Archiv für August, 2016

slaughterhouse_rock_poster_01Der Jugendschützer oder „Zensor“ ist ja ein eher schlecht beleumundeter Zeitgenosse. Im günstigsten Fall hat er lediglich ein sehr eingeschränktes Verständnis von Kunst, dem die Anmaßung, für andere entscheiden zu können, was für sie gut ist, antiproportional entgegensteht, im schlimmsten ist er gar ein Faschist. Wenn man sich aber mal so anschaut, was für Werke im Laufe der Jahre beschlagnahmt wurden, kann man durchaus auch zu dem Schluss kommen, dass hinter manchem Bescheid wahrscheinlich gar kein überzogener moralischer Anpruch steckte, sondern einfach das Bedürfnis, den Videokunden 90 sinnlos und spaßfrei vergeigte Minuten zu ersparen und Filmemachern/Produzenten zu signalisieren: so nicht. Anders lässt es sich jedenfalls nicht erklären, dass SLAUGHTERHOUSE ROCK – zu Deutsch SLAUGHTERHOUSE – verboten wurde. Ich kenne Kinderfilme, die furchteinflößender sind. Natürlich war es dieses Verbot, das den Film während meiner Videotheken-Zeit überhaupt interessant machte, aber schon damals, als ich noch recht einfach zufriedenzustellen war, flog dieser Film nach kürzester Zeit aus dem Player. Auch heute war die Sichtung eine Qual: Vier Anläufe brauchte ich für den 85-Minüter und nur mein grenzenloses Pflichtbewusstsein (sowie mein krankhafter Komplettierungswahn, was Achtzigerjahre-Horror angeht) ließ mich Logothetis‘ erschreckend inkompetentes Werk durchstehen.

SLAUGHTERHOUSE ROCK ist ein kaum verhohlenes Rip-off der damals noch megaerfolgreichen NIGHTMARE-Filme um Freddy Krueger: Der Student Alex (Nicholas Celozzi) wird von bizarren Albträumen geplagt, die ihn mehr und mehr belasten. Eine an Parapsychologie interessierte Lehrerin kommt schließlich auf die Idee, dass Alex vom Geist eines auf Alcatraz verendeten Serienmörders und Okkultisten gerufen wird. Die nächtliche Reise zur ehemaligen Gefängnisinsel bietet reichlich Anlass für nicht enden wollendes Gelatsche im Halbdunkel, zahnlosen Stalk-and-Slash-Horror sowie missratene Übungen in Humor. Es funktioniert wirklich gar nichts. Noch nicht einmal Schadenfreude ermöglicht der Film, weil Logothetis das alles viel zu Ernst nimmt. Er wollte offenkundig einen spannenden Horrorfilm  drehen, weshalb er sich scheut, ihn voll in den Wahnsinn abdriften zu lassen: Selbst die bescheuertsten Momente werden noch mit freudloser Zurückhaltung inszeniert. Seine Charaktere sind fürchterliche Kackbratzen mit seltsamen Vorstellungen von gesellschaftlich adäquatem Verhalten, die Schauspieler farblos bis unsympathisch. Die Story ist hanebüchen und vor allem katastrophal umständlich: Es wirkt, als habe man hier zwei oder drei halbgare Drehbuchansätze planlos zusammengeklatscht, ohne sich groß um Sinnfragen zu scheren. Passt schon. Das Alcatraz-Setting (wahrscheinlich wurde in irgendeiner Industrieruine gedreht) hätte sogar was hergegeben (die Fotografie ist dann auch das Beste, sprich: am wenigsten Misslungene), aber vor Ort entschließt sich Logothetis dann aus unerfindlichem Grund für bizarren Geisterspuk. Da taucht wie aus dem Nichts ein weibliches Gespenst (Toni Basil) in scheußlichem Fummel und extrovertierter Hutmode auf, das Alex in ausschweifenden, rückblendenreichen Dialogen einen vom Pferd erzählt und dann und wann in peinliche Tanzeinlagen verfällt. Alex‘ Bruder Richard (Tom Reilly) latscht indessen als Vampirwesen durchs Gemäuer und meuchelt die gemeinsamen Kumpels dahin, die im Stile von AMERICAN WEREWOLF wiederkehren und ihr Ableben „humorvoll“ kommentieren. Es ist ein Rätsel, was das alles soll. War wirklich jemand der Meinung, dieser Film sei nicht grausam öde und doof? Vielleicht funktioniert SLAUGHTERHOUSE ROCK im Kreise von Freunden mit ein paar Bieren oder härteren Stoffen, aber selbst dann würden mir Dutzende geeignetere Kandidaten einfallen.

 

bornamerican_onesheet_styleb_usa-1-500x755BORN AMERICAN ist Renny Harlins Spielfilmdebüt (er hatte zuvor vor allem Werbespots gedreht) und stellte für den damals 27-Jährigen einen Auftakt nach Maß dar: Es gelang ihm, einen US-amerikanischen Geldgeber von seinem Projekt zu überzeugen, sodass BORN AMERICAN nicht nur eine immens erfolgreiche Regiekarriere einleitete, sondern auch als teuerster finnischer Film in die Geschichte einging. Es ist beileibe kein perfekter Einstand, aber Harlin zeigt in seinem Debüt schon viele jener Charakteristika, die seine Filme durchaus über den reinen Entertainment Value hinaus interessant machen (dass ich Harlin-Fan bin, habe ich hier ja schon mehrfach betont).

BORN AMERICAN handelt von den drei amerikanischen Freunden Savoy (Mike Norris), Mitch (Steve Durham) und K.C. (David Coburn), die einen Finnland-Urlaub machen. Besonders reizvoll empfinden sie die Grenze zum bösen Russland, und als sie bei einem Ausflug durch Zufall plötzlich tatsächlich am Grenzstreifen stehen, überkommt sie der Kitzel. Was soll schon passieren? Man wird sie gewiss nicht umbringen. Doch der Grenzübertritt wird bemerkt: Auf der Flucht vor den Soldaten landen die drei Freunde in einem kleinen Dorf, wo sie des Mordes an einer Einwohnerin bezichtigt werden. Es kommt zu einem Feuergefecht und weiteren Toten. Als sie wenig später dem Militär in die Hände fallen und gefoltert werden, unterzeichnen sie das Geständnis, dass sie Terroristen seien. In einem unmenschlichen Kerkerloch eingesperrt, droht ihnen ein trauriges Schicksal …

Der Reiz von BORN AMERICAN besteht darin, ein Thema, das zur Entstehungszeit des Films meist in fetten Hollywood-Produktionen auf großer Bühne behandelt wurde, durch einen kleinen Kniff in die Alltäglichkeit zu holen. Es geht eben nicht um Elitesoldaten, Meisterspione, hohe Diplomaten oder ähnliche von der Zuschauerperspektive enthobene Charaktere, sondern um drei Kumpels, die sich vom anvisierten Publikum nur marginal unterscheiden. Das Kribbeln, das sie angesichts der kyrillischen Schriftzeichen auf einem unscheinbaren Zaun mitten im verschneiten Nirgendwo empfinden, ist wahrscheinlich für jeden, der damals im Westen aufwuchs, nachvollziehbar. So alltäglich die angenommene Bedrohung durch den Feind jenseits des Eisernen Vorhangs war, so wenig greifbar war er doch für die meisten, gerade in den USA. Die UdSSR war weit weg und die Vorstellung, dass das „Evil Empire“ tatsächlich auf einen geografisch konkreten Ort festzunageln war, muss vielen angesichts der geradezu mythischen Überhöhung, die das Land medial erfuhr, geradezu absurd erschienen sein. Diese ersten Minuten von BORN AMERICAN sind die stärksten, weil Renny Harlin diesen Einbruch des Unfassbaren in die Realität toll herausarbeitet. Wie banal dieses finstere Russland auf einmal erscheint und so gar nicht böse: Da steht eine jämmerliche Wachhütte im Schnee, bewacht von einem bedauernswerten, frierenden Kommißbrötchen. Jugendliche Amerikaner, die sie sind, bleibt den Protagonisten fast gar keine andere Wahl, als sich im Omnipotenzwahn zu ergehen und den Ernst der Lage krass zu unterschätzen. Die geilste Mutprobe der Welt, wer könnte da schon widerstehen?

