Archiv für Juli, 2011

Eigentlich will James Brennan (Jesse Eisenberg) mit seinem Kumpel nach Europa reisen, bevor er in New York mit dem Studium beginnt, doch dann macht ihm ein finanzieller Engpass einen Strich durch die Rechnung. Anstatt also die lose Moral europäischer Mädchen auszunutzen, muss James im maroden Vergnügungspark „Adventureland“ anheuern, um etwas Geld für seinen Umzug in die Ostküstenmetropole zu verdienen. Der triste Arbeitsalltag dort schweißt die deprimierten Ferienjobber umso enger zusammen und so lernt James die süße Em (Kristen Stewart) kennen, in die er sich Hals über Kopf verliebt. Was er nicht weiß: Em hat eine Affäre mit Mike Connell (Ryan Reynolds), dem verheirateten Hausmeister des Parks. Und ausgerechnet diesen sucht sich James als Berater in Liebesdingen aus …

Die Masche von Judd Apatow – narzisstischen, unreifen Nerds beim Ausleben ihres Weltschmerzes und dem Reißen von infantilen Pimmelwitzen zuzuschauen – hatte sich für mich spätestens mit dem unterirdischen FUNNY PEOPLE abgenutzt. Greg Mottolas ADVENTURELAND, dem Nachfolger des erfolgreichen SUPERBAD, bei dem Apatow mal wieder noch als Produzent fungiert hatte, stand ich demzufolge zunächst etwas skeptisch gegenüber: Zwar waren die von Apatow produzierten Filme bislang allesamt besser als sein Regie-Output, doch Mottola konnte sich mit SUPERBAD noch nicht ganz von seines Mentors Hang zur Zote lossagen, was dem Film dann auch seine schwächsten Momente bescherte. Würde sich Apatows Abwesenheit hier entsprechend positiv auswirken? Antwort: Eindeutig ja.  In der Welt von ADVENTURELAND findet man sich als Apatow-erprobter Zuschauer zwar sofort zurecht – auch hier werden die Nerds und Outcasts von den „Normalen“, die sich auf die Aufrechterhaltung des schönen Scheins spezialisiert haben, gegängelt und drangsaliert -, aber dem Film geht zum Glück sowohl die selbstmitleidige Art seiner Protagonisten als auch das nervtötende Abfeiern des eigenen Stillstands als nonkormistischem Way of Life ab. Während FUNNY PEOPLE dem Zuschauer, der mit dem störrischen Slackertum seiner Hauptfiguren nichts anfangen konnte, mit geradezu herablassender Trotzigkeit begegnete, ist ADVENTURELAND offener, nachgiebiger, verständnisvoller und selbstkritischer. Das liegt natürlich auch darin begründet, dass seine Charaktere noch voll damit beschäftigt sind, sich zu finden: ADVENTURELAND ist ganz allgemein ein Film über die Jugend und das Erwachsenwerden und letzten Endes sitzen alle seine Figuren im selben Boot, so unterschiedlich sie auch sein mögen. Der titelgebende Vergnügungspark ist nur ein Spiegel der großen, weiten Welt da draußen: Man schlägt die Zeit mit schwachsinnigen Tätigkeiten tot, wird mies bezahlt und muss ständig damit rechnen, einem Arschloch zu begegnen, das seinen Frust an anderen auslässt. Die Kunst besteht darin, die Menschen zu finden, mit denen man etwas teilt und alle anderen so gut es geht zu ignorieren, ohne dabei jedoch zum Misanthropen zu werden.

Was mir am an ADVENTURELAND am besten gefallen hat, das ist zum einen, wie er sein zusammengewürfeltes, hochgradig heterogenes Personeninventar über den gemeinsamen Job zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammenführt: Jede dieser Figuren spielt eine Rolle, jeder kommt eine Funktion für die Entwicklung des Hauptcharakters James Brennan zu, keiner von ihnen ist austauschbar. Mottola erzeugt einen Sinn von Gemeinschaft und Familie, der meilenweit vom Zynismus Apatows entfernt ist. Bmerkenswert sind auch der Look des Films und die Art, wie Mottola sich einerseits in Nostalgie ergeht, dabei jedoch andererseits stets der Versuchung widersteht, seinen Film mit abgeschmackten Verweisen und Zitaten anzureichern und so dem Trugschluss aufzusitzen, dies trüge zur Authentifizierung bei. ADVENTURELAND spielt zwar in den späten Achtzigerjahren, aber seine Welt sieht bis auf einige  Hinweise fast zeitlos unkonkret aus. Anstatt mit den ach so lustigen Achtzigerklamotten und einem Best of der abgenudeltsten Achtzigerjahre-Hits einen auf Eighties-Revival zu machen, evoziert ADVENTURELAND eher den Eindruck einer bereits leicht verblassten und unkonkreten Erinnerung, in der so mancher grelle Tupfer schon von matteren Tönen ersetzt wurde. Und wenn ikonischer Eighties-Pop wie etwa Falcos „Rock me Amadeus“ erklingt, dann schließt sich daran meist leise Zeitgeistkritik an (die im Einklang mit der Outcast-Thematik steht), lieber jedoch huldigt Mottola Postpunk- oder Alternative-Größen wie den Residents, Hüsker Dü und den Buzzcocks, die in den Achtzigern selbst eher unter dem Radar des Mainstreams durchflogen, oder aber Musikern wie Lou Reed und Velvet Underground, deren Heldentaten noch auf das vorige Jahrzehnt datierten. Das hat zur Folge, dass ADVENTURELAND weniger den Versuch einer Art Kollektiverinnerung der Achtzigerjahre darstellt, als vielmehr einen sehr individuell geprägten Blick auf dieses Jahrzehnt wirft, bei dem Popkultur-Trivia nur eine von vielen Zutaten, aber längst nicht die wichtigste ist. Nostalgie ist eben vor allem ein Gefühl: das Gefühl, das sich mit der plötzlich über einem hereinbrechenden Gewissheit einstellt, dass man von all den unzähligen Möglichkeiten, die einem damals offenstanden, zielstrebig genau jene auswählte, die einen ins Hier und Jetzt führten, sich die Vielzahl von Zufällen rückblickend plötzlich zu einer sinnstiftenden Geschichte zusammenfügt. Die Leichtigkeit, mit der Mottola in ADVENTURELAND unverwechselbare Identität aus der totalen Kontingenz, Schönheit aus dem Banalen und Heldenhaftigkeit aus dem nackten Sein entwirft, hat mich gestern tief berührt. Ein wunderschöner Film, eine Klasse für sich.

