Archiv für Oktober, 2016

demon-seed-6Dass ich den Film mit ca. 17 Jahren  im Double Feature mit einem anderen Siebzigerjahre-Computer-Schocker namens COLOSSUS: THE FORBIN PROJECT auf Video aufgezeichnet und dann gesehen hatte, habe ich noch gut in Erinnerung. Ich fand den Film damals wohl recht verstörend, blieb aber bis zum Schluss bei der Stange – bei der gestrigen Wiederbegegnung ist mir das deutlich schwerer gefallen. Auch wenn ich immer noch eine Empfehlung für DEMON SEED aussprechen würde: Er ist ein bisschen dröge und seine Idee reicht eigentlich nicht für einen ganzen Film.

Anders als Cammells späterer WHITE OF THE EYE, der wie eine Anomalie in der Filmlandschaft seiner Zeit wirkt, ist DEMON SEED sehr Kind seiner Zeit. Sein Retrofuturismus – riesige Computer mit Floppy-Disk-Laufwerken, sprechende Bildschirme und sich wie gelandete Ufos in die Landschaft einfügende Forschungsstationen – ist genauso typisch für die Siebzigerjahre wie die mit ihm einhergehende Technikskepsis. So beunruhigend DEMON SEED auch ist, so naiv wirkt er auf den heutigen Betrachter. Viel mehr, als es sich Dean R. Koontz, Autor der Vorlage, damals vorstellen konnte, sind Computer tatsächlich Teil unseres Alltags geworden, aber die von ihnen ausgehende Bedrohung, die er sich ausmalt, hat sich nicht einmal annähernd bewahrheitet.

Der Wissenschaftler Alex Harris (Fritz Weaver) hat im Auftrag der Regierung einen Supercomputer geschaffen, der über ein Gehirn verfügt, das funktioniert wie das eines Menschen. Über die Arbeit kam es allerdings zum Zerwürfnis mit seiner Ehefrau Susan (Julie Christie), die nun in einem vollkommen computerüberwachten Haus lebt. Als „Proteus“, so der Name des Supercomputers, von seinem Schöpfer Raum zur freien Entfaltung verlangt, aber diesen verweigert bekommt, bringt er das Überwachungssystem im Haus Susans unter seine Kontrolle und sperrt sie ein. Aber das ist noch nicht alles: Weil er Mensch werden will, schwängert er die hilflose Frau …

Der dystopische Gehalt kann heute, wie oben schon angedeutet, eigentlich vollkommen ignoriert werden. Der mit sonorer Stimme sprechende Proteus muss den Zuschauern aber auch damals, knapp zehn Jahre nach HAL aus Kubricks 2001: A SPACE ODYSSEY, schon wie ein zweitklassiger Trittbrettfahrer vorgekommen sein. Die Angst vor einem superintelligenten Roboter, der diese Superintelligenz gegen seine Schöpfer wendet, ist schließlich ein Standard der Science Fiction, der auch 1977 schon einige Patina angesetzt hatte. Was vielleicht darüber hinwegtäuschte, war der Kuriositätenbonus, den Überwachungskameras, die Steuerung der heimischen Elektronik durch Stimmenbefehle und ähnliche Spielereien damals ohne Zweifel innehatten. Heute kann man sich ein Schmunzeln nicht ganz verkneifen.

Zum Glück muss man DEMON SEED nicht als Mahnfabel betrachten, sondern kann ihn vielmehr als Geschichte einer hochgradig dysfunktionalen Beziehung sehen. Dann ist er nicht nur ungleich faszinierender, sondern auch geradezu skandalös schmierig. Proteus und die ihm zur Hilfe kommende Schar kleinerer Computerdiener sind die Verlängerung von Alex, der über seine Begeisterung für die Arbeit die Liebe seiner Gattin verloren hat, und sie nun mit Gewalt zurückholt. Dass das nicht auf seine Initiative hin geschieht, sondern Proteus selbsttätig handelt, schwächt diese Lesart keineswegs, im Gegenteil: Sie liegt auf einer Linie mit Susans zu Beginn des Films geäußerter Befürchtung, dass Alex seine Menschlichkeit verlieren könne. Er kennt sich selbst nicht mehr. Was tatsächlich hinter Proteus‘ Wunsch steht, offenbart sich erst in den letzten Sekunden des Films. Das eigentliche Drama hinter dem Ende von Alex und Susans Beziehung wird nie offen angesprochen, man bekommt eher beiläufig einen Hinweis darauf. Supercomputer hin oder her: Die Ursache allen Übels liegt hier ganz klar im Versäumnis der beiden Hauptfiguren, offen miteinander umzugehen.

white-of-the-eye-movie-poster-1987-1020252325In Tucson, Arizona, und Umgebung geht ein brutaler Frauenmörder um. Durch einen Reifenabdruck an einem der Tatorte kommt das Morddezernat in Vertretung von Det. Charles Mendoza (Art Evans) auf die Spur von Paul White (David Keith), einem hochbgeabten Installateur von Hi-Fi-Anlagen, Ehemann von Joan (Cathy Moriarty) und Vater einer kleinen Tochter. Die Hinweise, dass er der Mörder ist, verdichten sich. Es kommt zur Katastrophe …

