Archiv für Februar, 2016

dienacktegraefin4Als die eben der Minderjährigkeit entwachsene, aber den ganzen Film über als ebenso orientierungs- wie zügellos gezeichnete junge Gattin des perversen Graf Anatol (Wolfgang Lukschy), die titelgebende „nackte Gräfin“ Verena (Ursula Blauth), am Ende endlich mit einem gleichberechtigten und gleichaltrigen Partner im Bett gelandet ist, einem, der sie nicht für irgendwelche manipulativen Sexspielchen benutzt, dem braven Kfz-Mechaniker Toni (Gunther Möhner), greift der nach einem Metalldöschen neben dem Bett. „Nicht,“, sagt die Schöne mit plötzlich ganz ernstem, besorgtem Tonfall, um bedeutungsschwer anzufügen: „Das ist Hasch.“ Er, ganz entspannt im Hier und Jetzt, den süßen Geschmack von Sex inklusive Ehebruch und also „Sünde“ genießend, antwortet nur etwas gleichgültig: „Na und? Ist doch OK.“, woraufhin sie, berührt von einer neuen Ernsthaftigkeit, wie sie eindeutiges Symptom der wahren Liebe sein muss, entgegnet: „Ich will das nicht.“ Der Kontrast zwischen dem Wörtchen „Hasch“, das so klingt, als sei in ihm alles Übel der Welt geronnen, von dem man weit, weit Abstand halten sollte, und seiner inhärenten Verlockung, das Wechselspiel von push and pull also, ist charakteristisch für den „aufklärerischen“ Sexfilm, wie er im Zuge des SCHULMÄDCHEN-REPORT populär wurde, und somit auch für Kurt Nachmann DIE NACKTE GRÄFIN, der sich aber stilistisch vom Gros des Genres deutlich unterscheidet.

Der Film beginnt mit dem Bild eines unterhalb einer Marienfigur am Abhang einer Böschung liegenden Sportwagens, an dessen Steuer ein Toter liegt, eben jener Kfz-Mechaniker Toni, den nicht die eigenen Fahrkünste, sondern eine Kugel aus dem Leben gerissen hat. Kommissar Gabriel (Kurt Nachmann), der die Ermittlungen leitet, landet schnell auf dem Anwesen des Grafen, dem der Sportwagen gehörte: In den psychedelisch eingerichteten Räumen seines Hauses, deren Zentrum ein Triptychon von Hieronymus Bosch bildet – Nachtigall, ick hör dir trapsen -, findet gerade ein Get-together lauter verkommener Bonzen statt, das ganz gewiss einer entfesselten Orgie vorausgeht. In der eifersüchtigen Hausdienerin und dem angewiderten Butler findet der Kriminalbeamte zwei redselige Zeugen, die ihm die einzelnen Episödchen, aus denen der Film montiert ist, diktieren. Da ehelicht der Graf nach dem Tod seiner ersten Frau ein einfaches Bauernmädchen, von dem der ganze Ort weiß, dass sie „gut zu bumsen“ ist, macht er sich im Folgenden einen Spaß daraus, sie seinem erweiterten Freundeskreis anzudienen – gegen Bezahlung natürlich – und sie in zahlreiche seltsame Spielchen zu verwickeln, an denen er stumm mit Fotoapparat und Filmkamera teilnimmt. Einmal zieht er eine Glasscheibe im Schlafzimmer ein, lässt sie auf der einen Seite ein nacktes Tänzchen aufführen, während die Handwerker auf der anderen mit ans Glas gedrücktem Gemächt um ihre Gunst buhlen, ein andermal müssen sich drei arme Trottel (unter ihnen Michel Jacot) durch einen Raum voller Luftballons kämpfen, um als erste zu ihr zu gelangen.

In Szene gesetzt ist das unter großzügiger Zuhilfenahme von Weitwinkelobjektiv und mit zahlreichen Montagesequenzen aus collagenartig zusammengesetzten, oft ans surreale grenzenden Bildern, die in aufdringlichem Symbolismus Gedanken und vergangene Ereignisse repräsentieren oder auch einfach nur mitteilen, wie man das Gezeigte gefälligst einzuordnen hat. Heute (bzw. bis vor ca. zehn Jahren) würde man wohl von Videoclipstil sprechen, damals war das stilistische Vorbild wahrscheinlich eher in den sich im Umfeld von linker Studentenbewegung und Hippiekultur entwickelnden Kunstrichtungen zu suchen, die – ich versteige mich mit Blick auf des Regisseurs sonstiges Schaffen zwischen Heimatfilm und Schlagerkomödie zu dieser Aussage – Nachmann wahrscheinlich eher nicht verstand. Der von ihm verkörperte Gabriel versteht auch nicht viel, was ihn aber nicht daran hindert, am Ende trotzdem ein sehr eindeutiges Urteil über die Sexsüchtigen um den Grafen Anatol zu fällen. „Sie bestrafen sich selbst“, ist alles, was der wie sieben Tage Regenwetter dreinguckende Lustfeind zu sagen weiß.

