Archiv für März, 2014

Zu ihrem Hochzeitstag versammeln Paul (Rob Moran) und Aubrey Davison (Barbara Crampton) ihre vier erwachsenen Kinder und deren Partner in ihrem riesigen Landhaus. Während die beiden ältesten Söhne Crispian (AJ Bowen) und Drake (Joe Swanberg) beim Abendessen sofort wieder in ihren alten Streit verfallen, fällt der Freund von Tochter Aimee (Amy Seimetz) einem von außen durchs Fenster geschossenen Pfeil zum Opfer. Unbekannte, mit Tiermasken verkleidete Gewaltverbrecher haben das Haus umstellt und es auf das Leben der Bewohner abgesehen. Für die beginnt ein erbitterter Kampf um Leben und Tod, den vor allem Crispians Freundin Erin (Sharni Vinson) mit äußerster Entschlossenheit kämpft …

In den vergangenen zehn Jahren etablierte sich innerhalb des Horrorfilmgenres der sogenannte „Terrorfilm“: Die Filme, die diesem Begriff subsummiert werden, zeichnen sich durch eine meist „realistische“ Handlung aus, also den Verzicht auf übersinnliche oder fantastische Elemente, und reduzieren diese auf ein relativ einfaches Drohszenario. Gewaltdarstellungen sind heftig und brutal, ohne im Stile des Funsplatters allzu breit ausgewalzt zu werden, der Tod ist stets etwas, das unvermittelt und mit unerbittlicher Härte ins Durchschnittsleben seiner Allerweltscharaktere eingreift. Die Motivation hinter den Gewalttaten entspringt entweder einem derangierten Innenleben – etwa dem Wahnsinn des Mörders – oder aber sie bleibt ganz verborgen: ein Einbruch des Irrationalen in eine durch Überschaubarkeit geprägte Welt. YOU’RE NEXT gehört einerseits sehr deutlich dem Terrorfilm an – inhaltlich erinnert er mit seiner Home-Invasion-Thematik an Filme wie ILS, THE STRANGERS oder auch an die erste Hälfte von HAUTE TENSION –, andererseits schlägt er von diesem wieder einen Pfad zurück zum traditioneller angelegten Erzählkino. Die „motivlos“ zuschlagenden Mörder entpuppen sich im Verlauf des Filmes als keinesfalls aus dem Nichts zuschlagende Killer, vielmehr sind sie nur der extremste Ausdruck eines innerhalb des Familienidylls schon lange schwelenden Disputs.

YOU’RE NEXT überzeugt zuerst mit dem langsamen und stetigen Anziehen der Spannungsschraube: Der Prolog deutet die drohende Gefahr an, die kleinen Streitereien der Davison-Brüder machen klar, dass die Killer keineswegs auf vereinten Widerstand stoßen werden, das folgende Belagerungsszenario wird durch die mit ganz unterschiedlichen Strategien zuschlagenden Eindringlinge auf die Spitze getrieben. Wenn dem Zuschauer dann das Motiv hinter den Taten enthüllt wird, verwandelt sich YOU’RE NEXT zum potenten Suspense-Thriller: Das Final Girl, das vom Komplott im Hintergrund nichts weiß, darf sich der Sympathien des Betrachters gewiss sein. So nähert sich Wingards Film seinem unabwendbaren Finale. Dieses bringt dann leider einen kleinen, vor allem unnötigen Stilbruch, weil es die konsequent aufgebaute Anspannung mit einem nicht zum gnadenlosen Rest des Films passenden Gag auflöst, der auf das kathartische Gelächter des Splatterpublikums setzt. Auch wenn es dem Film keinen nachhaltigen Schaden zufügen kann, so steht es doch im Kontrast zum finsteren Ton des Films, der bürgerlichen Familien und vor allem der heutigen Generation der Söhne kein allzu gutes Zeugnis ausstellt. YOU’RE NEXT überzeugt formal mit stimmungsvollen, dunklen Bildern und einem dräuenden Score. Ein effektiver Schocker, dem zum ganz großen Wurf die Vision fehlt, aber auch das Selbstbewusstsein, das nötig ist, dazu zu stehen, „nur“ einen heftigen Hieb in die Magengrube zu liefern.

Ray Breslin (Sylvester Stallone) verdient sein Geld damit, aus Gefängnissen auszubrechen: Er wird engagiert, um ihre Sicherheitslücken zu finden, auszunutzen und so zu ihrer Verbesserung beizutragen. Bisher ist er aus jedem Knast entkommen, doch seine neueste Aufgabe führt ihn an seine Grenzen: Nicht nur ist der Hochsicherheitsknast für politische Gefangene oder hoffnungslose Fälle, genannt „the tomb“, nach Breslins Buch konzipiert, man hat auch jede Verbindung zu seinen Leuten gekappt. Es gibt keine Chance, seinen Auftrag abzubrechen. Vort Ort macht Breslin Bekanntschaft mit Rottmayer (Arnold Schwarzenegger): Der sitzt ein, weil er den international gesuchten Finanzkriminellen Mannheim kennt, den der korrupte Gefängnisdirektor Hobbes (Jim Caviezel) in seine Gewalt bringen möchte. Breslin und Rottmayer erarbeiten gemeinsam einen Plan, zu entkommen. Doch eine Entdeckung lässt ihre Hoffnungen auf den Nullpunkt sinken …

Die erste echte Paarung der ehemaligen erbitterten Konkurrenten Stallone und Schwarzenegger (nach den beiden EXPENDABLESFilmen) ist naturgemäß nicht das ganz große Feuerwerk, das diese Paarung vor 20, 30 Jahren ohne Frage bedeutet hätte. Die beiden Herren sind in die Jahre gekommen und lassen sich auch gern entsprechend inszenieren: Stallone überzeugt mal wieder in seiner Paraderolle als wizened veteran, als Mann, der keine großen Reden schwingt, sondern lieber mit guter Beobachtungs- und Auffassungsgabe überzeugt und den nichts mehr wirklich umhauen kann. Schwarzenegger ist als Rottmayer demgegenüber etwas gesprächiger und humorvoller, doch hinter seinem offenherzigen Wesen verbirgt sich ein Mann mit dem ein oder anderen Geheimnis. ESCAPE PLAN ist streng genommen Holywood-Bullshit: Konzeptkino, das mit einer überkonstruierten Story voller Twists und Turns aufwartet, die sich für superclever hält, aber vor Plotholes, Logiklöchern und Glaubwürdigkeits-Überstrapazierungen nur so strotzt. Ich bin allerdings gern bereit, über so etwas hinwegzusehen, wenn das Gesamtpaket stimmt, und das ist hier ohne Frage der Fall. Gefängnis- und besonders Ausbruchsfilme finde ich eigentlich immer klasse, die Idee um den Ausbrecherkönig im Superknast ist interessant, die Chemie der beiden Superstars stimmt, die Besetzung ist erlesen – neben den Genannten agieren Vincent D’Onofrio und Curtis „50 Cent“ Jackson als Breslins Geschäftspartner, Vinnie Jones als sadistischer Gefängniswärter und Sam Neill als Gefängnisarzt – und dass die Production Values über jeden Zweifel erhaben sind, ist eh klar. Vor allem aber ist ESCAPE PLAN sauber erzählt, ohne blöde Anbiederungen an den Zeitgeist, ätzende Manierismen oder anderen Kram, der erwachsenen Menschen heute sonst so oft den letzten Nerv raubt. Ich würde sogar sagen, dass der Film angenehm understated ist, sich ganz auf die granitene Präsenz seiner beiden Zugpferde verlässt und so einen Hauch von Siebzigerjahre-Männerkino ins gegenwärtige Eventkino bringt. Kein Meisterwerk, aber nettes Entertainment also, deutlich besser als das, was einem sonst in diesem Segment serviert wird. Und wenn Schwarzenegger in einer Szene deutsch spricht, dann merkt man erst, wie sehr man sich daran gewöhnt hat, ihn auf Englisch radebrechen zu hören.