Donald Cammells Karriere verlief ähnlich turbulent und überraschend wie die seines Protagonisten. Gemeinsam mit Nicholas Roeg inszenierte er den einflussreichen PERFORMANCE, benötigte dann sieben Jahre für den Sci-Fi-Schocker DEMON SEED und dann noch einmal zehn für WHITE OF THE EYE, die Verfilmung eines wenig beachteten Romans, deren Drehbuch er gemeinsam mit seiner damaligen Gattin schrieb und die zwei Jahre auf Halde lag, bevor sie veröffentlicht wurde. Kurz vor seinem Freitod im Jahr 1996 veröffentlichte er noch den Film WILD SIDE unter dem Pseudonym Franklin Brauner. Heute ist sich die internationale Cinephilie weitestgehend einig darüber, dass Cammell ein hoch interessanter, vollkommen eigenständiger und visionärer Filmemacher war, der nicht zuletzt an der Mutlosigkeit Hollywoods gescheitert war. „Nicht zuletzt“, weil Cammell wohl an dem litt, was man umgangssprachlich als „Schizophrenie“ bezeichnet: Als er sich am Ende einer unerfüllten Karriere beschloss, zu erschießen, verfehlte er sein Gehirn, verbrachte ca. 45 Minuten in einem Zustand der euphorischen Nahtod-Euphorie, während der er blutend am Boden liegend die Sterbeszene der Hauptfigur aus PERFORMANCE nachspielte – vor seiner ihm beistehenden Gattin wohlgemerkt -, bis ihn dann das Leben verließ. Auch der Protagonist aus WHITE OF THE EYE trägt wohl Eigenschaften ihres Schöpfers: So wissen Weggefährten von Cammells Operngesang zu berichten, ein Hobby, das auch Paul White pflegt.

Aber diese biografischen Elemente sind nur das i-Tüpfelchen auf einem ohnehin schon bizarren Film. Wobei es gar nicht so einfach ist, zu erklären, was es ist, dass WHITE OF THE EYE so rätselhaft macht. Zunächst einmal: Auch wenn man Cammells Film dem Serienmördergenre zurechnen muss, so stehen im Mittelpunkt des Interesses doch weniger die Mordserie, die Ermittlungen oder auch die Psychose des Mörders, sondern die Liebesgeschichte zwischen Paul und Joan, die in grobkörnigen Rückblenden nacherzählt wird. So geht es weniger darum, wie ein Mensch zur Bestie werden, welche Formen seine Krankheit annehmen kann, sondern darum, wie in der Bestie eben auch immer noch ein Mensch schlummert. Diese Dialektik arbeitet Cammell – möglicherweise au eigener Erfahrung – heraus wie kaum ein anderer: Während man anderen Film-Serienmördern den Psychopathen doch immer anmerkt, ahnt, dass ihre Freundlichkeit nur Tarnung ist, so schlagen in Paul Brust tatsächlich zwei Herzen. Er kann im schockierenden Finale vor seiner Gattin aus voller Überzeugung berichten, dass die Frau Ursache allen Übels ist und ausgelöscht gehört, und sie dennoch aus vollem Herzen lieben. Das ist erschreckender als alle skurrilen Perversionen, die den zahlreichen Serienkillern der Kulturgeschichte bislang zugeschrieben wurden. Und es verändert die Erzählhaltung des Films sowie die Position des Zuschauer total.

Passend dazu ist die unverwechselbare Ästhetik von WHITE OF THE EYE, ein Wechselspiel aus geschliffener Artifizialität und urwüchsiger Wildheit Ganz entscheidend für die trotz des gleißenden Wüstenszenarios winterliche, desolate Atmosphäre sind die Musik von Pink-Floyd-Schlagzeuger Nick Mason und natürlich die Kameraarbeit von Larry McConkey. Vor allem in den beiden Mordszenen trägt er dazu bei, dass WHITE OF THE EYE jenen stilisierten, künstlerischen Anstrich erhält, der stark an den italienischen Giallo erinnert und die brutalen Morde zu grotesken Kunst-Performances überhöht. Eine Rückblendensequenz, die das Geheimnis um die Identität des Mörders endgültig lüftet, erinnert in ihrem archaischen Naturmystizismus hingegen an den australischen Genrefilm. Das Finale, in dem es zu einer Art Western-Showdown kommt, will keine echte Katharsis bringen. Zu tragisch ist das Schicksal der Whites, zu wenig will man den Killer als unberechenbare Bestie erkennen, zu wahr schien die Liebesbeziehung zwischen Joan und Paul. Das muss am Ende sogar der Detective eingestehen. Als Joan ihm gegenüber die verlorene Zeit beklagt, entgegnet er nur: „What’s 10 years, when you’re in love?“

mpw-53180Nach THE AMITYVILLE HORROR ist das der nächste Horrorfilm, der nur bedingt als solcher funktioniert – aber trotzdem ungleich besser ist. Klar, Clive Barker hatte für die Vorlage und das Drehbuch gesorgt, es splattert hin und wieder recht heftig, mit der Titelfigur gibt es ein Monster, das die Macher wohl zu gern als nächsten Freddy, Jason oder Pinhead aufgebaut hätten, und Abonnenten des „Goldenen Blatts“, denen die Geschichte um das Ehepaar Lutz und ihr verwunschenes Häuschen noch ein wohliges Gruseln beschert hatte, wären hier wohl schreiend davon gelaufen. Dennoch meine ich, dass bei CANDYMAN andere Aspekte im Vordergrund stehen als das Bedürfnis, dem Zuschauer einen Schrecken einzujagen. Bleibt eine Sekunde bei mir.