Dass sich BORN AMERICAN danach in eine Art naive Version von MIDNIGHT EXPRESS verwandelt, der eine klare Richtung (und vielleicht ein etwas großzügigeres Budget) fehlt, ist ein bisschen enttäuschend. Schon die Ballerei, mit der die Jungs sich noch tiefer in die Scheiße reiten, unterwandert die zuvor etablierte Glaubwürdigkeit, und als sie dann im Gefängnis landen, häufen sich die Klischees zu Ungunsten einer klarer herausgearbeiteten Dramaturgie. Es gibt natürlich diverse Foltereien sowie die obligatorische Dresche durch einen sadistischen Häftling, der schwächste der Freunde vegetiert bald schwerverletzt dem Tod entgegen, der amerikanische Diplomat, der zur Hilfe abgestellt ist, hat außer wohlklingenden Absichtsbekundungen nichts anzubieten, macht im Gegenteil gemeinsame Sache mit dem Feind, und ein ehemaliger amerikanischer Top-Agent (Thalmus Rasulala) sucht sich unter dem Decknamen „The Admiral“, den sich die Gefangenen respektvoll zuraunen, den Feind von innen heraus zu zersetzen. Alles scheint auf einen großen Arenafight zuzulaufen: Die Gefangenen treten in einem lebenden Schachspiel zu Kämpfen auf Leben und Tod gegeneinander an, doch das wird letztlich nur eingeführt, um kurz vor Schluss eine kleine Reminiszenz an Ciminos THE DEER HUNTER einzubauen. Der Film mäandert bis zum finalen Ausbruch ohne echte Höhepunkt vor sich hin.

Letztlich ist BORN AMERICAN trotz gefälligem Gesamtergebnis doch auch ein Film der vertanen Chancen. Schlecht ist er nicht und das sich später bestätigende Potenzial Harlins unübersehbar, aber trotzdem bleibt ein etwas zwiespältiger Eindruck: Für einen feisten Actionkracher ist zu wenig los, für ein runterziehendes Knast-Drama gibt es dann doch etwas zu viel Kintopp. Wie das Teil wohl ausgesehen hätte, wenn der ursprünglich vorgesehene Chuck Norris mitgewirkt hätte? Sein Sohn ist sicherlich der bessere Schauspieler, aber vielleicht hätte der Veteran dem Werk die schmerzlich fehlende Grimmigkeit verpasst.

steamboatDer Mississippi ist fast 3.800 Kilometer lang. Er durchfließt in Nord-Süd-Richtung das komplette Staatsgebiet der USA und passiert dabei acht Bundesstaaten. Gemeinsam mit dem Nebenfluss Missouri bildet er das viertlängste Flusssystem der Welt (nach Nil, Amazonas und Jangtsekiang). Liebevoll wird er auch „Old Man River“ bezeichnet und ihm kommt eine wichtige quasimythologische Bedeutung in der Americana zu. Mit STEAMBOAT ROUND THE BEND widmet ihm auch John Ford einen Film, seine letzte Zusammenarbeit mit Will Rogers, der im selben Jahr bei einem Flugzeugabsturz sein Leben ließ (der Film startete wenige Wochen nach seinem Tod in den US-Kinos).

Liest man vorab die Inhaltsangabe, scheint sich an geradliniger, schneller Film anzukündigen: Duke (John McGuire), der Neffe des Quacksalbers und frischgebackenen Dampferkapitäns Doctor John Pearly (Will Rogers), hat einem Menschen das Leben genommen, als er die Ehre seiner Geliebten Fleety Belle (Anne Shirley) verteidigen wollte, eines Mädchens aus den Sümpfen. Der Onkel überzeugt den Neffen davon, sich zu stellen: Er habe nichts zu befürchten, da er in Notwehr gehandelt habe. Doch er irrt sich: Duke wird zum Tode verurteilt. Es gibt jedoch einen Zeugen, den John Pearly nun erreichen will, um seinen Neffen zu retten. Auf der Suche nach ihm gerät er in ein Dampfschiff-Rennen gegen seinen Rivalen Eli (Irvin S. Cobb) …

Es liegt wohl auch an Will Rogers und seiner Persona, dass STEAMBOAT ROUND THE BEND keineswegs straight, sondern ebenso mäandernd und voller Untiefen ist wie der Mississippi – oder eben wie sein Hauptdarsteller. Rogers lässt sich in kein enges narratives Korsett zwängen. Er ist ein Kommunikator, ein Mann, der eine gute Geschichte ebenso liebt wie den ornamentalen Schlenker, der die Pointe hinauszögert. Ein amerikanischer man of the people – aber dabei kein märtyrerhaft-selbstloser Wohltäter, sondern eher ein schelmischer, manchmal durchaus auch gerissener Diener einer größeren Wahrheit, die das Individuum übersteigt. Der Mensch muss in seiner Einfalt manchmal zu seinem Glück gezwungen werden. Oder man muss ihm einen kleineren Schaden zufügen, um ihm mittelfristig zu helfen. Bis es zum großen Dampfschiff-Rennen kommt, ist STEAMBOAT ROUND THE BEND eigentlich schon fast wieder vorbei. Davor hat John den alten Säufer Efe (Francis Ford, Bruder des Regisseurs) sowie den schwarzen Taugenichts Jonah (Stepin Fetchit) unter seine Fittiche genommen, sich mit der aufgrund ihrer Herkunft zunächst kritisch beäugten Fleety Belle angefreundet, ein Wachsfigurenkabinett mit allerlei Helden der amerikanischen Geschichte eröffnet und seine Rivalität mit Captain Eli auf die Spitze getrieben. Nichts davon übertrifft den zentralen Handlungsstrang an Bedeutung, aber es ist doch auffällig, dass dieser Film, in dem immerhin das Leben eines Unschuldigen auf dem Spiel steht, so überaus verspielt und über weite Strecken überhaupt nicht dramatisch oder gar existenziell ist.

Die Gefahr, der Duke ausgesetzt ist, wird keinesfalls heruntergespielt: Die Szenen, die sich seinem Schicksal widmen, sind dann auch die theatralischsten des Film. Die Gerichtsverhandlung, bei der der Junge entgegen der Erwartungen nicht freigesprochen, sondern für schuldig befunden wird, spart Ford ganz aus, setzt erst mit einer Fahrt durch den bereits wieder leeren Gerichtssaal ein, in dem nur noch die enttäuschten und ernüchterten John und Belle sitzen, die kaum fassen können, was sie eben erlebt haben. Auch wie der Einspruch abgeschmettert wird, ereignet sich außerhalb des Bildes, der Zuschauer erfährt eher nebenbei, dass Duke nun gehängt werden soll. Die folgende, im Gefängnis abgehaltene Hochzeitszeremonie, ist gewiss der emotionale Höhepunkt des Films, aber Duke trägt sein Schicksal mit solcher fast an Todessehnsucht grenzender Fassung, dass es schwerfällt, wirklich mit ihm mitzuleiden. Aber darum geht es auch nicht: STEAMBOAT ROUND THE BEND ist ein Film über die unerschöpflichen Ressourcen des amerikanischen Underdogs. Er handelt von all dem Leid und der Unbill, die man ertragen kann, wenn man seinen Mut nicht verliert und unverdrossen nach vorn schaut. Davon, dass nichts wirklich schlimm ist, wenn man sich einen gewissen Grundoptimismus bewahrt. John hat eine Crew aus Säufern, Faulpelzen und anderen denkbar ungeeigneten Schifffahrern, einen alten klapprigen Kahn, dessen besten Tage lange vorbei sind, aber am Ende triumphiert er, gewinnt das Rennen, das schicke Schiff von Captain Eli und rettet das Leben seines Neffen. Und wie ihm das gelingt, ist ein solch schöner Einfall, dass ich ihn hier nicht verraten werde. Film anschauen und sich verzaubern lassen!