Die schöne Jane Harrison (Edwige Fenech), die immer noch vom Verlust ihres ungeborenen Kindes traumatisiert ist, wird von garstigen Albträumen geplagt, in denen ihr ein Mann mit stahlblauen Augen und einem spitzen Messer nachstellt. Ihre Sorgen werden größer, als ihr dieser Mann tatsächlich begegnet und Jane immer größere Schwierigkeiten hat, Traum und Realität voneinander zu unterscheiden. Weil ihr Mann Richard (George Hilton) nichts von einer Psychotherapie hält, empfiehlt ihre Freundin ihr den Besuch bei einer schwarzen Messe …

TUTTI I COLORI DEL BUIO beginnt fulminant: Während der Credits kann man den Sonnenuntergang über einem Naturidyll bewundern, das sich mit seiner Tierstimmenkakophonie schließlich als Horrorszenario entpuppt, danach stürzt Martino den Zuschauer in einen von Janes Albträumen, auf dessen Höhepunkt schließlich in den Autounfall überblendet wird, dem Jane den Verlust ihres Kindes zu verdanken hat. Und als wäre das noch nicht genug, schleppt sich die von diesem Traum gebeutelte Jane im Nachthemd unter die Dusche, wo sie einen Nervenzusammenbruch erleidet, während man selbst ihre sich durch den nassen Stoff abzeichnenden Brustwarzen bewundern darf. Die Weichen für einen meisterlichen Giallo sind gestellt und zumindest in der ersten Hälfte des Films kann Martino das Versprechen der ersten Minuten auch einlösen. Mehr und mehr wird Jane in den Wahnsinn getrieben und in Szenen wie jener, in der ihr Peiniger sich ihr in einem leeren U-Bahn-Abteil nähert und Lichtausfälle ihn immer wieder kurz aus ihrem Blick verschwinden lassen, sind kreuzspannend und rücken TUTTI I COLORI DEL BUIO gar in die Richtung von Mario Bavas beklemmendem Meisterwerk SHOCK. Leider jedoch kann Sergio Martino dieses hohe Niveau nicht halten. Die schwarze Messe, die eigentlich der erste Höhepunkt des Films sein müsste, büßt viel ihrer potenziellen Wirkung durch den unpassenden Score von Bruno Nicolai ein, dessen loungige Jazzklänge der unheimlichen Szene einen fast parodistischen Ton verleihen und den Eindruck der Marter, der sich Jane aus lauter Verzweiflung freiwillig unterzieht, immens abschwächen. Davon erholt sich der Film nicht mehr wirklich: Die innere Spannung, die ihn während der ersten Hälfte unermüdlich antrieb, ist dahin, die sich giallotypisch immer mehr verkomplizierende Handlung trägt ebenfalls zu kontinuierlichen Distanzierung des Zuschauers bei. Dass Gialli die aufgebauten Erwartungen mit ihrer Auflösung nur selten bestätigen können, ist keine neue Erkenntnis, doch das Finale von TUTTI I COLORI DEL BUIO kommt vor dem Hintergrund seiner zuvor offenbarten grellen Plotideen besonders angestaubt rüber.

Meine Kritik liest sich harscher, als ich den Film tatsächlich fand und vielleicht sollte ich ein abschließendes Urteil zumindest bis zu einer Zweitsichtung aufschieben. Aber im Moment überwiegt einfach noch die Enttäuschung darüber, dass Martino es nicht gelungen ist, den Schwung, den sein Film zu Beginn ohne Frage hat, bis zum Ende mitzunehmen.

Julie Richman (Deborah Foreman) lebt mit ihren New-Age-Eltern im bürgerlich-sauberen Valley gleich hinter den Hollywood-Hills. Die Interessen, die sie mit ihren gleichgesinnten Freundinnen teilt, sind Einkaufen gehen und Jungs vom Schlage des chauvinistischen Tommy (Michael Bowen). Doch als sie sich in den Punk Randy (Nicolas Cage) verliebt und sich von ihm in die fremde, aufregende und gar nicht mehr so saubere Welt jenseits der Berge entführen lässt, öffnet sich ein Graben zwischen ihr und ihrer Clique und sie muss eine Entscheidung treffen …

Auf diesen Film, der in den USA nicht nur ein veritabler Hit war, in Deutschland jedoch kaum bekannt ist, bin ich durch das hier schon einmal angepriesene Buch „Destroy All Movies!!! The Complete Guide To Punks On Film“ aufmerksam geworden. Dieses widmet ihm einen leuchtenden Eintrag, dem man auch entnehmen kann, welchen Einfluss der Film wohl auf amerikanische Jugendliche zu Beginn der Achtzigerjahre gehabt haben muss. Punk ging nahtlos in New Wave über und biss sich im Mainsream fest und VALLEY GIRL hält diese aufregende Zeit in farbenfrohen Bildern fest. Dabei ist seine Geschichte eigentlich jedem, der mehr als eine Teenrieromanze gesehen hat, hinreichend bekannt: Er erzählt vom Zusammenfinden zweier grundverschiedener, aber doch seelenverwandter Menschen, von ihrer durch den Neid und die Missgunst vermeintlicher Freunde herbeigeführter Trennung und schließlich von der Überwindung dieser Kluft. Er beinhaltet die obligatorische Rede über die Flüchtigkeit der äußeren Erscheinung und die Bedeutung innerer Werte sowie die damit einhergehende Geißelung eines blinden Materialismus. Doch darin erschöpft sich der Film zum Glück nicht. Unter der Regie von Martha Coolidge – die auch den tollen REAL GENIUS zu verantworten hat – tritt das pathetisch-verlogene „Sei du selbst!“-Geschwafel (das ironischerweise meist vor dem Hintergrund des Konformismus betrieben wird) in den Hintergrund und gerät stattdessen die ganz normale postpubertäre Konfusion in den Blick: Das oberflächliche Geschwätz der Clique, ihr Favorisieren von oberflächlichen Merkmalen, ihr ahnungsloses Gegacker über Sex wirkt hier nicht nervtötend und hohl, sondern geradezu rührend vor lauter Naivität.

Dem Klassenkonflikt, der auch hier evident ist – Julie und ihre Freundinnen entstammen einem bürgerlichen Milieu, Randys Wurzeln scheinen hingegen in der Arbeiterklasse zu liegen -, wird die soziopolitische Schärfe genommen, indem Julies „Grenzüberschreitung“ zu einem notwendigen „Blick über den Tellerrand“ verallgemeinert wird. Dass Randy aus Hollywood kommt und Julie aus dem Valley, ist letztlich gar nicht so entscheidend, viel wichtiger ist, dass beide Orte durch eine Hügelkette voneinander getrennt sind, der eine vom anderen somit, wie ein Song des Films es ausdrückt, „A Million Miles Away“ ist und beide diese Hügelkette überwinden, sich öffnen müssen, um ein Fundament für die gegenseitigen Gefühle zu schaffen. Sind es also vor allem kleine Details des Spiels und der Charakterzeichnung, die VALLEY GIRL von generischem Teeniekäse abheben – Deborah Foremans Julie ist eigentlich ein bisschen zu brav und tantig für die Protagonistenrolle und Nicolas Cage (hier zum ersten Mal nicht unter dem Namen Coppola unterwegs) lässt sich als Randy auch nicht bequem auf ein, zwei Kerneigenschaften (Tough Guy, Romantiker, Schönling, Exot) festlegen – so bricht doch vor allem das Finale mit den Konventionen, wenn eines der wichtigsten amerikanischen Initiationsrituale – der Abschlussball – lustvoll auseinandergenommen wird. Vor allem hier wird deutlich, dass VALLEY GIRL seinen jugendlichen Protagonisten nicht erwachsene Werte als ihre eigenen verkaufen will, sondern die Welt konsequent durch deren Augen betrachtet. Fühlt man sich vom Gequassel genervt, findet man ihre Entscheidungen unreif oder widersinnig, so hilft fast immer der Schritt zurück, um zu erkennen, dass sich diese Kids tatsächlich so verhalten wie ihre real existierenden Pendants. Keine kleine Leistung, finde ich.