Helen Lyle (Virginia Madsen) ist eine Wissenschaftlerin, die gemeinsam mit ihrer Freundin Bernadette (Kasi Lemmons) an einer Abhandlung über urbane Legenden arbeitet. Bei ihren Forschungen stoßen sie auf den Mythos des „Candyman“: ein Dämon, der angeblich erscheint, wenn man vor dem Spiegel fünf Mal seinen Namen ruft. Zu ihrem Erstaunen erfährt Helen, dass der Candyman (Tony Todd) im überwiegend von Schwarzen bewohnten Housing Project von Cabrini Green immer noch sein Unwesen treibt. Tatsächlich begegnet sie ihm – und ist bald die Hauptverdächtige in einer Reihe brutaler Morde …

Zentral für das (oder eher: mein) Verständnis von CANDYMAN sind zwei Dinge: Erstens die kurze Szene, die eine direkte Verbindung von Helens eigener Wohnung mit dem Plattenbau von Cabrini Green durch einen Wandspiegel suggeriert, zweitens die Tatsache, dass es das Housing Project, in dessen Umgebung weite Teile des Filmes spielen, wirklich existierte. In den 1942 errichteten Häuserblöcken lebten zur Spitze bis zu 15.000 Menschen in knapp über 3.000 Wohneinheiten. Obwohl in einer vergleichsweise guten Gegend angesiedelt, wurde Cabrini Green landesweit zum Synonym für die Probleme mit sozialen Wohnprojekten: Gangs formierten sich und lieferten sich blutige Auseinandersetzungen, die Verbrechensraten stiegen in ungeahnte Höhen, die Stadt überließ die Häuser und ihre Bewohner sich selbst, den stetigen Verfall noch forcierend. Im Jahr 2011 wurde schließlich das letzte Gebäude der Siedlung abgerissen.

Roses Film richtet seinen Fokus auf die Reise, die seine weiße intellektuelle Protagonistin in das für sie unbekannte Terrain unternimmt – die Parallelen zu „Alice in Wonderland“ sind dank des Spiegelmotivs unübersehbar. Nicht Helens Forschung steht im Mittelpunkt ihres Interesses, sondern das Eintauchen in eine fremde Welt, eine Welt, in der sie ein Eindringling ist, dessen Auftreten als Provokation oder gar Bedrohung angesehen wird (mehrfach sagt sie, dass sie nichts zu befürchten hätten, da sie für Cops gehalten würden). Es steckt eine gewisse Anmaßung und Arroganz in ihrem Eindringen, darin, wie sie in das Gebäude hineinspaziert und in Wohnungen herumschnüffelt, in denen unter ärmlichsten Verhältnissen lebende Menschen einen grausamen Tod gefunden haben. Aber Helen fühlt sich privilegiert dazu: Schließlich lebt sie in einem Haus, das selbst als Housing Project gedacht war, bevor man ein schniekes Apartementhaus mit teuren Wohnungen daraus machte. (Der reale Abriss von Cabrini Green erfolgte übrigens auch aus dem Grund, weil Grundstücksmakler viel Geld mit dem Grund und Boden, auf denen die Häuser standen, verdienen konnten.) Helen ist keine Rassistin: Aber sie hat die materielle und soziale Überlegenheit gegenüber ihren afroamerikanischen Mitbürgern total verinnerlicht.

Meiner Meinung nach handelt CANDYMAN nicht zuletzt von den Barrieren zwischen den „Rassen“ (im Sinne des englischen Wortes „race“ verstanden), von den Versuchen, sie zu von unterschiedlichen Seiten aus zu überschreiten und den jeweils gleich schmerzhaften, aber doch sehr unetrschiedlichen Resultaten. Auch der Candyman, Sohn eines Sklaven, der durch eine Erfindung zu Geld kam, übertrat einst diese Grenze. Er verliebte sich in eine weiße Frau, wurde mit ihr erwischt, von ihren aufgebrachten Verwandten brutal verstümmelt und schließlich ermordet. Nun kehr er zurück, nicht zuletzt, um sich mit Helen zu vermählen, zu der er eine rätselhafte Beziehung eingeht. Anstatt sie umzubringen, wie er es mit allen anderen tut, die ihm begegnen, macht er sie zu seiner Verbündeten, zwingt sie in die Rolle des Aggressors, macht sie aber gleichzeitig auch zum Opfer. Er zieht sie auf seine Seite und treibt sie immer weiter in den Wahnsinn – und schließlich, am Ende des Films, in den Tod.

Der Candyman-Mythos ist eigentlich kaum mehr als der McGuffin, der eine auf handfesten sozialen Realitäten fußende Geschichte lostritt. Auch wenn Tony Todds Dämon – dessen poetischen, sadomasochistischen Dialogzeilen mehr als einmal an Pinhead aus HELLRAISER erinnern – zum Ende hin immer häufiger in Erscheinung tritt, die blutigen Morde und Helens Schicksal reichlich horribel sind: Der Blick auf die Elendsviertel inmitten der Metropole Chicagos, die Existenz einer völlig vom Rest der Gesellschaft abgeschotteten community, die Unmöglichkeit, eine Einheit zu schaffen, verursachen eine tiefe Traurigkeit im Zuschauer, die den Schrecken, den ein paar Splattereffekte auslösen, völlig überlagert. Philip Glass‘ ätherischer Score unterstreicht diesen Aspekt noch, lässt das Abtauchen Helens in die Ghettos von Cabrini Green als fiebrige Odyssee erscheinen, obwohl die Frau doch lediglich einen anderen Stadtteil bereist. Wie bitter ist das?

Von Bernard Rose, der zuvor den hoch gelobten, mir aber immer noch unbekannten PAPER HOUSE gedreht hatte, hat man nach CANDYMAN erstaunlicherweise nicht mehr allzu viel gehört, obwohl er stetig weiter Filme drehte. Mit dem David-Garrett-Vehikel DER TEUFELSGEIGER kehrte er ja mehr als 20 Jahre nach seiner Clive-Barke-Verfilmung sogar zum Horrorfilm zurück. Spaß beiseite, CANDYMAN erfuhr einige Jahre später noch ein sehenswertes Sequel: Ich hatte anno 1996 das Vergnügen, CANDYMAN: FAREWELL TO THE FLESH beim Fantasy Filmfest zu sehen (den dritten Teil kenne ich nicht). Damals gefiel er mir sogar besser als das von mir als etwas behäbig empfundene Original, aber das sehe ich heute natürlich anders. CANDYMAN ist vielleicht kein wirklich erschreckender Film, aber er widmet sich einem Thema, das im Kino immer noch unterrepräsentiert ist, auf hoch ungewöhnliche, intelligente, bewegende und originelle Art und Weise.