bfg-big-friendly-giant-1-rcm0x1920uAls ich den Trailer zu BFG: BIG FRIENDLY GIANT, Spielbergs Verfilmung des (fast) gleichnamigen Kinderbuchs von Roald Dahl, zum ersten Mal sah, überwogen die Zweifel – und ich verfiel in die naheliegende Hollywood-Kritik: Dahls Stoff sei einfach zu böse und nonkonform, um ausgerechnet von Spielberg, dem großen Harmoniebedürftigen des Filmgeschäfts, adäquat auf die Leinwand gebracht zu werden. Die kurzen Ausschnitte erschienen mir zu putzig, märchenhaft und lieb. Dahls Vorlage ist zwar nicht so finster wie sein „The Witches“ (dessen Verfilmung von Nicholas Roeg ich noch nicht kenne), aber mit Kindesentführung, kinder- und menschenfressenden Riesen und der finalen militärischen Intervention gegen die Monster doch weit weg von dem bonbonbunten, zuckersüß-naiven Kram, der Kindern gewöhnlicherweise vorgesetzt wird. Dahl hat sehr gut verstanden, dass Kinder durchaus gefordert werden können – und außerdem einiges verkraften. Das ausgeprägte manichäistische Weltbild, das ihr Denken bestimmt – es gibt Gut und Böse und wenig dazwischen -, ist eine gute Voraussetzung, auch mit kinderfressenden Monstern und kinderhassenden Hexen klarzukommen.

Es ist richtig: Bei Spielberg ist alles etwas bunter, fluffiger und süßer als bei Dahl. Waren die bösen Riesen in der Romanvorlage noch fette, behaarte und nackte Unholde, die auch in den Abbildungen nur grob und krude skizziert wurden, sehen sie mit ihren riesigen Nasen, wulstigen Lippen, wilden Haaren und wikingerhaften Klamotten bei Spielberg genauso aus, wie man sie sich eben vorstellen würde. Überhaupt ist in Spielbergs Film alles deutlich „runder“, werden die Ellipsen, die Dahl sehr bewusst stehen ließ, ausgefüllt, die karg gehaltene Riesenwelt sehr opulent ausgemalt. Spielberg das zum Vorwurf zu machen, wäre aber auch reichlich naiv: Zum einen kennt man seinen Stil, zum anderen hat er eben einen Film gedreht und der lebt nun einmal von Bildern, hat sogar die Aufgabe, konkret zu verbildlichen, was in einem Buch vom Leser ausgestaltet werden muss. (Und wenn man bedenkt, wie manches Buch in seiner Adaption schon vergewaltigt wurde, sind die kleinen Freiheiten, die er sich erlaubt, mehr als verzeihlich.) Spielberg entscheidet sich für eine nostalgisch-europäisch-dickensische Ausgestaltung (Protagonistin Sophie liest dann auch „Nicholas Nickleby“): Das London, in dem der Film spielt, mutet historisch an, die Riesenwelt erinnert an die schottischen Highlands, ins Traumland, wo der BFG auf Traumjagd geht, gelangt man, indem man in einen idyllischen Teich springt, in dessen Oberfläche sich ein riesiger Baum spiegelt. Die Queen ist verständnisvoll und gütig, ohne die Fassade royaler Strenge jemals ganz abzulegen, ihr Hofstaat sind etwas steife, aber ultimativ liebenswürdige Gestalten, die sehr freundlich zu Sophie und dem Riesen sind. Es ist vielleicht nicht die originellste Interpretation von Dahls Bildern, aber sie ist geschlossen und wunderschön anzusehen.

Dass Dahls Buch kaum einen Plot aufweist, über weite Strecken lediglich über das Zwiegespräch zwischen Sophie und dem Riesen fortgetragen wird, ist da schon ein größeres Problem für eine Verfilmung. Spielberg löst es, indem er seine opulenten Settings erkundet, kurze Passagen durch brillante Choreografien zu großen Actiontableaus ausweitet (die Suche der bösen Riesen nach Sophie) oder natürlich auch Handlungselemente hinzuerfindet. Dass der BFG vor alnger Zeit schon einmal ein Kind bei sich hatte, ist ein Spielberg-Einfall, der die tiefe Zuneigung des BFG zu Sophie erklärt, aber auch etwas beliebig erscheint. Auch der kurze Konflikt zwischen den beiden Freunden am Ende des zweiten Akts ist lediglich der Erzählkonvention geschuldet: BFG: BIG FRIENDLY GIANT wäre ohne diese Standards sowohl kürzer als auch origineller gewesen, andererseits sind von Spielberg inszenierte Standards natürlich immer noch besser als die genuinen Einfälle so manches weniger begabten Filmemachers. Man freut sich einfach über jede Sekunde, die man sich in diesem Film aufhalten darf. Der Höhepunkt ist gewiss die Sequenz im Buckingham Palace, die in einer wunderbar anarchisch-albern ausgedehnten Pupssequenz kulminiert. Der folgende Showdown kann da nicht mehr ganz mithalten, aber auch das ist wahrscheinlich im Sinne von Dahl: Das Herz seines Buches ist die unwahrscheinliche Freundschaft zwischen dem Riesen und dem kleinen Mädchen und es pocht auch in Spielbergs Verfilmung warm und kraftvoll.

Ich habe BFG: BIG FRIENDLY GIANT zusammen mit meiner sechsjährigen Tochter im Kino gesehen und hatte ein bisschen Sorge, dass der Film sie emotional überfordern könne. Umsonst: Sie kennt das Buch und ist wunderbar mitgegangen, hat sich gegruselt, gefürchtet, gelacht, gezittert und insgesamt eine tolle Zeit gehabt. Es war großartig, dieses Kinoerlebnis mit ihr teilen zu dürfen.

peeweefeb12Pee-wee Herman (Paul Reubens) lebt mit seinem Hund Speck in einem mit Spielsachen und absurden Erfindungen vollgestopften Haus und liebt nichts so sehr wie sein rotes Fahrrad, das auch sein Erzrivale Francis (Mark Holton), verwöhnter, fetter, etwas einfältiger Sohn des reichen Mr. Buxton (Ed Herlihy) unbedingt haben will. Nach dem Einkauf ist die Katastrophe dann perfekt: Das Fahrrad wurde gestohlen und der untröstliche Pee-wee begibt sich auf eine Suche quer durch die USA …

Ich fange mal wieder ganz schnöde mit der Inhaltsangabe an, weil ich einfach nicht den richtigen Dreh für diesen Film finde. Pee-wee Herman ist eine Kunstfigur, die der Komödiant Paul Reubens in den späten Siebzigern als Teil der Comedytruppe „The Groundlings“ erdachte, weil er sich so schlecht herkömmliche Witze merken konnte. Pee-wee ist ein etwas zurückgeblieben anmutender Sonderling, der aber tatsächlich ziemlich scharfsinnig und nicht ohne eine gewisse irrationale, vormoralische Boshaftigkeit ist. Darüber hinaus sieht er aus wie eine menschliche Puppe: Da schwingt noch eine seltsame sexuelle Komponente mit, die auch Bestandteil des ursprünglichen Bühnenacts war und für Tim Burtons Spielfilmdebüt nicht vollständig getilgt wurde. Die Figur ist dann auch eher kurios als wirklich witzig, der Film nur bei flüchtigem Hinsehen kindlich und quirky, dahinter nahezu verstörend und bizarr. Tim Burton sollte später einen größeren Perfektionismus bei der Gestaltung seiner Kunstwelten an den Tag legen und natürlich mehr Geld für Spezialeffekte und Bühnenbildner zur Verfügung haben, aber was ihn auszeichnet, ist hier schon da und vielleicht umso wirkungsvoller, weil der Film seine Welt nicht lang erklärt, sondern uns einfach hineinwirft.