So ganz kann Coolidge ihren aufklärerischen Impetus aber doch nicht verbergen. Nicht umsonst heißt ihr Film nach dem (von Wikipedia nicht verifizierten) geflügelten Wort für materialistische, ungebildete, in einem eigenen entsetzlichen „Valspeak“ quasselnde Durchschnittshühner, denen der Weg über den sprichwörtlichen Berg nie gelingt. Sich die Haare zu färben und in verschwitzten Pinten rumzuhängen, mag nicht der exklusive Weg zur geistigen Reife und Weisheit sein, aber es kann nicht schaden, die Erfahrung gemacht zu haben. Und sei es nur, um sie für sich verwerfen zu können.

An ihrem letzten Schultag vor dem Beginn des Daseins als Erwachsene beschließen die beiden sozialen Outcasts Bo (Charlie Sheen) und Roy (Maxwell Caulfield) nach L. A. zu fahren, um es dort noch einmal so richtig krachen zu lassen. Doch der Ausflug beendet in mehr als einer Hinsicht ihre Jugend: Der von der Außenwelt komplett entfremdete Roy spürt in sich nämlich das unstillbare Verlangen, einen Menschen zu töten …

Gleich nach ihrem desillusionierenden Jahrhundertwerk SUBURBIA drehte die filmische Jugendbeauftragte Penelope Spheeris diese kalte Hundeschnauze von einem Film, der ihr Plädoyer aus dem erstgenannten noch einmal bekräftigt. Flüchten sich die vernachlässigten Kids aus SUBURBIA in eine Ersatzfamilie aus Gleichgesinnten und in den artikulierten Zorn des Punk, um den sozialen Halt nicht vollständig zu verlieren, und lösen sie damit nur wieder das Unverständnis, die Angst und den Hass der Erwachsenen aus, die eine Alternative zu ihrem Lebensstil nicht akzeptieren können, zeigt THE BOYS NEXT DOOR unmissverständlich, was passiert, wenn jegliches Ventil, die eigenen Frustrationen abzulassen, fehlt. Für Roy ist schon von Beginn an alles zu spät: Sein smartes Lächeln kann nicht verbergen, dass ihn Gewaltfantasien ausfüllen, sein aufgepumpter Körper ist kein Zeichen von Sportsgeist und Ehrgeiz, sondern von Travis Bickle’scher Mobilmachung gegen den unspezifischen Feind, sein Vater ist ein Säufer und sein bester Freund Bo selbst noch zu unreif und beeinflussbar, um die richtigen Fragen zu stellen. Für die Armee, die allein seine Bedürfnisse noch in eine gesellschaftlich akzeptierte Richtung lenken könnte, mangelt es ihm an der nötigen Disziplin und der Bereitschaft zur Selbstaufgabe, also muss sich seine ganze angestaute Aggression – die seinen muskulösen Körper förmlich niederzudrücken scheint – anders Bahn brechen. Wenn er sich auf seine Opfer stürzt und ohne Rücksicht auf sie einprügelt, auch wenn sie schon längst am Boden liegen, kommt ein krasses Maß an Selbsthass und Verzweiflung darin zum Ausdruck, die zu heilen kaum noch möglich ist.

Spheeris‘ Kamera vollzieht dies dadurch nach, indem sie immer wieder die Furcht und damit das Kindliche im Blick Roys aufspürt – und mit ihr  seinen menschlichen Kern -, besorgt beobachtet, wie diese Furcht mehr und mehr von einer gefährlichen Leere aufgelöst wird, und in den Gewaltszenen, in denen eine vormoralische Kraft sich seines Körpers zu bemächtigen scheint, auf Distanz geht, schockiert von dem, was da mit ihm passiert. Es mag bei so viel Kälte widersprüchlich klingen, aber THE BOYS NEXT DOOR ist ein einfühlsamer Film, weil er sich mit Vorverurteilungen zurückhält, er seinen beiden hoffnungslosen Protagonisten vielmehr mit Sympathie und Mitgefühl begegnet und eine Welt zeigt, in der es allzu leicht ist, zum misanthropischen Soziopathen zu werden. Als Roy auf offener Straße einen Tankwart zusammenschlägt, reagiert kein einziger der zahlreichen Passanten und der „Augenzeuge“, der sich der Polizei anbietet, ist ein alter Mann, der die Gelegenheit prompt dazu nutzt, das Verbrechen einem Schwarzen und einem Hispanic zuzuschieben. Roy verfährt genauso, nur seine Mittel sind ungleich drastischer: Den Wohlstand, der um ihn herum als erstrebenswert ausgestellt wird und von dem er weiß, dass er ihn niemals wird erreichen können, das Glück, das ihm verstellt bleiben wird, die Liebe, die er nicht erfahren wird, weil er sich selbst hasst, all das soll auch kein anderer haben. Und wer sich diesem unausgesprochenen Diktum widersetzt, ist ein Verräter und muss bestraft werden. Doch die Kluft, die Roy zwischen sich und der Gesellschaft spürt, wird so nur noch größer: Denn nichts ändert sich durch seine Gewalttaten. Im Gegenteil zementieren sie nur seinen Status als vom Schicksal Übergangener.

THE BOYS NEXT DOOR schwächt seinen Impact ein wenig durch die einleitende Creditsequenz, in der mittels Archivbildern und Kommentaren eine Parallele zu berühmt-berüchtigten Serienmördern gezogen wird: Die einfache Message lautet, dass sich das Böse manchmal hinter einer sehr alltäglichen Maske verbirgt. Das trifft zwar auf Spheeris‘ Film auch zu, verdeckt meines Erachtens aber den sozialkritischen Kern ihres Films, der doch nicht die bloße Existenz eines zwar banalen, aber dennoch voraussetzungslosen Bösen konstatiert, als vielmehr einen graduellen Übergang von jugendlicher Devianz hin zur pathologischen Mordlust erkennt und damit auch eine Möglichkeit, wenn nicht gar Verpflichtung, zur gesellschaftlichen Intervention. Vielleicht ist diese Creditsequenz aber auch eher als Warnung zu verstehen: Der Grundstein für ein Dasein als Serienmörder wird in Kindheit und Jugend gelegt. Wehret den Anfängen! Wie dem auch sei: THE BOYS NEXT DOOR ist bärenstark, profitiert von Caulfields wirklich furchteinflößender, beunruhigender Darstellung und der linkischen Naivität, die der spindeldürre Charlie Sheen mitbringt. Die ausgezeichnete Fotografie und der gleichermaßen mit Punk- und Hardrocksongs gespickte Soundtrack schaden gewiss auch nicht und der visuelle Zirkelschluss, der die Klammer für THE BOYS NEXT DOOR bildet, ist zu schön, um wahr zu sein.