Ein vierköpfiges Forscherteam wartet auf seiner Wettertstation in den Alpen auf den Besuch der Umweltministerin Bodicek (Brigitte Kren). Kurz bevor sie eintrifft, entdecken der Ingenieur Janek (Gerhard Liebmann) und sein Kollege Falk (Peter Knaack) einen blutrot gefärbten Gletscher. In einer darunter liegenden Höhle wird Janeks Hund von einem Tier attackiert, das man für einen tollwütigen Fuchs hält. Als Janek jedoch wenig später Bekanntschaft mit einer riesenhaft angewachsenen Kellerassel macht, ist klar, dass etwas nicht stimmt. Im Gletscher scheint ein fremder Organismus zu wohnen, der zu grotesken Mutationen führt …

Ein schöner, wenn auch nicht sensationeller Genrebeitrag aus Österreich von dem Regisseur, der zuvor mit dem (von mir noch nicht gesehenen) Zombiefilm RAMMBOCK positiv in Erscheinung getreten war. Marvin Kren orientiert sich deutlich an John Carpenters Klassiker THE THING – nicht die schlechteste Entscheidung. Das imposante Alpensetting liefert die passende Kulisse für den Stoff um die bevorstehende Invasion der Erde durch gefährliche Mikroorganismen und den Kampf einer Gruppe isolierter Forscher als Vorhut der Menschheit. Erwartungsgemäß kann BLUTGLETSCHER mit der auch nach über 30 Jahren noch beeindruckenden Effektkunst von Rob Bottin nicht mithalten, aber man muss honorieren, dass man hier mit „handgemachten“ Monstern aufwartete und nicht mit CGI-Schöpfungen. Krens Film verdankt ihnen zum einen einen gewissen kruden Charme, der den glattgebügelten, sterilen Monstern aus dem Computer meist abgeht, und jene Materialität und Körperlichkeit, die man bei heutigen Horrorfilmen oft vermisst. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Charakteren: Hier gibt es keine schönen Teenies, die sich mit popkulturellen Referenzen beim Publikum anbiedern, sondern erwachsene Menschen mit Bart, Falten und Glatze. Auch schön, dass der Realitätsbezug nicht überstrapaziert wird: Eine kurze Schrifteinblendung zu Beginn, die die Verbindung zu Erderwärmung und Gletscherschmelze herstellt, reicht aus. Wichtigtuerei ist Kren fremd, das ist erfrischend.

Dass BLUTGLETSCHER überwiegend positive Reaktionen hervorgerufen hat, erklärt sich durchaus auch aus dem filmischen Umfeld, in dem er erscheint. Es handelt sich dabei keineswegs um einen bahnbrechenden oder gar revolutionären Film, sondern streng genommen um lediglich gute Genreware. Die ist aber so durchweg sympathisch, mit rar gewordenem Ernst, Sachverstand und Ehrlichkeit gefertigt, ohne Brimborium und marktschreierisches Getöse, dass BLUTGLETSCHER nicht nur aufgrund seiner Herkunft – deutschsprachiger Horror ist immer noch eine Ausnahmeerscheinung – eine kleine Ausnahmestellung zukommt. Hier und da habe ich venommen, dass sein „Schlussgag“ vielleicht etwas zu viel des Guten ist, aber mir hat er mit seiner Gänsehaut erzeugenden Geschmacklosigkeit ausgesprochen gut gefallen. Einfach ein schöner, im besten Sinne des Wortes altmodischer Film.

DER FÖRSTER VOM SILBERWALD ist mit geschätzten 28 Millionen Zuschauern möglicherweise der erfolgreichste deutschsprachige Film aller Zeiten und damit – noch vor SCHWARZWALDMÄDEL und GRÜN IST DIE HEIDE – auch der erfolgreichste Heimatfilm. Seine Berühmtheit geht so weit, dass sein Titel heute nahezu synonym für sein Genre verwendet wird und auch Menschen ein Begriff ist, die sich – aus naheliegenden Gründen – niemals einen Heimatfilm anschauen würden. Die Verbindung von imposanten Naturaufnahmen, Brauchtum und einer einfachen, schmonzettenhaften Liebesgeschichte gilt als prototypisch für den Heimatfilm der Fünfzigerjahre, und es verwundert angesichts der schieren Menge eingebundener Tierbilder kaum, dass DER FÖRSTER VOM SILBERWALD ursprünglich als Dokumentarfilm über Jäger in der Steiermark geplant war, erst nachträglich durch das Hinzufügen einer Liebesgeschichte zum Spielfilm wurde. Regisseur Alfons Stummer, der außer diesem Film noch die unvermeidliche Fortsetzung WO DIE ALTEN WÄLDER RAUSCHEN und dann zehn Jahre später DER SATAN MIT DEN ROTEN HAAREN drehte, inszeniert den FÖRSTER ohne Flair, ohne Gespür für Tempo oder Rhythmus und ohne jeden Witz als drögen Bilderreigen mit fragwürdiger Ideologie, dessen Bräsigkeit heute nur noch schwer zu ertragen ist.

Rudolf Lenz – Hauptdarsteller in Jürgen Enz‘ gefeiertem HERBSTROMANZE – spielt den braven Förster Hubert Gerold, der erfährt, dass die Verantwortlichen seines Dörfchens den Silberwald zum Abholzen freigegeben haben. Mit dem Hofrat Leonhard (Karl Ehmann) stoppt er das Unterfangen, um die örtlichen Wildbestände zu retten, die „der Schöpfer“ dem Ort „geschenkt“ habe. Als die fesche Liesl Leonhard (Anita Gutwell), eine Malerin, zu Besuch aus dem großen Wien kommt, beginnt eine Liebesgeschichte zwischen ihr und Hubert, der ihr die Schönheiten der Natur vorführt und sie in die Philosophie des Jägerwesens einweiht. Das Leben in der Stadt wird ihr mehr und mehr fremd, was ihrem Freund, dem Bildhauer Max (Erik Freiberg), verständlicherweise gar nicht gefällt. Er reist in die Steiermark, um Liesl zur Rede zu stellen und macht sich gleich der Wilderei schuldig. Hubert deckt den Künstler, um seine Beziehung zu Liesl nicht zu zerstören und geht der jungen Frau im Folgenden aus dem Weg. Natürlich kann später doch noch das Happy End zwischen den beiden gefeiert werden: Außerdem ist Hubert zum neuen Jäger des Ortes ernannt worden und während der Priester einen erlegten Hirsch weiht, schwenkt die Kamera gen Himmel. Ende.

