Archiv für März, 2019

Kritiker sahen in THOR: RAGNAROK eine Art Neustart der THOR-Reihe: Waititi hatte sich angeblich von GUARDIANS OF THE GALAXY inspirieren lassen, dessen Witz und Leichtigkeit dem Film innerhalb des MCU eine gewisse Sonderstellung verliehen hatten. Es leuchtet ein, warum die Kritik diese Verbindung herstellte: THOR: RAGNAROK ist wie der genannte Smash Hit bunter, episodenhafter, poppiger, und humorvoller als die anderen Filme aus dem Marvel-Universum. Andererseits hatte Hemsworth den Donnergott Thor schon in den vorangegangenen Einträgen mit einer Prise Selbstironie versehen, wissend, dass ein langhaariger Wikinger aus dem Kitschkönigreich Asgard nur schwerlich als „cool“ zu verkaufen ist. Ich bin ja eh einer der wenigen Verteidiger des ersten THOR und mir hatte an ihm seinerzeit genau das gut gefallen, was alle an ihm bemängelten: dass er vergleichsweise flüchtig daherkam, ohne diese aufgesetzte Bedeutungshuberei, die die Filme aus dem MCU spätestens seit deren zweiter Phase zu einer oft drögen Angelegenheit werden ließ.

Waititi hat genau diese Qualität bewahrt bzw. sie weiter ausgebaut: RAGNAROK ist ein Bubblegum-Spektakel voller One-liner, im positiven Sinne blöder Witzchen, spektakulärer Set Pieces, bunter Bilder und überdrehter Figuren. Die Story, eine haarsträubende Aneinanderreihung von Duellen, ist merklich zweitrangig, wichtiger sind die geilen Kulissen, Effekte, Gags und Kostüme. Endlich kommt auch der vernachlässigte Hulk mal wieder zu seinem Recht, wahrscheinlich die interessanteste Figur der Avengers, aber auch die, mit der die Macher am wenigsten anzufangen wissen. Dabei beweist Waititi, dass der große Wutbrocken auch in einem solch leichten Film wie diesem einen spannenden Protagonisten abgeben kann. Die Szenen zwischen Thor und ihm sind Highlights und man fragt sich, wozu es überhaupt solcher Langweiler wie Captain America, Iron Man, Hawkeye oder Black Widow bedarf, wenn man diese beiden Charmebolzen am Start hat.

Alles gut also? Nun ja. Zwar finde ich THOR: RAGNAROK um ein Vielfaches sympathischer als 99 Prozent der Filme, die mit dem Marvel-Logo erscheinen – allein der Einsatz von Led Zepplins „Immigrant Song“ ist mir eine Verbeugung wert -, aber am Ende kann auch Waititi den Vorwurf der Formelhaftigkeit nicht ganz zerschlagen. Klar, hier geht es um Trivial-Entertainment, aber dieser antiseptische Look und die Eile, mit der von einer „Nummer“ zur nächsten gerast wird, ohne die Geduld, mal einen Moment einfach atmen, ein Bild stehen zu lassen, oder dem Betrachter die Möglichkeit zu geben, sich umzusehen, stehen einem echten Erlebnis im Weg. Diese Geschäftigkeit ist immer noch das Hauptproblem des MCU – und THOR. RAGNAROK macht da letztlich auch keine Ausnahme.

Mit drei Anläufen binnen 20 Jahren dürfte das Kapitel der Spider-Man-Verfilmungen eine der größeren Marketing-Kuriositäten sein, die sich Hollywood erlaubt hat. Raimi hatte mit seinen Silver-Era-Huldigungen eigentlich alles richtig gemacht, bis er sich mit seinem dritten Teil zu viele Freiheiten gönnte und die Gunst seines bis dahin wohlgesonnenen Publikums verlor. Der zweite Anlauf um den AMAZING SPIDER-MAN war im Gegensatz dazu eigentlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt und zum Spott freigegeben, bevor auch nur ein Bild davon zu sehen gewesen war: Das MCU stand beim Start des ersten der beiden Filme mit Andrew Garfield bereits in voller Blüte und Sonys Bemühen, die Figur um jeden Preis zu halten, wurde von den Marvel-Fans geradezu als Sakrileg betrachtet. Dass der wahrscheinlich populärste aller Marvel-Superhelden mit CAPTAIN AMERICA: CIVIL WAR endlich eingemeindet wurde, sorgt für kollektives Aufatmen und mit SPIDER-MAN: HOMECOMING ist nun endlich alles gut. Zumindest wenn man den Nerds Glauben schenkt.