 

 

Candy Morgan (Claudia Jennings) hat gerade eine Haftstrafe abgesessen, da dreht sie schon das nächste krumme Ding: Mit zwei Stangen Dynamit bewaffnet stürmt sie in eine texanische Kleinstadtbank, um mit dem geraubten Geld die Farm des Vaters zu retten. Mit ihrem furchtlosen Auftreten erregt sie die Aufmerksamkeit der Bankangestellten Ellie-Jo Turner (Jocelyn Jones), der just in diesem Moment wegen anhaltender Unzuverlässigkeit gekündigt wird. Die beiden Frauen begegnen sich wenig später erneut und mit ihrem Enthusiasmus kann Ellie-Jo Candy davon überzeugen, gemeinsam mit ihr weitere Banken zu auszurauben. Mit der Sorglosigkeit von Teenagern gehen beide ihrer neuen Profession nach, bis sie bemerken, dass die Polizei ihren Sinn für Humor nicht ganz teilen mag …

THE GREAT TEXAS DYNAMITE CHASE ist eine nette, harmlose kleine Actionkomödie, wie sie das Exploitationkino der Siebzigerjahre in rauen Mengen hervorbgebracht hat und eigentlich kein Grund, in Begeisterungsstürme auszubrechen. Eigentlich. Denn dieser vermeintlich austauschbare Film hat gestern in einer Art und Weise meine Stimmung getroffen, wie mir das schon lange nicht mehr passiert ist: Von Anfang an war ich ganz und gar „drin“, völlig aufgesogen von der Leichtigkeit, mit der der Film voranschreitet, und geborgen in seiner ansteckend sympathischen Sorglosigkeit. Nicht für eine Sekunde drifteten meine Gedanken vom Film zur schnöden Realität, nicht einmal wanderte der Blick ungeduldig zur Uhr: ein Zustand, der von mir aus ewig hätte andauern können. Wenn es auch nicht unerheblich auf eine unruhige Nacht und meinen angeschlagenen Gesundheitszustand zurückging: dass ich ungefähr zur Hälfte des Films eingeschlafen bin, war irgendwie auch die logische Konsequenz von so viel Gemütlichkeit. Aber es spricht auch für seine Qualität, dass die Fortsetzung dann nicht die befürchtete Ernüchterung brachte. Ich kann die Sichtung von THE GREAT TEXAS DYNAMITE CHASE daher nur mit dem Tragen eines maßgeschneiderten Paars Schuhe (aus weichem Wildleder vielleicht) vergleichen: Man passt so gut rein, dass man ganz vergisst, es überhaupt zu tragen.

Es ist schwierig für mich, diese Begeisterung zu verargumentieren. THE GREAT TEXAS DYNAMITE CHASE ist bestimmt nicht der tollste Exploiter, der jemals gedreht wurde, er beinhaltet keine besonders brillanten Regieeinfälle, bahnbrechenden Szenen oder Stunts, die ich hervorheben müsste, seine Geschichte vermittelt uns keine neuen Erkenntnisse oder Denkanstöße und genauso wenig besteht ein Anlass, ihn für besonders einflussreich zu halten. Seine Stärken liegen ganz allein in seiner ansteckenden Good-Naturedness, die wiederum das Ergebnis einer Vielzahl einzelner unspektakulärer Faktoren ist, die sich wundersam zu großem Effekt verbinden. Pressman (der später noch den mittelprächtigen Achtzigerquatsch Dr. DETROIT und den spaßigen TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES 2: THE SECRET OF THE OOZE drehte und heute ein gut beschäftigter Serienregisseur ist) greift für seinen Film auf eine klassische Handlungsschablone des Gangster- und Roadmovies zurück, aus der er jedoch konsequent jede Anwandlung von Tragik herausgestrichen hat. Auf den Verlust der Unschuld, jenen Point-of-no-return, an dem das Geschehen umschlägt, weil ein zuvor stets eingehaltener moralischer Grundsatz zum ersten Mal verletzt wurde, der in all diesen Filmen die Wendung hin zu einem meist traurigen Ende markiert, wartet man hier vergebens: Die verbrecherische Tour von Candy und Ellie-Jo verliert nie ihren spielerischen Charakter, nie geht es dabei wirklich um den materiellen Gewinn, nie gibt es einen echten, persönlichen Schaden, stets überwiegt die Ansicht, dass man die beiden Frauen für ihren Mut und dafür, dass sie einer Tätigkeit nachgehen, in der sie gut sind, bewundern sollte.

Damit das funktioniert, verlegt Pressman die infrastrukturelle Realität der depressiven Dreißigerjahre in die Siebziger: Die Idee mit den Dynamitstangen ist ebenso ein Anachronismus wie die Leichtigkeit, mit der die Protagonistinnen der Polizei immer wieder entgehen, obwohl ihr Aktionsradius begrenzt ist und sie sich zudem kaum Mühe geben, unerkannt zu bleiben. Überhaupt die Staatsmacht: Die bleibt durchweg gesichtslos – kein grantelnder Bundepolizist hat sich in die Liste der Nebenfiguren gemogelt – und nimmt eindeutig die Rolle des Spielverderbers ein, der die Gangart unnötig verschärft und so ganz allein für den dann doch irgendwann folgenden Schicksalsschlag zuständig ist. Auch wenn THE GREAT TEXAS DYNAMITE CHASE kaum als politischer Film angesehen werden kann, kann man ihm einen dezent anarchistischen oder subversiven Charakter kaum absprechen: Die Raubzüge von Candy und Ellie-Jo sichern ihnen die Sympathie der breiten Masse, immer wieder treffen sie auf Menschen, die bereit sind, ihnen zu helfen. Der Film zieht hier sehr deutlich eine Grenze zwischen den Interessen des übergeordneten Staates und denen seiner Bürger, die sich nicht unbedingt decken müssen. Ihr Outlaw-Dasein mag die beiden Frauen vor den Augen des Gesetzes zu Außenseitern machen, doch die Realität sieht anders aus: Ihre kriminelle Energie vereint die Menschen miteinander. Ich weiß nicht, ob meine Begeisterung für THE GREAT TEXAS DYNAMITE CHASE nun halbwegs plausibel geworden ist. So wie ich ihn sehe, muss man ihn zusammen mit seinen beiden Protagonistinnen einfach lieben.