Es ist nicht wirklich eine Fantasiewelt, nur einzelne Teile unterscheiden sie von unserer: Die Einkaufsstraße, in der Pee-wee seines Fahrrads verlustig geht, beherbergt eine merkwürdige Häufung skurriler Geschäfte wie einen Laden für Scherzartikel, einen Perückenladen und das riesige Fahrradgeschäft, in dem die süße Dottie (Elizabeth Daily) arbeitet, die aus unerfindlichen Gründen ein Faible für den asexuellen Pee-wee hat. PEE-WEE’S BIG ADVENTURE wimmelt außerdem von popanzigen Vaterfiguren mit großen Hornbrillen und barocken Hausmänteln, komischen Außenseitergestalten und gesund-rotbackigen All-American girls. Die von Paris träumende Kellnerin Simone (Diane Salinger) erinnert sicherlich nicht nur deshalb an Olive Oil, weil ihr hünenhafter Freund genauso aussieht wie Bluto. Und Pee-wee mag die Schlagkräftigkeit und Einsilbigkeit von Popeye vermissen lassen, aber er bewegt sich genauso ungerührt von äußeren Einflüssen durch diese Welt wie der Seemann mit der Vorliebe für Dosenspinat. Man bekommt diese Figur einfach nicht zu fassen: Mal benimmt er sich Dottie gegenüber wie ein totales Arschloch, dann kommt seine naive Gutherzigkeit zum Vorschein als er alle Tiere einer Zoohandlung einzeln vor einem Brand rettet – sogar die ekligen Schlangen, was ihn vor Ekel in Ohnmacht fallen lässt. Mal wirkt er wie ein Simpleton, dann wieder scheint er alles zu durchschauen und mit subversiver Intelligenz zu enttarnen.

Endgültig rätselhaft ist das Finale: Nachdem Pee-wee bei einer Verfolgungsjagd über das Studiogelände der Warner Bros. für ein heilloses Chaos gesorgt hat, wird seine Geschichte verfilmt, und zwar mit James Brolin und Morgan Fairchild als er und Dottie. Pee-wee schaut sich die Premiere in einem Autokino mit allen seinen neuen Bekannten und Freunden an und plötzlich schiebt sich da ein postmoderner, erstaunlich greifbarer Witz in den Film, der vorher völlig abwesend war. Man wird völlig rausgerissen aus der Welt, die Burton zuvor etabliert, aber nie wirklich abgezirkelt hat. Ich weiß nicht genau, wie ich den Film finden soll. Einerseits ist er brillant und mitunter geradezu rührend in seinem autistisch-singulären Blick auf Amerika und Americana, aber den Protagonisten verstehe ich nicht so recht, finde ihn eher irritierend als amüsant, bisweilen verstörend und unheimlich, dann wieder sehr liebenswert und putzig. PEE-WEE’S BIG ADVENTURE ist ein wirklich seltsames Teil. Später hat Burton ja nur noch „seltsame“ statt seltsame Filme gedreht.

flatliners-posterHing damals vielleicht sogar das deutsche Kinoposter in meinem Zimmer? Ich weiß es nicht mehr genau, wohl aber, dass ich FLATLINERS damals im Kino sah und ziemlich knorke fand. Wobei die Tatsache, dass ich mir für die Zweitsichtung trotzdem satte 26 Jahre Zeit gelassen habe, einige Rückschlüsse auf die Belastbarkeit dieser Meinung zulässt. Dass die Ernüchterung groß gewesen wäre, kann ich nicht behaupten: Schumacher hat ein paar brauchbare Filme gedreht, aber bedeutend häufiger großen Käse verbrochen. FLATLINERS ist nicht ganz so hirnerweichend dumm wie sein magnum opus 8MM, aber das liegt einzig daran, dass er sich für seine Auseinandersetzung mit der Frage, was nach dem Tod kommt, ins Reich der Fantasie begibt, wo man sich eben grundsätzlich einigen Unfug erlauben kann, ohne dafür ausgelacht zu werden. Dass die „Erkenntnisse“, die er bei seinem kleinen Ausflug ins Nachleben gewinnt, erschreckend banal sind für den Lärm, mit dem sie dargeboten werden, dürfte aber selbst dem einfältigsten Zuschauer kaum entgehen. Man spielt nicht mit dem Tod, weil es dafür gute Gründe gibt, die sich der liebe Gott in seiner Weisheit ganz allein ausgedacht hat. Und wenn doch, etwa weil man ein übermotivierter Medizinstudent ist, sollte man durch die Erfahrung wenigstens zum besseren Menschen werden, das ist ja wohl das Mindeste. So oder ähnlich könnte man FLATLINERS zusammenfassen.

Ich scheue trotzdem davor zurück, den Film rundheraus zu verreißen, obwohl er es durchaus verdient hat. Aber ich habe Mitleid mit ihm, denn er entspricht ziemlich genau dem Bild, dass man sich von einem Schumacher-Film aus dem Jahr 1990 macht. Der Mann war nie für seine besondere Subtilität bekannt, sondern dafür, seine Filme so zu designen, dass man den Zeitpunkt ihrer Produktion beinahe punktgenau benennen kann. FLATLINERS ist dann auch eine schöne Zeitkapsel, in der alles, was am Jahr 1990 glatt und oberflächlich und dumm und zum Glück schnell wieder vorbei war, für immer konserviert ist. Kiefer Sutherland trägt Restvokuhila und macht mit undefinierter Speckplauze klar, warum er seinen damaligen Jungstar-Status nicht zu einer richtigen Hollywood-Karriere ausweiten konnte. William Baldwin gibt einen Vorgeschmack auf SLIVER, einen anderen Nineties-Kackfilm, und bekommt von einer Verehrerin gesagt, er sehe aus wie ein Model. Ja, damals sahen Traumtypen eben aus wie schmierige Rasierwerbungsvergewaltiger. Julia Roberts hat fritzelige Endloslocken und trägt diese hüfthohen, arschbetonten Jeans. Kevin Bacon hat lange Haare, Lederjacke und Holzfällerhemden, fährt einen Armee-Jeep und seilt sich aus seinem Apartement ab, anstatt die Treppe zu benutzen. Außerdem ist er Atheist und hat die Regeln der Medizinschule gebrochen: ein Rebell eben. Oliver Platt ist brillant, deshalb trägt er Fliege und darf sonst nichts machen. Alles ist in goldbraunrotes Licht getaucht, man sieht ständig Kreuze und Heiligenbilder, weil es ja um Tod und Gott und so geht, und wenn es gruselig werden soll, knallt Jan de Bont den Blaufilter rein, passt dann schon.

