplex – in das Haus von Mrs. Harper (Billie Whitelaw) einziehen, die dort mit ihrer hübschen Tochter Susan (Hayley Mills) und zwei männlichen Untermietern wohnt. Er gibt sich als zurückgeblieben aus und erntet das Vertrauen der beiden Frauen, die nicht ahnen, dass er insgeheim den Mord an seinem Vater plant. Diese Home-Invasion-Geschichte, die rund 20 Jahre später in verschiedenen Variationen ihre Renaissance in geleckten Hollywood-Thrillern erlebte, wird hier mit spürbarem Mitgefühl für den Protagonisten, gleichzeitig aber auch mit chirurgischer Präzision und Distanz erzählt. Alles entfaltet sich aufreizend langsam, und lange Zeit muten die Täuschungsmanöver Martins eher wie die fehlgeleiteten Streiche eines labilen, aber nicht wirklich gefährlichen Charakters an, nicht wie die minutiös ausgeführten Pläne eines Psychopathen. Es dauert lang, bis die sich kontinuierlich verfestigende Bedrohung schließlich konkretisiert und es zur Konfrontation zwischen Martin und „seiner“ Susan kommt. Boulting lässt sich dabei nicht vom Wege ableiten oder zu den ruhigen Verlauf empfindlich störenden Schocks verleiten: Die friedliche, fast heitere Atmosphäre, die er im Hause der Harpers etabliert, unterstützt durch die tolle, pastellige Fotografie von Harry Waxman (der auch THE WICKER MAN seinen visuellen Reiz verlieh), ist ein schöner Kontrapunkt, weil der Zuschauer natürlich weiß, dass der Friede nur von kurzer Dauer sein kann. Das macht TWISTED NERVE ziemlich nervenaufreibend. Leider wusste ich das gestern nicht 100-prozentig zu schätzen, da ich, wie gesagt,, etwas ganz anderes erwartet hatte. Trotzdem: Ein ausgezeichneter Film, dessen deutsche DVD-Auswertung zudem über eine hervorragende Bildqualität verfügt.

Ich schätze damals, anno 1999, als FIGHT CLUB ins Kino kam, gab es nur wenige junge Männer meines Alters oder mit vergleichbarem sozialen Hintergrund, die von Finchers Film nicht komplett weggeblasen wurden. Ich gebe zu, damals Schwierigkeiten mit der Schlusspointe gehabt zu haben (die mir heute nicht mehr wie ein überraschend aus dem Ärmel geschüttelter Twist, sondern eher als finale Verbalisierung des Offensichtlichen erscheint, eine Redundanz als Zugeständnis ans Massenpublikum), aber trotzdem versetzte mich FIGHT CLUB in einen Rausch: Chaos, Aufruhr, Zusammenbruch und Apokalypse, diese Begriffe beinhalteten plötzlich auch die Chance für etwas Neues. Und wann hatte es vor jenem längst legendären Schlussbild mit den in sich zusammenstürzenden Bankentürmen zuletzt ein so klares antikapitalistisches Statement aus Hollywood gegeben? OK, wahrscheinlich war mir damals gar nicht so bewusst, wie radikal FIGHT LUB als Hollywoodfilm war, aber dass es sich um einen politischen Film handelte, das hatte ich dann doch mitbekommen. Sein Erscheinen koinzidierte bei mir mit einer Art „politischem Coming-out“ während meines Studiums, als ich plötzlich soetwas wie den Punk in mir entdeckte, und profitierte davon erheblich.

Weil Filme wie FIGHT CLUB seit damals Schule machten – man nennt sie heute gern „Mindfuck-“ oder „Mindgame-Filme“ – ist es mittlerweile leider auch etwas uncool geworden, ihn zu verehren. Ich verstehe den Impetus hinter der Ablehnung: Für Fincher funktioniert jeder Film wie ein Uhrwerk, jedes Bild, jede Requisite, jeder Schnitt und jede Dialogzeile sind minutiös geplant und erfüllen einen genau benannten Zweck. Man lese sich nur einmal diese sehr eindrucksvolle und akribische Analyse durch, um sich einen Eindruck davon zu machen, wie wenig Raum für Spontaneität oder Zufall bei der Inszenierung von FIGHT CLUB übrig war. Wer Freiräume im Film sucht, gern den Blick schweifen oder sich von Belanglosigkeiten im Bildhintergrund verzaubern lässt, wer das ästhetische Angebot als Anreiz für eigene Entdeckungstouren nimmt und ungern an der Leine geführt wird, der muss sich von FIGHT CLUB notgedrungen beengt und bedrängt fühlen. Es ist auch kein Film, den man interpretiert, sondern einer, den man dekodiert. Als Geburtsfehler schleppt er aufgrund seiner Verfassung den Makel mit sich, bei wiederholter Sichtung keine wirklich neuen Perspektiven mehr zu bieten. Wenn man ihm einmal auf die Schliche gekommen ist, kann man bei weiteren Begegnungen nur noch beobachten, wie sich das Netz immer weiter verdichtet. Wenn man aber bereit ist, das zu akzeptieren, dann muss man FIGHT CLUB unbedingt zugutehalten, dass er extrem gut ist in dem, was er tut, und das Herz definitiv auf dem rechten Fleck hat.

