Archiv für Februar, 2018

Was hat wohl Jonathan Kaplan gedacht, als er nebenstehenden Posterentwurf für seinen Film gesehen hat? Selbst wenn das Finale von OVER THE EDGE nicht gänzlich frei von den Mitteln des Kintopps ist – da explodieren dann Autos, wenn sie irgendwo gegenfahren oder mit dem Luftgewehr beschossen werden -, so stehen seine hehren Intentionen doch nie in Frage, ist er vom Vorwurf der sensationalistischen Ausbeutung seines Stoffes gänzlich freizusprechen. Das ist beim Thema „Jugendkriminalität“ keinesfalls selbstverständlich: In den Fünfzigerjahren gab es eine echte Welle von Filmen um Halbstarke, die mit Klappmessern fuchtelten, Haschgift spritzten, verrohenden Rock’n’Roll hörten, ihren Samen wild in der Gegend verteilten oder sich freimütig schwängern ließen. Diese Filme zielten längst nicht nur auf ein jugendliches Publikum ab, das sich von den Protagonisten auf der Leinwand repräsentiert sah, sondern natürlich auch auf Erwachsene, die ihre Vorurteile über die Jugend von Heute bestätigt sehen oder aber unter dem Deckmantel der Aufklärung unbehelligt Sex and Crime bestaunen wollten. Kaplans Film teilt mit dem Juvenile-Delinquency-Film viele Gemeinsamkeiten, geht aber sehr behutsam mit dem Thema um und  lässt keinen Zweifel daran, dass ihm seine jugendlichen Charaktere sowie ihre Sorgen und Nöte wirklich am Herzen liegen. Der weit überwiegende Eindruck ist dann auch einer von echter Sympathie und Verständnis. Kein Vergleich zu den „Vorbildern“, die ein oftmals unfrewillig komisches Bild von Jugend und Jugendkultur zeichneten und nie verbergen konnten, dass sie von Außenseitern erdacht worden waren.

OVER THE EDGE beruft sich mit einer Texteinblendung auf die eskalierende Jugendkriminalität in den USA der Siebzigerjahre und wurde von Ereignissen aus dem Jahr 1973 inspiriert. Die Drehbuchautoren Charles S. Haas und Tim Hunter (der später den ebenfalls fantastischen Jugendkriminalitätsfilm RIVER’S EDGE drehte) verfassten ihr Script laut eigenen Aussagen nach der Lektüre eines Zeitungsartikels über vandalisierende Jugendliche in einer Vorstadtgemeinde in Kalifornien. Der Grund für die Gewalt wird gleich zu Beginn des Films identifiziert: In der ins Nichts von Arizona gebauten Kleinstadt New Granada gibt es keinerlei Zerstreuung für die Heranwachsenden außer einem traurigen Jugendcenter, das längst unter ständiger Beobachtung der Polizei steht. Die Kinder konsumieren Drogen, weil sie sonst nichts zu tun haben, oder stellen irgendwelchen Unfug an: Die Erwachsenen sehen lediglich die schöne Ordnung ihres Vorstadtidylls gefährdet und reagieren mit Unverständnis und Repressalien, anstatt jemals nachzufragen, was ihre Brut denn eigentlich vermisst. Je mehr einer aus der Reihe tanzt, umso größer der Widerstand, umso heftiger wiederum die Gegenreaktion: eine gefährliche Spirale, die einmal in Gang gesetzt kaum mehr zu stoppen ist. So passiert, was passieren muss: Ein dummer Scherz endet mit der Erschießung des aufmüpfigen Richie (Matt Dillon), der den Fehler macht, eine (ungeladene) Pistole gegen den übermotivierten Polizisten Doberman (Harry Northup) zu heben. Während sich die Eltern infolge des Unglücks in der Schule versammeln, um zu überlegen, mit welchen Maßnahmen sie die Rebellen belegen können, versammeln diese sich vor dem Gebäude und hauen die Autos der Eltern zu Klump …

Kaplans Film lebt von der wüstenhaften Tristesse des wie vom Rest der Welt vergessenen Neubau-Albtraums in der brennenden Sonne, von seinen jugendlichen Darstellern, die angenehm authentisch agieren, und dem träge und ziellos wie der Alltag der Protagonisten mäandernden Plot. Auch wenn OVER THE EDGE merklich auf eine Katastrophe zusteuert, unterwirft er sich nicht krampfhaft einer geschliffenen Spannungsdramaturgie. Tatsächlich bleibt das alles bis zum Finale immer in einem realistischen Rahmen, selbst die Erschießung Richies vollzieht sich überaus lapidar und unspektakulär, eben so, wie solche Unglücksfälle immer passieren: Nicht mit schwellenden Streichern im Hintergrund und als punktgenau getimter Höhepunkt einer minutiös orchestrierten Kettenreaktion, sondern einfach so, dumm, unnötig, tragisch. Eben war er noch da, jetzt nicht mehr. Das Finale von Kaplans Film suggeriert die Möglichkeit eines Happy Ends: Vielleicht haben die Eltern ja doch verstanden, dass ihre Kinder keine undankbaren Terroristen sind, dass sie lediglich eine Möglichkeit der Entfaltung wollen – und brauchen. Fürs erste aber wandern sie für ihre Entgleisung in den Jugendknast. „Things are gonna get easier“ singt Valerie Carter am Schluss in einer Coverversion der Five Stairsteps: Kaplans Hoffnung ist ehrlich, aber leise Zweifel kann auch er nicht ganz wegwischen.