Was sich in SCHWARZWALDMÄDEL andeutete und in GRÜN IST DIE HEIDE bereits explizit, aber weitestgehend unpolemisch thematisiert wurde, erhebt DER FÖRSTER VOM SILBERWALD zum propagandistischen Programm: In der Stadt verdirbt der Mensch, wird er entfremdet, ist er der Dekadenz anheim gegeben. Die moderne Kunst, die Liesl mit ihrem Freund in Wien schafft, ist dem beschränkten Leonhard freilich ein Dorn im Auge: „Du bist doch ein gesundes Mädchen!“, sagt er, ihren Lebensinhalt und die Ergebnisse ihres Schaffens ganz der Ideologie des vorangegangenen Regimes entsprechend als „krankhaft“ und „entartet“ charakterisierend. Das wird natürlich nie wirklich offen gesagt, aber es ist klar, was man von den „ausgeflippten“ jungen Leuten, die im Atelier von Max zu Jazzmusik tanzen, halten soll. Hubert hingegen sitzt bestenfalls in der Kirche an der Orgel und spielt bleischwere Kompositionen von Bach, wenn er nicht durch die  Wälder streift und sich an Gottes Schöpfung erfreut. Der echte Mann weiß wie man mit dem Schießgewehr umzugehen hat, jagt aber natürlich nur „mit Respekt“ vor der Natur. Die Jagd-Vorstellungen von Liesl verwirft er mit wissendem Lächeln, aber wenn der Film in der Treibjagd auf Gamsböcke kulminiert, die Kamera voll draufhält, wenn die Tiere in den Tod stürzen, der aufgrund seines fehlenden Jagdglückes von allen verlachte und nur als halber Mann betrachtete Bertl (Albert Rueprecht) schließlich die Wirtin Karin (Emi Mangold) in den Arm schließen darf, weil er sich endlich als echter Kerl bewiesen hat, fragt man sich, wo er denn plötzlich hin ist, der Respekt. Ein ganz und gar fürchterlicher Film, der alle Vorurteile, die man gegenüber dem Genre so hegt, bestätigt.

Nachdem seine Drogenfabrik in die Luft geflogen ist und er Brüder und Ehefrau verloren hat, rast Timmy Choi (Louis Koo) von den giftigen Dämpfen benebelt und schließlich bewusstlos mitten in ein Geschäft. Dem Drogencop Zhang (Honglei Sun) kommt er gerade recht, braucht er für seinen Schlag gegen die chinesischen Drogenkartelle doch einen Insider. Mit dem Versprechen, dass die eigentlich anstehende Todesstrafe ausgesetzt wird, erkauft er sich die Dienste Chois, der Zhang und seine Leute an den Drogenboss und seine Hintermänner heranführt …

Das asiatische Kino habe ich in den vergangenen Jahren mehr als stiefmütterlich behandelt, dabei hatte gerade die Entdeckung von Johnnie To und seiner Produktionsfirma Milkyway vor nunmehr auch schon fast wieder 15 Jahren einen echten Euphorieschub verursacht. Tos immenser Output macht es aber nicht leicht, immer am Ball zu bleiben, auch wenn man von seinen Filmen meist reich belohnt wird. Nun also DU ZHAN, oder DRUG WAR, wie er auf dem internationalen Markt heißt. Ich hatte viel Gutes über ihn gehört, richtig Lust bekommen, ihn zu sehen, und bin nicht enttäuscht worden. Im Gegenteil wirkt der Film noch nach, und ich habe das dringende Bedürfnis, ihn noch einmal zu sehen, um seine raffinierten Erzähl- und Inszenierungsstrategien wirklich ganz durchschauen und wertschätzen zu können. Typisch für Johnnie To, wirkt DRUG WAR auf den ersten Blick gar nicht besonders auffällig: Es ist kein Film, der seine Raffinesse groß ausstellt. Während man es aus Hollyood-Produktionen gewohnt ist, dass jeder noch so kleine Twist, jede narrative Überraschung auf formaler Ebene gedoppelt wird, damit man auch bloß nichts verpasst und immer mitbekommt, wie genial man diese oder jene Wendung zu finden hat, wird man bei To mit solchen Hinweisen geradezu unterversorgt. Es wird wenig erklärt, die Bedeutung vieler Einstellungen und Szenen erschließt sich oft erst im Nachhinein. Das führt dazu, dass DRUG WAR wunderbar schlank und durchtrainiert daherkommt, windschnittig wie der Prototyp eines neuen Sportwagens; es schafft außerdem die für diese Art von Filmen so wichtige Authentizität, wenn die Charaktere nicht ständig erklären, was sie da gerade tun, und verstärkt den Eindruck, es zum einen mit Profis, zum anderen mit einer nach präzisen Regeln funktionierenden Welt zu tun zu haben; und es steigert die Spannung und erfordert eine wache, konzentrierte Teilnahme. Es wird einem nichts geschenkt. Actionkino für denkende Menschen.
Dabei ist DRUG WAR streng genommen kein Actionfilm. Zwar kracht es mitunter heftig, aber es geht nicht um das Zelebrieren von Körperlichkeit und Bewegung. Die Oberfläche von Tos Film ist eher schmucklos, geprägt von dreckigen, undefinierten Settings in Nordchina und einer herbstlich-winterlichen Stimmung. Das Drogengeschäft ist nicht glamourös und over the top, wie man das seit SCARFACE gewohnt ist. Es gibt eine Szene in einem Nachtclub, sonst auffallend wenig Bilder des Reichtums und der Affluenz. Der Film räumt da recht erbarmungslos mit Fehlkonzeptionen auf. Gleich zu Beginn scannt die Kamera das abgerissene Innere des Autos zweier Drogenabhängiger, Timmy rast Schaum spuckend und mit Blasen werfenden Verbrennungsnarben durch die Straßen, während andernorts polizeilich verordnete Einläufe dafür sorgen, dass Drogenkuriere ihre Ladung ausscheißen. Man bekommt eine Ahnung, warum Zhang sein Ziel mit solch grimigem Fanatismus verfolgt. Trotzdem wird die Gegenseite, die teilweise wie ein Spiegelbild der Cops wirkt, nicht verteufelt. Für gesellschaftliche Hintergründe interessiert sich To überhaupt nicht, genauso wenig für das Privatleben seiner Charaktere. Sie haben ihre Seite gewählt und handeln entsprechend. Moral hat damit nichts zu tun. Im Zentrum des Interesses steht die Beziehung zwischen Zhang und Timmy und die Frage, ob ersterer letzterem wirklich trauen kann. To erzählt seine Geschichte ohne die gängigen Klischees, sodass man als Zuschauer genauso unsicher über die Beweggründe Timmys ist wie der Polizist. Ihre Beziehung wird anders aufgelöst, als ich das erwartet hätte. Seiner nüchternen, realistischen Haltung angemessen endet DRUG WAR mit einem lange nachhallenden Bild und überantwortet einem dem Nichts. Ich wusste danach erst einmal nicht genau, was ich denken sollte. Daran hat sich bis jetzt nicht viel geändert.

Bevor ich diesen Text geschrieben habe, bin ich auf David Bordwells Essay gestoßen. Es hat mir geholfen, offene Verständnislücken zu schließen und zu begreifen, wie Tos Film funktioniert. Wie eigentlich alle formalen Analysen Bordwells ist auch diese ungemein lesenswert, sollte aber vielleicht erst nach Sichtung von DRUG WAR genossen werden. Ich werde mich an dieser Stelle ausnahmsweise einmal kurz fassen und nicht näher auf Details der Handlung oder der Inszenierung eingehen. Je unvorbereiteter man an den Film herangeht, umso besser. Wer auf Polizei- und Crimefilme, ernstes, unprätentiöses aber intelligentes Männerkino steht, kommt an DRUG WAR definitiv nicht vorbei. Wahrscheinlich das Beste, was ich in diesem Bereich seit Jahren gesehen habe.

