the cincinnati kid (norman jewison, usa 1965)

Veröffentlicht: Juli 10, 2015 in Film
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Die schönsten Filme übers Spielen handeln vom Verlieren. Nicht nur, weil in der Niederlage mehr als im Sieg die Chance zur Veränderung, zur Reife, zum persönlichen Wachstum liegt und ein Film über das Verlieren mithin über sein eigenes Ende hinausweist. Nein, gerade das unbedingte Festhalten am und das Bekenntnis zum Spiel trotz der stets lauernden Möglichkeit einer tragischen, schmerzhaften Niederlage verdeutlichen uns, was Spielen für das Menschsein eigentlich bedeutet, welche Kraft und Versuchung von ihm ausgehen. Verlieren kann nach alter Redensart nur, wer sich etwas traut, etwas riskiert, den Schritt über die eigenen, ihm in einem konkreten Moment in der Zeit gegebenen Fähigkeiten hinaus macht. Wer sich stets nur schwächere Gegner sucht, wird immer gewinnen, aber niemals wachsen. Die bittere Niederlage, das große Scheitern sind deshalb so wunderbar filmisch: Im Moment der Erkenntnis, im Blick der Enttäuschung und Ernüchterung ist ein unendliches Potenzial für Geschichten enthalten. Der Sieger kennt nur die Freude und den Taumel, die für sich betrachtet „leer“ sind. Ihnen folgt nichts, sie bergen kein Geheimnis.

Eric Stoner (Steve McQueen), von allen nur „The Cincinnati Kid“ genannt, ist ein geborener Sieger. In der Welt der Pokerspieler hat er sich einen Namen gemacht, in der Szene gilt er als derjenige, der dem noch amtierenden Champion, dem alternden Lancey Howard (Edward G. Robinson) als einziger die Stirn bieten, ihn vom Thron stürzen kann. Und Cincinnati ist hungrig, er glaubt fest an sein Talent, daran, die Chance verdient zu haben, fühlt sich nahezu unfehlbar, will nichts mehr, als endlich zu beweisen, was er längst schon weiß: Dass er der Beste ist. McQueen verleiht Stoner die Arroganz, Aufmüpfigkeit und Selbstherrlichkeit der Jugend, marschiert zielstrebig durch den Film, ohne nach links und rechts zu schauen, stets Herr der Lage, und in der Gewissheit, dass nur die Zeit ihn vom großen Triumph trennt. Aber genau in dieser Sicherheit, in seinem Mangel an Demut liegt auch seine Verwundbarkeit, jene Achillesferse, die Lancey im Finale aufspürt und dann mitleidlos zuschlägt. Stoner verlässt den Spieltisch nicht nur als Verlierer: Sein ganzes Selbstbild ist eingestürzt, die jugendliche Arroganz ist wie weggeblasen und statt des ewigen Sonnenscheins hängt nun eine schwarze Gewitterwolke über ihm. Vielleicht ist diese Niederlage nur eine Lektion auf dem Weg zur Meisterschaft. Vielleicht hat Cincinnati die Leichtigkeit, die ihn auszeichnete, aber auch für immer verloren.

Doch THE CINCINNATI KID passt nicht wirklich in jene Reihe von Filmen, die das „große Scheitern“ thematisieren und das Heroische in der Niederlage suchen. Denn Cincinnati verliert nicht, weil er sich einer zu großen Herausforderung gestellt hat. Er ist kein Held, auch kein tragischer, sondern ein Narr. Er hat ganz ohne Zweifel das Potenzial, die Fähigkeiten, den Veteran zu bezwingen, kommt diesem Ziel auch ganz nah. Was ihn am Ende scheitern lässt, ist nicht ein Mangel an Können, an Technik. Es ist die Gier nach Erfolg, der Leichtsinn, die Überzeugung, an der Reihe zu sein, der Glaube, in diesem Moment das Schicksal auf seiner Seite zu haben, der unbedingte Wunsch, Geschichte zu schreiben. Cincinnati fällt auf seinen eigenen, noch gar nicht geschriebenen Mythos herein, hört zu sehr auf die Einflüsterungen vermeintlicher Freunde und verliert darüber jede Vorsicht. THE CINCINNATI KID teilt mit jenen Filmen über das Scheitern die Thematisierung der Hybris, aber ihre Folgen äußern sich hier auf sehr banale Art und Weise. Am Ende ist es simple Wahrscheinlichkeitsrechnung, die ihm das Genick bricht. Der Zufall zeichnet sich eben dadurch aus, dass er auf keiner Seite steht. Er gehört niemandem. Auch Cincinnati nicht.