Na gut, Anatol und seine ekelhafte Bonzenschar – ihre Party wird von einem klagenden Schlager über die sieben Todsünden untermalt – sind tatsächlich nicht satisfaktionsfähig. Lukschy gibt sich alle Mühe, den alternden Grafen als mephistophelischen Versucher zu zeichnen, der die arme, beeinflussbare Verena ins Unglück geführt hat, aber es ist ja nicht die chauvinistische Unterwerfung der Frau, die ins Fadenkreuz der Kritik gerät, sondern die Freude an Sex und Ausschweifung generell. Das urtümliche eichenholzige Wirtshaus, wo zu Beginn der tote Toni aufgebahrt liegt, wird in deutlichem Kontrast zur New-Age-Abscheulichkeit von Anatols Lustschloss inszeniert: Es ist der Ort, an dem sich Nachmann/Gabriel sichtlich wohlfühlen, ein Ort voller ehrlicher Einfach- und Bescheidenheit, ein Ort, an dem nicht der Schein das Sein überlagert, ein Ort, wo alte Werte und Überzeugungen gehegt und gepflegt werden, man sich sicher sein kann, sein Bier nicht mit einem Hasch rauchenden Sex- und Geldprotz trinken zu müssen, dessen schädlicher Einfluss einen womöglich mit in den Höllenschlund zerrt. Aber diese Spießigkeit ist natürlich voll im Rahmen des deutschen Sexfilms jener Zeit und mithin kein Argument gegen DIE NACKTE GRÄFIN. Im Gegenteil: In seinem Stilwillen ist er schon ziemlich bemerkenswert. Und darüber hinaus toll anzuschauen.

coutgorEin Fotomodell, das sich jeden Abend mit zerrissenen Kleidern in die Polizeistation flüchtet, um eine Vergewaltigung zu melden, aber von den zuständigen Beamten nur noch ausgelacht wird. Eine „Agentur“, die ihre beiden Models in höchst fragwürdige Shootings – etwa nachts auf dem Friedhof – verwickelt. Obszöne Anrufe, eine Reihe blutiger Morde, ein offensichtlich psychopathischer Killer, ein klobiges Mietshaus, das von einem Swimmingpool-artigen Teich umgeben ist, ein stets am Rande des Nervenzusammenbruchs agierender Ex-Freund. Das sind die Zutaten von Claude Mulots noch nicht einmal 80 Minuten langem Thriller, den vom typisch italienischen Giallo einzig die typisch französische Unterkühltheit unterscheidet.

Schwelgt die Thriller-Spielart vom Stiefel in Pop-Art-Exzessen, verzeichnet sie die sexuellen Neurosen ihrer Protagonisten zu escheresken Kathedralen des Kink, genießt sie es, den Zuschauer in den mit großer Spielfreude und viel Humor konstruierten Handlungslabyrinthen hoffnungslos stranden zu lassen, erinnert sie mithin an den Blick durch ein buntes Kaleidoskop, hat LE COUTEAU SOUS LA GORGE (zu Deutsch: Das Messer an der Kehle) mit seinen trostlosen Bildern urbaner Dunkelheit, fleischlicher Niedertracht, seelischer Hoffnungslosigkeit und hämmernder Brutalität eher Ähnlichkeit mit der opaken Oberfläche schwarzen Glases. Am deutlichsten wird der Unterschied, wenn man dem Soundtrack lauscht, das stählerne Pochen und pulsierende Wabern von Alain Guélis‘ quasi-industriellem Score den heißlaufenden Beat-Eskapaden seiner südeuropäischen Kollegen gegenüberstellt. Die Angst der Mythomanin Catherine (Florence Guérin) hat hier nichts Ornamentales, die Abgezocktheit der Agentin Valérie (Brigitte Lahaie) und ihres stets besoffenen, klumpfüßigen Fotografen J.B. (Jean-Pierre Maurin) nichts Belustigendes, die Morde wirken nicht wie Übungen in Performance-Kunst: Nein, Claude Mulot hat durchaus Thrill und Terror im Sinn. Stilistisch ist er auf dem richtigen Weg, aber für echte Durchschlagskraft ist seine Mordmär dann leider doch etwas zu flüchtig und schematisch. Trotzdem eine durchaus sehenswerte Kuriosität.

Mulot, Regiseur und Drehbuchautor war überwiegend im Pornofilm unterwegs, oft unter dem Namen „Frédéric Lansac“, versuchte sich aber auch an Horrorfilmen (LA ROSE ÈCORCHÈE, zu Deutsch: DAS BLUTIGE SCHLOSS DER LEBENDEN LEICHEN), Komödien (C’EST JEUNE ET CA SAIT TOUT!, zu Deutsch: DIE JUGEND WEISS EBEN ALLES), Krimis (LE SAIGNÉE) oder Dramen (BLACK VENUS). LE COUTEAU SOUS LA GORGE war sein letzter Film. Ein Jahr später ertrank er im Alter von nur 44 Jahren in St. Tropez, wo Max Pécas sein Drehbuch zu ON SE CALME ET ON BOIT FRAIS À SAINT-TROPEZ verfilmte.

l_executriceDas nebenstehende Poster ist pure Verheißung: Die zauberhafte Brigitte Lahaie als weiblicher Belmondo, mit gezückter Waffe und nacktem Oberkörper unter geöffnetem Lederblouson, über und unter ihr Fotos vom neonbeleuchteten Pariser Nachtleben, für das sie sich mit Make-up, Kette und platinblonder Salonfrisur fertig gemacht hat. Der martialisch-militärisch wirkende Titel-Font mit den integrierten Fadenkreuzen bildet einen reizvollen Kontrast zum pornösen Gesamtlayout mit dem im Magazinstil zuoberst platzierten Namen der Darstellerin, einem weißen Rahmen und dem Namen des Regisseurs in der Verlängerung des Pistolenlaufs. Eine kurze Recherche bestätigt den sich audrängenden Verdacht: Michel Caputo war seit Mitte der Siebzigerjahre in der Pornobranche tätig, vor allem unter den Namen „Michel Baudricourt“ und „Michel Anthony“, inszenierte mitunter bis zu 13 Filme pro Jahr und begann seine spärlichen Ausflüge ins Unterhaltungskino erst in den frühen Achtzigern: Auf sein Konto geht neben L’EXÉCUTRIZE auch die Militärklamotte LES PLANQUÉS DU RÉGIMENT (deutscher Titel: DIE PFLAUMEN VON DER SIEBTEN KOMPANIE). Nur ein Jahr nach dem Polizeifilm mit der schönen Brigitte war dann seltsamerweise Schluss mit der Regiekarriere, zumindest, wenn man der IMDb vertraut.