 

 

 

46698a_lgMan lernt doch nie aus: Nicht nur, dass ich diesen ultramegaerfolgreichen Film (bei Kosten von knapp 5 Millionen US-Dollar spielte er über 86 wieder ein) gestern zum ersten Mal gesehen habe, auch dass er auf einer wahren Begebenheit beruht und das Spukhaus tatsächlich existiert, war mir neu. Meine Beziehung zu Rosenbergs Kassenschlager beschränkte sich bislang auf die Parodie, die das MAD-Magazine dem Werk angedeihen lassen hatte und die die Sichtung des Films selbst meinem naseweisen Ich vor annähernd 30 Jahren wenig erstrebenswert erscheinen ließ. Spukhausfilme sind nie so ganz mein Ding gewesen und diese spezielle Sorte „respektabler“, ja „wissenschaftlicher“ Haunted-House-Filme, die sich in erster Linie an die Leser von Tratschmagazinen richten und die THE AMITYVILLE HORROR nicht unwesentlich inspiriert hat, finde ich meist besonders öde und lächerlich.

THE AMITYVILLE HORROR ist zugegebenermaßen einen Hauch besser als zeitgenössische Vertreter des Genres. Zum einen sieht er sehr gut aus, hat einen sehr schönen Score und eine gute Besetzung. Aber auch er nimmt seinen albernen Hokuspokus viel zu ernst, rettet über Umwege den lieben Gott vorm Aussterben und lässt sich elend viel Zeit, in der nichts passiert. Man kann ihm seinen Verzicht auf allzu markige Effekte auch zugute halten: Wer die Leidensgeschichte der Familie Lutz als einfaches Zeichen dafür werten möchte, dass sich die Ehepartner mit dem Kauf des Hauses kurz nach der Heirat hoffnungslos übernommen haben, bekommt von Rosenberg Beistand für seine These. Tatsächlich sind die „paranormalen“ Ereignisse überwiegend so banal, dass man sich über die Reaktionen, die sie hervorrufen, nur wundern kann. Und eine echte Bedrohung lässt sich eigentlich auch nicht ausmachen: Gut, die Pfaffen und Nonnen, die kotzend von dannen ziehen und sich erstmal ins Bettchen legen müssen, werden ganz schön mitgenommen, aber die Lutzens machen doch eigentlich noch eine ganz gute Figur. Papa George (James Brolin) gibt den Jack Torrance, sieht zunehmend mitgenommen aus und ist arg launisch, aber um sein Leben muss man genauso wenig fürchten wie um das von Gattin Kathy (Margot Kidder): Man weiß auch ohne Kenntnis des zugrunde liegenden Falls, dass der amerikanischen Traumfamilie batürlich nichts passieren wird. Am gruseligsten fand ich tatsächlich die Aussicht, dass sie 80.000 Dollar  verbrannt hat, die sie nie wieder bekommt.

Die zigtausend Leute, die den Film damals zum Kassenschlager machten und dafür sorgten, dass etliche Sequels erschienen (eines der seltsamsten Phänomene des an solchen nicht armen Horrorgenres), werden das anders gesehen haben, aber meines Meinung nach ist THE AMITYVILLE HORROR kein Stück gruselig. Dafür ist Rosenberg viel zu beschäftigt, den „Realismus“ zu betonen; er vergisst darüber, dass so ein Horrorfilm vor allem schockierend und beunruhigend sein sollte. Die Geisteraktivitäten lassen jede Stringenz vermissen, wirken episodisch und konsequenzlos, wie etwa in einer kurzen Episode, in der von einer Sekunde zur nächsten 1.500 Dollar einfach so verschwinden, dann wieder, wenn dann doch mal das große Drama bemüht wird, etwa in den Szenen um Pfarrer Delaney (Rod Steiger) und seinen Adlatus Bolen (Don Stroud), nachgerade albern. Wenn das Auto der beiden plötzich spinnt, der panische Bolen schreit, dass das Lenkrad blockiert sei, obwohl man überdeutlich sieht, dass der Wagen genau das macht, was der wie wild am Steuerrad herumkurbelnde Fahrer ihm sagt, ist das schon ein ziemlich idiotischer Moment in einem Film, der sonst betont blutarm und unterkühlt vorgeht. Auch der ziellos durch die Gegend tapernde Kriminalbeamte mit dem Cordhut und der Vorleibe für fette Zigarren wirkt wie ein Überbleibsel aus einer verworfenen Drehbuchversion. Eigentlich eine ganz hübsche Figur, aber so tut er nichts weiter, als einen eh schon überlangen Film noch länger zu machen. Und das Ende ist ein totaler Reinfall. Sollte Kino nicht aufregender als die Wirklichkeit sein?

Was mein finales Urteil angeht, bin ich dennoch etwas unentschlossen: Einerseits fand ich THE AMITYVILLE HORROR besser als erwartet, andererseits liegt das aber auch gerade daran, dass er totalen Mumpitz mit dem heiligen Ernst eines Seelsorgers verkauft. Unglaublich, dass das manche Menschen für bare Münze nahmen.

mystereDer Giallo im engeren Verständnis ist ein Genre der Siebzigerjahre. Seine Grundlagen wurden in den Sechzigern gelegt, mit den Wallace-Gruselkrimis aus Deutschland etwa, aber zur vollen Blüte reiften die sexuell aufgeladenen Whodunits um perverse Killer erst im darauffolgenden Jahrzehnt. Noch einmal ein paar Jahre später war der Spuk wieder vorbei: Ein Blick nach Italien zeigt zwar, dass auch in den Achtzigern noch Giallos gedreht wurden, aber etwas hatte sich massiv verändert. Carlo Vanzinas MYSTÉRE ist ein gutes Exempel, um den Giallo im Wandel der Zeit zu illustrieren.