 

 

In Indien wird der altgediente Colonel Loring Leigh (C. Aubrey Smith) nach einer Verhandlung vorm Militärgericht unehrenhaft entlassen. Seinen vier Söhnen Geoffrey (Richard Greene), Wyatt (George Sanders), Christopher (David Niven) und Rodney (William Henry), die er per Telegramm aus der ganzen Welt ins britische Anwesen ruft, eröffnet er, dass er Opfer eines Komplotts geworden ist. Bevor er ihnen jedoch die Details erklären kann, wird er erschossen, sein Beweismaterial entwendet. Die vier Söhne wollen den Mörder ihres Vaters dingfest machen und seinen Ruf wiederherstellen. Sie kommen einer Verschwörung der Waffenindustrie auf die Spur …

Wow. Nach nun 31 gesehenen Ford-Filmen weiß ich mittlerweile, dass man bei ihm immer mit einer Überraschung rechnen muss, dass sich immer wieder neue Facetten seines Schaffens offenbaren, er in jedem Genre zu Großem fähig und seiner Zeit dabei oft weit voraus war (und das, obwohl seine ganz großen Meisterwerke mir ja eigentlich erst noch bevorstehen), aber einen Film wie FOUR MEN AND A PRAYER hatte ich trotzdem nicht erwartet. Nicht von ihm und eigentlich auch von keinem seiner Zeitgenossen. Selbst heute würden sich nur wenige Filmemacher innerhalb des Studiosystems solche Volten erlauben, wie sie Ford hier schlägt.

FOUR MEN AND A PRAYER beginnt verhalten mit der Gerichtsverhandlung, bei der sich die Entlassung des Colonels andeutet. Nur sein Gesichtsausdruck verrät, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe aus der Luft gegriffen sind, er Opfer eines Komplotts ist, gegen das auch die beste Verteidigung machtlos sein wird. Ford erzählt, wie man das von ihm kennt, mit großer Ökonomie: Als nächstes erhalten seine vier Söhne in kurzen Szenen ihr Telegramm, lassen daraufhin alles stehen und liegen, um ihrem Vater zur Hilfe zu eilen. Der Regisseur benötigt kaum Worte, um klar zu machen, was gerade passiert, und zu verdeutlichen, welche enge Bande zwischen dem Vater und seinen Söhnen geknüpft sind. Das bewahrheitet sich im folgenden Zusammentreffen der fünf Männer, das trotz der eingehaltenen Etikette – die Söhne sprechen den Vater natürlich mit „Sir“ an – von großer, beinager greifbarer Zuneigung geprägt ist. Neben der Schauspielerleistung ist es vor allem Fords blocking dieser Szenen, mit dem es ihm gelingt, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Es sind nur wenige Minuten, die die fünf Männer zusammen haben, bevor der Vater aus dem Film scheidet, aber sie sind für das weitere Geschehen immens wichtig, weil sie seine emotionale Grundlage bilden. Und der Eindruck ist nachhaltig: Auch im weiteren Verlauf sind die Liebe, das blinde Verständnis und der unbedingte Zusammenhalt der Brüder, die angetrieben sind von dem Wunsch, den Namen ihres Vaters von der Schande des Verrats reinzuwaschen, immer greifbar.

Das ist wichtig, weil FOUR MEN AND A PRAYER nach seiner Exposition ungewöhnliche Wege geht: Nicht nur begleitet er seine Protagonisten auf der Verbrecherjagd über drei Kontinente, er verwandelt sich dabei zu einer extrem bissigen Satire mit bisweilen tiefschwarzem Humor. Den Gipfel erreicht Ford während einer längeren Sequenz im vom Bürgerkrieg gebeutelten Argentinien. Das Militär nimmt dort zuerst einen der Waffenschieber fest, um ihn höflich bis peinlich berührt zu seiner Erschießung zu führen, was der Unglücksselige hinnimmt wie eine Gehaltskürzung mit anschließender  Wurzelbehandlung. Kann man angesichts der satirischen Überspitzung noch herzhaft über die Szene lachen, vergeht es einem bei der folgenden Szene, in der dann eine Schar protestierender und unbewaffneter Zivilbürger gnadenlos umgemäht wird. Ford verlangt dem Zuschauer gerade in diesem Mittelteil einiges ab: Er geht ein hohes Tempo, der Ton schlägt binnen Sekunden von einem Extrem ins andere, so wie auf Handlungsebene das Familiäre und das Global-Politische eng miteinander verknüpft werden. David Niven erweist sich in diesem Tumult wieder einmal als brillanter Komiker, der den Clown im Anzug des weltgewandten Gentlemans, eine Figur, die ihm später zu großem Ruhm verhelfen sollte, bereits hier zur Perfektion gebracht hatte. Er hat eine unfassbare, an den Dadaismus grenzende Comedyeinlage, die ich hier nicht näher beschreiben möchte und den Film in seinem eh schon turbulenten Mittelteil nahe an die Eskalation bringt.

Ein ganz, ganz schräger, dabei immens unterhaltsamer und rasanter Film, der bei all seiner beißenden, bisweilen schmerzhaften Kritik niemals sein Herz verliert.

In den Achtzigerjahren erfreute sich der Buddyfilm großer Beliebtheit. In Dutzenden von Filmen wurden ungleiche Paare – meist waren es männliche Polizisten – zusammengestellt und vom Drehbuch dazu gezwungen, sich gegen eine verbrecherische Übermacht zusammenzuraufen. Großes Vorbild war zunächst Walter Hills 48 HRS., MIAMI VICE setzte mit Buddy-Konzept Maßstäbe in der Evolution der Fernsehserien, Ende des Jahrzehnts gelang Richard Donner mit LETHAL WEAPON eine weitere Auffrischung, die auch wesentliche Inspirationsquelle für NUMBER ONE WITH A BULLET gewesen sein dürfte, den die Cannon im selben Jahr in die Kinos brachte. Wie die genannten Vorbilder vereint Smights Film eine weißen und einen schwarzen Cop, wie bei Donner wandelt der Weiße auf dem schmalen Grat zum Wahnsinn, wie bei MIAMI VICE interpretiert Williams seinen Bullen als öligen Charmeur im feinen Zwirn.