Schluss mit den Querschlägern, den eigenen Ansätzen, der Abwesenheit anderer beliebter Marvel-Helden – und der nach mittlerweile zwei Auffrischungen überflüssigen Origin-Story. Es ist sicherlich ein wesentlicher Vorteil, dass man sich bei HOMECOMING nicht erneut durch Spideys Genese quälen muss, sondern gleich in medias res geht, auch wenn das bedeutet, per „Found Footage“ noch einmal mit Erinnerungen an CIVIL WAR gelangweilt zu werden. Watts Film beschäftigt sich mit Parkers (Tom Holland) Reifeprüfung: Nachdem er seinen ersten Auftritt zu Tony Starks (Robert Downey jr.) Zufriedenheit absolviert hat, wird er erst einmal wieder auf die Warterampe verschoben. In Wahrheit natürlich ein Test Starks, mit dem er Parkers „Erdung“ sicherstellen will. So kümmert sich Spidey dann auch nicht um einen der großen kosmischen Weltbeherrschern, sondern einem vergleichsweise unambitionierten Strauchdieb: Adrian Toomes (Michael Keaton) ist allerdings Alien-Technologie aus THE AVENGERS in die Hände gefallen, die ihm und seinen Männern auf ihren Streifzügen nun besonderen Waffenpower verleiht: Als Vulture erhebt er sich in die Lüfte und startet von dort aus seine Überfälle. Derweil muss Parker sich mit den Bullies aus seiner Klasse herumärgern, das Warten auf einen Anruf der Avengers aushalten und natürlich das Herz der schönen Liz (Laura Harrier) erobern. Am Ende rettet er den Tag, bekommt einen neuen Anzug von Starks überreicht und die Post-Credit-Sequenz teasert den nächsten Film an.

Genau das haben die Comicnerds und Marvel-Fans gefeiert: Das endlich auch bei Spidey alles so ist wie immer in diesem Filmen. Ja, HOMECOMNG ist natürlich besser als der Clusterfuck namens THE AMAZING SPIDER-MAN 2 und, ja, Holland ist sympathischer als sein Vorgänger Andrew Garfield. Der Neighborhood Hero muss nicht mehr im luftleeren Raum agieren, sondern schwingt sich tatsächlich in seinem natürlichen Habitat von Wolkenkratzer zu Wolkenkratzer, Marvel-Diehards müssen keine lauen Kompromisse mehr eingehen und mit Watts Regie halten die für die Comics so charakteristischen Leichtigkeit und Witz Einzug. Parker bei seinen ersten Gehversuchen als Held beizuwohnen, bedient das jugendliche Wish Fulfillment, das den Charakter vor anderen Superhelden auszeichnet, und Holland kommt natürlich rüber dabei, weniger schnöselig als sein direkter Vorgänger, weniger brav als einst Tobey Maguire. HOMECOMING macht so gesehen vieles richtig, aber er büßt Identität ein, weil er sich dem rigiden Marvel-System unterwirft. Die Story um den Vulture ist – wie so oft in diesen „Einführungen“ – kaum mehr als ein Nachgedanke, hingeworfen, ohne echten Konflikt oder Spannung. Das Duell mit dem Verbrecher ist kaum mehr als ein Ornament, denn im Wesentlichen ist HOMECOMING ein filmisches Wassertreten, das wieder einmal Kommendes vorbereiten soll. Am Ende fragt man sich, was da jetzt eigentlich genau passiert ist in den vergangenen zwei Stunden. Auch formal hat der Film keinerlei Identität: Dass er den beiden ersten Anläufen visuelle Reize hinzufügen würde, war eh nicht wirklich zu erwarten, denn effekttechnisch gab es an denen ja nichts zu bemängeln. Am Ende bleibt das mittlerweile gewohnte Marvel-Gefühl: nettes, aber weitestgehend standardisiertes Entertainment ohne jedes Bemühen um Originalität; Film als reiner, pflichtbewusster Fan-Service, als sauber produziertes, aber auf kurzfristige Befriedigung abzielendes Produkt, dessen wichtigste Aufgabe es ist, die Maschine am Laufen zu halten. Nichts daran ist auf Nachhaltigkeit ausgelegt.