Der ganz große Knaller ist meine Entdeckung leider nicht geworden, aber französischer Eighties-Sleaze mit Brigitte Lahaie kann natürlich auch nicht ganz schlecht sein. Die kühle Blonde spielt die Kriminalbeamtin Martine, die dem Pornoring der strengen Madame Wenders (Dominique Erlanger) auf die Schliche kommt. Als sie die Dame wegen eines geringfügigen Vergehens kurzzeitig aus dem Verkehr zieht, sinnt diese auf Rache und entführt Martines jüngere Schwester Joelle (Dominique LeMonnier). Mit dem ausgebrannten Cop Valmont (Pierre Oudrey) begibt sich Martine auf die Jagd, in der Hoffnung, Joelle retten zu können. – Mit diesen billig gefertigten, meist schäbig und schmuddelig anmutenden Actionfilmen, wie es sie leider seit gut 30 Jahren nicht mehr gibt, ist das so eine Sache: Auf der einen Seite muten sie durch fehlende Schmiere und Politur meist oberflächlich authentischer an, auf der anderen büßen sie diesen „Vorsprung“ meist durch Mängel an anderer Stelle wieder ein, entblößen gnadenlos das sonst gut getarnt im Hintergrund laufende Räderwerk des Genrewerks. L’EXÉCUTRIZE weiß mit schlammigen Bildern ruraler Herbsttristesse und städtischen Verfalls zu begeistern, sammelt – logisch bei der Herkunft des Regisseurs – Pluspunkte, wann immer er einen Blick auf das schmutzige Geschäft seiner Antagonistin wirft. Da werden unwillige Frauen mit schiefen Zähnen in gammligen Hinterzimmern vor der auf einem Stativ montierten Videokamera malträtiert, die zum Nullbudget für alle noch so niederträchtigen Gelüste runtergekurbelten Videos zu Dutzenden in Pappkartons verpackt, nennt sich ein besonders verkommenes Etablissement großspurig „Kaiserliche Pagode“, entpuppt sich aber als trauriges Lagerhaus, in dem entführte Mädchen in Dessous vor zahlungskräftiger Kundschaft auflaufen. Auf der anderen Seite des Gesetzes wird der Pariser Dirty Harry Valmont heftig entzaubert, wenn er einen am Boden liegenden, schon schwer verwundeten Kriminellen mitleidlos auf den Bauch dreht und ihm auch noch in den Hinterkopf ballert. An anderer Stelle funktioniert die Beschränktheit der Mittel wie gesagt weniger gut: Die Befreiungsaktion der Schwester findet in einer riesigen Sandgrube statt, dem Standardschauplatz des europäischen Exploitationfilms, die arme Joelle wird in einer winzigen Bretterbude gefangen gehalten, die in der großen, dramatischen Spannungsszene wenig spektakulär mit einem verhaltenen „Puff!“ in die Luft fliegt. Es knarzt und kracht gewaltig im Getriebe dieses Actioners, aber das ist ja auch das Geile an diesen Filmen: Sie sind roh, sie sind schmuddelig und alles, was in Hollywoodfilmen groß ist und verlockend glänzt, ist hier abstoßend und jämmerlich. Bis auf die Lahaie natürlich.

Wahrscheinlich wäre L’EXÉCUTRIZE gern so wie die Konkurrenz aus Übersee, das merkt man ihm in seiner Plotkonstruktion an, die mit Authentizität nur wenig im Sinn hat, dafür aber umso mehr mit dem Bedürfnis, den Zuschauer auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle zu schicken, was nicht so ganz gelingen mag. Die Figuren sind zu schematisch, die Darsteller nicht versiert genug, um sie in ihrer Klischeehaftigkeit zum Leben zu erwecken. Die große Offenbarung am Ende ist unglaubwürdig, die Affektsteuerung funktioniert nicht: Der Wandel von Lahaies Martine von der linientreuen, engagierten Polizistin zur persönlich involvierten Rächerin wird nicht wirklich fühlbar, wächst nie übers Drehbuchklischee hinaus. Man muss schon mitgehen wollen, damit sich die Wirkung einstellt. Aber letzten Endes habe ich von diesem Film auch keine Revolution des Polizeifilms erwartet. Und Brigitte Lahaie ist toll, bringt durchaus etwas Eigenes mit, eine entwaffnende Verletzlichkeit, Ehrlichkeit und, ja, Menschlichkeit, die den Film von vergleichbaren Werken abhebt und viele seiner sonstigen Defizite aufwiegt. Was mir am meisten gefehlt hat, ist mehr von jenem glitzerigen Achtzigerjahre-Chic, den das Plakat verheißt. Die Lahaie, die in verspiegelten Nobelpuffs auf Schurkenjagd geht, jede Schießerei einen wahren Koksnebel nach sich zieht, das wäre es gewesen. Aber man kann nicht alles haben, und eine Welt mit L’EXÉCUTRIZE ist besser als eine ohne.