Der Fokus liegt allerdings klar bei Robert Carradine, dessen Detective Berzak, Spitzname „Berserk“, alle Klischees des heißgelaufene Bullen in sich vereint: Er wird eingeführt, wie er seinem Partner Hazeltine (Billy Dee Williams) bei einer schönen Blonden die Tour vermasselt, indem er ihr erzählt, er habe kürzlich in Ausübung seiner Pflicht ein Kind erschossen . Weil er selbst die Trennung von seiner Ehefrau Teresa (Valerie Bertinelli) nicht verkraftet hat, gönnt er auch dem Partner keinen Erfolg in Liebesdingen: Später kommt er Hazeltine noch einmal in die Quere, indem er sich gegenüber einer seiner neuen Eroberungen als dessen schwuler Liebhaber ausgibt. Die stalkerhafte Penetranz, mit der er der Ex-Gattin nachstellt, legt Smight als liebenswerte Marotte aus, findet es augenscheinlich saukomisch, wenn Berzak potenzielle neue Lebensgefährten seiner Frau mit Andeutungen über eine bei ihr vorliegenden Geschlechtskrankheit in die Flucht schlägt. 30 Jahre später fragt man sich nur, was für ein psychopathisches Arschloch dieser „lustige“ Kerl ist. Aber solche Geschmacksentgleisungen tragen natürlich auch zum Amüsement bei, von dem der streng genommen höhepunktarme Film nur profitieren kann. Der eigentliche Krimiplot um einen in verbrecherische Machenschaften verwickelten reichen Unternehmer, den Berzak schon seit geraumer Zeit auf dem Kieker hat, dem er aber nie etwas nachweisen konnte, ist ein in die Jahre gekommener Genrestandard, dem Smight nicht viel Neues abgewinnt. Und für eine Cannon-Produktion kommt NUMBER ONE WITH A BULLET auch ziemlich trocken daher. Ihm fehlt dieses kirmeshafte, marktschreierische Element, das die Cannon-Filme sonst so unverwechselbar macht.

Aber diese Stromlinieförmigkeit fällt nicht weiter negativ ins Gewicht, im Gegenteil: Genrekost wie diese lebt ja auch vom Wiedererkennungswert, dem Spiel mit den nur verhaltenen Variationen. In NUMBER ONE WITH A BULLET findet man sich sofort gut zurecht, kann sich daran versuchen, die nächsten dramaturgischen Schritte vorherzusagen und, weil man dabei meist erfolgreich ist, die kleinen Details in der Charakterzeichnung ins Visier zu nehmen. Wobei „Charakter“ hier schon übertrieben ist, denn Carradine und Williams spielen sattsam bekannte Archetypen. Der Unterschied zu weniger gelungenden Vertretern des Subgenres liegt allerdings darin, dass die beiden Profis das sehr überzeugend hinbekommen und einem ihre Figuren mit laufender Spieldauer tatsächlich fast ein wenig ans Herz wachsen. Berzak dichtet das Drehbuch einen putzigen Mutterkomplex an, lässt ihn immer wieder zur Gitarre greifen, eine Bierflasche mit einem abgelösten Cola-Etikett tarnen und rohes Fleisch aus der Supermarktverpackung essen. Williams‘ Hazeltine bekommt demgegenüber nicht viel zu tun, aber der Akteur verfügt über das Glück, mit Charme im Übermaß gesegnet worden zu sein: Er muss nur selbstbewusst in die Kamera lächeln und erreicht damit mehr als andere Darsteller in zehnminütigen Monologen. Das lässt sich auf Smights ganzen Film ausweiten: Er leistet nichts Außergewöhnliches, aber das, was er macht, macht er richtig. Demzufolge habe ich auch nicht viel Substanzielles zu sagen über NUMBER ONE WITH A BULLET. Außer, dass er mir auf seine unprätentiöse Art 90 sehr kurzweilige Minuten beschert hat.

Seid ihr der Meinung, ein Film aus den Dreißigerjahren könne es in punkto Action und Spezialeffekten nie mit einem zeitgenössischen Blockbuster aufnehmen? Zeit, sich THE HURRICANE anzuschauen und sich vom titelgebenden Sturm wegblasen zu lassen. Ich war bei der gestrigen Sichtung der festen Überzeugung, Ford habe in einem echten Hurrikan gedreht, musste mich dann aber von diversen Aufsätzen eines besseren belehren lassen. Was der Regisseur hier entfesselte, ist kaum in Worte zu fassen: Man hat Angst um die Schauspieler, die sich dem Tosen einer offensichtlich gigantischen Windmaschine entgegenstellen, dabei mit wahren Springfluten von Wasser übergossen werden und noch dazu aufpassen müssen, dass sie nicht von herumfliegenden Requisiten und Bauten verletzt werden. In ihrer Autobiografie „A Life on Film“ beschrieb Mary Astor die Strapazen, denen Ford sie und die Kollegen aussetzte: Wind und Wasser peitschten den Akteuren so hart ins Gesicht, dass sie von stecknadelkopfgroßen Blutstropfen übersät waren. Es ist ein angemessenes Ende für einen Film von gleichnishafter Kraft.