Andrew Dice Clay, geboren Andrew Clay Silverstein, stieg Mitte der Achtzigerjahre in den Olymp amerikanischer Stand-up-Comedy auf. Von dort aus eroberte er den Mainstream, spielte nach mehreren Hollywood-Gastauftritten (u. a. in MAKING THE GRADE und PRETTY IN PINK) 1990 endlich die Hautrolle in „seinem“ THE ADVENTURES OF FORD FAIRLANE, bevor ihm die Vielzahl von Skandalen und die Übersättigung seiner Fanbase das Genick brachen. Clay verkörperte auf der Bühne einen ungebildeten, reaktionären, rassistischen, sexistischen und homophoben Proleten aus Brooklyn mit den delusions of grandeur, die solche Personen erst so richtig widerwärtig machen. Als selbstverliebter Geck in Marlon Brando’scher Ganzkörperledermontur, eigenem T-Shirt-Design („DICE“), radkappengroßer Gürtelschnalle, fingerlosen Lederhandschuhen, Elvis-Pomadenfrisur, fettem Brooklynite-Akzent und geradezu lächerlich übertriebenen Manierismen wie seiner Zippo-Zeremonie zog er über Frauen her, die seiner Meinung nach vor allem dazu da sind, großzügig Blowjobs zu geben oder wenigstens sauberzumachen, über Ausländer, die der englischen Sprache nicht mächtig sind, beleidigte und verspottete sein Publikum oder dichtete Kinderlieder zu Herrenwitzen um. Eine Mischung, die nicht lange darauf warten musste, zur Zielscheibe der Political Correctness zu werden: Von MTV wurde er 1989 lebenslang „verbannt“ und diverse Talkshow-Gäste – darunter etwa Sinead O’Connor – weigerten sich, mit ihm gemeinsam aufzutreten. Dass er mit seiner Figur den Nerv des Publikums traf, lässt sich nicht nur daran ablesen, dass er 1990 als erster und bislang einziger Comedian den Madison Square Garden an gleich zwei Abenden hintereinander ausverkaufte, sondern auch an den Reaktionen des Publikums auf seinem Live-Album „The Day the Laughter died“, das nahelegt, dass nur ein Bruchteil der Menschen verstanden hatte, worum es bei ihm eigentlich ging.

Auf das Album bin ich über diesen Text auf einer meiner Lieblingsseiten gestoßen und es waren Sätze wie die folgenden, die mich neugierig machten: „[Andrew Dice Clay] got a full club audience into Dangerfield’s in NYC expecting a comedy show and somehow kept the diehard few laughing even as others called him a jerk and stormed out of the club so he could make fun of them even more behind their backs. Because he just didn’t give a fuck. I’m not sure exactly what drove Mr. Clay to perform this act and release it as an album, but man is it something else.“ Tatsächlich gibt es nichts von dem, was das Programm von Stand-Up-Comedians üblicherweise auszeichnet: keine lustigen Anekdoten, keine elaborierten Gags, nichts, womit man sich als Zuschauer (und -hörer) auch nur annähernd identifizieren könnte. Stattdessen hagelt es brutal anstößige Tiraden über Frauen (die er mit Vorliebe als „dunces“ bezeichnet), Schilderungen über sexuelle Vorlieben wie „ass-eating“ komplett mit entsprechenden Soundimitationen, ein superoffensives Vokabular, das die Frage aufwirft, wie diese Platte jemals unzensiert veröffentlicht werden konnte, und natürlich die kaum noch zu zählenden Zuschauerbeleidigungen. Letzteres ist das, was „The Day the Laughter died“ zu einem so spannenden Erlebnis macht. Von Anfang an hört man Clay die Angepisstheit förmlich an. Seine Stimme zittert leicht, als stünde er unter massivem Adrenalinschub und manchmal beginnt er in sich hineinzumurmeln, als könne er seinen Zorn kaum noch bremsen. Was seine Zuschauer – offensichtlich ein sehr durchschnittliches Publikum – bekommen, hat nichts mehr mit der „sicheren“ Comedy zu tun, die sie von anderen Entertainern gewohnt sind. Das hier ist der freie Fall und jeder Platz verwandelt sich in einen Schleudersitz. Die Stimmung wird zusehends feindseliger und es wird klar, dass Clay hier ziemlich viel aufs Spiels setzt: neben der Unversehrtheit des Publikums auch seine eigene. Nicht alle halten das aus: Immer wieder verlassen Leute den Saal, denen Clay dann entweder hinterherruft oder aber mit ihren Sitznachbarn über sie lästert. Frauen werden plump angebaggert, Männer zum Ehebruch überredet. Den einsamen Höhepunkt dieser Psychospielchen bildet das Gespräch mit einem Familienvater, den Clay in Anwesenheit seiner beiden Töchter der Pädophilie bezichtigt.

Man mag die knapp 90-minütige Live-Aufzeichnung mit gutem Recht als unwitzig und geschmacklos bezeichnen (wobei das auch bedeutet, auf die Kunstfigur Andrew Dice Clay hereinzufallen bzw. sie mit ihrem Erfinder gleichzusetzen): Nach klassischem Verständnis gibt es hier keinen Humor, lediglich Wut, Hass, Niedertracht, Dummheit und Herablassung. Aber die Art, wie Clay seinen Plan umsetzt, wie er ihn bis zum bitteren Ende durchzieht, ohne selbst genau zu wissen, worauf er sich da eingelassen hat und wo das alles hinführen wird, ist nicht weniger als beeindruckend. Wenn er zwischendurch mit sich selbst redet, andeutet, dass es heute abend nichts zu lachen, sondern nur Stille geben werde, dann weiß man nicht genau, ob das mit zum Programm gehört oder ob Andrew Dice Clay freiwillig auf jede Absicherung verzichtet, sich sehenden Auges in die Gefahr begeben hat. Fest steht nur, dass an diesem Abend niemand unbeschädigt das Auditorium verlassen haben dürfte.  Und die Gestalten, denen bei all dem nicht für eine Sekunde das dummdreiste LAchen vergangen ist, denen war wahrscheinlich vorher schon nicht mehr zu helfen. Es gibt einen Film von Oliver STone, TALK RADIO, der erzählt, wie ein misanthropischer Radiomoderator sein Publikum solange provoziert, bis irgendwann ein Mörder bei ihm anklopft. Ganz so weit geht es bei „The Day the Laughter died“ nicht, aber vor diesem Hintergrund ahnt man, was an diesem Abend auf dem Spiel stand. Wahnsinn.