FLATLINERS ist so besessen von seinem eigenen Style, dass er seine haarsträubend dumme Geschichte gar nicht bräuchte, um Lachattacken auszulösen. Die Medizinstudenten wohnen allesamt in riesigen Loftwohnungen oder Altbauappartements mit jeweils eigener Lichtstimmung und perfekt ihren Charakter widerspiegelnder Einrichtung. Aus Gullideckeln steigt immer diese ominöse Dampf auf. Mit Vorliebe stromern die Protagonisten des nachts durch menschenleere Straßen in abgerissenen Vierteln oder an Bahndämmen entlang. In einem riesigen, blutrot ausgeleuchteten Diner ist außer ihnen keine Menschenseele. Ihre geheimen Experimente machen sie in einer prachtvollen alten Kirche, die eigentlich eine Touristenattraktion sein sollte, hier aber völlig verlassen ist. Die erste Gruselszene ereignet sich wie durch Zufall in einer dunklen Sackgasse mit ominösen Neonfratzen-Grafittis. Und die Todeserfahrungen beinhalten so originelle Bilder wie den Flug über verschneite Berggipfel und im Wind wogende Wiesen oder hinein in dunkle U-Bahn-Schächte. Man versteht sofort, dass das alles sehr, sehr deep ist, weshalb es gar nicht schlimm ist, dass FLATLINERS tatsächlich soviel Tiefgang hat wie ein Fischkutter auf einer Sandbank.

Die Story dreht sich bekanntlich um ein paar Jungmediziner, die herausfinden wollen, was nach dem Tod passiert, weshalb sie ihren Tod medizinisch kontrolliert herbeiführen und sich dann zurückholen lassen. Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse treten jedoch bald zugunsten eines jugendlichen Mutprobengehabes in den Hintergrund. Nachdem der coole Nelson (Kiefer Sutherland) zwei Minuten im Jenseits verblieben ist, müssen die anderen ihn überbieten, bringt ja sonst nix, so wissenschaftlich gesehen und so. Das bietet Anlass für cooles Mackergehabe der Typen einerseits und für beleidigtes Weibergezicke von Rachel (Julia Roberts) andererseits, weil sie immer wieder von den Kerlen überboten wird. Sie darf zum Ausgleich dafür den BH anbehalten, als sie ins Jenseits geschickt wird. Die Probleme, die die Protagonisten aus dem Totenreich mitbringen, sind, wie man das von Schumacher erwarten darf, erschreckend bieder und furchtbar moralisch: Nelson hat als Kind aus Versehen einen Schulkameraden getötet (und nebenbei noch dessen Hund). David (Kevin Bacon) hat immer ein kleines Mädchen gehänselt. Joe (William Baldwin) benutzt und belügt Frauen (und filmt sie beim Sex!). Rachel hat ihren Veteranenpapa beim Fixen erwischt und in den Selbstmord getrieben. Was das mit dem Jenseits zu tun hat, bleibt das Geheimnis von Schumacher, der am Ende aber trotzdem alle zu besseren Menschen macht, weil das so schön amerikanisch ist und zu einem Film halt dazugehört, auch wenn es keinen Sinn ergibt.

FLATLINERS erinnert mich ein bisschen an meine Tochter, die sich manchmal die Ohren zuhält, wenn wir sie mit etwas Unangenehmem konfrontieren oder sie schimpfen. Schumacher hat seine Idee, von der lässt er sich nicht abbringen, auch wenn er sich damit selbst widerspricht. Einmal fragt Rachel den Atheisten David, warum alle Menschen, die von einer Todeserfahrung sprechen, Ähnliches davon berichten, wenn es doch seiner Meinung nach kein Jenseits gebe. David antwortet überzeugend, dass dahinter die Tätigkeit eines Hormons stecken könnte, das im Moment des Todes freigesetzt wird. „Now you’re reaching“, ist Rachels Antwort, die das Gespräch autoritär beendet. Schumacher ist der Troll unter den amerikanischen Filmemachern: kackdreist, unverschämt, dumm und für vernünftige Argumente unempfänglich. Aber manchmal auch ganz praktisch, wenn man jemanden ohne Reue beleidigen will. Schumacher, du blöde unfähige Sau, deine Filme sind so kackfickdumm wie ein Meter Feldweg. Bitte mehr davon.

black-hawk-down_poster_goldposter_com_28BLACK HAWK DOWN ist die kontroverse Verfilmung des gleichnamigen Sachbuches von Mark Bowden, das sich mit den Bemühungen des US-Militärs im Jahr 1993 beschäftigte, den somalischen Warlord Mohamed Farrah Aidid dingfest zu machen. Aidid war einer der Fraktionsführer während des Bürgerkriegs in Somalia und zog den Zorn der Vereinten Nationen auf sich, als er sich gegen die im Land stationierten Hilfskräfte wendete und 23 pakistanische Blauhelme tötete. Der Versuch seiner Festnahme mündete schließlich in der Schlacht von Mogadischu, einer blutigen Auseinandersetzung, bei der 18 US-Soldaten und schätzungsweise 1.000 Somalis (die Zahlen gehen weit auseinander) ihr Leben ließen.

Ridley Scotts Verfilmung ist, wie bei solchen Filmen üblich, Anlass für heftige Kontroversen gewesen. Newsweek-Journalist Evan Thomas bezeichnete BLACK HAWK DOWN als „one of the most culturally significant films of the George W. Bush presidency“ und warf ihm vor, dass sich hinter seiner Antikriegsgesinnung in Warheit einer Pro-Kriegs-Haltung verberge. Auch dass die Somalis als „schwarze Bestien“ gezeichnet sowie die Realität hier und da zugunsten der Dramaturgie gebeugt wurde, wurde mitunter stark kritisiert. Die Kritikpunkte sind alle nicht so einfach wegzuwischen, wie auch beim ganz ähnlich gelagerten 13 HOURS nicht: Wie jener nimmt BLACK HAWK DOWN die eingeengte Perspektive der US-Streitkräfte ein, lässt grundsätzliche Kritik an der Interventionspolitik eher am Rand verklingen und singt am Ende das Heldenlied von Kameradschaft und Zusammenhalt, während die somalische Perspektive kaum eine Rolle spielt. Sein Kinostart kurz nach dem 9/11-Anschlag spielte der Regierung in ihrem Bemühen, den „war on terror“ zu legitimieren, zudem gewiss in die Karten.Trotzdem ist BLACK HAWK DOWN für mich einer von Scotts besten Filmen und als pures Affektkino auch heute noch eine ziemliche Dampfwalze.

Einige Jahre zuvor hatte Steven Spielberg mit SAVING PRIVATE RYAN und der Inszenierung der Landung in der Normandie neue Maßstäbe hinsichtlich des „Realismus“ des Kriegsfilms gesetzt. Scott setzte die Vorarbeit begeistert fort und noch einen oben drauf, indem er seine ausufernden Schlachten nicht auf offenem Gelände, sondern inmitten unübersichtlicher Straßenzüge in Szene setzte. Nach der Exposition begibt sich BLACK HAWK DOWN ins brodelnde, staubige, feindselige Mogadischu (gedreht wurde in den marokkanischen Städten Rabat und Salé) – und bleibt dort für die kommenden überaus blei- und explosionshaltigen 100 Minuten. Wenn er auch kein besonders differenziertes politisches Bild abgibt – recht früh wird einmal angedeutet, dass die Idee der militärischen Intervention möglicherweise gründlich überdacht werden sollte, aber BLACK HAWK DOWN mag sich nicht wirklich mit diesem Gedanken aufhalten -, so macht der Film doch ziemlich eindrucksvoll klar, was für ein Albtraum ein „Häuserkampf“ generell ist, was für eine unmenschliche Veranstaltung die „Schlacht von Mogadischu“ für alle Beteiligten im Besonderen war. Kugeln und Geschosse schlagen aus allen Richtungen ein, die gesamte Bevölkerung ist ein potenzieller Feind, die als halbstündiger Einsatz geplante Mission wird zum nervenzerrenden Himmelfahrtskommando, bei dem Körper zerfetzt und zerrissen werden. Dass die Somalikrieger als fanatischer Mob gezeichnet werden, mag aus humanistischer Perspektive untragbar sein, aber ich schätze, so muss ein in den Straßen von Mogadischu festgesetzter amerikanischer Soldat sie gesehen haben. (Und auch wenn ich weiß, dass meine Aussage unpopulär ist: Über die „Zivilisiertheit“ afrikanischer Milizen und der von ihr augehetzten Zivilbevölkerung möchte ich mir tatsächlich lieber keine Illusionen machen.) Der Fuß bleibt während dieser Schlachtinszenierung nahezu durchghend auf dem Gaspedal und wenn der Lärm dann doch einmal kurzfristig verstummt, ist die Spannung doch mit den Händen greifbar. BLACK HAWK DOWN ist eine der intensivsten filmischen Erfahrungen, die der moderne Kriegsfilm bietet, man fühlt sich danach platt und ausgelaugt.