Auf der paradiesischen Südseeinsel Manakura leben die Bewohner friedlich im Einklang mit der Natur – und den französischen Kolonialherren. Als der bei allen beliebte Seefahrer Terangi (Jon Hall) kurz nach seiner Hochzeit mit der schönen Marama (Dorothy Lamour) auf Tahiti von einem Weißen beleidigt und daraufhin in eine Kneipenschlägerei verwickelt wird, statuiert man an ihm ein Exempel und verurteilt ihn zu sechs Monaten Haft. Auch die Versuche, DeLaage (Raymond Massey), den Gouverneur von Manakura, dazu zu bringen, Terangi zu begnadigen, fruchten nicht: Die Kolonialisten müssen ihre Autorität beweisen. Terangi wird unterdessen von einem sadistisch-rassistischen Wärter (John Carradine) gepeinigt und versucht zu fliehen, ohne Erfolg: Stattdessen verlängert jeder weitere Fluchtversuch die Strafe um weitere zwei Jahre, sodass der freiheitsliebende Mann bald 16 Jahre angehäuft hat. Nach acht Jahren gelingt ihm endlich die Flucht. Unter großen Entbehrungen erreicht er Manakura und seine Ehefrau Marama, die ihm inzwischen eine Tochter geschenkt hat. Während die weißen Bewohner noch diskutieren, wie man mit dem Flüchtling umzugehen habe, trifft ein gewaltiger Sturm das kleine Eiland …

John Ford widmet sich in THE HURRICANE wie schon im zuletzt gesehenen WEE WILLIE WINKIE dem Thema Kolonialismus: Er zeigt Herrscher, die ihre vermeintlich „zivilisierten“ und „progressiven“ Gesetze und Vorstellungen auf eine Welt übertragen, die nach gänzlich anderen Mustern funktioniert. Die Bestrafung Terangis ist nichts anderes als eine Machtdemonstration: Weil die Kolonialherren bessere Menschen sind – warum wären sie sonst Kolonialherren -, müssen sie den „minderwertigen“ Engeborenen unterjochen, eine Art perverser self-fulfilling prophecy. DeLaage scheint emotional durchaus einzusehen, dass er im Unrecht ist, dass aus Gründen der Menschlichkeit und Verhältnismäßigkeit eine Begnadigung angebracht wäre, aber er hält am Prinzip der Herrschaft fest. Er erinnert etwas an den Colonel aus WEE WILLIE WINKIE und seine Verteigung des Autoritarismus, nur dass der im Angesicht eines Feindes einen nachvollziehbaren Grund hatte, ein hartes Regiment zu führen (C. Aubrey Smith, der Darsteller des Colonels, spielt hier den christlichen Priester). Auf der Paradiesinsel Manakura, wo alle Menschen miteinander verbrüdert und verschwestert sind, scheint sein Bestreben, europäische Gesetzestreue einzuführen, geradezu absurd.

Die eigentlichen Protagonisten, das Liebespärchen Terangi und Marama, sind gegenüber dem differenziert und voller Ambivalenz gezeichneten Gouverneur kaum mehr als Chiffren: Dass beide von weißen Schauspielern interpretiert werden, unterstreicht diesen Charakter noch. Sie stehen für die unverdorbenen, ursprünglich lebenden Eingeborenen, und haben nicht viel mehr zu tun, als gesund, glücklich und liebenswert zu sein, die Empathie des Zuschauers zu evozieren und als Kontrast zu den rationell denkenden Zivilisationsmenschen zu fungieren, die auch im besseren Fall mit paternalistischem Blick auf die Eingeborenen hinabschauen. Wie in WEE WILLIE WINKIE ist interessanter, was um die beiden Helden herum passiert, und natürlich die wahnsinnige Actionszene am Ende, die den Höhepunkt des Films markiert: All die schlauen Erwägungen des Gouverneurs, die Sorgen und Konflikte sind vergessen, als die Insel von der alles gleichmachenden Gewalt der Natur geschüttelt wird. Plötzlich sind alle nur noch Menschen, die um ihr Leben zittern und kämpfen und versuchen, ihre nächsten zu beschützen. Die tolle Zivilisation und das Gotteshaus werden mit einem Schlag ausgelöscht und was übrig bleibt, sind die Überlebenden, die hoffen, dass ihre Angehörigen es auch geschafft haben. Terangi beweist sich als entschlossener Mann der Aktion, der seine Frau, seine Tochter und die Ehefrau des Gouverneurs (Mary Astor) rettet und am Ende mit einem Kanu in eine ungewisse Freiheit paddelt. DeLaage sieht ihn in der Ferne verschwinden und sofort setzt sein Jagdimpuls ein. Doch dann obsiegt endlich das Herz, das er die ganze Zeit verleugnet hat: „Nur ein Stück Holz …“

 

Es ist eine komplexe, komplizierte Welt: Die kleine Priscilla Williams (Shirley Temple) reist mit ihrer Mutter Joyce (June Lang) aus den USA nach Indien, um den Groß- und Schwiegervater zu besuchen, Colonel Williams (C. Aubrey Smith), der hier ein Regiment befehligt und die Aufgabe hat, den Rebellenführer Koda Khan (Cesar Romero) in Schach zu halten. Ob es hier Indianer gebe, wie zu Hause, fragt sie. Nein, die Indianer zu Hause seien fälschlicherweise so genannt worden, hier leben die echten Indianer. Ist denn dann der Opa auch ein Indianer? Nein, der ist hier auf Befehl der Königin von England. Aber immerhin wird es bei ihm ab sofort immer genug zu Essen geben.

