nevada smith (henry hathaway, usa 1965)

Veröffentlicht: Juli 12, 2015 in Film
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48481Direkt im Anschluss an THE CINCINNATI KID begannen für Steve McQueen die Dreharbeiten an NEVADA SMITH, der den als aufmüpfig und schwierig bekannten Star mit dem Hollywood-Veteranen Henry Hathaway zusammenbringen sollte. Hathaway, der dafür bekannt war, ein eisernes Regiment am Set zu führen, schuf die Basis für die Zusammenarbeit, indem er McQueen vor Drehbeginn unmissverständlich klar machte, dass er keine Marotten und Extrawürste duldete. McQueen genoss dennoch zahlreiche Vorzüge – Hathaway wusste, dass er seinen Hauptdarsteller nicht einsperren konnte und ihn bei Laune halten musste –, für Missstimmungen sorgte in erster Linie Hathaways Ablehnung jeglicher Improvisation. Seine Regieanweisungen waren Gesetz, und McQueen, der einen weniger rigiden Stil und größere Freiheiten bevorzugte, um seine Figuren zum Leben zu erwecken, fühlte sich oft eingeengt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass NEVADA SMITH zwar ein weiterer Hit in seiner Filmografie wurde, McQueens Erfolgsserie fortsetzte und einen wichtigen Schritt auf seinem Weg zum Superstar markiert, seine Leistung bei den damaligen Kritikern aber keine besondere Wertschätzung erfuhr. NEVADA SMITH ist ein schöner Western, ein Vertreter jenes großen Hollywoodkinos, das Mitte der Sechzigerjahre schon im Sterben begriffen war, mit epischem Schwung erzählt und wunderbaren Landschaftsaufnahmen von Lucien Ballard, aber er zählt gewiss nicht zu den Filmen, mit denen man McQueen heute in erster Linie assoziiert.

NEVADA SMITH basiert auf einer Figur aus Harold Robbins‘ Roman „The Carpetbaggers“, der 1964 von Edward Dmytryk mit dem 51-jährigen, unmittelbar darauf verstorbenen Alan Ladd als „Nevada Smith“ verfilmt wurde, und ist eine Art Prequel zu diesem (das gab es also auch schon damals): Seine Hauptfigur, das Halbblut Max Sand (Steve McQueen), ein unerfahrener junger Mann, der weder schießen noch lesen und schreiben kann, heftet sich drei Männern (Karl Malden, Arthur Kennedy und Martin Landau) an die Fersen, die seine Eltern brutal ermordet haben. Auf der Jagd quer durch die USA trifft er verschiedene Menschen, und die Erfahrungen, die er in der Begegnung mit ihnen sammelt, lassen ihn Schritt für Schritt zum Mann heranreifen und seinem Ziel näherkommen. NEVADA SMITH vereint in seiner Geschichte Elemente klassischer antiker Heldenmythen (die Reise mit ihren verschiedenen Stationen), des Schelmenstückes (das linkische Verhalten Max‘, der damit dennoch überall durchkommt), des Bildungsromans (die Entwicklung des Jungen zum Mann) und der Americana (die verschiedenen Orte und Kulturen, mit denen Max zusammentrifft). McQueens Rolle entspricht dabei der Filmpersona, die er zu jener Zeit für sich herausgearbeitet hatte und die eine Vorstufe zu dem coolen, supersouveränen Profi ist, den er ab THE THOMAS CROWN AFFAIR verkörperte. In NEVADA SMITH ist er der nicht besonders intelligente, dafür umso entschlossenere, aufmüpfige, respekt- und furchtlose Jüngling (obwohl McQueen damals schon 35 war – eine Parallele zu seinem „Teenager“ aus THE BLOB), der durchaus autobiografische Züge trägt: McQueen wuchs ohne leiblichen Vater auf, wurde von seiner Mutter über weite Strecken seiner Kindheit und Jugend allein gelassen, arbeitete auf der Farm seines Onkels und sammelte seine Erfahrungen auf der Straße, die ihm dann auch Schwierigkeiten mit dem Gesetz und einen mehrjährigen Aufenthalt in einem Heim der „Boys Republic“, einer Anstalt für schwer erziehbare Jungs einbrachten. So wie McQueen im Laufe seiner Karriere „wachsen“ sollte, vom räudigen Straßenköter zu einem Sexsymbol, vom Taugenichts zum bestbezahlten Schauspieler seiner Zeit, so reift auch Max. Zuerst sind es nur kleine Schritte, die er macht: Er lernt, dass man Fremden nicht unbedingt trauen sollte, wie man richtig schießt. Er begeht seinen ersten Rachemord, verliebt sich in die indianischer Prostituierte Neesa (Janet Margolin) und wird von ihrem Stamm gesund gepflegt. Auf der Suche nach dem nächsten Mörder verschlägt es ihn in ein Strafgefangenenlager in den Sümpfen Louisianas, aus dem ihm mithilfe des Cajun-Mädchens Pilar (Suzanne Pleshette) der Ausbruch gelingt, bei dem sie jedoch stirbt. Erstmals kommen ihm Zweifel an der Richtigkeit seiner Mission: Wird er nicht selbst zu dem, was er zu bestrafen sucht? Doch er hält an seinem Plan fest, auch als ihm ein Mönch (Raf Vallone) ins Gewissen redet. Bis er den letzten Killer, Tom Fitch (Karl Malden), wehrlos vor sich stehen hat.