Besondere Aufmerksamkeit verdient auch die ziemlich unglaubliche Besetzung: Als Hauptfiguren, so man denn solche wirklich herausheben möchte, fungieren Josh Hartnett als junger Einsatzleiter Eversmann, Ewan McGregor als durch einen Zufall zum Kampfeinsatz verpflichteter Bürohengst Grimes (der Name wurde geändert, da das reale Vorbild zwei Jahre vor dem Filmstart wegen sexuellen Missbrauchs verklagt worden war), Tom Sizemore als grimmiger Veteran McKnight, Eric Bana als cooler Loner Hoot und Sam Shepard als Einsatzleiter Garrison. Neben diesen agieren gern gesehene Charakterdarsteller wie William Fichtner, Jeremy Piven, Kim Coates, Ron Eldard, Jason Isaacs, Zeljko Ivanek sowie damals aufstrebende Jungdarsteller wie Ewen Bremner, Tom Hardy, Orlando Bloom oder Ioan Gruffudd, um nur einige zu nennen. Die Kameraarbeit von Slawomir Idziak gewährt wunderbare Übersicht, versetzt den Betrachter aber trotzdem mitten zwischen die Schusslinien. Lediglich der Score von Hans Zimmer nervt mit klischeehaftem Ethnogesäusel, das bei Filmen, die in Afrika spielen, anscheinend immer zum Einsatz kommt.

Ich mag BLACK HAWK DOWN immer noch sehr, wobei mir wahrscheinlich entgegen kommt, dass ich mir über das Wesen der Menschheit nicht mehr allzu viele Illusionen mache und außerdem selber aus einer Familie mit Militärtradition stamme. Ich kann die auch von Scott ptopagierte Kameradschaftsidee durchaus nachvollziehen, auch wenn ich aus Überzeugung den Wehrdienst verweigert habe und das auch heute noch so tun würde. Der einzelne Soldat ist ein armer Tropf, der einem Leid tun kann: Filmen wie diesen kommt der zweifelhafte Verdienst zu, das einerseits erkannt zu haben, andererseits aber auch dazu beizutragen, dass der Nachschub nicht endet. Das ist das Spannungsfeld, in dem sich diese Filme immer bewegen. Damit muss man klar kommen oder man muss es lassen. Ich wünschte mir jedenfalls, BLACK HAWK DOWN damals im Kino gesehen zu haben, wo er sicherlich reihenweise für in die Hosen gerutschte Herzen sorgte. Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit irgendwann mal, wobei die Chance gewiss eher gering ist.

37280_230Mehr als ein Jahr habe ich MÄDCHEN MIT GEWALT vor mir hergeschoben: Ich wusste nicht so recht, was ich von dem Film erwarten sollte, trotz der lobenden Worte meiner Freunde von Eskalierende Träume, die auch in die Erstellung des Bonusmaterials auf der Subkultur-Veröffentlichung involviert waren. Nur dass es um Vergewaltigung gehe, wusste ich, was ein zusätzliches Problem darstellte, da ich Filme für gewöhnlich mit meiner lieben Gattin zusammen schaue, die eine exploitative Herangehensweise an das Thema nachvollziehbarerweise eher nicht so gut verkraftet. Es gab in meiner Vorstellung genau zwei Möglichkeiten: Entweder, MÄDCHEN IST GEWALT war ein richtig harter Diskursstreifen, für den man sich wappnen muss, oder ein provokanter Exploitationbolzen, der nicht ehefrauentauglich ist. Vorsichtshalber habe ich ihn daher allein geschaut und bin mir heute ziemlich sicher, dass er auch Leena gefallen hätte.Glücklicherweise liegt MÄDCHEN MIT GEWALT nämlich ziemlich genau in der Mitte der beiden Pole, nimmt eindeutig die Position der Frau ein, ohne aber zum lahm-aufklärerischen Sozialdrama zu verkommen. Der Film hat seine Untiefen, und das ist gut so, aber man muss keine ideologischen Verrenkungen vornehmen, um ihn schätzen zu können.

Die Protagonisten sind die Angestellten Werner (Klaus Löwitsch) und Mike (Arthur Brauss). Beide hängen ständig zusammen rum, scheinen außer einander keinerlei Freunde zu haben: Kein Wunder, beide sind ziemlich Soziopathen und gehen regelmäßig gemeinsam auf Frauenjagd, wobei der Begriff sehr wörtlich zu nehmen ist. Frauen sind keine gleichberechtigten Partner für sie, es geht ihnen nicht um die Eroberung, den Kitzel des Flirts, das Schaffen einer Verbindung, sondern um Erniedrigung, Bedrohung und Unterwerfung. Auf einer Go-Kart-Bahn lernen sie Alice (Helga Anders) kennen, die mit ihren Freunden (darunter Rolf Zacher) da ist. Gemeinsam beschließt man, zum nächtlichen Nacktbad und Grillen einen Baggersee aufzusuchen. Doch Werner und Mike hängen Alice‘ Freunde ab und sind nun mit dem Mädchen allein. Die muss bald feststellen, dass die beiden Typen besondere Pläne mit ihr haben …

MÄDCHEN MIT GEWALT spielt sich innerhalb eines Zeitraums von etwa 24 Stunden ab, die meiste Zeit davon während der Nacht und des anbrechenden Morgens, und konzentriert sich dabei nach einer etwa halbstündigen Exposition ganz auf die Dynamik zwischen den drei Hauptfiguren. Man glaubt, dass es zu einem Kippen des zunächst etablierten Machtgefüges kommen wird, dass die beiden fiesen Vergewaltigerschweine ihr Fett wegbekommen und sich die fragile Alice als Rächerin behauptet, aber Regisseur Fritz ist an den Konventionen des Genrefilms nicht interessiert. Es gibt am Ende keine eindeutigen Sieger und Verlierer, keine Moral von der Geschicht und keine Katharsis, nur Fragen. Und das ist gut so, macht Fritz‘ Film zu einer Ausnahmeerscheinung. Es ist aber wohl auch der Grund dafür, dass der Film von der Kritik missverstanden und verrissen wurde, an der Kinokasse unterging und danach für gut 45 Jahre in der Versenkung verschwand. Es war Fritz‘ letzter Kinofilm, bevor er seine Regiekarriere 1981 mit FRANKFURT KAISERSTRASSE für die LISA-Film beendete. Die Fähigkeiten Fritz‘ erkannte man wohl: So bescheinigte ihm etwas das Hamburger Abendblatt gönnerhaft, „dazugelernt“ zu haben, aber ansonsten wollte man vor allem brutal ausgespielte Gewaltszenen und Geschmacklosigkeiten gesehen haben. Mit einem Kino, das keine eindeutigen Handlungsanweisungen gibt oder mit einer griffigen Lebensweisheit endet, hat man sich in Deutschland schon damals schwer getan.