Priscilla ist in John Fords Verfilmung einer Kurzgeschichte von Rudyard Kipling eines dieser typischen rotbäckigen, großäugig staunenden, zum Wegrennen niedlichen Kinder, deren erzählerische Funktion darin besteht, Komplexität mit der entwaffnenden Klarheit des kindlichen Blicks zu reduzieren – und natürlich harte Männerherzen zu erobern und aufzuweichen. Am Bahnhof angekommen beobachtet sie die Verhaftung Koda Khans und wie der dabei ein Amulett verliert: In naiver Missachtung der Gefahr stürzt sie hinter ihm her, um ihn den verlorenen Besitz zurückzugeben. Zwar kann der freundlich-knurrige Sergeant MacDuff (Victor McLaglen) sie eben noch zurückhalten, aber sie zieht mit ihrem Mut die Aufmerksamkeit und die Bewunderung des Banditen auf sich. Am Wohnsitz des streng-autoritären Großvaters wird sie unter dem Namen „Wee Willie Winkie“ zur Freude der Soldaten zum Rekruten ausgebildet und knackt mit ihrer offenen Art die harte Schale des Colonels. Am Ende, nach einem Überfall, bei dem ihr Freund McDuff tödlich verwundet wird, begibt sie sich todesmutig ins Versteck Koda Khans, um bei diesem für eine friedliche Beilegung des Konflikts zu werben. Doch der Colonel rückt schon mit seinen Männern an, um die Enkelin zu befreien.

Ich kann WEE WILLIE WINKIE nicht ganz vom Schmonzetten-Charakter freisprechen: Mit seiner zuckersüßen Hauptdarstellerin zielte der Film mit Sicherheit auch auf den Beschützerinstinkt von Mamas und Omas ab, die dann im Kino in Verzückung lachen oder Taschentücher vollheulen sollten. Die gerade neunjährige Temple war bereits ein veritabler Star und absolvierte mit WEE WILLIE WINKIE ihren sage und schreibe 22. Filmauftritt. Sie ist der unumstrittene Mittelpunkt des Films, aber zum Glück gibt es um sie herum noch ein paar andere interessante Darsteller und Rollen. Ford-Veteran McLaglen – die beiden drehten sieben Filme zusammen – ist wunderbar in der ihm auf den Leib geschriebene Rolle des vierschrötigen, aber herzensguten MacDuff, aber C. Aubrey Smith steht ihm als altehrwürdiger Colonel, der es sichtlich genießt, dass jemand sich traut, an seiner Fassade der Autorität zu kratzen, kaum nach. Cessar Romero hat nicht so viel zu tun, versieht den Rebellenanführer aber mit dem exotisch-geheimnisvollen Charme, mit dem Hollywood solche Ganoven noch bis heute gern ausstattet.

Ein vergessenes Meisterwerk sollte man nicht unbedingt erwarten, aber selbstredend profitiert WEE WILLIE WINKIE von der souveränen Regie Fords, der so gut es geht verhindert, dass der Kinderstar zu viel Raum bekommt, sein Film allzu rührselig wird. Und natürlich gibt es dann auch die Momente, die aufmerken lassen. Die Szene etwa, in der Mutter Joyce den strengen Schwiegervater mit dem Vorwurf konfrontiert, ein herzloser Knochen zu sein, und der ihr sehr schlüssig erklärt, dass es in seiner Welt, in der täglich das Leben der im untergebenen Männer auf dem Spiel steht, keinen Platz für Sentimentalitäten gibt, Disziplin und eine gewisse Härte überlebensnotwendig sind. Oder natürlich der Tod von MacDuff, der sein Leben aushaucht, während die kleine Priscilla für ihn „Auld lang syne“ singt. Ford melkt den Augenblick bis auf den letzten Tropfen aus, aber Spuren hinterlässt er trotzdem, auch weil der Kniff, den Moment des Todes selbst nicht im Bild festzuhalten, im die dringend nötige Distanz verleiht. Auch fotografisch setzt Ford mit seinem DoP Arthur C. Miller einige Glanzlichter: Ganz zu Beginn etwa, wenn man von außen durch das Fenster in das Zugabteil blickt, durch das im Vordergrund die staunende Priscilla hinausschaut, im Hintergrund leicht verschwommen die Mutter. Bildkompositionen, die Meisterschaft in flüchtigen Momente zeigen. Aus heutiger Perspektive mag man die Darstellung des verräterischen Dieners nicht ganz unproblematisch finden, aber Fords Humanismus behält stets die Oberhand. Seinen Realismus kann ihm aber auch die süße Shrley Temple nicht austreiben. Zum Glück.

Unter dem fürchterlich nichtssagenden Titel SPACE INVADERS erschien er hierzulande einst auf Video: Die Rede ist von KILLER KLOWNS FROM OUTER SPACE, einem quietschbunten, einfallsreichen Horror- und Science-Fiction-Film, der seine putzige Prämisse konsequent ausreizt – und den Anstand hat, zu Ende zu sein, bevor es langweilig wird. Der erste und einzige Film der Chiodo Bros. genießt zu Recht einen kleinen Kultstatus und vielleiht wird es ja wirklich mal was mit der seit geraumer Zeit angekündigten Fortsetzung. Wenn nicht ist es aber auch nicht schlimm, denn mit dem wirklich spitzenmäßig aussehenden Mediabook aus dem Hause Koch Media gibt es ja jetzt das adäquate Liebhaberprodukt zum immer wieder aus dem Schrank ziehen und Anhimmeln. Neben vielen Extras findet sich auch ein Booklet, das Yours Truly mit viel Liebe und Clownsnase verfasst hat. Erhältlich in allen bekannten Vorverkaufsstellen und der Bahnhofsbuchhandlung. Ach so, wer vorab noch etwas über die KILLER KLOWNS FROM OUTER SPACE lesen will, kann dies hier tun.