 

 

„Wenn du nicht willst, brauchst du mir auch nicht zu sagen, wer du bist. Das ist unwichtig.“

„Wer bist du?“ „Ein Mann. Nur ein Mann, nichts Besonderes.“

„Ich will, dass du mich anlügst. Dass du mir Märchen erzählst.“

„Ich will dich ohne Maske. Ich will dich, Arlette. So wie du bist.“

„Ich glaube, ihr Helmut hat alle Welt getäuscht. Sie, Ihre Freunde und uns.“

Drei Sätze aus José Bénazérafs ST. PAULI ZWISCHEN NACHT UND MORGEN – ein Film, der genauso enigmatisch ist, wie sein Titel suggeriert –, die nicht nur andeuten, worum es hier zwischen den Zeilen geht, sondern die auch dazu geeignet sind, das Seherlebnis des Zuschauers zu illustrieren, der sich in jenes Zwischenreich zwischen Nacht und Morgen hinab begibt. ST. PAULI ZWISCHEN NACHT UND MORGEN erzählt eine eigeentlich höchst einfache, beinahe archetypische Geschichte: Aus seiner schummerigen Stripbar auf dem Kiez organisiert der schweigsame Bernie (Rolf Eden) seine Drogengeschäfte. Der junge Scheizer Drogenfahnder Helmut (Helmut Förnbacher) will die Organisation aushebeln und begibt sich deshalb in Bernies Dunstkreis, wo er sich in die drogenabhängige Tänzerin Arlette (Eva Christian) verliebt. Als der Club überfallen wird, bietet sich Helmut die Gelegenheit, sich Bernies Freundschaft und den Eingang in dessen Bande zu erkaufen, eine Chance, die er mit kaltschnäuziger Entschlossenheit nutzt. Doch Bernie hat schon keine Lust mehr auf das Drogengeschäft: Er plant den Überfall auf einen Geldtransporter. Und Helmut mischt in vorderster Front mit, angezogen vom Leben als Gangster …

Leicht kann man sich diesen Stoff aus der Hand eines der zu dieser Zeit tätigen deutschen Exploitationregisseure vorstellen: Rolf Olsen, Jürgen Roland, Ernst Hofbauer oder Alfred Vohrer fertigten ähnliche Ware zur selben Zeit nahezu am Fließband mit beachtlichen Ergebnissen. José Bénazéraf hingegen begann seine Laufbahn 1963 mit Erotikfilmen; später sollte er dann ganz auf Pornografie umsatteln. Auch ST. PAULI ZWISCHEN NACHT UND MORGEN ist ein Erotikfilm: Nicht in dem Sinne, dass er Menschen beim ästhetisierten Liebesspiel beobachtete, sondern weil es in seinem Film um Sinnlichkeit und Verführung geht, um ein dunkles, nicht näher mit Worten beschreibbares Verlangen und um die unüberbrückbare Kluft, die Wort und Gefühl voneinander trennt. Zwangsläufig fällt es schwer, etwas über den Film zu schreiben, was ihm gerecht wird. Bénazéraf stürzt den Zuschauer in jenes rätselhafte Zwielicht, in dem nicht mehr ganz klar ist, was nun Traum und was Wirklichkeit ist. Man gleitet an den Bildern entlang, versuchen hier und da etwas festzuhalten, mitzunehmen aus dem somnambulen Fluss, um es sich später genauer anzusehen, aber alles löst sich auf, sobald man zugreift, wie die Erinnerung an einen Traum in den ersten Stunden des Tages. Träumerisch schreitet auch die Handlung voran: ST. PAULI ZWISCHEN NACHT UND MORGEN ist keineswegs surreal, eher zeichnet ihn eine große Nüchternheit im Blick auf die Dinge aus. Das Wissen, dass man nicht eingreifen kann in ihren Lauf. Es liegt eine Nebelwand zwischen dem Betrachter und den Aktionen der Figuren, die nicht als Handelnde, sondern als Gezogene erscheinen. Die Szenenfolge ist absolut logisch, aber es fehlt der Kitt, der sie zusammenhalten würde. Manchmal erwartet man, dass die Figuren sich fragen, wo sie gerade sind, so abrupt werden sie von einem ins andere Setting gesetzt, ohne jeden Bezug auf Raum oder Zeit. So, wie man manchmal nicht weiß wo man ist, wenn man im Dunkeln in einem fremden Zimmer aufwacht. Der Film ist dabei niemals beunruhigend oder unheimlich, vielmehr geht eine große Ruhe von ihm aus, er vermittelt das Gefühl von Geborgenheit. Als schwebte man im warmen Fruchtwasser, schwerelos und sicher. Der Fortgang der Ereignisse wird unwichtig, was zählt, ist das, was man fühlt. Es wächst der Wunsch, sich diesem Gefühl ganz zu überlassen. So wie Helmut das am Ende tut, wenn er alle Verbindungen in die Welt des Tages kappt, beschließt, für immer in diesem Zwielicht zu bleiben, zwischen Nacht und Morgen, wo alles möglich ist.

Wie ein griechischer Chor treten immer wieder drei Mädchen in Bernies Club auf. Es sind keine Stripperinnen und es wird auch nicht ganz klar, ob sie wirklich Angestellte des Clubs sind. Wie auf ein unsichtbares Kommando hin geben sie ihre Passivität auf, um gemeinsam, eher aber nebeneinander, unabhängig von einander, zu tanzen. Jede von ihnen hat ihren eigenen Stil, den sie auch von Lied zu Lied nicht verändern. Für die Dauer des Stückes gibt es nichts außer ihren Tanz, das Gefühl, mit der Musik in der Bewegung zu verschmelzen. Sie sagen den ganzen Film über nichts, sie haben keine Namen, sie stehen zu niemandem in irgendeiner Beziehung, ihr Blick trifft nie einen anderen. Und wenn die Musik zu Ende ist, dann nehmen sie wieder ihren ursprünglichen Platz ein, auf das nächste Signal wartend. Aber so lange die Musik spielt, sie ihre Bewegungen durchexerzieren, scheinen sie die glücklichsten Menschen auf der Welt zu sein. Bedingungslos, voraussetzungslos, einfach da.

 