 

 

Für die tolle Reihe „Papas Kino“ auf critic.de, die die diesjährige Berlinale-Retro zum Anlass nimmt, sich mit dem deutschen Kino auseinanderzusetzen, so wie es vor 50 Jahren abseits des realitätsfernen Kanons tatsächlich aussah, habe ich etwas über Adrian Hovens fantastisches Regiedebüt geschrieben. Der Text, den ihr hier findet, ist eine erweiterte und überarbeitete Version meines alten Blogtextes. Es lohnt sich, die Reihe weiter im Auge zu behalten, denn es wird viele Texte geschätzter Kollegen über spannende und weitestgehend vergessene oder verdrängte deutsche Filme geben, die 1966 den bundesrepublikanischen Status quo repräsentierten.

the_alcove-593450105-largeItalien in den 1930er-Jahren: Nach seinem Einsatz im Abessinienkrieg kehrt Elio (Al Cliver) nach Hause zurück, wo seine Frau Alessandra (Lilli Carati) und ihre Bettgespielin und Hausdienerin Velma (Annie Belle) schon auf ihn warten. Unter den Geschenken, die der Mann den beiden Frauen mitgebracht hat, findet sich auch ein schwarzer Dildo, der beiden ein lüsternes Lächeln ins Gesicht zaubert, aber den Höhepunkt holt er zum Schluss herein: Zerbal (Laura Gemser) wurde ihm von ihrem Vater, einem stolzen Stammesführer, als Geschenk für dessen Rettung mitgegeben, auf dass sie ihm treu ergeben diene. Nach anfänglicher Abneigung gegen die „Negerin“ und „Wilde“, die mit ihrer „öligen Haut“ das herrschaftliche Haus „beschmutze“, findet Alessandra aber doch noch Gefallen an der exotischen Schönheit, die ihre persönliche Sklavin werden soll. Kein Wunder, hat Zerbal doch laut Elios Bekunden in wenigen Wochen der „Ausbildung“ bei ihm so viel gelernt wie echte Huren in zehn Jahren. Es beginnt eine hitzige lesbische Beziehung, zwischen der Hausherrin und der Afrikanerin, die weder der aufs Abstellgleis geschobenen Velma noch dem aus dem eigenen Schlafzimmer ausgesperrten Elio gefällt. Die ganze Situation eskaliert, als der hoch verschuldete Mann auf die Idee kommt, sein Konto mit einem selbstgedrehten Porno aufzubessern, in dem die drei Frauen mitwirken sollen …

Mitte der Achtzigerjahre drehte D’Amato ein paar zauberhafte Softsexfilme, darunter diesen hier, aber auch VOGLIA DI GUARDARE, LUSSURIA, IL PIACERE oder, mit einigen Abstrichen und etwas später, 11 DAYS, 11 NIGHTS. L’ALCOVA spielt wie die drei erstgenannten in den Dreißigerjahren, zeichnet sich durch gediegene Ausstattung, elegante Ausleuchtung und luxuriöse Bildkompositionen aus. Umso heftiger knallen die Geschmacklosigkeiten rein, die hier vor allem verbaler Natur sind und auf den Rassismus, Elitarismus und die Dekadenz der Protagonisten zurückgehen. „Hier stinkt es nach Aas“, bemerkt Alessandra einmal, als Velma sie ob ihrer Untreue zur Rede stellt. Und die Geschichten und philosophischen Betrachtungen, die Elio aus dem Krieg mitgebracht haben, entsprechen auch nicht ganz den gültigen Vorstellungen von geeignetem Gesprächsstoff für gesellige Runden zu Tisch. „Wenn man seinen Feind tötet, fühlt man sich wie ein Gott, aber wenn man ihn dann begraben muss überkommt einen der Ekel, weil er einen an ein Tier erinnert.“ Wobei dieses Tierische andernorts wieder ganz willkommen ist: „Die schwarze Hautfarbe der Gegner hilft dabei, sie als Tiere zu betrachten.“ Dass Al Cliver, ein Schauspieler, der selten durch mimischen Expressionismus, sondern eher eine gewisse Grundlethargie hervorstach, diesen Elio spielt, ist ein großer Wurf, weil seine Ausdruckslosigkeit die Unglaublichkeiten, die er absondert, noch erschreckender erscheinen lässt. L’ALCOVA verlässt das sicher abgesteckte Terrain der Softerotik niemals, aber in seinen geleckten (hihi) Bildern und der Zeichnung eines selbstverständlichen Rassismus einerseits, der etwas putzigen Vorstellung von perverser Verkommenheit andererseits verbirgt sich eine albtraumhafte Vorstellung von Fleisch- und Körperlichkeit, die nur schwer in Worte zu fassen ist.