Ich will mich darüber dann auch gar nicht mehr ereifern. Irgendwann wird auch diese Blase platzen, bis dahin muss man sich damit abfinden, dass von Marvel keine kreativen Impulse zu erwarten sind. Das einzige, was mich dann auch wirklich genervt hat, ist Downeys Darbietung als Tony Starks. Fällt den Autoren denn wirklich gar nichts mehr für diese Figur ein, als ständig seine arrogante Smugness zu betonen? Starks ist wohl einer der unsympathischsten Sympathieträger der gesamten Filmgeschichte. Und Downey finde ich mittlerweile unerträglich.

 

Letzte oder vorletzte Woche wurde der BILD-Briefschreiber Franz Josef Wagner in den sozialen Medien für seinen Kommentar zum Terroranschlag in Neuseeland kritisiert bzw. durch den Kakao gezogen: Wie es so seine Masche ist, hatte er aus dem tragischen und sinnlosen Tod Hunderter Unschuldiger eine persönliche Sache gemacht. Das wirklich Furchtbare an dem Massaker in einer Moschee, seien nicht die vielen Toten, sondern dass nun auch sein „Sehnsuchtsland“ Neuseeland seine Unschuld verloren habe. Ich will über diesen geistigen Dünnschiss hier gar nichts weiter sagen, aber dass Neuseeland in unseren kollektiven Hirnen als geradezu utopisch freundlich, friedfertig und auf eine gewisse anrührende Art und Weise rückständig gespeichert ist, scheint mir eine bemerkenswerte Tatsache, deren Ursprung man mal ergründen sollte. Und kaum weniger bemerkenswert ist es, dass einige neuseeländische Filmschaffende dieses Klischee nur zu bereitwillig fortschreiben und damit eine sehr eigene Form von Humor geschaffen haben. Peter Jacksons Frühwerk bezieht seinen Reiz nicht zuletzt aus dem putzigen Englisch, das auf der Insel gesprochen wird, und aus den durch und durch bodenständigen Charakteren, die mit ihrem irdischen Dasein voll und ganz ausgelastet sind. Auch die Comedy-Serie FLIGHT OF THE CONCHORDS, die von zwei hoffnungslos weltfremden und naiven, in ihrem Umgang mit Konflikten geradezu kindlichen neuseeländischen Mistern in New York handelt, arbeitet sich genüsslich am Vorurteil des nahezu außerirdischen Neuseeländers ab. (Ich könnte auch noch die Stunt-Komödie THE DEVIL DARED ME TO anführen, die in eine ganz ähnliche Kerbe haut.)

WHAT WE DO IN THE SHADOWS basiert auf einem Kurzfilm, den Regisseur Taika Waititi bereits im Jahr 2005 gedreht hatte und es gelingt ihm vor allem aufgrund dieses „neuseeländischen“ Humors, mit einer Prämisse wegzukommen, die im Jahr 2014 eigentlich keinen Hund mehr hätte hinter dem Ofen hervorlocken dürfen: Es handelt sich um eine Mockumentary, die den Alltag einer neuseeländischen Vampir-WG mit der obligatorischen Wackelkamera einfängt. Der Witz besteht wie bei so vielen Vertretern dieses Subgenres darin, Themen und Motive, die zuvor der Sphäre des Fantastischen zuzuordnen waren, zu banalisieren: Die Vampire streiten, weil einer der Bewohner nie den Abwasch macht oder weil die Blutsaugerei im Wohnzimmer hässliche Flecken auf dem Teppich hinterlässt, sofern man keine Zeitungen unterlegt. Wenn die Konflikte ausarten, fauchen sich die Streithähne an und fliegen an die Decke. Vor de Spiegel werden alberne Scherze gemacht. Es gibt eine Art Haushälterin, die den Vampiren neue Opfer beschert, um im Gegenzug irgendwann mit der Unsterblichkeit belohnt zu werden – natürlich eine reine Hinhaltetaktik. Und als eines der Opfer – ein Machotyp mit selbstdarstellerischen Tendenzen – mehr aus Versehen nicht umgebracht, sondern zum Vampir gemacht wird, gibt es Probleme, weil der Neue mit seinem Vampirdasein hausieren geht und so schon bald einen Vampirjäger anlockt. Ein weiterer Konfliktherd ist eine Gruppe von Werwölfen, denen die Vampire bei ihren nächtlichen Streifzügen immer wieder begegnen: Die beiden verfeindeten Lager stehen sich dann gegenüber wie in einer albernen Version der WEST SIDE STORY und überziehen sich mit kindischen Beleidigungen, wobei die Vampire mit ihren Fauchanfällen als weibische Theatraliker, die Werwölfe als bessere Hunde diffamiert werden. Das alles ist durchaus witzig, aber wirklich charmant wird es erst durch diese spezielle neuseeländische Bescheidenheit und Freundlichkeit, die die Idee eines Blutsauger von way down under an sich schon zu einem Absurdion macht.