Käpt’n Markus Jolly (Curd Jürgens) läuft mit seinem Schiff in Hamburg ein und kann es kaum erwarten, zu seiner Ehefrau zu kommen. „Seit vier Jahren verheiratet und nur fünf Monate zu Hause“, erklärt er seinem Bootsmann Oliver Kniehase (Heinz Reincke), und der Zuschauer ahnt schon, was bevorsteht. Tage vor dem eigentlich angekündigten Termin seiner Heimkehr eintreffend, findet er seine Frau mit einem anderen im Bett und packt enttäuscht schmollend seine Tasche. Hier hält ihn nichts mehr, schon gar nicht die um Verständnis bettelnde Gattin, die nach einem kleinen Schubser durchs Treppengeländer kracht und mehrere Stockwerke in die Tiefe und den Tod stürzt. Das Gericht spricht ihn schnell von jeder Schuld frei und so steht einer neuerlichen Schifffahrt nichts mehr im Wege. Doch in der Bananenrepublik, in die der Käpt’n – totschick im siffigen Unterhemd, mit Schnauzbart und speckigem Halstuch – Medikamente und Alkohol bringt, spielt ihm die örtliche, korrupte Polizei übel mit, will den Schnaps nicht bezahlen und ihn sich stattdessen selbst unter den Nagel reißen. Nicht mit Jolly, der den Fusel kurzerhand über Bord wirft oder ihn direkt in die Mäuler der gierig wartenden Bevölkerung kippt. Unterdessen wird Kniehase, der die Lieferung der Medikamente besorgen soll, unbemerkt ausgeraubt, am Ziel findet man nur noch leere Kisten vor und hält ihn und Jolly daraufhin für Betrüger. Nach einer Keilerei geht es ins Kittchen, wo die brave Dr. Karin Andersen (Johanna von Koczian) vom Deutschen Roten Kreuz die angematschte Birne von Kniehase verarztet. Wenig später wird sie mit fünf feschen Kolleginnen vom bösen Bandenhauptmann Rodrigo (Sieghardt Rupp) gefangen genommen, da ist Jolly und seinem Bootsmann aber schon längst die Flucht gelungen. Aber was nun? Mit ihrem Schiff können sie nicht weg, das wird überwacht. Bleibt nur Jollys alter Kumpel Nico (Herbert Fleischmann): Der hat eine schmierige Pinte im Städtchen, komplett mit einer rassigen schwarzen Bedienung („Die knackigsten Arschbacken von Buenos Aires bis Alaska!“, grölt Jolly enthemmt), wo die beiden Unterschlupf finden. Der Plan: Jolly soll sich einem reichen Geldsack als Stewart für seine Luxusjacht andienen, Kniehase in Obstkisten in die nächste Hafenstadt gebracht werden, wo sie dann auf ihr wartendes Schiff aufsteigen können. Gesagt, getan. Im Folgenden benimmt sich der ungehobelte Jolly bei den feinen Pinkels (u. a. Fritz Tillmann und Elisabeth Flickenschildt) wie die Axt im Walde, panscht hochprozentige Cocktails zusammen, die den Anwesenden die Schuhe ausziehen, serviert Hummer mit den Händen und fällt auch sonst mit ausgesucht schlechten Manieren auf. Als er einer jungen Frau todesmutig eine schwarze Tarantel vom Bauch klaubt und so den Tag rettet, erkennen die Bonzen jedoch, dass der Prolet ein gutes Herz hat, und tun dem Käpt’n den Gefallen, vor Anker zu gehen, um die Rotkreuz-Damen aus der Gewalt der Bösewichte zu befreien. Freund Nico entpuppt sich als eigentlicher Bandenchef, es macht krachbummpeng, die Mädels sind frei, die Schurken tot und Käpt’n Jolly kann mit seinem Schiff wieder in See stechen. Ende.

Rolf Olsens letzter St.-Pauli- und Curd-Jürgens-Film war bereits auf Video geschnitten und ist auch heute leider nur in einer wahrscheinlich um rund 15 Minuten gekürzten Fassung erhältlich, die dem Zuschauer unter anderem den Tod Nicos vorenthält. Glaubt man der OFDb, lief KÄPT’N RAUHBEIN AUS ST. PAULI angeblich einmal ungeschnitten – oder zumindest in einer längeren Version – auf Premiere, sodass noch eine Resthoffnung besteht, dass man ihn doch noch einmal in voller Pracht zu Gesicht bekommen wird. Für den Anfang ist die DVD aber vollkommen akzeptabel, zumindest, wenn man bereit ist, auf jeglichen Digitalglanz zu verzichten und mit einem besseren Videobild Vorlieb zu nehmen. Der Film ist es ohne Frage wert, ich habe mir 75 Minuten lang ins Fäustchen gelacht, ob des Seemannsgarns, das Olsen hier mit gewohntem Sinn für schwungvollen Schwachsinn auftischt, und Jürgens‘ wieder einmal ekstatischer Glanzleistung. Von Beginn an, wenn er angesichts des Anblicks seiner Frau mit einem anderen Mann eine Flunsch zieht wie ein enttäuschter kleiner Junge, er gegenüber den mittelamerikanischen Polizisten den dicken Larry markiert, in Nicos Bierschwemme im Vollsuff ein Ständchen hält, auf der Luxusjacht seine innere Wildsau kanalisiert oder natürlich überall, wo er hinkommt, Herzen bricht oder Ehrfurcht hervorruft, ist klar, dass er sich an Bord von Olsens Film pudelwohl gefühlt hat. Nicht nur in seiner Statur und der unübersehbaren Selbstüberzeugung, auch in der Art, wie er sich selbst inszeniert, wie alle Olsen-Filme daran stricken, ihren Hauptdarsteller als einen mit allen Abwassern gewaschenen Pfundskerl zu etablieren, erinnert Curd Jürgens mich an Steven Seagal. Auch bei dem fließen Film- und echte Persona untrennbar ineinander, ist der Körperumfang ähnlich respekteinflößend, gibt es immer wieder Nebenfiguren, die in ihren Dialogen betonen, was für ein toller Hecht er ist, fühlen sich vor allem jüngere Frauen zu ihm hingezogen, ist er mit seiner Weisheit in der Lage, auch den größten Unhold auf den rechten Pfad zu führen und Menschen der unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten auf seine Seite zu ziehen. Was Jürgens indes natürlich vom amerikanischen Kampfklops unterscheidet, ist der hedonistische Lebenswandel, dessen Folgen sich in KÄPT’N RAUHBEIN AUS ST. PAULI überdeutlich abzeichnen. Die wässrigen Augen quillen mitunter bedrohlich weit aus dem Schädel, die Plauze ist beachtlich angeschwollen, während die Arme auffallend untrainiert sind. Mancher schauspielerischer Wurf lässt vermuten, dass auch am Set ordentlich gelitert wurde und man spürt, wie wohl sich Jürgens vor allem in Nicos Kneipe zwischen den exotischen Weibern fühlt.

Aber Olsens Film geizt auch sonst nicht mit Schauwerten. Herausragend sicherlich der Auftritt der fettleibigen Killertarantel, die tricktechnisch ähnlich überzeugend realisiert wurde wie die gefräßigen Spinnen in Fulcis L’ALDILA. Träge vor sich hin wabbelnd, hockt sie auf dem Bauch einer vor Angst regungslosen Schönheit. Jürgens lässt sich von der Absurdität dieses Anblicks jedoch nicht beirren: Wie ein Panther schleicht er sich an, die Augen geweitet, jederzeit auf den Angriff des Spinnentieres gefasst und bereit, sich mit einem Hechtsprung aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu befördern. Todesmutig überzeugt er das Biest davon, auf seinen Arm zu klettern und trägt es dann gaaaaanz langsam und vorsichtig zur Reling, wo er sie den Fluten überantwortet. Suspense vom Feinsten, Hitchcock eat your heart out! Die finale Ballerei kann da nicht ganz mithalten, beinhaltet aber immerhin einen Satz des normannischen Kleiderschranks aus einem explodierenden Jeep sowie einen Säurewurf in Sieghardt Rupps Ganovenfresse. Am Ende kann Käpt’n Jolly gar nicht schnell genug den Anker lichten und lässt sogar die ihm hinterherrennenden Weiber zurück. Winkend und rufend stehen sie am Kai, frohlockend, dass sie die Bekanntschaft mit diesem Bär von einem Mann machen durften. Mir ging es da gestern kaum anders.