Streng genommen ist L’ALCOVA ein Horrorfilm über Gier, körperliche Abhängigkeit und Unterwerfung sowie das komplizierte Wechselverhältnis zwischen den beiden, aber natürlich auch über den Imperialismus des Westens und seine Menschenverachtung. Nur lässt der Film sich nie wirklich auf diese Lesart festnageln. Zerbal bleibt ein Mysterium: Scheint ihre narrative Funktion zunächst darin zu bestehen, die moralische Verkrampftheit der Europäer bloß- und ihrer zivilisatorischen Devianz die Unschuld des Naturmenschen gegenüberzustellen, so ist es gerade sie, die die finale Eskalation heraufbeschwört und die weißen Herrenmenschen hinsichtlich Ruch- und Skrupellosigkeit noch in den Schatten stellt. Ihr Ende findet sie in der Stichflammenexplosion einer in Brand gesetzten Filmdose, in der sich der Sexfilm befindet, den Elio mit ihr, Alessandra und Velma gedreht hat: Da fühlt man sich schon an die Indianer erinnert, die man nicht fotografieren darf, weil man damit ihre Seele raubt. Ist Zerbal also doch ein Opfer der Zivilisation, hat sie sich in ihrem Gefühl der Überlegenheit selbst überschätzt? Wahrscheinlich ist es unmöglich, L’ALCOVA mit den Mitteln der Hermeneutik zu entzaubern, und das ist auch ganz gut so. Sein Geheimnis bleibt tief zwischen den samtigen Schenkeln Zerbals vergraben. Man kann zwischen sie stoßen, aber egal wie tief man auch eindringt, wie lange man es zwischen ihnen aushält, am Ende fällt man erschöpft auf den Rücken, ohne auch nur ein Stück schlauer zu sein.

2020texasgladiators-media1Vier Typen – darunter Al Cliver, Harrison Muller jr. und Daniel Stephen – mit freien, ölig glänzenden Oberkörpern, umgehängten Patronengurten und dicken Knarren räumen in einem modrigen Gewölbe auf, in dem ein paar grunzende Mutanten in Priesterroben über ein paar unschuldige Frauen herfallen. Die Kerle entpuppen sich als postapokalyptische Texas Rangers, die nach überstandener Mission einen der ihren kurzerhand rausschmeißen müssen: Als „Catch Dog“ (Daniel Stephen) die leicht bekleidete Maida (Sabrina Siani) erblickt, gehen mit ihm nämlich sogleich die brunftigen Gäule durch, bricht der Vergewaltige in ihm aus. Er zieht brummig von dannen, die dankbare Blonde macht indes dem heldenhaften Nisus (Al Cliver) das Angebot, sie in ihre Heimat zu begleiten, wo ihr Vater damit beschäftigt ist, eine neue Zivilisation aufzubauen. Nisus sagt nach nur kurzem Zögern spontan zu, obwohl es eben noch so schien, als sei sein Job als Gesetzeshüter eine Lebensaufgabe, von der ihn nichts, schon gar nicht eine leicht beschränkt guckende Blondine, abhalten könne.

Ein Voice-over untermalt anschließend die naiv-utopischen Bilder von lachenden, vollauf zufriedenen Menschen, die geschäftig  an einem Kraftwerk im Nichts herumschrauben, das der neue Ursprung allen neuen Lebens sein soll. Nisus, der die rechte Hand von Maidas Papa geworden ist, trägt eine Latzhose und wird immer gerufen, wenn irgendein Tölpel sich an einem zu weit geöffneten Ventil verbrüht hat. Aber das sind nur geringe Sorgen im Vergleich zu dem, was bevorsteht: Die Regierungsfaschos – unter ihnen sowohl der nazieske Anführer (Donal O’Brien) als auch der verräterische Catch Dog – greifen die Anlage an, killen Nisus, machen die braven Utopisten zu ihren Gefangenen und benehmen sich danach wie die Axt im Walde. Aber Nisus‘ Ranger-Kumpel bekommen Wind von der Sache und eilen, ein paar Indianer im Schlepptau, zu Hilfe.

ANNO 2020 – I GLADIATORI DEL FUTURO ist fast noch geiler als D’Amatos auch schon überaus vergnüglicher ENDGAME – BRONX LOTTA FINALE: Ich würde sogar so weit gehen, die Idee, die im Endzeitfilm einverleibten Western-Anleihen wieder nach außen zu kehren, als genial zu bezeichnen (Isaac Florentine hat das 15 Jahre später in COLD HARVEST auf die Spitze getrieben). Wenn am Ende die Indianer (= italienische Pastaliebhaber mit Perücken) hoch zu Pferde und mit Flitzebogen bewaffnet in die Schlacht reiten, die für Kugeln undurchdringlichen „Hitzeschilder“ der feindlichen Armeen mit ihren Pfeilen mühelos durchschlagen, ist das nur der Höhepunkt eines Films, der seine Wildwest-Allusionen mit großer Lust ausformuliert. Einen Kniff wie den, den vermeintlichen Protagonisten nach einer guten halben Stunde aus dem Film zu nehmen, würde ich an dieser Stelle zwar nicht unbedingt mit Hitchcock in Verbindung bringen wollen, aber auch das ist so eine Idee, die dem Billigheimer über die Runden hilft. Mit ENDGAME teilt er indes das Manko etwas gleichförmiger und unspektakulärer Actionszenen: Glaubt man der IMDb, war für sie D’Amato verantworlich, während ein ungenannt bleibender Luigi Montefiori aka George Eastman den Rest besorgte. Ob das so stimmt, kann ich nicht beurteilen, was ich aber mit Bestimmtheit sagen kann, ist dass ANNO 2020 – I GLADIATORI DEL FUTURO eine der Überraschungen meines bisherigen Filmmonats ist.

tc90-3In einer postapokalyptischen Zukunft bevölkern Mutanten den Untergrund, während die Menschen „oben“ einer brutalen Gameshow folgen, in der sich ein Gejagter in einem Kampf um Leben und Tod gegen drei Jäger durchsetzen muss. Im Verlauf der neuesten Ausgabe, bei der der amtierende Champion Ron Shannon (Al Cliver) auf seinen Jugendfreund und erbitterten Rivalen Kurt Karnak (George Eastman) trifft, verübt der faschistoide Zukunftsstaat in Vertretung durch Colonel Morgan (Gordon Mitchell) einen Schlag gegen die Mutanten. Deren Anführerin, eine telepathisch begabte Mutantin namens Lilith (Laura Gemser), nimmt Kontakt zu Shannon auf und bittet ihn um Hilfe: Er soll sie und ihre Freunde aus der Stadt und in Sicherheit bringen ..