Die Auseinandersetzung zwischen dem aufstrebenden Jungspund und dem alternden Veteranen, von der der Film auch handelt, spiegelt sich auch auf einer ganz anderen Ebene ab. Mit McQueen und Robinson standen sich zwei Vertreter gänzlich unterschiedlicher (Schauspiel-)Generationen gegenüber und der Film handelt mithin auch davon, wie die ältere von der neueren abgelöst wird. Wie im Pokerspiel scheint auch hier Robinson der Gewinner zu sein: Mit seiner wunderbar abgezirkelten Performance, in der er die ganze Weisheit des Alters ausspielt, mit seinen punktgenau und höchst effizient gesetzen Bewegungen beherrscht er das Bild, ein Monument des Selbstbewusstseins und der Stilsicherheit. McQueen spielt sich mehr oder weniger selbst: Das streetwise kid ohne Bildung und echte Zukunft, aber eben auch ohne Respekt und Angst, angetrieben von einem unerschütterlichen Ehrgeiz und dem Willen, es zu schaffen. In der Szene, in der seine Freundin Christian (Tuesday Weld) ihm etwas erzählt und er sich noch nicht einmal die Mühe macht, sein Desinteresse zu verbergen, meint man auch ein Stück vom Privatmann McQueen sehen zu können, der nicht gerade als Feminist durchging. Er zeigt hier schon, was ihn groß machen sollte: Diese eisige Ökonomie und Authentizität – und dieser Blick, der in einem Wimpernschlag offenbart, wofür andere lange Monologe brauchen. Er zahlte für den Film gewiss kein Lehrgeld wie Cincinnati, vielmehr handelte es sich nach drei Flops, die das mit THE GREAT ESCAPE aufgebaute Momentum bremsten (SOLDIER IN THE RAIN, LOVE WITH THE PROPER STRANGER und BABY THE RAIN MUST FALL), um den Auftaukt zu einem beispiellosen Aufstieg, aber er war eben auch noch nicht am Ziel angelangt. Die Spannungen zwischen McQueen und Robinson, die genau wussten, dass sie jederzeit Gefahr liefen, vom anderen an die Wand gespielt zu werden, tragen das finale Kartenduell ganz wesentlich mit.

Ursprünglich war Sam Peckinpah für die Regie des Filmes vorgesehen, wurde aber nach nur vier Drehtagen Hals über Kopf rausgeschmissen. Hatte Produzent Ransohoff dem Wunsch des enfant terribles, den Film in Schwarzweiß zu drehen, noch entsprochen, zog er sofort die Reißleine, als er erfuhr, dass Peckinpah aufwändige Szenen gedreht hatte, die überhaupt nicht im Drehbuch standen. Für Peckinpah der Auftakt einer vierjährigen Durststrecke, in der ihn niemand mehr engagieren wollte. Ersatzmann Norman Jewison hatte nach einigen Fernsehfilmen lediglich Komödien gedreht, ohne mit diesen wirklich aufgefallen zu sein, und galt als Risiko, wurde vor allem von McQueen kritisch beäugt, der genau wusste, dass ein weiterer Flop alle Hoffnungen auf eine Weltkarriere beenden würde. Aber auch für Jewison erwies sich THE CINCINNATI KID als Glücksfall, bildete den Auftakt zu einer überaus erfolgreichen Karriere, die ihn einige Jahre später, für THE THOMAS CROWN AFFAIR noch einmal mit McQueen zusammenbrachte (diesmal war es Jewison, der McQueen nicht haben wollte). Für den Schnitt verantwortlich war Hal Ashby, der in diesen frühen Jahren ein treuer Wegbegleiter Jewisons war und mit ihm auch THE RUSSANS ARE COMING! THE RUSSIANS ARE COMING!, IN THE HEAT OF THE NIGHT und genannten McQueen-Film machen sollte.

Kommentare
  1. Marco sagt:

    Noch so ein Film, den ich als Schüler bedinungslos geliebt habe und der dann später aus unerfindlichen Gründen von meinem Radar verschwunden ist. Danke für das schöne Erinnern.Nach dem Film war bei uns damals in den Schulpausen übrigens dieses „Pfennige-Spiel“, welches Cinninnati am Anfang mit den kleinen Jungs (?) spielt, ein ganz großer Dauerbrenner.

  2. Ghijath Naddaf sagt:

    Einer der schönsten Zocker Filme überhaupt. Bis in die kleinsten Rollen brilliant besetzt.
    Die Poker Szenen, die fiesen kleinen Sticheleien von Lady Fingers in Richtung Lancey Howard,
    alles perfekt. Obwohl ich bekanntlich grosser Peckinpah Fan bin, glaube ich nicht, das er einen
    besseren Film gemacht hätte als Jewison.

    • Wolfgang sagt:

      Ja, ich finde diesen Film auch ganz ganz grossartig und verstehe die Kritiken, die von einem „zu bieder“ – oder ähnlich – inszenierten Film sprechen, total unzutreffend: der Film handelt sein Sujet unaufgeregt und konsequent ab ohne jede banale Effekthascherei, geht dabei sehr oekonomisch vor und ist bis ins kleinste Detail perfekt besetzt und inszeniert. Ein Drama, das sich Zeit nimmt und dessen Ende mich beim ersten Mal (mit +10) richtiggehend „geschockt“ hat, das mir aber mit wiederholtem Sehen seither mehr und mehr an´s Herz gewachsen ist. Fuer mich ein GROSSER McQUEEN (und E. G. Robinson) Film!

  3. Marcos sagt:

    Mir fällt gerade ein Spielerfilm ein, wo sie am Ende gewinnen und es wie eine Niderlage inszeniert ist und auch niederschmetternd wie eine Niederlage wirkt. CALIFORNIA SPLIT von Robert Altman. Der entstammt allerdings noch seiner Genrekillerphase. Insofern nicht verwunderlich.

  4. […] so dass ich seine anderen Besprechungen mal unter den Tisch fallen lassen und lediglich den für mich früher sehr wichtigen „Cincinnati Kid“, den großartigen „Moby Dick“ und den wundervollen „Nacht der reitenden Leichen“ […]

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