Eigentlich ist TRUE LIES, wie alles von Cameron, ein Film der Superlative: Der direkte Nachfolger des Gamechangers T2: JUDGMENT DAY markierte mit einem Budget von über 100 Millionen Dollar einen neuen Spitzenwert, der mit dem Vorgänger endgültig zum absoluten Superstar avancierte Schwarzenegger übernahm erneut die Hauptrolle, die visuellen Effekte, die Cameron zuvor in THE ABYSS und eben T2 erprobt und konsensfähig gemacht hatte, wurden weiter perfektioniert, sodass sie hier fast gar nicht mehr als solche erkennbar sind. Trotzdem fühlt sich TRUE LIES flüchtig an, nicht wie ein Projekt, in das der als akribischer Perfektionist und technischer Visionär berühmt-berüchtigte Regisseur mehrere Jahre harter Arbeit investiert hätte, sondern wie eins, mit dem er sich von seinem eigentlichen Kerngeschäft mal entspannen wollte. TRUE LIES fällt aus seinem Werk dann auch weit heraus: Es ist Camerons einziger offen komödiantischer Film, der einzige, der nicht in irgendeinem direkten Bezug zu unserer Realität zu stehen scheint, sondern fast ausschließlich in einem Kosmos aus filmischen Bezügen und Querverweisen existiert, und der erste, bei dem die Frau einzig im Blick des Mannes existiert, während er sie sonst als starke, autarke Persönlichkeiten inszenierte. Holte Cameron mit seinen Filmen stets ein Stück Zukunft in die Gegenwart, war sein Blick dabei immer fest auf den Horizont gerichtet, die direkte Umwelt nur noch ein periphär wahrgenommener Schemen, ist TRUE LIES in jeder Facette ein Produkt seiner Zeit. Das war meines Erachtens damals schon offenkundig und ist es heute noch mehr. Der Film bietet 135 Minuten rasante Kurzweil, es ist wirklich erstaunlich, wie schnell er vorbeifliegt, und in seinem Zentrum gibt es da diesen einen Aspekt, repräsentiert durch diese eine wirklich großartige Szene, der dazu geeignet ist, das Ganze vor der totalen Belanglosigkeit zu retten, aber trotzdem lässt es sich nicht verhehlen, dass TRUE LIES gemessen an den Erwartungen eine große Enttäuschung war und ist und außerdem überhaupt nicht gut gealtert. Er ist amüsant, nett anzusehen, ja. Aber das ist für einen Regisseur wie Cameron doch eigentlich zu wenig. Ich kann es nicht verhehlen, so richtig gemocht oder gar geliebt habe ich TRUE LIES nie.

Das Hauptproblem ist wahrscheinlich, dass TRUE LIES alles auf einmal sein will – Beziehungskomödie, Agentenfilm-Parodie, Actionkracher – und sich diese unterschiedlichen Bestrebungen ständig in die Quere kommen. Vor allem die komischen Elemente unterminieren alle erzählerischen Ambitionen des Films. Und der Plot um die arabischen Terroristen ist noch generischer als man es den Actionfilmen des vorangegangenen Jahrzehnts immer unterstellt. Die Rassismus-Vorwürfe, die sich Cameron angesichts seiner Zeichnung arabischer Fanatiker gefallen lassen musste, prallen eigentlich an dem Fakt ab, dass es überhaupt keine echten Charaktere im gesamten Film gibt, alle nur als Abziehfolien herumlaufen oder als Repräsentanten irgendwelcher strukturalistischen Einfälle fungieren. Wirklich interessant wird TRUE LIES, als er sich in der Mitte der Beziehung von Harry (Arnold Schwarzenegger) und Helen (Jamie Lee Curtis) zuwendet und deutlich macht, worum es ihm geht: eine dysfunktionale Liebesbeziehung, die Parallelisierung von Spionage und Liebe, die Gleichsetzung von Harrys Lügen mit jenen des Gigolos Simon (Bill Paxton), der sich an Helen heranmacht, Harrys Enttarnung als Chauvi und schließlich um eine Emanzipierung Helens. Doch das geht im umgebenden Krawall leider unter.

Harry spielt seiner Frau ein Leben als langweiliger Vertreter vor, während er in der Weltgeschichte herumreist und sich mit Terroristen anlegt. Ihre Wünsche und Bedürfnisse sind ihm nahezu fremd, das gemeinsame Leben ist reines Schauspiel wie seine bürgerliche Identität. Als Simon auftritt, ein Gebrauchtwagenhändler, der sich in Umkehrung von Harrys Rolle als Geheimagent ausgibt, weil er festgestellt hat, dass viele frustrierte verheiratete Frauen sich nach Abenteuer und Aufregung sehnen, wacht Harry aus der Lethargie seines Doppellebens auf und ersinnt einen grausamen Plan, indem er das Spiel Simons mitspielt. Er nutzt die ihm zur Verfügung stehenden Kapazitäten, um Simon beim Rendezvous mit Helen zu überfallen und die beiden gewaltsam festzunehmen, nicht erkennend, was ihn mit Simon verbindet. In einem Verhör fragt er seine Frau nun über ihre Ehe und ihre Beweggründe für den Seitensprung aus. Er befindet sich dabei auf der Rückseite einer für Helen undurchsichtigen Glasscheibe, auch seine Stimme ist verfremdet. Während sie weiterhin glaubt, von einer staatlichen Macht festgenommen worden zu sein und entsprechende Ängste durchleidet, agiert Harry seine Eifersucht aus, stellt seine Gattin zudem vor seinem Freund und Kollegen Albert (Tom Arnold) bloß, der dem Verhör ebenfalls beiwohnt und sich sogar zweimal in das doch sehr private Gespräch einschaltet. Die Szene sagt einiges über den männlichen Blick des Filmzuschauers und das ungleiche Machtverhältnis zwischen Mann und Frau aus, wirkt in einem ansonsten auch in seinen brutalsten Exzessen betont comichaften Film reichlich verstörend und verletzend. Harry verliert in dieser Szene seine Unschuld, entpuppt sich als egoistischer, eifer- und rachsüchtiger Macho, der seine Frau nur im Verhältnis zu sich selbst denken kann. Doch der Film scheint nicht recht zu realisieren. Um Helens Wunsch nach einem Abenteuer nachzukommen, lässt Harry sie bezeichnenderweise vor sich strippen: Erneut bleibt er dabei unerkannt, inszeniert seine Frau als sein Objekt. Als andere Seite der Medaille geht Helen aber eindeutig gestärkt aus dem Erlebnis hervor: Sie zerschlägt beim Verhör den Spiegel, sie ändert ihr Äußeres, um beim Strip bestehen zu können, und findet im Tanz schließlich zu sich. Später wird sie Harry beim Kampf gegen die Terroristen helfen und am Ende als seine Partnerin in den Geheimdienst aufgenommen werden. Trotzdem wirkt ihr emanzipatorisches Coming-out nicht glaubwürdig: Cameron stellt sie immer wieder als tolpatschig dar, als biederes Hausfräulein, das mit der Situation überfordert ist. Beim Striptease fällt sie hin, im Feuergefecht mit den Arabern hat sie Glück, als ihr die Maschinenpistole aus der Hand gleitet und die Bösewichte im Folgenden „von allein“ erschießt. Als sie mit der Kollaborateurin Juno Skinner (Tia Carrere) auf einen Abgrund zurast, wird sie in letzter Sekunde vom starken Arm Harrys gerettet, und als es darum geht, die gemeinsame Tochter aus der Hand des schurkischen Salim Abu Aziz (Art Malik) zu befreien, übernimmt dies ganz selbstverständlich der Vater, während sie hoffend zurückbleibt, wieder in die Rolle der sich Sorgen machenden Mutter zurückfallend.

Ich habe es zuletzt einigen Filmen positiv angerechnet, dass sie nicht aus einem Guss sind. Uneinheitlichkeiten, Disparitäten und Widersprüche machen manchen Film erst zu dem, was er ist. Aber dazu müssen diese unvereinbaren Gegensätze in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. In TRUE LIES gibt es diese Spannung nicht, stehen die Elemente bloß nebeneinander, ohne sich sinnvoll zu befruchten. Diese Szene um die gedemütigte Frau, die vor dem Spiegel ihr Herz öffnet, hätte einen so viel besseren Film als diese weitestgehend unwitzige James-Bond-Parodie verdient, in die sie eingebettet ist wie ein Kuckucksei.