Joe D’Amatos Beitrag zum Endzeitfilm orientiert sich, wie Fulcis zuletzt besprochener I GUERRIERI DELL’ANNO 2072, an der Brot-und-Spiele- und Menschenjagd-Prämisse für die Norman Jewisons ROLLERBALL und Tom Toelles DAS MILLIONENSPIEL als Vorbilder dienen, aber nur während des Eröffnungsdrittels. Der Sieger der Gameshow ist schnell ermittelt und ENDGAME schlägt neue Pfade ein. Die folgende Geschichte, die man dann als MAD MAX 2-Variante mit leicht übersinnlichen Elementen bezeichnen kann (das geile Finale erinnert an Telekinese-Schocker wie CARRIE, THE FURY oder SCANNER) gewinnt zwar ebensowenig einen Originalitätspreis wie der Auftakt, aber es ist eben diese muntere Mischung der einzelnen Elemente – und natürlich die gleichermaßen billige wie liebevolle Ausstattung – die dafür sorgt, dass ENDGAME nicht langweilig wird. D’Amato, der sich in anderen Filmen ja eher um die Entdeckung der Langsamkeit verdient gemacht hat und ein Meister der in die Länge gezogenen Banalität ist, schmeißt hier eine Idee nach der anderen an die Wand, ohne sich allzu lang mit jeder einzelnen aufzuhalten.

Eine dieser schönen Ideen sind die Mutationen, denen die Protagonisten auf ihrer Reise begegnen, Tiermenschen, die mit Affengesichtern oder Schuppenbewuchs an unsere Ursprünge „vor Hunderten von Millionen von Jahren“ erinnern, wie der enthusiasmierte Wissenschaftler Dr. Levin (Dino Conti) diagnostiziert. Shannon ist da eher pragmatisch: Ganz interessant, aber können wir jetzt bitte weiterfahren? Ungefähr so geht auch D’Amato an das Drehbuch heran. Irgendwann wird die schöne Lilith von einem dicken Fischmenschen vergewaltigt, in der einen obligatorischen Nacktszene, um die die schöne Laura Gemser damals wahrscheinlich einfach nicht herumkam, und man erwartet entsprechende Folgeerscheinungen, die Geburt eines Fischstäbchens o. ä., aber es passiert nicht. Eher vorhersehbar ist der Ausgang der Rivalität zwischen Shannon und Karnak, die dem Film aber dafür ein spitzenmäßiges Freeze-Frame-Ende beschert. ENDGAME hat mich total überzeugt, selbst wenn D’Amato sicher nicht der größte Actionregisseur vor dem Herrn ist. Die breit ausgewalzten Ballereien sind immer etwas ermüdend, weil ohne die ganz große Kinetik inszeniert, aber man kann sich eben sicher sein, dass kurz darauf wieder irgendwas passiert, was einem besser gefällt, wie zum Beispiel die Auftritte der Staatstruppen, deren Uniformen eine Mischung aus SS-Chic und Darth-Vader-Hommage darstellen, oder der Frauen mit dem Ledergeschirr und den Hängebrüsten, die den Fischmann begleiten. Die tollste Szene ist aber die mit dem dicken Kovack (Mario Pedone), der von den Bösen in Beton eingemauert wird, sodass nur noch Kopf und Hände herausgucken. Für den armen Tropf gibt es keine Hoffnung mehr, also geht Karnak hin, um ihn zu erlösen. Er macht das auf die prosaische Art: Indem er ihm den Kopf um 180 Grad verdreht. Handwerk à la D’Amato.

2jacci9Als George Miller mit MAD MAX 2: THE ROAD WARRIOR den Endzeitfilm „erfand“, ihm zumindest einen unverwechselbaren und einprägsamen visuellen Stil verpasste, trat er damit vor allem in Italien eine wahre Lawine los (Carpenters ESCAPE FROM NEW YORK war ein weiterer wichtiger Einfluss). Anfang bis Mitte der Achtzigerjahre drehte eigentlich jeder italienischen Genreregisseur seinen Endzeitfilm, mit dem er die von Miller (und Carpenter) erdachte Bilderwelt weiter erkundete und ausschlachtete: Castellari drehte nacheinander 1990: I GUERRIERI DEL BRONX, I NUOVI BARBARI und FUGA DAL BRONX, Ruggero Deodato I PREDATORI DI ATLANTIDE, Sergio Martino 2019: DOPO LA CADUTA DI NEW YORK, Romolo Guerrieri L’ULTIMO GUERRIERI, Joe D’Amato ENDGAME und ANNO 2020: I GLADATORI DEL FUTURO und Giuliano Carnimeo IL GIUSTIZIERE DELLA STRADA, etliche weitere taten es ihnen gleich, lediglich Umberto Lenzi hielt soich raus. Und Fulci? Der inszenierte eben diesen Film, der sich aber nicht an MAD MAX 2, auch nicht an Carpenter, sondern an Norman Jewisons ROLLERBALL orientierte.