Der Film beginnt mit einem als solchem gekennzeichneten „Prolog“: Peter Berling sitzt in Rom auf offener Straße und fotografiert das Attentat an einem Politiker. Es ist mehr als deutlich der Ermordung an JFK nachempfunden, als Lee Harvey Oswald fungiert hier der wunderbare John Steiner. Schon hier also ein erster Unterschied zu den „alten“ Giallos: Der Schlüssel zum Verständnis ist nicht tief in der Vergangenheit und der Psyche des Täters vergraben, es geht nicht um eine individuelle Disposition, sondern um Vorgänge politischer Tragweite. Danach lernen wir die Titelheldin des Films kennen: Mystére (Carole Bouquet) ist eine Luxusprostituierte, die wie eine Königin durch die nächtlichen Straßen stolziert. Gemeinsam mit ihrer Kollegin und Freundin Pamela (Janet Agren) suchen sie einen Kunden auf, eben jenen Fotografen vom Anfang. Pamela stiehlt ihm ein Feuerzeug, dass die Fotos enthält, auf denen der Mörder zu sehen ist. Natürlich haben dunkle Mächte großes Interesse an ihnen und heften sich den beiden Prostituierten an die Fersen. Mystére bekommt bald Hilfe von dem Hardboiled-Polizisten Colt (Phil Coccioletti) …

Vanzina hat für MYSTÉRE viele Ideen, aber leider fehlt ihm ein schlüssiges Konzept: Sein Film inkorporiert Elemente des Giallos auf (die Morde durch einen Unbekannten), des Film Noir (die Beziehung zwischen der geheimnisvollen Mystére und dem obercoolen Macho Colt), des Caper Movies (die Jagd nach der Beute) sowie des Politthrillers (die Verschwörung um das Attentat) und verquirlt diese zu einem stets unterhaltsamen, am Ende aber auch seltsam egalen Werk. Es fehlt der rechte Clou und die Hauptfigur, die nicht nur ihren Namen als Titel leiht, sondern während der ersten Hälfte auch mit unerschütterlicher Souveränität und Autorität durch den Film stolziert, wird am Schluss beinahe zur Statistin degradiert. Es wirkt ein bisschen so, als habe der zentrale Besetzungscoup die Begehrlichkeiten und die Zielsetzung der Macher verändert: Carole Bouquet hatte kurz zuvor an der Seite von Roger Moore im Bond-Film FOR YOUR EYES ONLY gespielt und durfte damals wohl als eine der überirdisch schönsten Frauen der Welt gelten. Vanzina umschmeichelt sie geradezu mit seiner Inszenierung, macht sie zum unangefochtenen Zentrum seines Films, obwohl die Handlungen ihrer Figur das kaum rechtfertigen.

Vielleicht schwebte Vanzina auch eine Art moderner Hommage an Filme wie Stanley Donens CHARADE vor: eine wunderschöne, geheimnisvolle Frau, ein harter, männlicher Hund, internationale Intrigen in der ewigen Stadt, dazu das amouröse Hin und Her einer Screwball-Komödie. Was fehlt sind aber der Humor, Esprit und der kultivierte Charme eventueller Vorbilder. MYSTÉRE ist eben voll in den Achtzigern verhaftet und von auffallender Kühle. Carole Bouquet sieht aus wie ein besonders distanziertes Supermodel, der Soundtrack erinnert dann und wann an das apokalyptische Wummern, das Goblin dem DAWN OF THE DEAD-Score verliehen haben, am Ende geht es nur ums Geld. Der Noir-Cop und die Femme Fatale geistern durch Vanzinas Filmwelt wie Relikte einer vergangenen Zeit. MYSTÉRE ist schon ein schöner Film, halt nur etwas unbefriedigend. Aber das ist ja oft so im Leben.

 

the-chilling-poster-202x300Oh Gott, was für ein unansehnlicher Käse. Erwartet hatte ich popcornigen, effektlastigen Plastikhorrror wie er in den Achtzigern populär war, bekommen habe ich kreuzlangweiligen Billigschlock, bei dem eigentlich gar nichts funktioniert.

Dabei geht es mit der ellenlangen Laufschrift zu Beginn, die den Zuschauer auf den neuesten Stand bringt hinsichtlich der Möglichkeit, sich einfrieren zu lassen, und dann die zwingende Frage stellt, ob diese Errungenschaft der Wissenschaft ein Segen oder nicht doch eher ein Werk des Teufels sei, immerhin noch putzig los. Man ahnt schon: Von jemandem, der in diesen Kategorien denkt, sollte man nicht allzu viel erwarten. Und so kommt es dann auch.

THE CHILLING ist streng genommen nichts anderes als ein Zombiefilm und eine freche Kopie von Dan O’Bannons THE RETURN OF THE LIVING DEAD noch dazu. Dr. Miller (Troy Donahue) ist der Kopf hinter Universal Cryogenics, einer Firma, die Menschen auf Wunsch hin einfriert. In Wahrheit ist die ganze Unternehmung aber nur Tarnung für einen florierenden Organhandel. Eines Nachts schlägt der Blitz in das Lagerhaus mit den Cryo-Tanks ein, woraufhin  die Eingefrorenen wieder auferstehen. Metzelmurks und Ende.