NEVADA SMITH hangelt sich an allen wesentlichen Plotmarkern des Rachefilms entlang und führt seinen Protagonisten auf seiner Reise gewissermaßen ans Licht der Erkenntnis. Der kaltblütige Rachemord ändert nichts, er verschmutzt letztlich nur die eigene Seele. Doch so wirkungsvoll die Schlussszene mit den an Max‘ abprallenden Verfluchungen des verwundet zurückgelassenen Mörders auch ist: Nach zwei Stunden endet Hathaways Film damit lediglich genau so, wie man das von Beginn an vorausgesehen hat. NEVADA SMITH verfügt über eine nur schwer zu fassende, bleierne Atmosphäre, die mit seinem beschwingten Erzähltempo und den prachtvollen Bildern seltsam über Kreuz liegt. Das ist durchaus interessant, aber trotzdem fehlt irgendetwas zum totalen Glück. Der Kern der Geschichte, die innere Entwicklung, die Max durchläuft, bleibt diffus, auch weil der Film es versäumt, den Ablauf der Zeit wirklich greifbar zu machen. Als am Ende gesagt wird, dass seit dem Mord an Max‘ Eltern Jahre vergangen sind, war ich mehr als nur etwas verdutzt. Das alles wirkt, als spielt es sich innerhalb einiger Wochen ab (auch wenn es logistisch etwas schwierig gewesen wäre, die Strecke in dieser Zeit zurückzulegen). McQueen gelingt es hier beileibe nicht so eindrucksvoll wie in seinen anderen Filmen, seinen Charakter zu seinem eigenen zu machen. Was Max im Innersten antreibt, die Entwicklung, die er durchläuft, wird nie wirklich transparent. Max bleibt ein Mysterium, mal benimmt er sich wie ein dümmlicher Naivling, dann ist er wieder der eiskalte Profi, und es fiel mir als Zuschauer enorm schwer, mich zu ihm zu positionieren. Wir erfahren fast nichts über ihn. Der Film beginnt mit dem Mord an seinen Eltern (Lukas hat hier eine kleine Analyse der Sequenz veröffentlicht), und bevor wir noch eine Beziehung zu Max aufbauen können, befindet er sich bereits auf dem Kriegspfad, um zwei Menschen zu rächen, deren Beziehung zu ihm nie beleuchtet wurde. Dass man mit ihm mitfiebert, ist eher der Konvention geschuldet, als dem Charakter selbst. Auch die humanistische Botschaft, mit der der Film endet, ist zwiespältig: Max lässt Fitch zwar leben, doch von echter Gnade kann keine Rede sein. Und wohin es den Protagonisten nun verschlagen wird, bleibt ebenfalls völlig ungewiss. Man sieht keine Zukunft für ihn am Horizont. Bezeichnend, dass sein Name, der Name des Films, ein Pseudonym ist, dass er sich spontan ausdenkt, um Fitch über seine wahre Identität zu täuschen. Wer ist dieser Mann eigentlich? Das Menschliche tritt gegenüber der Größe des Landes, das eine Vielzahl austauschbarer Geschichten erzählt, völlig in den Hintergrund. Der Weg ist das Ziel, und in der beinahe mythischen Reise des Jungen durch das Land entfaltet NEVADA SMITH dann auch seinen Reiz, vor allem in der Louisiana-Episode, die McQueen zum zweiten Mal nach THE GREAT ESCAPE zum Ausbrecher macht (einige Jahre später vollendete er seine private Ausbrecher-Trilogie mit PAPILLON).