Im Gegensatz zu den Filmen seiner Kollegen, die meist in den USA spielen, ist I GUERRIERI DELL’ANNO 2072 in Rom angesiedelt, wo der von Cortez (Claudio Cassinelli) geführte Fernsehsender WBS mit makabren, sensationsgeilen Shows um die Gunst der Zuschauer buhlt, dabei abernur mäßig erfolgreich ist. Die Lösung soll eine Gladiatorensendung sein, in der der Sportstar Drake (Jared Martin, der sogar aussieht wie James Caan) in einem Kampf auf Leben und Tod gegen einige zu Tode Verurteilte – darunter Fred Williamson und Al Cliver – antritt. Doch die Männer freunden sich an un proben den Aufstand gegen das diktatorische System.

Fulcis Entscheidung, sich an Jewisons Dystopie zu versuchen, lässt den Liebhaber des großen, ambitionierten Hollywood-Films erkennen, bereitet für die mit sparsamen Mitteln produzierte Italoversion aber auch erhebliche Schwierigkeiten. Das von BLADE RUNNER inspirierte zukünftige Rom mit den durch die Luft fliegenden Gleitern ist eindeutig als preiswertes Pappmodell zu erkennen, die Settings sind klaustrophobisch beengt, grau und trist, jede Andeutung von Größe aus dem Film getilgt. Anders als Carpenter in seinem ESCAPE FROM NEW YORK oder auch Castellari mit I NUOVI BARBARI, die ähnliche Voraussetzungen vorfanden, gelingt es Fulci aber nicht, seine Limitierungen zu Stärken umzuinterpretieren. Er ist eher ein Opfer seines Budgets als ein souveräner Verwalter: Es ist schwierig, einen Arenakampf nach antikem Vorbild als Spektakel für die blutgierigen Massen zu akzeptieren, wenn diese Massen niemals zu sehen sind, man hinter der Schwärze der Nacht die Kulissenwand erahnt, hinter der der nächste Film gedreht wird. Vielleicht habe ich I GUERRIERI DELL’ANNO 2072 gestern nicht im optimalen Zustand gesehen, vielleicht war ich zu müde, um ihn würdigen zu können. Ich glaube aber eher, dass er es war, der mich so eingeschläfert hat, mit seiner monochromen Tristesse und seiner staubigen Pappigkeit.

EDIT: Habe die englische Synchro „genossen“, die ganz sicher einigen Anteil an meinem Missfallen hat. Mal sehen, ob die deutsche noch was rettet, wenn ich sie mal in die Finger bekomme.

3119311148_aa4f03e2f3Als Fulci diesen Italowestern drehte, da war selbst die durch Castellaris KEOMA eingeleitete Renaissance schon wieder passé. Aber mit dem Dreck, dem Nihilismus, den kaputten Helden und den sadistischen Schurken, die man mit DJANGO und seinen Ahnen verbindet, hat SELLA D’ARGENTO eh nur wenig zu tun. Vielmehr lässt er Fulcis Liebe für den klassischen Hollywood-Western und überhaupt das amerikanische Kino erkennen (ich fühlte mich etwas an Hathaways NEVADA SMITH erinnert)- und wirkt damit mehr als etwas anachronistisch.

Als Junge erschießt Roy Blood den Mörder seiner Vaters, einen der Männer des schurkischen Thomas Barrett. Viele Jahre später reitet er, nun ein gutaussehender Mann (Giuliano Gemma), ziellos durchs Land und hinterlässt, wie uns der melancholische Titelsong berichtet, eine Leichenspur. Ein Mordauftrag, den ihm der Halsabschneider Two-Strike Snake (Geoffrey Lewis) vermittelt und den er widerwillig annimmt, erweist sich als Falle und bringt ihn mit dem kleinen Thomas (Sven Valsecchi) zusammen, dem Neffen von Barrett (Ettore Manni). Der Wunsch, seinen Vater zu rächen, kollidiert mit väterlichen Gefühlen für den kleinen Jungen, dessen Familie er nicht zerstören will …

SELLA D’ARGENTO ist handwerklich über jeden Zweifel erhaben, was vor allem die kürzlich erschienene HD-Version deutlich macht, die die die von der Sonne ausgedörrten Bilder und die wunderschönen, spannungsreichen Bildkompositionen voll zur Geltung bringt. Aber irgendwie wollte der Funke einfach nicht überspringen. Fulcis Film ist sichtlich in dem Vorhaben gefertigt, großes Kino zu machen, nicht nur für eine beschränkte Zielgruppe, sondern buchstäblich für die ganze Familie. Die wenigen Härten – es gibt einige blutige Einschüsse zu bewundern – hat man damals, vor rund 40 Jahren, halt so mitgenommen, ansonsten steht die Freundschaft zwischen dem Revolverheld, dem man den skrupellosen Killer nicht so wirklich abnimmt, und dem blonden Jungen im Vordergrund, reiten die beiden in einem eher lustigen als kitschigen Ende gar zusammen in die Sonne, Blood auf seinem stolzen Hengst, der kleine Thomas auf einem niedlichen Zwergpony. Das ist nicht per se zu verurteilen, aber mir fehlten dann doch die Aha-Momente, die Brüche, die ungewöhnlichen Ideen, mit denen Fulcis Werk sonst geradezu gespickt ist. Nette, gediegene Abendunterhaltung, aber nicht mehr. VIelleicht hätte ich den Film auch nicht zur Mittagszeit schauen sollen.