35mm #25

Veröffentlicht: Februar 20, 2018 in Film, Zum Lesen

Die neue Ausgabe des Magazins 35MM ist soeben erschienen. Auf über 20 Seiten widmet es sich dem Thema „Hitchcock Unknown“ und beleuchtet in mehreren Aufsätzen die weniger laut besungenen Werke des Meisters, unter anderem seine frühen Komödien. Weitere Texte behandeln Josef von Sternberg, die Kurzfilmabteilung der MGM oder Henry Kings SONG OF BERNADETTE. In einer der vielen wiederkehrenden Rubriken und Kolumnen widme ich mich zum zweiten Mal dem Film Noir: Diesmal geht es um Fred Zinnemanns schönen, dunklen ACT OF VIOLENCE von 1949. Bestellen kann man das Heft hier: http://35mm-retrofilmmagazin.de/produkt/35-millimeter-25-feb-maerz18/ Viel Vergnügen!

Es ist mal wieder Zeit für einen Megaflop: Produzent Ilya Salkind hatte große Pläne mit seinem SUPERMAN-Franchise und nach drei erfolgreichen Filmen stand ihm der Sinn nach Expansion und World Building. Wie sollte ihm das besser gelingen als mit einem Spin-off um Supermans Cousine Kara, besser bekannt unter den Namen „Supergirl“, die ihr Comicdebüt im Jahr 1958 gefeiert hatte? Mit einem im Stil der SUPERMAN-Filme hochkarätig besetzten und mit vielen Special Effects gepflasterten Blockbuster würde er die blonde Schönheit mit den langen Beinen einem nach mehr Stoff dürstenden Publikum präsentieren und dann in der Folge für die spektakuläre Familienzusammenführung auf der Leinwand sorgen. So oder ähnlich dachte er sich das wohl: Die Verweise auf den berühmten Cousin, der leider gerade verhindert ist, sind so zahlreich, dass sie dem berühmten Wink mit dem Zaupfahl ähneln, mit Marc McClure war zwar der „echte“ Jimmy Olsen mit von der Partie, aber bei dem handelte es sich nunmal auch um eine Figur, wegen der nun wirklich niemand ins Kino ging. SUPERGIRL ging phänomenal baden und spielte in den USA gerade mal ein Drittel seines üppigen 40-Millionen-Budgets ein. Nicht nur verpasste es den Plänen Salkinds einen heftigen Dämpfer, es trieb den Produzenten in den Ruin und zwang ihn dazu, die Rechte am SUPERMAN-Franchise an die Cannon zu verkaufen, die mit dem schier unfasslichen SUPERMAN IV: THE QUEST FOR PEACE die Ehre hatten, den letzen Nagel in den Sarg zu hämmern und das mit großem Ethusiasmus taten.

Was war schief gegangen? Zunächst einmal hatte Salkind das Interesse des Publikums an einem SUPERGIRL-Film maßlos überschätzt. Die Figur war, soweit ich das als Nichtexperte nach flüchtiger Recherche sagen kann, schon in ihrer Printinkarnation von nur mäßiger Popularität, mit sehr kurzlebigen selbstbetitelten Heftreihen in den Jahren 1972 bis 1974 und 1982 bis 1984. Dass die Menschen in die Kinos rennen würden, nur um einen weiblichen Superman-Verschnitt sehen zu dürfen, war höchst zweifelhaft und erwies sich dann ja auch tatsächlich als Trugschluss. Salkind versäumte es darüber hinaus, der Figur ein schärferes eigenes Profil zu verleihen. Sie ist im fertigen Film nicht viel mehr als ein Superman „für Mädchen“: Der ganze Film ist langsamer, legt ein größeres Gewicht auf eine zärtliche Liebesgeschichte, hat keinen wirklich interessanten Gegner für seine Heldin und nur äußerst sparsame über den Film verteilte Action. Die Spieldauer von 130, im Director’s Cut gar 140 Minuten, gestaltet sich so als ausgesprochen zäh: Es gibt ein paar nette, angenehm naive und an die Comictradition der Fünfzigerjahre erinnernde Momente, aber der Film weiß diese Ansätze nicht zu einer erfolgreichen Strategie auszubauen. Er entwickelt keinerlei erzählerischen Flow oder gar so etwas wie Spannung. In seinen Effektsequenzen wirkt er wie eine abgespeckte, langsamere, unspektakulärere Version der SUPERMAN-Filme: Warum hätte sich jemand das ansehen sollen, wenn er „the real deal“ haben konnte – oder etliche andere, aufregendere Filme?

Hinzu kommt, dass das alles fürchterlich steif wirkt: Die Energie, mit der Richard Lester komische oder actionreiche Sequenzen choreografierte, geht Jeannot Szwarc – bestenfalls ein solider Handwerker – leider völlig ab. Das Drehbuch ist schon nicht das Gelbe vom Ei, reiht eine statische, geschwätzige Szene an die nächste, und Szwarcs Regie macht alles noch lahmer und gestelzter. Faye Dunaway hockt als böse Hexe Selena zusammen mit ihrer Freundin Bianca (Brenda Vaccaro), deren Funktion rätselhaft bleibt, zusammen in ihrer Bude und schmiedet böse Pläne, die sie dann in den letzten 15 Minuten endlich in die Tat umsetzt. Der britische Schwarzmagier Nigel (Peter Cook) fungiert als ebenfalls biederer Einflüsterer für die Schurkin, Jimmy Olsen flirtet mit Supergirls Schulfreundin Lucy (Maureen Teefy), die Heldin selbst mit dem markigen Ethan (Hart Bochner). Peter O’Toole knüpft als Zaltar an die im ersten SUPERMAN mit Marlon Brando begonnene Tradition hoffnungslos überqualifizierter Schauspieler an, die es schaffen, in sinnlosen Wegwerfrollen richtig schlecht auszusehen. In der ersten Hälfte nimmt SUPERGIRL mit seinem College-Sujet die HARRY POTTER-Filme vorweg, bevor er sich dann dazu entschließt, diesen Strang komplett fallenzulassen. Supergirl selbst bleibt in der Darbietung von Helen Slater ebenfalls blass: Weder bekommt man Einblick in ihren Charakter, noch entwickelt sie so etwas wie körperliche Präsenz. Sie ist ein hübsches Gesicht mit langen Beinen dran. Nicht uncharmant, aber als Identifikationsfigur oder auch nur als Projektionsfläche für das Zuschauerinteresse gänzlich ungeeignet. Um es kurz zu machen: SUPERGIRL ist irrsinnig langweilig.