 

 

Ich weiß gar nicht genau, welchen Ruf PREDATOR 2 – ein Höhepunkt meiner minderjährigen Videothekenzeit – so unter Genrefilmfreunden genießt. Auf der IMDb hat er ein unauffälliges Durchschnittsrating, er scheint mir heute im Gegensatz zum Original fast ein bisschen in Vergessenheit geraten, wird selten fieberhaft diskutiert, wie das bei anderen populären Genrefilmen der Fall ist, und noch nie habe ich gar vernommen, dass ihn jemand besser fände als das Original, was seltsam ist, wenn man bedenkt, was im Internet sonst für absurdes Zeug behauptet wird, um Aufmerksamkeit zu erregen. Obwohl PREDATOR 2, nach dem Riesenerfolg des ersten Films mit großen Erwartungen gestartet, von der Kritik weitestgehend verrissen wurde, war er an den Kinokassen durchaus erfolgreich, spielte bei einem Budget von 35 Millionen Dollar weltweit ca. 60 Millionen Dollar ein. Trotzdem betrachtete man dieses Ergebnis als Enttäuschung, was dazu führte, dass sein Titelheld danach vorerst nur in den beiden Verfilmungen eines Spin-off-Comic-Crossovers in Erscheinung trat, ein dritter Teil ganze 20 Jahre auf sich warten ließ. Meine Ratlosigkeit gegenüber dieser – zumindest von mir so wahrgenommenen – Gleichgültigkeit wird nach meiner ersten Sichtung seit vielen Jahren nur noch größer: Denn auch wenn Hopkins‘ Film an seinen Vorgänger nicht herankommt (welcher Film tut das schon?), handelt es sich doch um ein ausgesprochen originelles, fesselndes und zupackendes Stück großen Actionkinos, gespickt mit grandiosen Einfällen, einprägsamen Performances und Momenten, die mir nach x Sichtungen ganz unbemerkt in Fleisch und Blut übergegangen sind. An der Schwelle zwischen zwei Jahrzehnten entstanden, kurz bevor James Cameron mit T2: JUDGMENT DAY die Spielregeln für großbudgetiertes Actionkino ein für allemal verändern sollte, steht er inszenatorisch noch in der Tradition des vorangegangenen Jahrzehnts und bringt daher ein Höchstmaß an physischer Kraft und Kinetik mit sich. PREDATOR 2 ist beileibe kein perfekter Film oder gar ein Meisterwerk, aber er gehört zu jenen seltenen Glücksfällen, die von ihren kleinen Schwächen noch profitieren.

PREDATOR 2 nutzt als Aufhänger einen kleinen, eher unauffälligen Dialogsatz aus dem Vorgänger, der erklärte, dass sich der außerirdische Jäger mit Vorliebe besonders heiße Orte aussuche. Suggeriert der Auftakt mit dem Geschrei von Urwaldtieren, exotischen Trommelrhythmen und dem Blick auf dichte regenwaldartige Vegetation eine Rückkehr an den Schauplatz des Vorgängers, entpuppt ein Schwenk der Kamera nach oben diesen Glauben als Irrtum: am Horizont ragen die Wolkenkratzer von Los Angeles in den dunstigen Smoghimmel, der harte Schnitt hin zur bereits bekannten temperatursensitiven Subjektive des Predators macht klar, dass er sich nun den sprichwörtlichen Großstadtdschungel eines unter einer Hitzewelle schwitzenden LA als Jagdgebiet ausgesucht hat. Nach dem nächsten Schnitt sind wir mitten im urbanen Straßenkrieg, einer erbitterten bewaffneten Auseinandersetzung zwischen kolumbianischen Drogendealern und der Polizei. Vom Kokain berauschte Schwerverbrecher, denen der Wahnsinn aus den vom Koks geweiteten Augen springt, ballern mit Maschinengewehren auf die Polizei, die sich unter den Kugeln wegduckenden Fernsehreporter bellen etwas von „War Zone“ und „Martial Law“ in ihre Mikrofone, Explosionen peitschen gen Himmel und die Toten fallen auf beiden Seiten wie die Fliegen, bevor Lieutenant Harrigan (Danny Glover) mit einem waghalsigen Manöver zumindest vorübergehend für Entlastung sorgt. Die Schurken fliehen in ein Hochhaus, wo sie nur Sekunden später von einer unsichtbaren Gestalt aus dem Weg geräumt werden. Das LAPD findet nur noch das Ergebnis eines Blutbads vor sowie einen Überlebenden, der voller Angst ins Nichts starrt, bevor auch er den Weg alles Irdischen geht.

Der Auftakt platziert PREDATOR 2 in einer zwar Actionfilm-typisch überformten, aber dennoch als solcher erkennbaren Realität. Der „War on Drugs“ war 1990 genauso ein Riesenthema wie kolumbianische Drogenkartelle (Pablo Escobar wurde erst drei Jahre später ermordet), Los Angeles war zwar nicht die murder capital der USA, aber in der Außenwahrnehmung dennoch Brutstätte des Verbrechens und der Banden: ein Ruf, den die LA Riots 1992 bestätigten. Und auch wenn PREDATOR 2 aus seiner Idee, die Titelfigur als unsichtbaren Dritten in einem Drogenbanden-Krieg mitmischen zu lassen, nicht das Optimum herausholt, ihm der Wille zum Epos, den der Stoff durchaus gut vertragen hätte, abgeht, er sich damit zufriedengibt, von der ersten Sekunde an ohne größere Verschnaufpausen und in stetiger Beschleunigung auf sein Finale zuzusteuern, so reichen die vielen guten, zudem gut umgesetzten Ideen aus, um ihn die Konkurrenz überragen zu lassen. Getragen wird PREDATOR 2 von einer mit Händen greifbaren Atmosphäre der Überhitzung und der wachsenden Angst, die auch die Kürzungen, die der Film noch vor dem Start über sich ergehen lassen musste, nicht zerstören können. Der bodenständige, verwundbare Danny Glover, eigentlich nicht der prädestinierte Actionheld, wird hier zum Vorteil und markiert auch den wesentlichen Unterschied zwischen McTiernans Vorgänger und Hopkins‘ Fortsetzung. Wo PREDATOR auf den archaischen Grundkonflikt reduziert war, fast schon Metakino, ist PREDATOR 2 handlungslastiger, klassischer, weniger abstrakt. Und er weiß die sich dadurch bietenden Möglichkeiten zu nutzen. Wunderbar die in wenigen skizzierte Wandlung von Paxtons Jerry vom selbstverliebten Heißsporn hin zum opferbereiten Teamplayer. Ich bin immer wieder über den lebendigen Eindruck erstaunt, den Paxton gemessen an dem wenigen Raum, der ihm zur Verfügung steht, hinterlässt. Seine Todesszene und die Actionsequenz, an die sie anschließt, zählen für mich zu den großen Momenten des Neunziger-Actionkinos: „Want some candy?“ Ein kleines, eigentlich albernes Gimmick wird hier mit maximalem Effekt genutzt. (Die Soundeffekte des Films sollten genauso wenig unterschätzt werden wie Alan Silvestris Score.) Gleiches gilt für den Blick des Predators auf den Bauch von Leona (Maria Conchita Alonso), der ein Geheimnis preisgibt und den Jäger als moralisches Wesen erkennen lässt, oder Diesen Moment, in dem Glovers Harrigan nach einem Telefonat aufblickt, sich im Schaufenster eines Tierpräparators spiegelt und plötzlich zu wissen scheint, was los ist: Es sind dies perfekte Beispiele für die Art, wie bildgewaltig Hopkins arbeitet, wie er jedes einzelne Bild mit Suggestion auflädt.