Interessant ist auch die editionsphilologische Frage: Die deutsche Fassung läuft ca. 125 Minuten, was 131 NTSC-Minuten entspricht, doch im Netz ist vielfach von 135 Minuten die Rede. Es existieren Szenenfotos von der Ermordung von Max‘ Eltern, die suggerieren, dass deutlich mehr gedreht wurde, als man im Film zu sehen bekommt, aber konkrete Hinweise zu einer solchen „intakten“ Fassung gibt es nicht.

Kommentare
  1. Wolfgang sagt:

    Ich stimme Dir im Wesentlichen zu, muss aber hinzufuegen, dass ich diesen Film nie so kritisch gesehen habe. Ich finde dass NEVADA SMITH ein grossrtiger Western sozusagen „im Format eines Entwicklungsromanes“ ist, den ich mehrmals gesehen habe und nie langweilig fand. Die Episoden, aus denen sich die Handlung zusammensetzt, sind alle spannend und ausgezeichnet inszeniert, aber ich war schon immer ein Fan des Regisseus Henry Hathaway. Mag er vielleicht kein John Sturges und kein Anthony Mann sein, so hat er doch eine ganze Menge sehr guter Filme gedreht, die heute nach wie vor – allerdings dennoch zu selten – im TV zu sehen sind.

    Was das Alter der Rolle, die Steve McQueen verkoerpert, und sein eigenes Alter anbelangt, ein Punkt der immer wieder – fast gebetsmuelenartig – releviert wird, so habe ich das weder bei meiner ersten „Sichtung“ mit etwas ueber 10 Jahren noch seither als problematisch erachtet. Ein Sohn – egal welchen Alters – der seine Eltern ermordet vorfindet, wird normalerweise nach Rache duersten und es ist das Privileg des Unterhaltungskinos, dem nachgeben zu koennen. Und weil wir schon dabei sind, wegen mir hätte Karl Malden nicht am Leben bleiben muessen. 🙂

    Alles in allem ein „fast-Meisterwerk“, meiner Meinung nach, dem ich auf einer 10teiligen Skala ca. 8 1/2 Punkte geben wuerde.

    • Oliver sagt:

      Ich finde den Film keinesfalls schlecht, aber eben eher „seltsam“ als tatsächlich „gut“, was durchaus auch als Kompliment betrachtet werden kann. NEVADA SMITH lässt sich nicht bequem einordnen, irgendwas versperrt ihn vor dem einfachen Zugriff. Ich mache das im Moment noch an der Hauptfigur fest: Aber mit dem Altersunterschied hat das nichts zu tun, da gebe ich dir Recht. Du sagst, dass der Rachewunsch instinktiv nachvollziehbar ist und ich würde dir da grundsätzlich zustimmen. Aber es ist ja schon auffällig, dass gar nicht der Versuch unternommen wird, die Eltern-Kind-Beziehung irgendwie zu unterfüttern. Max und seine Mission bleiben seltsam leer. Zuerst habe ich das als „Fehler“ betrachtet, mittlerweile glaube ich, dass es genau darum geht. Und die „Bildungsroman“-Thematik ist damit eine fiese Täuschung-

      • Wolfgang sagt:

        Ich glaube eigentlich nicht, dass es dieser Unterfuetterung tatsächlich bedarf oder zumindest damals nicht bedurft hat. Heute mag das anders sein, da wird alles hinterfragt (ich meine eigentlich: zerredet), aber dass diese Eltern-Kind-Beziehung bestand wird vorausgesetzt, das muss(te) nicht näher eroertert werden, denn dass Kinder ihre Eltern lieben, ist – eigentlich – eine Selbstverständlichkeit (sehe ich zumindest so). Daher reicht die Ermordung der Eltern, die mir fuer damalige Verhältnisse ziemlich brutal vorkommt, als Motivationsgrundlage vollkommen aus, um die nachfolgenden Geschehnisse in Gang zu setzen.