Was sofort einnimmt und den gerade für diesen Film so entscheidenden Sog bewirkt (der einmal das Erweckungsgefühl des Protagonisten spiegelt, zum anderen den Blick soweit verengt, dass man die vielen, vielen Tricks des Films übersieht), sind das enorm hohe Tempo und das unglaubliche Timing, mit dem Fincher seine Pointen anbringt. Die Dialoge – oder eher die Monologe – verwirren und bezaubern mal mit rätselhaften Formulierungen und turns of phrase („make me go a big rubbery one„), dann landen sie wieder vernichtende Wirkungstreffer („My tit’s going to rot off„). Die Kälte und schonungslose Klarheit, mit der sie die Welt beschreiben, ist mitunter schockierend. Was wirklich erstaunlich – oder vielmehr beängstigend – ist, ist dass FIGHT CLUB in den rund 16 Jahren seit seiner Premiere kaum an Relevanz eingebüßt hat. Gut, Amerika hat mit dem „War on Terror“ nur zwei Jahre später den großen Krieg bekommen, dessen Mangel Tyler noch beklagt, aber die an die Schriften der Kritischen Theorie anknüpfende Beobachtung, dass jeder Ausbruch aus dem System direkt im nächsten mündet (die Underground-Unternehmung der Fight Clubs wird gewissermaßen zum Franchise), Kapitalismus die ideale Brutstätte für den Faschismus ist, trifft heute noch genauso zu wie damals. Vielleicht ist es sogar noch ärger: Könnte ein Brad Pitt als blutender, bombenbauender, kettenrauchender, mit Gummihandschuhen fickender Guerilla-Terrorist heute noch zur Ikone werden? Ich habe meine Zweifel. So betrachtet ist FIGHT CLUB heute noch genauso ein Arschtritt wie damals.

Ärzte und Gutachter stehen vor einem Rätsel, als Michael O’Brien (Robin Ward) eines Tages aus heiterem Himmel einen grausamen Ritualmord verübt. Es gibt keinerlei Erklärung, warum aus dem zurückhaltenden jungen Mann plötzlich ein Mörder wurde. Sein eineiiger Zwillingsbruder Sean (Robin Ward) ist nicht nur geschockt, sondern auch verängstigt: Steht ihm eine ähnliche Verwandlung bevor? Eine Sorge, die seine Ehe mit Dale (Wendy Crewson) merklich belastet. Als er Michael 15 Jahre nach der schrecklichen Tat offenbart, dass er gedenkt das familieneigene Anwesen zu verkaufen, brennt bei dem durch die Isolation der Haft eh schon unter Spannung stehenden Mann erneut eine Sicherung durch: Er ermordet eine Krankenschwester und flieht aus der Heilanstalt …