Dabei gibt es in MÄDCHEN MIT GEWALT nicht nur viel zu entdecken für einen Drei-Personen-Film, der in einer Kiesgrube spielt, sondern auch jenen entspannten Erzählflow, der sonst eher nicht so die Stärke des deutschen Films ist. Anders als vergleichbare „Kammerspiele“ wirkt MÄDCHEN MIT GEWALT eben nicht überkonstruiert und parabelhaft-künstlich, sondern absolut natürlich in seiner Handungsentwicklung, die weniger einem genialischen Plotkonstrukt, sondern dem zufälligen Zusammentreffen der einzelnen Charaktere entspringt. Vor allem die Dynamik, die Werner und Mike entwickeln, ist faszinierend und spannend, ständig in Bewegung und verhindert so, dass man den weiteren Verlauf schon im Vorfeld absehen kann. Zunächst scheint es nämlich so, als habe Werner die Hosen an: Er ist im Job der Ranghöhere, derjenige, der bei den gemeinsamen Raubzügen die Initiative ergreift, den etwas schüchtern anmutenden Mike anschubst. Aber dieses Bild muss bald relativiert werden: Werners Aggression ist auch Zeichen einer tiefen Unsicherheit, während Mikes abwartende Haltung aus dem Selbstbewusstsein und der daraus resultierenden Ruhe entspringt. Als die beiden mit Alice allein in der Kiesgrube sitzen, ist es Mike, der das Spiel bestimmt, Werner zügelt, wenn es nötig ist. Aber diese Konstellation ist es auch, die ihr Spielchen beinahe eskalieren lässt. Denn Werner wittert bald Morgenluft, hat keinen Bock mehr, immer nur die zweite Geige zu spielen und meint, in seinem Wahn, es könne tatsächlich eine gemeinsame Zukunft für ihn und Alice geben. Am Ende haben sich beide blutig geprügelt, versucht sich abzustechen und sich gegenseitig umzubringen. Als die Polizei anrückt, sieht es so aus, als gingen die beiden doch noch in den Bau. Aber dazu kommt es nicht: Zu dritt fahren die drei ab wie eine neue, schwer dysfunktionale, aber irgendwie auch perfekte Familie. Die beiden Männer, die sich brauchen, um sich über ihre Schwächen hinwegzutäuschen, die junge Frau, der sie sich überlegen fühlen, die aber das Ruder heimlich in den Händen hält aus Mitleid mit diesen armen, schwanzgesteuerten Tröpfen, aber auch in dem Wissen, dass der Tag der Frau erst in Zukunft anbrechen wird.

 

 

 

batmanvsupermanMarvel vs. DC: Das ist heute vielleicht noch mehr eine Glaubensfrage als damals, als es nur die Heftchen mit den bunten Bildern zu kaufen gab. DC hatte die Nase lange Zeit vorn, mit Batman und Superman zwei Charaktere vorzuweisen, die bereits in den amerikanischen Mythenschatz eingegangen waren. Marvels aufgekaufter Captain America war dagegen von Anfang an nur ein Westentaschen-Superman, Spiderman zwar immens populär, aber eben doch nur eine Variation der DC’schen Pionierarbeit. Nur mit den Filmen da will es bei DC nicht so recht klappen, zumindest, wenn man den Nerds und Geeks glaubt, die sich schon längst für das MCU, das „Marvel Cinematic Universe“, entschieden haben, das seit 2008 mit durchschnittlich ein bis drei Filmen pro Jahre fleißig weitergestrickt wird und das jetzt schon bis ins Jahr 2038 vorausgeplant ist. Dabei standen die Sterne für DC eigentlich immer günstig: Der erste Superman-Zyklus und die Burton-Batmans sorgten zu einer Zeit für Aufsehen, als Marvelhelden noch in superbilligen TV-Produktionen herumhampeln mussten bzw. verzweifelt den Sprung auf die Leinwand versuchten. Eine Wende kündigte sich erst um die Jahrtausendwende an, als X-MEN und vor allem SPIDERMAN die Marvel-Offensive einläuteten. Selbst als Marvel mit IRON MAN den echten Startschuss für ihr MCU gaben, hatte DC noch die Nolan-Batmans vorzuweisen, von denen der zweite, THE DARK KNIGHT zu ungeahnter Euphorie führte. Mit THE DARK KNIGHT RISES wurden dann die kritischen Stimmen zu einer Zeit laut, als Marvel in den nächsten Gang schaltete: Während man sich hier über gutgelauntes Popcornkino mit bunten Bildchen freute, wurde da die umfassende Düsternis und „grittiness“ beklagt. Alles aus war dann, als Snyder seinen Superman in MAN OF STEEL ganz Metropolis in Schutt und Asche legen ließ. Ein Affront, der die Weichen für den Backlash stellte, der mit dem Release von BATMAN V SUPERMAN: DAWN OF JUSTICE über DC hereinbrach. Man konnte offensichtlich nichts richtig machen.

Dabei machen DC zum Auftakt sogar den Kotau vor den Fanboys: Hatte MAN OF STEEL noch die Möglichkeit gelassen, dass bei Supermans Kampf gegen den bösen General Zod nur leere Wolkenkratzer zerstört worden waren (Outlaw Vern hat einen wie ich finde sehr klugen Text zum angeblichen Skandal des Films geschrieben), bestätigt BVS die Interpretation der Zuschauer und lässt Superman (Henry Cavill) infolgedessen eine Art Sündenfall erleben. Die Menschen wenden sich von ihm ab, weil sie erkennen, dass er eine Bedrohung für sie darstellen könnte, Politiker überlegen, wie sie fortan mit ihm umgehen sollen. Und im unweit von Metropolis gelegenen Gotham City hat es einer schon immer gewusst: Bruce Wayne aka Batman (Ben Affleck), für den Superman auch nur ein weiterer Verbrecher ist, dem es das Handwerk zu legen gilt. Gleichzeitig macht sich Superschurke Lex Luthor (Jesse Eisenberg) daran, die Macht zu übernehmen. Der Hass Batmans auf Superman ist seine wichtigste Waffe – und natürlich der Riesenmutant Doomsday, den er aus einer Kreuzung des toten General Zod und seiner eigenen DNA erschafft …

Die Kritik, mit der Snyders Film vom Start weg überzogen wurde, war harsch – und lässt sich kein Stück mit meiner Sichtungserfahrung in Übereinstimmung bringen. Was daran liegen mag, dass ich den gut 30 Minuten längeren Extended Cut gesehen habe: den Vorwurf, der Film sei unzusammenhängend und konfus, den man überall hörte, kann ich BVS beim besten Willen nicht machen, im Gegenteil. Gerade wenn man, wie ich, an Marvelfilmen wie AVENGERS: AGE OF ULTRON beklagt, dass sie wie Collagen aus unfertigen und übereilten Storyfragmenten anmuten, sich mehr darauf konzentrieren, die nächsten drei Filme anzustoßen, als ihre eigene Geschichte zu erzählen, muss einem BVS wie eine Wohltat vorkommen. Der Konflikt zwischen Batman und Superman, der den ethischen Konflikt zwischen übergeordneter, universeller und individueller Moral widerspiegelt, bildet das klare dramaturgische Zentrum, um das sich die eher sparsamen Subplots herumgruppieren. Snyder baut seine Geschichte sehr geduldig auf, anstatt bloß kurze Episödchen aneinanderzureihen und irgendwann den Überblick zu verlieren. Lediglich das beim MCU abgeschaute Anteasern der nun wohl in den Startlöchern stehenden Wonder-Woman- und Justice-League-Filme lenkt etwas ab und steht unverbunden mit dem Rest herum, stört aber auch nicht übermäßig. Was man wohl lieben oder hassen kann, sind das Pathos und die Ernsthaftigkeit, mit der das Ganze umgesetzt wird. Auch ich habe schon mal behauptet, die Marvelfilme böten zu wenig Fun: So gesehen müsste ich BVS eigentlich hassen. Der Unterschied liegt wohl darin, dass Batman und Superman als Figuren einfach um ein Vielfaches interessanter und allgemeingültiger sind als Iron Man, Thor, Captain America oder Ant-Man (Hulk lasse ich mal außen vor, aber mit dem weiß Marvel ja offensichtlich auch nichts mehr anzufangen) und es demzufolge überhaupt als lohnenswertes Unterfangen ist, einen „ernsten“ Film um sie zu stricken.