Die New Yorker Prudence (Julie Hagerty) und Bruce (Jeff Goldblum) treffen sich zu einem Blind Date in einem französischen Restaurant, das in einem Eklat endet, als er ihr erst unverblümt sagt, dass er ihre Brüste mag, und ihr dann auch noch gesteht, dass er bisexuell ist und mit einem Mann zusammenlebt. Trotzdem begegnen sich die beiden hochneurotischen Personen wieder und versuchen an homosexuellen Liebhabern (Christopher THIS IS SPINAL TAP Guest), eifersüchtigen Müttern (Genevieve Page), sexhungrigen (Tom Conti) oder sprachgestörten Therapeuten (Glenda Jackson) vorbei eine Beziehung aufzubauen …

BEYOND THERAPY ist Altmans mittlerweile vierte Adaption eines Theaterstückes und wird in der Mainstreamrezeption als einer seiner großen inszenatorischen Fehlschläge betrachtet. Wie schön, dass er mir gefallen hat! Dabei sind die Vorwürfe, die gegen ihn in geradezu unheimlichem Einklang erhoben werden, nicht von der Hand zu weisen. Wenn Vincent Canby in der New York Times schreibt: „What ‚Beyond Therapy‘ lacks – to a near-fatal degree – is the kind of inexorable logic that is the fuel of any farce and makes its loony characters so funny. […] Under Mr. Altman’s wayward direction, ‚Beyond Therapy‘ has been transformed into a feature-length blur. There’s no special logic at work. The performances are good, but the film has been assembled without an overriding sense of humor and style. It remains in bits and pieces.“, dann muss man ihm in dieser Beobachtung zumindest teilweise ebenso Recht geben wie seinem Kollegen Roger Ebert, der BEYOND THERAPY als einen Film beschreibt, „in which every scene must have seemed like a lot of fun at the time, but, when they’re edited together, there’s no pattern to the movie, nothing to build toward, no reason for us to care „, ein gravierendes Manko in Altmans Schwäche für „asides and irrelevancies, for the kind of weird background action that usually works in his movies, but not this time“  erkennt und zu dem Schluss kommt, dass „the bits and pieces remain separate, unresolved, not adding up to anything.“ Tatsächlich wirkt BEYOND THERAPY zwischen den vielen akribisch konstruierten Filmen Altmans geradezu schlampig: Mit knappen 90 Minuten Laufzeit kommt er als handlicher, flüchtiger Gebrauchsfilm daher und eine herkömmliche, stringente Plotentwicklung sucht man vergebens. Beinahe könnte man von einer Sammlung von Sketchen sprechen, die zwar inhaltlich verbunden sind, aber keiner klassischen Dramaturgie folgen: BEYOND THERAPY beginnt als skurrile Komödie über Neurotiker bereits reichlich chaotisch und hält dies bis zum Ende durch. Wird als eines der Charakteristika von Narration die Entwicklung von Charakteren von einem Anfang zu einem Ende hin beschrieben, so fällt Altmans Film aus dieser Definition ziemlich heraus: Seine Charaktere sind wie der Titel schon sagt „untherapierbar“, entwicklungsunfähig – das teilt er mit dem Vorgänger FOOL FOR LOVE.

Als die angedeutete Sketchsammlung funktioniert der Film aber dennoch ausgezeichnet – und das ist eindeutig Altmans Sinn für schräge Figuren und absurde Situationen zu verdanken. Die beiden Therapeuten, die ihren Patienten doch eigentlich helfen sollten, sind selbst so komplexbeladen und dysfunktional, dass sie nur noch mehr Schaden anrichten: Prudence‘ Therapeut Dr. Framingham (Tom Conti) spricht mit einem lachhaften italienischen Akzent, weil er meint, dies verleihe ihm mehr Kompetenz, leidet unter vorzeitigen Samenergüssen und hört sich ihre Sorgen in erster Linie deshalb an, weil er hofft, sie noch einmal in sein Bett zerren zu können. Bruce‘ Therapeutin Charlotte hingegen verschläft ihre Sitzungen gern, hat die Wände ihres Büro mit Kinderbildern behängt, deren Relevanz für die Probleme des jeweiligen Patienten sie gebetsmühlenartig betont, und hat extreme Wortfindungsstörungen. Nebenbei trifft sie sich mit ihrem Büronachbarn Dr. Framingham zwischen den Sitzungen zum reuelosen Sex in einem leerstehenden Zimmer. Bruce‘ Liebhaber Bob ist nicht minder komisch und ihm gehört dann auch mein Lieblingsmoment des Films: Als Bruce Prudence in die gemeinsame Wohnung einlädt, lauert Bob hinter einer dieser japanischen Papierwände, die sein Schlafzimmer vom Wohnbereich abgrenzen. Als Bruce sich in der Küche zu schaffen macht, öffnet er die Schiebetür, bittet Prudence Bruce auszurichten, dass er mit ihm zu sprechen wünsche, schließt die Tür und ist danach als regloser Schatten hinter der Papierwand zu sehen, der wie eine Drohung hinter Prudence zu lauern scheint. Neben diesen komischen Perlen und den mit Pointen gespickten Dialogen gibt es aber – wie oben angedeutet – auch etliche Elemente die ihren Platz innerhalb des Films nicht so recht finden wollen: Die manische Belegschaft des französischen Restaurants, in dem sich ein Großteil des Filmes zuträgt, kommt zu kurz und hätte mehr Raum gebraucht. Die Schlusseinstellung schließlich, die den die ganze Zeit über erkennbaren echten Schauplatz des Films – Paris – enttarnt, mutet auch eher redundant an. Aber da BEYOND THERAPY so herrlich unangestrengt und selbst „untherapierbar“ rüberkommt, kann und will ich all diese Schwächen einfach nicht als solche begreifen. Auch, wenn ihm gegen Ende der eigene Wahnsinn fast die Luft abdreht.

In einem ranzigen Motel in der Mojave-Wüste verschanzt sich May (Kim Basinger) vor ihrem zurückkehrenden Liebhaber, dem Cowboy Eddie (Sam Shepard), der sie einst mit einer anderen Frau betrogen hatte. In einer aufgeheizten Nacht prallen die beiden nun wieder aufeinander, versuchen, sich selbst zu behaupten und erliegen dabei doch wieder nur dem anderen. Es ist eine komplizierte Beziehung und der „alte Mann“ (Harry Dean Stanton), der die beiden neugierig beobachtet, weiß auch warum: Er ist nämlich ihr gemeinsamer Vater …

FOOL FOR LOVE basiert auf einem Stück von Hauptdarsteller Sam Shepard, ist somit die dritte Theateradaption Altmans in Folge (nach COME BACK TO THE FIVE AND DIME, JIMMY DEAN, JIMMY DEAN, STREAMERS und SECRET HONOR) und außerdem einer jener Filme, mit denen die Cannon Mitte der Achtzigerjahre ihre Ambitionen, zu den großen Studios aufzuschließen, zementierte und sich einen neuen Ruf als cinephile Produktionsfirma aufzubauen suchte: Neben Altman drehten seinerzeit auch Barbet Schroeder, John Cassavetes, John Frankenheimer, Andrey Konchalovskiy und Jean-Luc Godard für die Cannon. Dass die Pläne für die Cannon zumindest mittel- bis langfristig nicht aufgingen, muss ich hier nicht mehr erwähnen, wohl aber, dass FOOL FOR LOVE auch den qualitativen Schlingerkurs, den Altman in den Achtzigerjahren fuhr, nicht beenden konnte. Ich muss eingestehen, dass ich seinen Film nicht besonders konzentriert verfolgt habe und meine Meinung daher eher vorläufigen Charakter hat – auch wenn ich definitiv nicht vorhabe, mir FOOL FOR LOVE in Bälde nochmal anzusehen.