MARK OF CAIN ist ein kleiner, handwerklich sauber gefertigter und gut gespielter Psychothriller, wie man ihn heute gar nicht mehr produziert. Er kommt angenehm unaufgeregt daher, ohne sich dem Zuschauer mit marktschreierischem Gekreisch oder irgendwelchen fragwürdigen Gimmicks aufzudrängen, ganz zufrieden damit, seine Geschichte über zwei denkbar verschiedene – oder doch nicht so verschiedene? – Zwillingsbrüder zu erzählen. Anstatt den finalen Belagerungszustand und die handfeste Auseinandersetzung mit dem Killer in den Fokus zu rücken, etabliert Pittman sehr subtil eine gedrückte, depressive Stimmung, die von den leisen, aber unaufhörlich nagenden Sorgen Seans, der Einsicht in die schiere Unerklärlichkeit des Geschehenen und leisen Hinweisen auf die repressive katholische Erziehung der Brüder geprägt wird. Visuell trägt das Setting des dunklen, altehrwürdigen Hauses sehr dazu bei, dass das gelingt. Es ist auffällig, wie wenig der Regisseur an jenen Tricks und Drehbuchkniffen interessiert ist, die heute ohne Frage in den Vordergrund gerückt würden. Die unweigerliche Verwechslung der beiden Brüder ist nur die äußerst logische Folge der Plotkonstellation, keinesfalls aber Anlass für unzählige Plottwists und Verwirrstrategien. Die Auflösung der Situation wird von langer Hand telegrafiert – als zu Beginn einmal nur anscheinend beiläufig erwähnt wird, woran man die beiden Brüder auseinanderhalten kann, weiß man sofort, dass das später noch einmal von Bedeutung sein wird – und als heutiger Zuschauer wundert man sich schon etwas darüber, wie fahrlässig Pittman das sich eröffnende Potenzial liegen lässt. Wenn es zum Konflikt kommt, auf den MARK OF CAIN sehr stringent hinausläuft, scheint der Regisseur fast ein bisschen ratlos, was er damit nun anfangen soll. Eine weitere Zuspitzung, eine unvorhersehbare (oder auch nur vorhersehbare) Offenbarung oder aber eben der heute ohne Zweifel folgende Twist bleiben aus, fast schmucklos kommt der Film zu seinem einfachsten möglichen Ende. Eine gewisse Ratlosigkeit war bei mir gestern die Folge: Was wollte Pittman eigentlich erzählen? Was ist der Punkt von MARK OF CAIN, worin liegt hier gewissermaßen der Witz? Diese Fragen bleiben offen, Pittman weicht ihnen geradezu offenherzig aus. Andererseits ist es aber fast wohltuend, einen Film zu sehen, der sich damit begnügt, ganz altmodisch eine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte, die auf Charakteren basiert, nicht auf einer möglichst clever konstruierten Prämisse. Das Drehbuch kreist um menschliche Fragen und ist nicht bloß eine Aneinanderreihung letztlich leerer formaler Kniffe. Pittman, dessen bekanntester Film das halboffizielle PROM NIGHT-Sequel MARY LOU ist, der in seiner mittlerweile 44-jährigen Regiekarriere aber überwiegend für das Fernsehen tätig war, hat mit MARK OF CAIN einen sauberen, stimmungsvollen Film ohne technische Mängel abgeliefert. Schade, dass er sich damit begnügt hat, denn auf dem grundsoliden Fundament hätte man durchaus etwas Größeres errichten können. (Warum der Film für Menschen, die sich für kanadische Exploitation interessieren, von Interesse ist, erklärt Canuxploitation.)

Als LA SINDROME DI STENDHAL 1996 das Licht der Welt erblickte – nach zwei Filmen (LA DUE OCCHI DIABOLICI und TRAUMA), die als Enttäuschung empfunden worden waren –, schien er einen neuen Abschnitt in Argentos Werk einzuläuten. Zeigten seine Filme ab TENEBRE ein deutlich größeres Interesse an Menschen, traten seine formalen Experimente und philosophischen Gedankenspiele zugunsten größerer Wärme und, ja, Zärtlichkeit in den Hintergrund, stellt LA SINDROME DI STENDHAL sozusagen den Kulminationspunkt dieser Entwicklung dar. Dabei unterschiedet er sich inhaltlich nur marginal von den kunstvollen, bizarren Giallo, die man mit dem Namen Argento verband: LA SINDROME DI STENDHAL ist weniger ein radikaler Neustart als er das Ergebnis einer Akzentverschiebung und Perspektivänderung ist.

Die Ermittlungen in einem Serienmordfall führen die Polizistin Anna Manni (Asia Argento) nach Florenz. Bei einem Besuch der Uffizien erleidet sie beim Anblick der Meistrwerke der Renaissance einen Zusammenbruch: Der attraktive Alfredo Grossi (Thomas Kretschmann) bietet ihr  seine Hilfe an und taucht dann abends in ihrem Hotelzimmer auf. Er ist der Killer und hat es auf die Polizistin abgesehen. Nachdem er sie vergewaltigt und dazu gezwungen hat, einem Mord zuzusehen, lässt er sie zurück, nicht ohne seine Rückkehr zu versprechen. Zurück in Rom sucht Anna Hilfe bei einem Psychologen, um das Erlebte zu verarbeiten: Von ihm erfährt sie auch, dass sie am „Stendhal-Syndrom“ leidet, einer Überempfindlichkeit für die von Gemälden ausgelösten Sinneseindrücke, die sich in kurzzeitiger Amnesie und schizophrenen Episoden niederschlägt. Während sie noch versucht, das Erlebte zu verarbeiten, taucht Grossi erneut bei ihr auf, entführt und vergewaltigt sie. Doch Anna setzt sich zur Wehr, verletzt den Killer schwer und wirft ihn in einen Fluss. Die Mordserie scheint beendet. Doch dann wird Annas neuer Freund ermordet …