Als Erzähler und Moderator fungiert der zuvorkommende Viago (Taiga Waititi), eine Art Dandy in altmodischen Rüschenhemden, und so etwas wie die Mutter-Figur der Gruppe. Seine schüchtern-zuvorkommende Art steht in krassem Widerspruch zur bestalischen Blutgier, die er an de Tag legt und die ihm ein bisschen peinlich scheint. (Er veranstaltet eine riesige Sauerei, als er die Halsschlagader seines Opfers trifft, aber er bleibt positiv, denn sie scheint „eine gute Zeit“ gehabt zu haben. Deacon (Jonathan Brugh) bezeichnet sich als den „jungen Wilden“ und inszeniert sich als Rebell, als Rockstar, der natürlich mit Viago ständig über Kreuz liegt. Vladislav (Jemaine Clement) spricht mit slawischem Akzent und gefällt sich in der Rolle des romantisch-mystischen Dämons, dem dabei aber dieser nur wenig glamouröse neuseeländische Background im Weg steht. Und im Keller wohnt schließlich doch der 3.000 Jahre alter Petyr (Ben Fransham), ein blutrünstiges Monster, das von den Maskenbildnern nach dem Vorbild von Max Schrecks Nosferatu modelliert wurde und auf den lustigen Gemeinschaftsbildern der WG wie ein Fremdkörper heraussticht. Dann kommt da noch der unerfahrene und unbeherrschte Nick (Cori Gonzalez-Macuer) dazu sowie dessen menschlicher Freund Stu (Stuart Rutherford), der sich in der neuen Gemeinschaft sichtlich unwohl fühlt, aber dabe bleibt, weil er sonst niemanden hat. Er mausert sich im letzten Drittel des Films zum eigentlichen Helden: Wie er da immer etwas misstrauisch, aber beharrlich schweigend zwischen den Blutsaugern steht, ist zum Niederknien. Bei aller Albernheit bleibt WHAT WE DO IN THE SHADOWS sehr zurückhaltend, verliert sich selten in wüstem Slapstick oder gar der Hysterie. Und das ist genau der richtige Ansatz: Es sind nicht so sehr die Vampire selbst, die komisch sind, sondern vor allem die Umstände, unter denen sie ihr Leben fristen müssen. Sie sind mit all ihren Gewohnheiten Fremdkörper im Neuseeland des frühen 21. Jahrhundert, aber sie müssen das Beste aus ihrer Situation machen. WHAT WE DO IN THE SHADOW ist bei allem Witz auch ein schöner Film darüber, wie man seine Identität unter widrigen Umständen bewahrt – und dass es keine Schande ist, ein Sonderling zu sein.

Ein Disclaimer vorab: Stand heute habe ich die Sichtung dieser Serie nach ca. der Hälfte der letzten von drei Staffeln abgebrochen. Das würde sie eigentlich für einen Eintrag hier im Blog disqualifizieren – zumal ich eh nicht über alle Serien schreibe, die ich schaue -, aber in diesem Fall mache ich mal eine Ausnahme. Das liegt vor allem daran, dass ich erst vor einigen Monaten hier die sich um Hannibal Lecter kreisenden Harris-Verfilmungen – MANHUNTER, THE SILENCE OF THE LAMBS, HANNIBAL, RED DRAGON und HANNIBAL RISING – besprochen habe und es schon aus Komplettierungsgründen naheliegt, mit der Betrachtung der Serie von Bryan Fuller den Deckel drauf zu machen. Aber während der Sichtung sind mir noch einige andere Gedanken zum Verhältnis von Original, Adaption, Remake, Neuverfilmung etc. gekommen, die über diese Serie hinausgehen und die ich gern irgendwo festhalten würde. So there.