718maneatertitel71g28ANTHROPOPHAGUS dürfte wohl zu den berüchtigtsten Filmen überhaupt gehören. In Deutschland wurde er bundesweit beschlagnahmt und nahm eine besonders prominente Rolle in der Anfang bis Mitte der Achtzigerjahre heißlaufenden Debatte um Horror- und Gewaltvideos ein, aber auch in Großbritannien wurde er mit dem Siegel des „Video Nasties“ gebrandmarkt. Joe D’Amato hatte, was Grenzüberschreitungen und Verletzungen des guten Geschmacks betraf, schon ein Jahr zuvor mit BUIO OMEGA ganze Arbeit geleistet, wusste genau, was man dem Publikum auftischen konnte bzw. musste, um ihm den gewünschten Aufreger zu liefern und vom folgenden Skandal zu profitieren. Das Marketing des deutschen Verleihs leistete ebenfalls ganze Arbeit, prophezeite dem Zuschauer eine unvergessliche Erfahrung, warnte Herzkranke, Kreislaufschwache, Magenkranke, Schwangere, an Schlaflosigkeit Leidende und natürlich Jugendliche unter 18 Jahren vor dem Besuch des Films und lästerte nebenbei gegen die Zombies von der Konkurrenz („Verglichen mit diesem Monster sind Zombies liebliche Geschöpfe“). Wie viele Zuschauer sich damals tatsächlich im Kino einfanden, lässt sich auf die Schnelle leider nicht mehr eruieren (einschläge Websites listen ihn nicht unter den Top 50 seines Kinojahrgangs, was bedeutet, dass er weniger als 500.000 Zuschauer erreichte), aber er wird bei seiner Verwertung auf Video reichlich Geld eingespielt und D’Amato bis zu seinem Lebensende 1999 einen schönen Ruhestand beschert haben. Noch heute ist ANTHROPOPHAGUS ein sicherer Kandidat, wenn es um neue Heimkinoveröffentlichung und Sammlereditionen geht. In Großbritannien wurde er erst 2015 ohne weitere Beanstandungen freigegeben.

Dabei ist er, das bestätigt eine erneute Sichtung, heute bezüglich Schockpotenzial längst überholt worden, humpelt den modernen Skandalfilmen reichlich fußlahm und meilenweit abgeschlagen hinterher. Gorebauern der zweiten oder dritten Generation dürfte ANTHROPOPHAGUS kaum mehr als ein müdes Lächeln abringen, wahrscheinlich verwenden sie ihn als beruhigende Einschlafhilfe. Die zärtlichen Worte, die Hahn/Jansen damals in ihrem „Lexikon des Horrorfilms“ für ihn fanden und die mich damals so anspitzten, sind aus heutiger Sicht jedenfalls kaum noch mit ihm in Einklang zu bringen: „Joe D’Amatos widerwärtige, sich genüßlich im Blute suhlende Schlächter-Orgie ist tatsächlich eine dermaßen perfide Attacke auf Magen und Geist, dass es einem schwerfällt, seiner Empörung Ausdruck zu verleihen, ohne in Gossenjargon zu verfallen: Spätestens mit diesem Machwerk ist das Horror-Genre zu einem Spielplatz derjenigen verkommen, die mit starrem Blick aufs Geld nur noch zur Befriedigung der atavistischen Triebe moderner Neandertaler produzieren. Womit man den echten Neandertalern mit Sicherheit noch schweres Unrecht zufügt.“ Es dauert allein eine Dreiviertelstunde, bis der titelgebende Menschenfresser zum ersten Mal zu sehen ist, die wenigen blutigen Szenen waren schon damals eher fadenscheinig und sind zudem so sparsam über den Film verteilt, dass obige Kritik viel eher auf mangelnde Medienkompetenz und Wahrnehmungsstörungen der Betrachter schließen lässt. OK, die Eastman’sche Abtreibung ist superspekulativ und nicht gerade geschmackssicher, aber so durchsichtig inszeniert, dass es eigentlich eher komisch wirkt.

Schaut man sich ANTHROPOPHAGUS mit objektiver Distanz an, fällt doch vor allem auf, wie ruhig und geduldig D’AMATO seine Geschichte aufbaut, dass es ihm weniger um ein Schlachtfest ging, als vielmehr darum, eine niederdrückende Atmosphäre der Traurigkeit, des Todes und der Ausweglosigkeit zu schaffen. Die Farben wirken ausgebleicht, das diesige Wetter lässt eher auf Herbst schließen, als dass es Lust auf den Sommerurlaub weckte, viel Zeit wird darauf verwendet, den ausgestorbenen Ort und die leerstehenden Häuser zu besichtigen, die Spannung ganz langsam auf die Spitze zu treiben. Doch auch, wenn der Menschenfresser dann endlich seine Aufwartung gemacht hat, verfällt ANTHROPOPHAGUS nicht in schrilles Geschrei und blutspritzende Hektik, vielmehr behält er diese gedämpfte, somnambule Stimmung bis zum Ende bei. Großen Anteil daran hat George Eastman als Titelkreatur, der seine Rolle vollkommen stumm absolviert, sich ganz auf seine imposante Statur, den durchdringenden Blick und eben auf die Vorarbeit verlassen kann, die D’Amato geleistet hat. Wenn er dem Final Girl (Tisa Farrow) im Brunnenschacht geradezu aufreizend langsam hinterherklettert, sein Kopf irgendwann am oberen Rand erscheint, jagt einem die unspektakulär-banale Darstellung allein einen Schauer über den Rücken. ANTHROPOHAGUS mag der betörende Glanz großer Regiezauberei abgehen, aber D’Amato ist sehr geschickt in der Wahl seiner Mittel zur Erzeugung jener albtraumhaften Ausweglosigkeit, die seinen Schocker vor allen anderen Dingen auszeichnet. Schön.