Man merkt von Anfang an, dass THE CHILLING eiligst runtergekurbelt wurde und der Aufhänger nur zur Vortäuschung einer gewissen Tagesaktualität diente. Dass Promis sich einfrieren lassen wollen oder dies schon getan haben, ging damals durch die Presse und der Film macht dann auch mit den Namen Disney, Roosevelt und Michael Jackson auf. Danach regiert jedoch die totale Beliebigkeit: Das Drehbuch hat es noch nicht einmal hinbekommen, eine echte Hauptfigur zu entwerfen. Linda Blair tritt auf als Assistentin von Dr. Miller, die sich der Wünsche des Klienten Davenport (Jack De Rieux) annimmt, der kurz hintereinander seine Frau und dann seinen verbrecherischen Sohn auf Eis legen lässt. Zwischen beiden entspinnt sich eine sehr halbherzige, sehr unglaubwürdige und vor allem sehr überflüssige Liebesgeschichte und der Film wendet sich der Arbeit zweier Nachtwächter zu, von denen einer von Dan Haggerty gespielt wird. Die beiden langweilen sich, müssen dann mit einem Stromausfall klarkommen und sich schließlich der Tiefkühlzombies annehmen, die aussehen wie grüne Gummimenschen. Das läuft dann so ab, dass da ewig lang im Dunkeln rumgekraucht und Spannung vorgegaukelt wird, wo einfach nur völlige Inkompetenz vorherrscht. Am Ende latscht dann noch ein Zombie mit Rauschebart durchs Bild, im Hintergrund sieht man einen Cryo-Tank mit der Aufschrift „A. Khomeini“. Und ein Sequel wird natürlich auch angeteasert, das dann aber glücklicherweise nicht mehr realisiert wurde.

Nee, hier geht gar nix, bei allem Wohlwollen. Auf die Geschichte wurden wohl maximal fünf Minuten verwendet, THE CHILLING ist dazu noch grausam unansehnlich, die Effekte beschissen, Spannung oder gar Schauder sucht mag ganz vergeblich. Dieser ganze Cryo-Kram hätte ja durchaus Stoff für einen Horrorfilm hergegeben, aber der Schrecken, aus dem Tiefkühlschlaf aufzuwachen und festzstellen, dass nichts mehr so ist wie vorher, hätte definitiv intelligentere Menschen gebraucht als die beiden Filmemacher, deren Regiekarriere nach diesem Rohrkrepierer wenig überraschend schon wieder vorbei war.

bobaJapan während des Zweiten Weltkriegs: Murayama (Minoru Ôkôchi), Chef der Militärpolizei und ein ausgemachter Sadist, hat ein Auge auf die schöne Gesellschaftsdame Namiji (Naomi Tani) geworfen. Als ihr Name bei der Vernehmung des Schauspielers Kayo (Rei Okamoto), eines angeblichen Staatsfeindes, fällt, sieht er seine Chance gekommen und lässt die Dame verhaften. In seinem Folterkeller wird sie immer fantasievolleren Methoden und Demütigungen ausgesetzt, bis ihr der Folterknecht Taoka (Kazuo Satake), der sich in die leidesnfähige Frau verliebt hat, zur Flucht verhilft …

ORI NO NAKA NO YÔSEI gilt als eines der „Meisterwerke“ aus Nikkatsus Roman-Porno-Reihe, die immerhin fast zwei Jahrzehnte lief und mehrere hundert Filme umfasst. Mit seinem sehr konkreten historischen Hintergrund, der aufwändigen Ausstattung und seiner unverkennbaren Kritik an den Obrigkeiten, die ihre Autorität zur Stillung ihrer eigenen, degenerierten Bedürfniss missbrauchen, hebt er sich von anderen, meist rein fiktiven Pinku-Stoffen ab. Die Folterkeller-Thematik hat ja ein ganz eigenes, bis heute in Japan lebendiges Subgenre nach sich gezogen, und die rituellen Bondagepraktiken, die hier zum Einsatz kommen, sind schon höchst faszinierend. Intellektuell bewegt sich ORI NO NAKA NO YÔSEI durchaus in Sichtweite zu etwa Pasolinis SALÓ O LE 120 GIORNATE DI SODOMA, auch wenn der Italiener weniger voyeuristisch und lüstern, sondern eher analytisch zu Werke ging als sein Regiekollege einige Tausend Meilen weiter östlich. Aber Ohara schafft die Gratwanderung zwischen geiler Zeigefreude und der puren Lust am Tabubruch und seinem hehren Anliegen als Künstler. Das Leid seiner Opfer, die unter falschem Vorwand gequält werden, demzufolge gar keine Möglichkeit haben, ihrer Folter zu entgehen, wird im Blick  der Kamera/des Zuschauers noch einmal gedoppelt, der Zuschauer findet sich unweigerlich auf der falschen Seite wieder. Das brachiale Finale, eine Art Reminiszenz an Arthur Penns BONNIE & CLYDE, verfehlt seine Wirkung ebenfalls nicht.

Es mag von einigen als Beleg des Scheiterns gewertet werden, aber aller Kritik an den Obrigkeiten, allen Leids der Opfer zum Trotz ist ORI NO NAKA NO YÔSEI auch ein großer perverser Spaß. Logisch, war der Roman Porn aus dem Hause Nikkatsu doch in allererster Linie eine hochkommerzielle Angelegenheit, die die Massen in die Kinos locken und ihr niederen Instinkte befriedigen sollte. Die von Nikkatsu etablierte Strategie, ambitionierten Regisseuren ein gewisses Maß an Freiheit zu geben und gleichzeitig mit strengen Vorgaben dafür zu sorgen, dass sie nicht über die Stränge schlagen konnten, zahlte sich oft aus und war die Grundlage für eine der größten Exploitation-Filmschmieden der Geschichte. Man bekam einerseits verlässliche Qualität und Schweineigeleien, die sozusagen per Quote garantiert waren, andererseits ließen es sich die Filmemacher oft nicht nehmen, den anonymen, am Fließband erdachten Stoffe mit eigenen Einfällen ihren eigenen, individuellen Stempel aufzudrücken. ORI NO NAKA NO YÔSEI begann als kleiner Eintrag in Nikkatsus Enzyklopädie der Derangiertheit und reifte dank der klugen Regie von Ohara zum Klassiker des SM-Kinos heran.