Shepards Stück, für das er sich hinischtlich seines Settings und der Figuren aus dem Fundus des Film Noir bedient, zeichnet das emotionale Porträt einer heißblütigen Hassliebe, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit und dem egoistischen Lebenswandel des gemeinsamen Vaters hat, der zwei Beziehungen gleichzeitig führte und mit beiden Frauen Kinder zeugte, die sich schließlich ineinander verliebten. Leider wirkte das Ganze auf mich vor dem Hintergrund des bis zur Abstraktion stilisierten Settings jedoch gar nicht aufgeheizt, sondern eher blutleer und konstruiert. Das Hauptproblem ist für mich die fehlenden Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern: Zwar kennt man solche White-Trash-Paare wie Eddie – Typ: kerniger, unnachgiebiger Macho – und May – Typ: heilige Hure des Trailerparks – zu Genüge aus anderen Filmen, um ihre Beziehung sofort zu akzeptieren, aber über diese Konvention hinaus scheint es nur wenig zu geben, was die beiden aneinander bindet. Möglicherweise ist das aber auch gerade der Punkt des Films: Aufgrund ihrer Vergangenheit ist es ihnen unmöglich, eine Entscheidung gegen den anderen und für ihr eigenes Wohl zu treffen. Aber um das als tragisch und demzufolge Mitleid oder Sympathie für die Figuren zu empfinden, müssten diese einem in ihrem Leid ja irgendwie plausibel gemacht werden. Und das gelingt meines Erachtens nach gar nicht:  Vielleicht liegt das aber auch nur an meiner Abneigung für Shapard (die mir erst jetzt wirklich bewusst geworden ist) und der Tatsache, dass ich bei Kim Basinger nie weiß, ob sie eine miese Schauspielerin ist, oder ob ihre scheinbare Unbeholfenheit tatsächlich nur gespielt ist. So lief der Film an mir vorbei, ohne dass mir klar geworden wäre, warum ich diese Geschichte interessant und erzählenswert finden sollte. Filmisch betrachtet bekommt Altman die bei STREAMERS unübersehbaren Probleme besser in den Griff, profitiert dabei von seinem Setting, der Cinematografie von Pierre Mignot (mit dem er auch bei den anderen oben genannten Theateradaptionen sowie bei O.C. AND STIGGS zusammengearbeitet hatte)  und dem stimmunsgvollen Country-Soundtrack. Wenn ich etwas Positives über FOOL FOR LOVE sagen sollte, dann, dass er unleugbar über eine sehr dichte Atmosphäre verfügt, der aber leider der schrecklich egale Inhalt entgegensteht. Einfach nicht meins, sowas soll’s geben.

Nachdem sie von einem Mann geträumt hat, der für ein Experiment allein auf dem Mond zurückgelassen wird, geschehen rätselhafte Dinge im Leben der Übersetzerin Alice Cespi (Florinda Bolkan):  Erst verliert sie ihren Job, weil sie an den vergangenen drei Tagen angeblich nicht zur Arbeit erschienen ist, dann findet sie in ihrer Wohnung das Bild eines Hotels in einem Ort namens Garma, das sie zu kennen scheint, obwohl sie sich nicht daran erinnert, jemals dort gewesen zu sein. Als sie das Hotel besucht, trifft sie mehrere Menschen, die sie unter dem Namen „Nicole“ zu kennen vorgeben und behaupten, sie auch in den letzten Tagen dort gesehen zu haben. Je mehr sich diese Behauptungen im Folgenden bestätigen, umso mehr beginnt Alice an ihrem Verstand zu zweifeln …

Als Kind besaß ich ein Sachbuch über Piraten mit tollen Illustrationen. Ich kann mich heute leider nur noch an eines dieser Bilder konkret erinnern: Es hieß „Ausgesetzt“ und zeigte einen Piraten, der zusammengesackt am Strand einer einsamen Insel  saß, das Gesicht voller Verzweiflung in den Händen vergraben, fern am Horizont das Schiff, das ihn für ein unbekanntes Vergehen zurückgelassen hatte. Die Vorstellung, zu einem Leben in völliger Einsamkeit und räumlicher Abgeschiedenheit verurteilt zu werden, ohne Hoffnung, jemals wieder in die Gesellschaft von Menschen zurückkehren zu können, hat mich als Kind schwer getroffen, ich konnte gut nachfühlen, wie schrecklich das sein musste. Ich wusste, dass ich nie so enden wollte wie dieser Pirat. Was das mit LE ORME zu tun hat? Luigi Bazzoni ist es mit seinem Film gelungen, eben jenes Gefühl, das mich damals bei der Betrachtung dieses Bildes ereilte, erneut in mir hervorzurufen. Die eröffnenden Bilder mit dem Mann auf dem Mond, der in Panik der davonschwebenden Raumkapsel hinterherrennt, wissend, dass er in Einsamkeit Tausende Kilometer von der Erde entfernt sterben wird, ohne eine Spur zu hinterlassen, prägen die Stimmung des Films massiv und auch, wenn LE ORME danach mit beiden Beinen auf dem Erdboden bleibt, so stellt sich die Situation, in der sich Alice befindet, mit laufender Spieldauer doch als kaum weniger desolat dar.

Das Geheimnis dieses großartigen Films ist wohl, dass er die Suggestion nie zugunsten der Konkretion aufgibt: Auch wenn es eine Auflösung gibt, so wirft diese letztlich doch mehr neue Fragen auf, als sie alte beantwortet. Sie beruhigt nicht, vielmehr erhärtet sie nur den schrecklichen Verdacht, der als dräuender Schatten über dem ganzen Film schwebte. Und es ist dieser Verdacht, dieses sichere Gefühl, dass da etwas nicht stimmt, das man aber nicht genau benennen kann, das diesen Film auszeichnet und das noch kein anderer Film, den ich kenne, in dieser Intensität hervorgerufen hat. Obwohl LE ORME wunderschön anzuschauen ist, liegt die eisige Atmosphäre des Todes über ihm. Alice‘ Wohnung, in der sie in fast völliger Isolation lebt, ist in kaltem, weißem, steril anmutenden Siebzigerjahre-Chic eingerichtet, in Garma wiederum herrscht diese Stimmung, die Urlaubsorte überfällt, wenn die Saison zuende und die Gäste wieder abgereist sind: als würde alles von einer großen Leere verschlungen, und der bittermelancholische, tieftraurige und zerbrechliche Score von Nicola Piovani scheint den Figuren schon den Weg ins Jenseits zu weisen, ihr Schicksal zu beweinen. Zwar erzählt LE ORME die Geschichte einer Frau, doch seine Trauer ist universal, weil er letztlich von der conditio humana selbst handelt: Menschliche Wärme ist immer nur vorübergehend und kann nur kurz über den tief im Innern vergrabenen Schmerz über die eigene Sterblichkeit hinweghelfen; alle spüren diese Leere, aber mit ihr auch die Machtlosigkeit, diese zu überwinden. Ja, es spricht tatsächlich einiges dafür, LE ORME als transzendentalen Endzeitfilm zu betrachten: Wir werden alle irgendwann sterben. Und weder Freundschaft noch Liebe werden etwas daran ändern, dass wir in diesem Moment mit uns allein sind.