Das scheint aber nicht mehr besonders gefragt zu sein: Spaßig soll es sein, möglichst wenig nachhaltig, gut wegzukonsumieren. Da kann einem BVS schon mal den Abend verderben mit seiner brüterischen, dunklen, deprimierenden Ader. Auch wenn Snyder den Bogen im ausufernden Finale mal wieder überspannt, kann ich mit seiner Interpretation der Comics mehr anfangen als mit diesen komplett leeren Marvel-Spektakeln, in denen sich ein Dutzend bunt kostümierter Figuren um einen Stein balgen, dessen Bedeutung erst im übernächsten Film geklärt werden wird. Ich fühle mich von BVS einfach als erwachsener Filmzuschauer ernst genommen, während ich mich bei Marvel auf die Rolle des Konsumenten reduziert fühle. Ich glaube, dahinter verbergen sich grundsätzlich andere Ansprüche an oder Konzepte von Unterhaltung. Als ein Makel von BVS wurde angeführt, wie der Streit zwischen Superman und Batman schließlich aufgelöst wird: Batman verschont den geschlagen am Boden liegenden Helden, als er erfährt, dass dessen Mutter auch auf den Namen Martha hört. M. E. wird hier von den Kritikern etwas Grundsätzliches nicht verstanden, nämlich dass Kunst (und vor allem Superheldencomics for chrissakes!) mit Verdichtungen arbeitet. Das sind keine echten, voll durchpsychologisierten Individuen, denen wir da zusehen. Es geht auch nicht wirklich um die zufällig Namensgleichheit, sondern darum, dass Batman erkennt, dass das zu vernichtende Alien wie er EINE MUTTER HAT, mithin „Mensch“ ist. Es ist vielleicht nicht die eleganteste Auflösung für den Konflikt, aber es ist weit von jener Lächerlichkeit entfernt, die mancher darin ausgemacht zu haben glaubt. Aber gut, bei Marvel kommt so etwas natürlich nicht vor, weil die Messlatte da von Anfang an sehr viel tiefer liegt. Wenn man die Sichtweise erfolgreich etabliert hat, dass sowieso alles nur ein buntes Späßchen ist, das man nicht zu ernst nehmen sollte, können auch solche Ausrutscher nicht passieren.

Das Problem von DC ist mithin Folgendes: Snyder (und vor ihm Nolan) haben etwas riskiert, haben Filme gemacht, an denen man sich reiben und die man auch richtig kacke finden kann. Marvel macht Filme, die allen gefallen sollen und sind damit bisher recht erfolgreich (was man anerkennen muss). Aber für die Filmkultur finde ich es trotzdem traurig, dass harmloser Bullshit wie die AVENGERS-Filme oder ein GUARDIANS OF THE GALAXY abgefeiert werden wie die Neuerfindung von geschnittenem Brot, während man sich über MAN OF STEEL oder BVS das Maul zerreißt, weil die Filme es wagen, einen eigenen Stil und eigene Ideen zu etablieren, vielleicht sogar mal von der Vorlage abzuweichen. Aber gut, so richtig wundern muss einen das in unserer Zeit ja nicht mehr.

 

 

die-jungen-tiger-von-hongkong„Dieser Film ist hart.“ Das sind die ersten Worte in DIE JUNGEN TIGER VON HONGKONG, gesprochen von einem Voice-over-Kommentator im typischen Duktus der ungefähr zur selben Zeit populären Report-Filme, an deren Erfolg Regisseur Hofbauer ja auch maßgeblich beteiligt war. Es gehe um die orientierungslose Jugend, die Abgründe, in die sie in dieser Orientierungslosigkeit schlittert und natürlich basiere der Film auf „wahren Begebenheiten“, die conditio sine qua non des deutschen Sleazefilms jener Tage.

Werner Pochath ist Walter, ein junger Mann, der noch keine Lust hat, aufs Erwachsen- und Vernüntigsein, der aufs Establishment scheißt, wie er selbst sagt, und schonmal Freunde zum Russisch-Roulette-Spiel nötigt. Mit seiner Clique hängt er im „Schocker-Club“ in Hongkong rum, heckt krumme Dinger und gefährliche Streiche aus. Zur Gang gehört auch Carl van Dreegen (Jochen Busse), Sohn eines erfolgreichen Geschäftsmanns, der nebenbei einen Mädchenhandelring organisiert und dem die Schocker-Gang, ohne es zu wissen, in die Quere kommt. Zwischen den Fronten agiert der schlagkräftige Testpilot Burt (Robert Woods), der auf der Suche nach seiner Frau ist, die ebenfalls von Dreegen in die Hände fiel …

Ach, was hätte das für ein Kracher werden können. Der Auftakt ist schön, vor allem wenn Pochath mit seiner unglaublichen Frisur auftritt und den dicken Max markiert. Leider hält die Freude aber nicht lang vor, denn recht schnell versandet DIE JUNGEN TIGER VON HONGKONG in der totalen Beliebigkeit austauschbarer Keilereien, Verfolgungsjagden und Tanzszenen. Hofbauer, der sich eigentlich wie kein zweiter darauf verstand, auf die Tube zu drücken und sich inszenatorisch von den ihm als Vorlage dienenden Pro-forma-Drehbüchern zu emanzipieren, kämpft auf verlorenem Posten oder hatte einfach keinen Bock. Er reiht sich mit seinem Film ein in die eh nicht so pralle Tradition der Wolf C. Hartwig’schen „Hongkong-Reißer“, die allesamt kaum über biederen Durchschnitt hinwegkamen, egal ob sie nun DAS MÄDCHEN VON HONGKONG, HEISSER HAFEN HONGKONG, EIN SARG AUS HONGKONG oder WEISSE FRACHT FÜR HONGKONG hießen. Hier ist die Enttäuschung angesichts der erhöhten Erwartungshaltung aber deutlich größer. Es fehlen einfach die absurden Details, die Over-the-Topness, die DIE JUNGEN TIGER VON HONGKONG zur Sleazegranate gebraucht hätte. Der Film sitzt zwischen den Stühlen, liebäugelt einerseits mit praller Exploitation, steht aber mit einem Fuß noch in der staubigen Abenteuerfilm-Tradition der Sechziger und sich somit ständig selbst im Weg. Der Handlungsverlauf ist unnötig kompliziert, Robert Woods als kerniger Held einfach langweilig, die coolen Kids vom Schockerclub verschwinden in der zweiten Hälfte fast völlig von der Bildfläche und einen richtig fiesen Schurken vermisst man genauso wie den feisten Exzess. Selbst Hongkong gibt als Kulisse seltsamerweise nichts her. Aber vielleicht wäre ich auch weniger enttäuscht, wenn die Filmjuwelen-DVD nicht mal wieder ein besonders trauriges Exemplar für einen lieblos hingerotzten Release wäre. Wenn nicht mal die Farben reinknallen …