Zum Abschluss noch etwas anderes: Vor einiger Zeit habe ich hier WONDER WOMAN besprochen, über den im vergangenen Jahr heftig gestritten wurde. Die einen hielten ihn für eine Sternstunde des feministischen Films, die anderen diese Ansicht für maßlos übertrieben. In meinem Text äußerte ich Versändnis für erstere Perspektive: In der derzeitigen US-amerikanischen Mainstream-Filmlandschaft kann man es durchaus für einen wichtiges und erfreuliches Ereignis halten, wenn eine Multimillionen-Dollar-Produktion um eine weibliche Heldin gestrickt wird, die sich dann mit Mitteln behaupten darf, die üblicherweise den Männern vorbehalten sind. Dass die Messlatte nicht wirklich hoch lag, ist zwar klar, sollte m. E. aber den positiven Ansatz nicht gänzlich in den Schatten stellen. Man bedenke: WONDER WOMAN hätte tatsächlich auch wie SUPERGIRL aussehen können, ein Superheldinnen-Film, dessen Protagonistin wenig mehr sein darf als ein rotbäckiges Mädchen zum Anhimmeln, das stets etwas verloren und treudoof ins Leere schaut, lustig mit den Zehen in ihren roten Lackstiefeln wackelt und im entscheidenden Moment die Einflüsterungen eines väterlichen Freundes benötigt, um sich mit moderatem Körpereinsatz behaupten zu können. Wenn man sich dieses Supergirl so anschaut, möchte man es doch am liebsten in die Küche schicken.

 

Roger Zelazny gehört zu den großen und vor allem produktiven Science-Fiction-Autoren des 20. Jahrhunderts. Er wurde vielfach ausgezeichnet und inspirierte etliche Autoren dazu, in seine Fußstapfen zu treten. Was er wohl zur Verfilmung seines gleichnamigen Romans sagte? Oder wenigstens darüber dachte?
DAMNATION ALLEY stammt aus dem Jahr 1977 und fügt sich thematisch auch gut in die in diesem Jahrzehnt neu aufkeimende Angst vor dem nuklearen Holocaust, aber während der knapp 90 Minuten fühlt man sich eher in die Fünfzigerjahre zurückversetzt oder aber in ein Autokino verfrachtet, in dem ein billig runtergekurbeltes Schlockfilmchen aus der Schmiede von Al Adamson, Ted V. Mikels oder Bert I. Gordon die Zungenküsse des Auditoriums untermalt. Zugegeben, Regisseur Jack Smight dürfte ein deutlich höheres Budget zuer Verfügung gehabt haben, was am Ende dabei herauskam, ist aber ähnlich käsig – und amüsant.

Nachdem mehrere Raketen mit Atomsprengköpfen in den Großstädten der USA eingeschlagen sind, macht sich eine vierköpfige Delegation von Überlebenden aus einer Raketenbasis im Südwesten auf zur Ostküste, von wo man ein regelmäßges Notisgnal auffängt. Auf dem beschwerlichen – in einem geilen Panzerwagen zurückgelegten – Weg haben Denton (George Peppard), Tanner (Jan-Michael Vincent) und Keegan (Paul Winfield) nicht nur mit dem aus den Fugen geratenen Wetter zu kämpfen, sondern auch mit riesigen Skorpionen, Killerkakerlaken und natürlich marodierenden Halsabschneidern …

Bemerkenswert an DAMNATION ALLEY ist neben seinem Einsatz farblich verfremdeter Hintergründe, die den Film zum Konsum unter LSD-Einfluss prädestinieren, vor allem der Anfang: Smight läst sich relativ viel Zeit, die atomare Katastrophe zu schildern, mit Leichtigkeit die spannendsten 20 Minuten des Films. Denton und Tanner treten ohne jede böse Vorahnung ihren Dienst an, scherzen mit den Kollegen, nehmen ihre Befehle entgegen und werden dann mit der Nachricht konfrontiert, dass Raketen im Anflug sind. Sie lösen den Gegenschlag nach Lehrbuch und ohne eine Miene zu vrziehen aus, dann beobachten sie auf dem Kontrollbildschirm gemeinsam mit den anderen wie um sie herum die Welt untergeht. Es ist die Beiläufigkeit, mit der das alles passiert, die erschüttert. Der Gedanke, die Welt würde genau so untergehen, schwebte damals (und auch noch im Folgejahrzehnt) durch die Köpfe und äußerte sich dann eben in absolut nüchternen Darstellungen wie dieser. Damit es aber nicht zu deprimierend wird, begibt sich DAMNATION ALLEY schon im unmittelbaren Anschluss in die Gefilde des Camp: Mäßig überzeugend ins Bild kopierte Skorpione lassen an den seligen TARANTULA denken, Dialoge gaukeln Tiefe vor, wo doch nur Plotholes sind, die ästhetische Gestaltung ist hoffnungslos unsubtil. Der episodische Handlungsverlauf gehört zum Roadmovie dazu, aber nur selten ist die Montage der einzelnen Tableaus so dermaßen arhythmisch wie hier. Dass das Ende des Films wie vom Himmel fällt, der Film einfach aufhört und dabei auch noch zwei seiner Protagonisten völlig außen vor lässt, ist da nur folgerichtig.