vampyres_1974_poster_01Wo ich anlässlich meines Textes zu LEMORA: A CHILD’S TALE OF THE SUPERNATURAL schon beim Thema „erotische Vampirfilme“ war, macht es Sinn dort weiterzumachen. VAMPYRES ist einer der Klassiker des Subgenres, den ich bislang immer noch nicht gesehen hatte. Er variiert die bekannten Zutaten eigentlich nur geringfügig: Die beiden Vampirdamen Fran (Marianne Morris) und Miriam (Anulka Dziubinski) leben gemeinsam in einem alten Schloss auf dem britischen Land, in das sie arglose Männer locken, sie zu ihren Lustsklaven machen und dann schließlich aussaugen. Deutlich liebevoller und zärtlicher wenden sich die beiden untoten Schönen aber einander zu und wenn sie ihre nackten Leiber dann vom Blut gereinigt haben, erholen sie sich tagesüber von ihren lüsternen nächtlichen Abenteuern, um neue Kraft zu tanken. Beneidenswert! Natürlich kommt ihnen bei der langsamen Verführung ihres neuesten Opfers jemand in die Quere: Das liebenswerte englische Pärchen Harriet (Sally Faulkner) und John (Brian Deacon), das unweit des Schlosses mit seinem Wohnwagen halt macht und bald Zeuge überaus merkwürdiger Vorgänge wird.

Erzählerisches Neuland betritt Larraz mit VAMPYRES wirklich nicht; zunächst war ich etwas verwundert über den Ruf, den der Film genießt, und die zum Teil euphorischen Reaktionen, die er von seinen Fürsprechern erfährt. Das änderte sich dann aber ungefähr zur Halbzeit, als die beiden bis dahin sehr zivilisierten Damen zum ersten Mal die Zähne blecken. Die Zeit der verschämt-gezielten Bisse in die rehgleichen Alabasternacken holder Damen ist mit VAMPYRES vorbei: Hier wird beim Blutsaugen eine richtige Schweinerei angerichtet, verwandeln sich die beiden Vampirinnen in gierige Bestien, die in der Ekstase völlig außer Kontrolle geraten. Von ihnen gebissen und versklavt zu werden, verspricht keinen aufregenden erotischen Kitzel, für das man sein irdisches Dasein nur zu gern opfert: Es kommt vielmehr der völligen Selbstaufgabe gleich, einem kannibalischen Verzehrt-Werden, das unermessliche, unendliche Qualen auslöst. Die Männer, die den beiden ins Netz gehen, sind nur zu beneiden, solange Fran und Miriam sich von ihnen fern halten: Frans Opfer, ein selbstbewusster Geschäftsmann, verwandelt sich in ein hilfloses, blasses Etwas, Miriams Errungenschaft kann ihrer Wildheit überhaupt nichts entgegensetzen, sein blutiger Kadaver muss danach schnellstmöglich verschwinden.

Ich würde gern noch irgendetwas Schlaues sagen zu dem Film, aber ich stehe leider auf dem Schlauch. Ich fand ihn toll, aber es ist nicht so, dass er mir etwas wirklich Neues gesagt hätte. Was VAMPYRES auszeichnet, ist dieses unberechenbare Umschwingen vom milden Mystery-Grusel zum schreikreischigen Blutrausch. Larraz hat einen sehr, sehr körperlichen Vampirfilm gedreht: Mit dem romantisch-esoterischen Seelen- und Unsterblichkeits-Gedöns anderer Vampirfilm hat er denkbar wenig am Hut, er ist nicht mystisch-ätherisch, sondern im Gegenteil fleischlich und eben blutig. Hier geht es um nicht weniger als die existenzielle Wurst.

 

zux00rrLila Lee (Cheryl Smith) ist der blonde Engel ihrer kleinen Gemeinde und ihre glockenhelle Stimme verzückt die Kirchgänger bei der Messe – und den Prediger (Richard Blackburn), der das Mädchen bei sich aufgenommen hat, als ihr Vater, der berüchtigte Gangster Alvin Lee aus Eifersucht ihre Mutter umbrachte. Als Lila den Brief einer gewissen Lemora (Lesley Taplin) erhält, die sie zu sich einlädt, um Abschied von ihrem todkranken Vater zu nehmen, macht sich das junge Mädchen auf eine Reise in die Nacht …

LEMORA lässt sich im allerweitesten Sinne der Welle der lesbisch-erotischen, dunkelromantischen Vampirfilme zuordnen, die in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre populär waren. Mich hat er besonders an den zwei Jahre zuvor entstandenen MAIS NE NOUS DÉLIVREZ PAS DU MAL erinnert: Zwar ist Lila Lee nicht so ein Satansbraten wie die Protagonistinnen jenes Films, aber wie dort zieht sich eine Auseinandersetzung mit institutionalisierter Religion und der philosophischen Idee von Gut und Böse durch ihre Geschichte. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Filmen ist ihr Ton bzw. ihre Perspektive: LEMORA: A CHILD’S TALE OF THE SUPERNATURAL versetzt den Zuschauer in die Figur Lila Lees, sieht die sich vor ihr entfaltende, albtraumhafte Märchenwelt durch ihre Augen – eine einleuchtende Entscheidung, entspringt diese Welt doch unmittelbar ihrem Innenleben. Lila ist in dem Glauben aufgezogen worden, aufgrund ihrer Herkunft ein Kind des Teufels zu sein: Nur der Schutz des Predigers hat sie zu einem guten Menschen, ja mehr noch: einem Engel, werden lassen, der in ihrer Gemeinde nun geradezu als lebendes Beispiel für allumfassende Güte unseres Herrgotts herhalten muss. Für Lila ist das alles überhaupt nicht verständlich: Sie hat vor allem Zweifel, dass die Saat des Bösen tatsächlich ganz ausgelöscht wurde. Ihre Reise in die Nacht, in das Reich der Vampirin Lemora, die mit einer Gruppe vampirischer Kinder in einem alten Landhaus lebt, und sich gegen ihre ehemaligen Opfer zur Wehr setzen muss, die als werwolfartige Wesen den umgebenden Wald durchstreunen, konfrontiert sie mit dunklen Trieben, die auch in ihren Lenden wohnen.