Gary Busey ist als dubioser FBI-Mann Peter Keyes fantastisch und würde gemeinsam mit seinem Partner Garber (Adam Baldwin) glatt einen eigenen Film rechtfertigen (die Rolle des Keyes war ursprünglich Schwarzeneggers Dutch zugedacht und wurde nach dessen Absage umgeschrieben). Beide beginnen als typische Federal-Arschlochtypen, die den ehrlichen Cops dazwischenpfuschen, gewinnen dann zum Ende aber an Profil und Tiefe, ohne ihr Geheimnis jedoch ganz preiszugeben. Bei dieser Sichtung hatte ich zudem das Gefühl, dass sie möglicherweise ein Verhältnis miteinander haben könnten: Wie der durchtrainierte Garber seinem akkurat frisierten Boss nicht von der Seite weicht, mutet schon sehr schwul an und ihr militaristischer Hitlerjugend-Schneid trägt nicht gerade dazu bei, den keimenden Verdacht zu zerstreuen. Dann ist da das Finale, das mancher vielleicht als letdown empfindet: Aber es ist eine sehr weise Entscheidung, den Film nicht im Kampf Harrigans gegen den außerirdischen Besucher enden zu lassen. Ein Triumph Harrigans wäre schlicht nicht glaubwürdig gewesen, sein Tod wahrscheinlich noch unbefriedigender als der Verzicht auf beides, das Vertagen einer Entscheidung, das die Geste des Predators bedeutet. Es ist ein schönes Ende, das nur daran krankt, dass der dritte Teil, der den Staffelstab aufnimmt und weiterträgt, nie entstanden ist. So bleibt mir nur noch eins zu sagen: Ich liebe PREDATOR 2. Und ihr solltet es auch tun.

Mit dem Verlust des bisherigen emotionalen Zentrums der Malocher-Saga geht auch der Fokus verloren, der den zweiten Teil bei aller Episodenhaftigkeit auszeichnete. Schon während der Titlesequenz vermisst man den Namen Michel Jacot, sein Protagonist Heiner Lenz fehlt im Folgenden dann an allen Ecken und Enden. In der Begründung für sein Fehlen bestätigt Marischkas dritter Film die Zweifel, die ich an der Nachhaltigkeit des Happy Ends des Vorgängers geäußert hatte: Heiner Lenz ist bei einem Betriebsunfall ums Leben gekommen, noch bevor er seine Ex-Frau Gisela (Anne Graf) erneut ehelichen konnte. Die „Sucht“ nach dem Pütt und die mit ihr verbundene Unfähigkeit zum Ausstieg aus einem krankmachenden Leben, die Marischka in DAS BULLENKLOSTER thematisiert hatte, ist Lenz teuer zu stehen gekommen. Fast wie aus Trotz schlägt MALOCHE, BIER & BETT nun aber fast ausschließlich heitere Töne an, beginnt mit der Verlobungsfeier von Lucky (Rinaldo Talamonti) und seiner deutschen Freundin Erika (Ulrike Butz) – eine kleine ruhrpöttlerische THE GODFATHER-Reminiszenz? – und läuft dann, gesäumt von anlässlich Kutters (Johannes Buzalski) Altnazitum eingeflochtenen Landserepisoden aus dem Zweiten Weltkrieg, auf eine klimaktische Doppelhochzeit hinaus: Nicht nur soll Lucky seine Erika heiraten, es sieht alles danach aus, als ob die verwitwete Gisela den Bund der Ehe mit Heiners altem Freund Jupp Kaltofen (Hans-Henning Claer) einginge. Und die Aussicht auf diese nicht zuletzt von Lucky beförderte Eheschließung ist es dann auch, die MALOCHE, BIER & BETT zum reinen, schockierenden Sozialhorror werden lässt.

Jupp ist so etwas wie der krasse Gegenentwurf zu Heiner und außerdem noch einmal gut zwei Jahrzehnte älter. War Heiner zwar schlussendlich nicht in er Lage gewesen, etwas an seinem Leben zu verändern, so verfügte er immerhin über so viel Selbstreflexion, um zu erkennen, dass er unzufrieden war, das Leben nicht so ganz das hergab, was er sich davon immer erhofft hatte. Jupp ist von solcher Einsicht weit entfernt: In schöner Regelmäßigkeit säuft er sich zu bis zur Bewusstlosigkeit, prahlt mit Weibergeschichten, die es nicht gibt oder die weit in der Vergangenheit liegen, und spult eigentlich nur noch ein Programm ab, dessen Ende für den Zuschauer, aber seltsamerweise nicht für die Figuren des Films, abzusehen ist. Dass die Verbindung von Jupp und Gisela von den Beteiligten als erstrebenswert und vor allem gut für den sechsjährigen Sohn Thomas bezeichnet wird, zeigt den Grad an Blindheit, mit der sie alle geschlagen sind. Allen fehlt der Überblick, die Perspektive, um über den Moment hinauszusehen: Sie alle schauen nur auf ihre Füße, bestrebt das Hamsterrad am Laufen zu halten, wissend, dass sie auf die Schnauze fallen, sobald sie stehenbleiben. Und so nimmt das Unheil seinen Lauf, wird die schicksalhafte Hochzeit erst in letzter Sekunde durch das Offensichtliche vereitelt: Jupp liegt wieder einmal besoffen im Bett, hat seine eigene Hochzeit vergessen und sorgt bei der Zeremonie im Standesamt, zu der er von seinen Freunden dann doch noch hingekarrt wird wie eine Leiche, für einen Eklat als er beim Ja-Wort sternhagelvoll zusammenbricht. Gut möglich, dass diese Szene und mit ihr der gesamte Handlungsstrang um Jupp und Gisela von den Machern als komisch empfunden wurde. Ich fand ihn bei der Sichtung gestern einfach nur schrecklich und deprimierend: Dass es Menschen gibt, die einfach nicht in der Lage sind, schlechte, ja katastrophische Entscheidungen als solche zu erkennen, die immer wieder dieselben Fehler machen, unfähig, das Steuer noch einmal herumzureißen, ihrem Leben eine sinnvolle Wendung zu geben. MALOCHE, BIER & BETT ist voll mit solchen Menschen. Und der heitere, muntere Ton des Films, der das größte soziale Elend noch zum Jux verzeichnet, Resignation nur als Anlass begreift, den eigenen Untergang noch stärker zu befördern, die größten Mängel seiner Figuren als liebenswerte Marotten darstellt, scheint haargenau ihrem Selbstbild zu entsprechen.

So ergibt sich auf Dauer betrachtet eine immense Diskrepanz zwischen dem Bild, das der Film vermittelt, und dem, das sich der Zuschauer selbst davon macht. Und genau das macht MALOCHE, BIER & BETT dann auch so spannend. Marischka trifft die prekäre Malocher-Mentalität wahrscheinlich besser, als ein sich in Siff und Dreck suhlendes Sozialdrama, das die Kumpel als Opfer der Umstände und als Leidende zeichnete. Nein, nein, seit Heiner weg ist, gibt es keine Klagen mehr. Dass seine Protagonisten immer noch im maroden Bullenkloster herumhängen, das im Vorgänger noch ein Ort des Schreckens war, Zeichen dafür, ganz unten angekommen zu sein, findet nicht einmal mehr Erwähnung. Welcome to the bitter end.