Wenn man Käsequark dieser Art zu goutieren weiß, verläuft auch die Sichtung von DAMNATION ALLEY nicht ohne Schmunzeln und Vergnügen. Die Dialogzeile „This city is infested with killer cockroaches“ aus dem Munde George Peppards jedenfalls darf durchaus als Poesie gelten. Die wenig überzeugenden Effekte und die Netzhaut-ablösende visuelle Gestaltung hatte ich ja schon gewürdigt. Der nach awesomeness dürstende Genrefan freut sich außerdem über den geilen Panzer (auf den auch auf diegetischer Ebene alle total versessen sind): Die Einstellungen kurz vor Schluss, in denen ein deutlich als solches zu erkennendes Modell in der Badewanne, äh, in der Sintflut treibt, machen zudem berechtigte Hoffnung, dass irgendwann bei eBay mal ein überteuertes Spielzeug auftauchen könnte. Und wem das alles noch nicht reicht, dem sei gesagt, dass George Peppard einen Schnurrbart trägt. Eben.

 

 

Auch wenn der Titel auf ein Kokain-Drama schließen lässt, handelt es sich bei diesem Film doch um einen Beitrag zum wunderbaren und leider völlig aus der Mode gekommenen Subgenre des Truckerfilms, das seine Hochzeit in den Siebzigerjahren erlebte, bevor es im Folgejahrzehnt in Deutschland die Serie AUF ACHSE und natürlich DIDI AUF VOLLEN TOUREN inspirierte. „White Line Fever“ bezieht sich also nicht auf Entzugserscheinungen nach dem weißen Nasenpuder, sondern auf das Phänomen des Sekundenschlafs, das Trucker ereilt, wenn sie stundenland Meilen gefressen haben.

Nach der Heirat mit der hübschen Jerri (Kay Lenz) investiert Carol Jo (Jan-Michael Vincent) alles Ersparte in einen eigenen Truck, doch der Traum vom eigenen Business platzt schnell wie eine Seifenblase: Das ganze Speditionsgeschäft ist durch und durch korrupt und wer beim schmutzigen Spiel der Auftraggeber nicht mitspielt ist schnell ganz draußen. Zunächst wird Carrol Jo vom fiesen Buck (L. Q. Jones) und seinen Handlangern nur drangsaliert, dann zusammengeschlagen, doch schließlich will man ihm den Mord an seinem väterlichen Freund Haller (Slim Pickens) anhängen …

WHITE LINE FEVER macht noch einmal schmerzhaft klar, was aus Jan-Michael Vincent hätte werden können, hätten ihn nicht Alkohol und Drogen erwischt: Der spätere AIRWOLF-Star sieht hier nicht nur spitze aus, er ist als Jungspund, der sich nicht unterkriegen lässt, auch sehr sympathisch und charismatisch. Und, nicht ganz unwichtig, auch als Actionstar funktioniert er perfekt: Die Schrotflinte steht ihm ausgezeichnet, Klettereien auf dem fahrenden Truck übernimmt er kurzerhand selbst, anstatt sie irgendwlchen Stuntmen zu überlassen. Selbst ist der Mann! WHITE LINE FEVER macht zunächst schön Tempo, hat viel Power, angemessen hassenswerte Bad Guys – Martin Kove als henchman Bucks – und natürlich auch eine Prise Trucker-Romantik inklusive atemberaubender Ansichten eines wnterlichen Monument Valley. Der endgeile Stunt am Ende – Carrol Jo crasht mit seinem Truck durch das gigantische Firmenlogo des mafiösen Speditionskonzerns – setzt auch visuell einen schönen Endpunkt, der mit dem etwas schematischen Handlungsverlauf versöhnt. Man kennt das alles irgendwoher: die zunächst etwas naive Weigerung des Helden, beim bösen Spiel mitzumachen, die folgenden Lektionen, die sich immer weiter hochschaukelnde Gewalt, der anscheinend aussichtslose Kampf gegen eine übermächtigen Gegner, der immer noch ein As im Ärmel hat, die Anschläge auf das eigene Leben und das der Frau, das in die Schuhe geschobene Gewaltverbrechen, die gekauften Honorationen. WHITE LINE FEVER ist in erster Linie Exploitation, Genrekino, das sich nicht um einen Originalitätspreis bewirbt, sondern Altbekanntes in leicht abgewandelter Verpackung kredenzen, auf dass der Zuschauer gleich weiß, woran er ist.

Als Schüler Roger Cormans ist Jonathan Kaplan dafür genau der richtige Mann: Er debütierte für dessen New World Pictures 1972 mit NIGHT CALL NURSES, einem Film, der die Trenchcoat-Fraktion im Stile mit etwas linker Gesellschaftskritik infiltrierte, eine Strategie, die sich auch Jonathan Demme mit seinem WIP-Film CAGED HEAT zu eigen machte. Kaplan nahm sie nach seinem Abschied von New World mit zu American International – Cormans voriger Heimat – für die er dann nach bewährtem Muster THE STUDENT TEACHERS drehte. Auch WHITE LINE FEVER ergreift Partei für die Schwachen, die von den Mächtigen als Bauern in ihrem Schachspiel zur Mehrung ihrer Reichtümer missbraucht und zu diesem Zweck gegeneinander aufgehetzt werden und ruft zum Widerstand auf. Große lllusionen Hoffnung allerdings macht er nicht: Es bedarf zwar mehr als einer Handvoll mutiger, schlagkräftiger Männer und Schrotflinten, um das bestehende System zu zerschlagen, aber diese sind immerhin schon ein Anfang.