Eines der Standardthemen von Argento war immer die gestörte Wahrnehmung. Seinen Helden war – aus welchem Grund auch immer – stets ein wichtiger Hinweis entgangen. Das Bild, das sie versuchten zusammenzusetzen, blieb an entscheidender Stelle unvollständig. Die Indizien waren da, aber der Kontext, in dem sie erst Sinn ergaben, fehlte. Das wiederholt sich auch in LA SINDROME DI STENDHAL, wenn Anna durch die vorübergehende Amnesie nach ihrem ersten Anfall nicht im Vollbesitz ihrer kognitiven Fähigkeiten ist, und überträgt sich von dort auf den Zuschauer, der einer unzuverlässigen Protagonistin folgen muss, der er einen Vertrauensvorschuss gewährt. Wesentlicher erscheint mir aber ein anderer, metafilmischer bzw. selbstreferenzieller Aspekt: LA SINDROME DI STENDHAL liefert gewissermaßen den bis dahin fehlenden Kontext zu Argentos vorangegangenen Giallos. Er schließt einen blinden Fleck des Zuschauers ins Bezug auf Argentos bisheriges Werk. War das vor allem mit dem Erkenntnisprozess des Helden beschäftigt, behandelte es seinen Widerpart nur als Anstoß für den Plot, als rein strukturelle Notwendigkeit, wendet Argento sich hier eben der Genese des Mörders zu. LA SINDROME DI STENDHAL ist in vielerlei Hinsicht das Prequel, die Origin-Story zu Argentos restlichem Werk. Waren seine Mörder bis hierhin blitzschnell und schattenhaft zuschlagende Phantome, deren persönliche Geschichte sich in einem schmucklosen Nebensatz erschöpfte, zeigt er hier, welche Tragödie hinter ihrer „Karriere“ steht. Anna Manni ist ein Opfer, ihre psychische Disposition begünstigt ihren Absturz, nachdem sich Grossi an ihr vergangen hat. Ihre Umwelt findet nie den richtigen Umgang mit ihr: Viel zu schnell, aus falscher Hilfsbereitschaft, wird sie wieder in den Polizeidienst aufgenommen. Ihr Kollege und Liebhaber Marco (Marco Leonardi) begreift nicht, was in ihr vorgeht, sieht nur seine eigenen Gefühle. Annas Vater betrachtet die Tatsache, dass seine Tochter vergewaltigt wurde und sich nun in psychiatrischer Behandlung befindet, als Schande. Ihre Brüder scheinen völlig ahnungslos. Ihr Therapeut begreift zu spät, was mit Anna geschieht, und sie selbst glaubt zu lang daran, ihre Probleme selbst bewältigen zu können. LA SINDROME DI STENDHAL ist ein tieftrauriger Film und wäre er in Argentos Werk nicht völlig singulär, man müsste ihn als seinen „humanistic turn“ bezeichnen.

Das Ende ist gleichermaßen niederschmetternd wie es hoffnungsvoll ist: Nachdem Anna zur dreifachen Mörderin geworden ist, nehmen ihre Kollegen die Verfolgung auf. Ihr Chef mahnt fürsorglich, dass niemand ihr ein Haar krümmen dürfe, es sei schließlich Anna, um die es gehe. Sie ergreifen die völlig aufgelöste junge Frau, deren Zusammenbruch sich nun komplett vollzogen hat. Auf dem Boden liegend, die Polizisten über ihr, erlebt sie den Schmerz ihrer zweifachen Vergewaltigung noch einmal. Ihre Kollegen beweisen Verständnis für die Situation und Empathie, bedecken sie mit einem Hemd, heben sie dann liebevoll, ihr gut zuredend, auf. Das ist ein eindrucksvolles, wunderschönes Bild, eine Utopie der Nächstenliebe: Die Polizisten tragen die Frau, ihre Kollegin und Freundin, die sowohl Mörderin wie auch Opfer ist, auf den Armen, umsorgen sie voller Mitgefühl und Verständnis für ihre Situation und ihren Schmerz. Die Erkenntnis ist ebenso einfach wie sie geradezu schockierend ist: Mörder sind Menschen. Viele von ihnen sind selbst Opfer. Und sie verdienen nicht unseren Hass, sondern unsere Zuwendung. Dieses finale Bild von LA SINDROME DI STENDHAL ist unvergesslich, ein Monument, das uns an die grenzensprengende Macht der Liebe – verstanden als Selbstlosigkeit und Mitgefühl – erinnert. Wer da noch über die maximal drei Sekunden misslungener CGI sprechen will, bestätigt damit nur wie wichtig dieser Film ist.