        Rache als akzeptiertes Motiv hat meiner Wahrnehmung nach erst in den 70ern voll eingesetzt, daher war es wohl dem damaligen zurueckhaltenden Zeitgeist geschuldet, dass Max Sand Karl Malden nicht einfach ueber den Haufen geschossen hat und mit einem zufriedenen Lächeln ueber die „mission accomplished“ weggeritten ist. Er „musste“ also „scheitern“ (oder daran „wachsen“?), indem er den letzten Verbrecher leben lässt, wenn auch ohne rechte Begeisterung. So wuerde ich das Ende verstehen, und ja, die Bildungsroman-Thematik ist dann eine Täuschung.

        Ich denke auch, es geht um einen – mE tollen – Film, der aus einigen spannenden, wie ich finde gut aneinander gereihten oder ineinander verwobenen Episoden besteht (mir hat die im Gefangenenlager am Besten gefallen), der vor allem unterhalten soll und sich mehr an den Bauch als an den Geist wendet. Dass er auch fuer mich letztendlich minimal unbefriedigend bleibt liegt daran, dass er nicht so endet, wie oben beschrieben und wie er vermutlich 10 Jahre später geendet hätte. 🙂

      • Oliver sagt:

        Du hast Recht, man „braucht“ diese Unterfütterung nicht, um den Rachewunsch zu akzeptieren. Es würde aber helfen, Max als Menschen greifbar zu machen. Es ist eben auffällig, dass sich Hathaway bewusst dagegen entscheidet, die Beziehung der Familienmitglieder zueinander darzustellen. Es geht nicht um die genauen individuellen Hintergründe oder Befindlichkeiten, sondern um das Archetypische. Den angestrebten Unterhaltungscharakter würde ich in Zweifel ziehen: Die Identifikation mit Max wird eigentlich massiv erschwert.

      • Marcos sagt:

        „Rache als akzeptiertes Motiv hat meiner Wahrnehmung nach erst in den 70ern voll eingesetzt.“

        Sehe ich anders. Die 1970er sind im Kino allenfalls ein Jahrzehnt, wo die Affizierung des Zuschauers durch die Erfahrbarmachung ausgespielter Retribution an voyeuristische wie emotionale Effekte gekoppelt wurde. Rache ist im Film wie in der Literatur wie überhaupt in der Kunst bzw. in der Geschichte das älteste akzeptierte Motiv überhaupt. Tatsächlich sind, um in der modernen Epoche und dem Kino zu bleiben, die 1970er das Jahrzehnt, wo – eben durch die immer extremer werdende Inszenierung von Rachefantasien – dieser Topos zunehmend hinterfragt wurde, da man ihn seiner poetischen Kraft beraubte und in die unangenehme Realität überführte. Dies hat auch zum ambivalenten Disput Naturalismus vs. Voyeurismus geführt wie er spätestens seit den 70ern in jeder sich für aufgeklärt haltenden Kritik zu finden ist (davor natürlich auch, aber in die Sehgewohnheiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann man sich nur noch bedingt hineindenken). Der neue Realismus (tatsächlich natürlich ein Naturalismus) hat dazu geführt, dass sich zum Topos Rache neu positioniert werden musste.

  2. Marcos sagt:

    Ich fand den bei letzter Betrachtung eher furchtbar, kann das aber leider nicht mehr genau spezifizieren. Allerdings bin ich mit Hathaways Stil auch nur unzureichend vertraut, außer dass er in seinen noirs die von Gallagher postulierte Murnau-Ford-Sternberg-Achse konsequent weitergeführt hat. Auf jeden Fall ein Regisseur, dem ich mich mal mehr widmen muss, ähnlich wie ich mich mal mehr mit Henry King beschäftigen muss.

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