Das Besondere an LEMORA ist die Bildwelt, die Regisseur Blackburn auf die Leinwand malt. Er spielt weder im 18. noch 19. Jahrhundert noch überhaupt in Europa, sondern in den Zwanziger- oder Dreißigerjahren in den US-amerikanischen Südstaaten. Die Bilder zeigen nicht den gothischen bis barocken Pomp vergleichbarer Filme, sondern sind deutlich dunkler und sparsamer, oft durch bizarre Perspektiven und spannungsreiche Bildkompositionen verzerrt, die man fast als „comichaft“ bezeichnen könnte (ich habe die Vermutung, Sam Raimi hat den Film auch gesehen, bevor er THE EVIL DEAD drehte). Die Ausleuchtung taucht alles in blaues und rotes Licht, verstärkt den Eindruck der Desorientierung, die Lila befällt noch zusätzlich. Dabei wirkt LEMORA aber nicht überstilisiert oder gar kalt: Blackburn bewahrt sich bei aller Artifizialität jene gewisse grobe Textur des Exploitationfilms, die man mit Auto- und Bahnhofskinos verbindet. Der Film ist nicht sauber und theoretisch, sondern tatsächlich dunkel, albtraumhaft und bisweilen beunruhigend. Nicht alles, was sich Blackburn vornimmt funktioniert perfekt, hier und da bröckelt der Putz. Es rumpelt und rumort im Unterholz, wenn man so will, aber genau das zeichnet LEMORA aus.

Vor Urzeiten stieß ich in Frank Trebbins damals noch postalisch geordertem Horrorfilmlexikon auf Blackburns Film: Es war damals die einzige Publikation, die LEMORA überhaupt erwähnte (zumindest von denen, die ich besaß). Heute ist er etwas einfacher zu bekommen, es gibt, wenn ich das richtig gesehen habe, sogar eine schöne Blu-ray-Veröffentlichung des Titels. Blackburn hat einen echten Kultfilm gedreht, aber einer, der immer noch unter dem Radar fliegt, eher auf Listen mit raren Filmen gelistet wird, als dass er zur Referenzgröße herangereift wäre. Er ist einfach anders, „einzigartig“ würde ich fast sagen, fällt immer wieder durchs Raster, sobald man ihn einzuordnen versucht. Das kann man nicht allzu oft behaupten. Ich habe viel erwartet und bin nicht enttäuscht, sondern sogar noch überrascht worden.

zoom-in-rape-apartmentsTristesse Royal. In einer noch nicht ganz fertig gestellten, irgendwo auf der grünen Wiese weit draußen vor der Stadt hochgezogenen Plattenbau-Neubausiedlung geht ein Serienvergewaltiger um, der seinen Opfern nach vollzogener Tat auch noch ein Feuer zwischen den Beinen legt und sie so umbringt. Die hübsche Saeko (Erina Miyai), die vor einiger Zeit selbst eine Vergewaltigung über sich ergehen lassen musste, vermutet, dass der Täter ihr ehemaliger und neuer Liebhaber Sachi (Yôko Azusa) sein könnte: Er besitzt nämlich ein ungewöhnliches Werkzeug, mit dem auch Saeko einst bedroht worden war.

Ob Sachi nun der Täter ist oder nicht, spielt im Verlauf des Films nur eine untergeordnete Rolle. Mehr als einer Geschichte oder einer konventionellen Auflösung ist er einer speziellen Atmosphäre und Bildwelt verpflichtet, für die der Schauplatz repräsentativ ist. Die Neubausiedlung ist noch in der Fertigstellung begriffen, viel eher aber sieht sie aus, als seien die Betonskelette der Häuser von der Apokalypse verschont worden. Auf den Betonpisten, die sich durchs Ödland ziehen, den von Bauschutt und Schrott übersäten Plätzen versammeln sich die traurigen, gesichtslosen Menschen, die dort leben, wie die Zombies, die in DAWN OF THE DEAD den Parkplatz vor der Shopping Mall bevölkern (ich musste auch mehrfach an Manfred Stelzers freilich ganz anders gelagerten DIE PERLE DER KARIBIK denken, der aber ein sehr ähnliches Setting hat). Die Kremation einer Leiche wird etwa von einem geistig behinderten Mädchen beobachtet, das sich Essbares aus dem Müll in den Mund stopft. Nice.

Kurosawa – nicht verwandt oder veschwägert – lässt seinen Film immer weiter Richtung eines bleichen, der Welt fremd und unverwandt gegenüberstehendem Surrealismus entgleiten, der am Ende die Frage aufwirft, was von dem, was man da eben gesehen hat, überhaupt „real“ war: Heldin Saeko bemerkt am Ende, dass ihr Urin die Beine hinuntertropft. Ein Blick zurück zeigt, dass sie eine Feuerspur hinter sich herzieht. Eine Schwangere, die ihr entgegenkommt, geht ohne Vorwarnung in Flammen auf. Der Serienvergewaltiger und -mörder ist auch nur eine Ausprägung jener totalen Entffremdung, die das Individuum in einer Umwelt erfährt, die dazu gemacht wurde, ihn zu brechen. Ein faszinierender Film mit deutlichen Giallo-Anleihen (schwarze Handschuhe, schwarzer Mantel, fiese Stichwaffe), dessen erheiterndster Moment die Demütigung ist, die der Klavierstimmer Sachi von einer zickigen Kundin erfährt: „You lowly tuner!“ Da bedauert man fast, dass man kein Klavier zu Hause hat.