Ein Meisterwerk.

Los Angeles in den Fünfzigerjahren: Als der Gerichtsvollzieher die Schließung des Schönheitssalons von Sheba (Ann Sothern) und ihrer Tochter Melba Stokes (Cloris Leachman) beschließt, wiederholt sich für Mutter und Tochter die Geschichte, denn rund zwei Jahrzehnte zuvor wurden sie von ihrem Grundstück in Arkansas vertrieben, ihr Ehemann und Vater dabei erschossen. Voller Wut im Bauch beschließen die beiden Damen, in die Heimat zu fahren und sich ihr Grundstück zurückzuholen. Unterwegs muss nur noch das nötige Kleingeld ergaunert werden: Mit einem schlagkräftigen Team, zu dem auch noch Melbas Tochter Cheryl (Linda Purl), deren Freund Shawn (Don Most), der Cowboy Jim Bob (Stuart Whitman), der Rocker Snake (Bryan Englund) und die rüstige Rentnerin Bertha (Merie Earle) gehören, gehen die Damen auf die Reise, die Waffen immer fest im Anschlag …

CRAZY MAMA ist weniger leicht einzuordnen, als es zunächst den Anschein hat: Der Titel weckt Erinnerungen an die ein Jahr zuvor recht erfolgreich gelaufene Corman-Produktion BIG BAD MAMA mit Angie Dickinson, die ihrerseits ein Versuch war, den Erfolg von BLOODY MAMA mit Shelley Winters zu wiederholen. Auch die Verbindung mit dem Dillinger-Film THE LADY IN RED, der die Double-Feature-DVD aus der „Roger Corman’s Cult Classics“-Reihe von Shout! Factory vervollständigt, ist eher irreführend. CRAZY MAMA lässt sich durchaus dem Subgenre „Period-Piece-Gangsterfilm“ zurechnen, doch so richtig zu fassen bekommt man ihn mit diesem Etikett nicht. Jonathan Demmes Zweitwerk (nach dem WiP-Klassiker CAGED HEAT) folgt zwar der seit Arthur Penns BONNIE & CLYDE populären Prämisse, „normale“ Bürger auf Raubzug gehen zu lassen, doch betont Demme weniger die sozialpolitischen Hintergründe dieser Entscheidung. Auch wenn es finanzielle Probleme sind, die die Stokes zu Verbrechern machen, ihre Raubüberfälle sind weniger als Akt der Auflehnung gegen Staat und Gesellschaft zu bewerten, als vielmehr Ausdruck einer viel zu lange unterdrückten Individualität. Das Geld für den Rückkauf ihres einstigen Wohnsitzes aufzutreiben, ist nur die eine Seite ihrer Bemühungen; die andere ist es, ihre Identität als Familie rechtzeitig zur Ankunft in der alten Heimat wiedererlangt zu haben.

So ist es dann auch eine aus Randexistenzen der Gesellschaft zusammengewürfelte Patchwork-Familie, die schließlich die Reise antritt: Neben den drei Stokes-Damen sind das der brave Shawn, der Vater von Cheryls noch ungeborenem Kind, der nicht nur damit beschäftigt ist, sich in diese neue Rolle einzuleben, sondern auch alle Hände voll damit zu tun hat, seine eigensinnige Freundin davon abzuhalten, sich dem Rocker Snake an den Hals zu werfen. Sheba gabelt das alte Mütterchen Bertha, das aus einem Altersheim geflohen ist, an einem einarmigen Banditen auf, ihre Tochter Melba den Ex-Sheriff Jim Bob am Würfeltisch. Als die beiden nach nur einem Tag beschließen zu heiraten, ist das eigentlich nur der Vorwand dafür, eine Hochzeitskapelle auszurauben, aber es verdeutlicht natürlich dennoch, dass es hier weniger um das lustige Räuber-und-Gendarm-Spiel geht, als vielmehr darum, neue Familienhierarchien und -konstellationen durchzuprobieren. So ist es wahrscheinlich auch nicht verwunderlich, dass der Film selbst alles dafür tut, niemals stehenzubleiben: Statt Kohärenz und Kontinuität setzt es eine rasante Abfolge von mal mehr mal weniger trivialen Episoden, von denen man auch ruhig mal eine verpassen kann, ohne den Anschluss zu verlieren. Der ganze Film fliegt nur so an einem vorbei und auch, wenn das alles sehr ansehnlich und grundsympathisch ist, will er einfach nicht richtig hängenbleiben. Auch die dem Sujet geschuldete Tragik, die am Ende noch ins Spiel kommt, fügt sich in den gesteckten Rahmen nicht wirklich ein. Aber das scheint durchaus Methode zu haben: CRAZY MAMA und seine Protagonisten sind viel zu lebhaft und aufgedreht, als dass sie solch ein Dämpfer nachhaltig beeinflussen und die Trauer sich festsetzen könnten. Die Stokes sind allesamt Survivors, die bisher noch jeden Schicksalsschlag zu nehmen gewusst haben, die gelernt haben, dass das Leben gerade darin besteht, mit Schicksalsschlägen zu leben.

Diese Ausrichtung verleitet mich zu der These, dass CRAZY MAMA tatsächlich am sinnvollsten im Rahmen von Jonathan Demmes Gesamtwerk zu rezipieren ist: durchaus ungewöhnlich für die Phalanx von Filmen, die spätere Spitzenregisseure zu Beginn ihrer Karriere für Corman machen durften. Ich bin wahrlich kein Demme-Spezialist, aber ein Text anlässlich der Criterion-Veröffentlichung von seinem SOMETHING WILD, der besagt, dass [f]ew directors, however, have tackled social and personal shape-shifting as concretely or as intuitively as Jonathan Demme. Throughout his diverse yet unified oeuvre, characters are uncannily aware of what makes them tick, to the point that exposition is occasionally bypassed altogether.“, mag als Beleg für meine Behauptung dienen. Bleibt zu sagen, dass CRAZY MAMA ein schönes, nostalgisch angehauchtes Road Movie ist, das nicht vom Hocker reißt, aber dennoch origineller ist, als erwartet. Und der Soundtrack, auf dem sich ein Rock’n’Roll-Hit der Fifties an den nächsten reiht, schadet auch nicht.