HANNIBAL (damit meine ich jetzt die Serie) bezeichnet sich in den Credits als „basierend auf Thomas Harris‘ Roman ,Red Dragon'“. Zwar habe ich den nicht gelesen, doch fällt es nicht weiter schwer, dies als nur die halbe Wahrheit zu bezeichnen. Wenn im Mittelpunkt der drei Staffeln auch die Beziehung des Serienmörders Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen) und des hochbegabten Profile Will Graham (Hugh Danny) steht, die im genannten Roman thematisiert wird, so darf Fullers Serie doch als Rundumschlag verstanden werden, bei dem lediglich Clarence Sterling, die Protagonistin aus „The Silence of the Lambs“, auffallend abwesend ist, sonst aber fast alle wesentlichen Charaktere und Storyelemente der Romanreihe vorkommen. Die Serie beginnt in Staffel 1 im Grunde als eine Art Prequel zu MANHUNTER bzw. RED DRAGON: Der Zuschauer erfährt, wie sich der Serienkiller und der Profiler kennenlernten und warum letzterer sich erst von seinem ehemaligen Vorgesetzten Jack Crawford (Laurence Fishburne) zur Jagd auf die Tooth Fairy (in den jeweiligen Filmen gespielt von Tom Noonan bzw. Ralph Fiennes) überreden lassen muss. Wir erfahren in den Filmen, dass sich Lecter durch seine Psychospielchen quasi im Kopf Grahams eingenistet und dort seinen Schaden angerichtet habe. In der Serie läuft das so ab, dass Graham von Crawford angeworben wird: In schöner Regelmäßigkeit – nämlich ca. einmal pro Folge – bekommt es das FBI mit einem bizarren Serienkiller zu tun. Hannibal Lecter fungiert als Therapeut Grahams, um dafür zu sorgen, dass dieser durch seine eigenwilligen Ermittlungsmethoden nicht in den Wahnsinn abgleitet. Was weder Crawford noch Graham wissen: Lecter ist selbst ein Serienmörder und Kannibale, der seine Therapiesitzungen mit dem Profiler letztlich dazu nutzt, diesen zu manipulieren und den Verdacht so auf ihn zu lenken. Am Ende der ersten Staffel landet Graham dann auch als vermeintlich psychopathischer Mörder in der psychiatrischen Anstalt von Dr. Frederick Chilton (Raúl Esparza) – und sinnt auf Rache an dem gefährlichen Psycho-Kannibalen, der Grahams Polizei-Kollegen allesamt um den Finger gewickelt hat. Im Verlauf der zweiten Staffel gelingt es dem inhaftierten Graham schließlich, Zweifel an seiner Schuld und der Unschuld Hannibals zu streuen, sodass es zum Finale zum großen Showdown kommt, bei dem anscheinend alle Figuren bis auf Hannibal sterben. In Staffel 3 sind dann aber doch wieder alle an Bord und die Handlung verlagert sich nach Florenz, wo Ridley Scotts berüchtigter Film mit zum Teil vertauschten Rollen nachgespielt wird, inklusive kleinerer Anleihen bei HANNIBAL RISING.

Die Idee ist natürlich gut: die besten Elemente der Harris-Romane in einer epischen Serie zu verschmelzen, in der die wahrscheinlich spannendste Figur, Hannibal Lecter, im Mittelpunkt steht und all das, was in den vorangegangenen Filmen nur angedeutet wurde, breiten Raum erhält. Dazu nicht mehr die Aufsplittung in mehr oder minder unabhängig voneinander entstandene Werke, deren Macher nicht in erster Linie die filmübergreifende Kontinuität im Sinn hatten, sondern die Aufbereitung aus einem stilistischen und erzählerischen Guss. Leider kann die Serie dieses Versprechen zu keinem Zeitpunkt halten und dafür ist nicht zuletzt die mit einer Serie nun mal einhergehende Struktur verantwortlich, die erfordert, dass das „große Ganze“ in ca. 45-minütige Häppchen eingeteilt wird. Speziell die erste Staffel schrammt mit ihren im verlässlichen Rhythmus auftauchenden „Psychopaths of the Week“ hart am Kintopp entlang: Nicht nur, dass im Zuständigkeitsbereich Crawfords offensichtlich ein ganzes Nest Gestörter beheimatet zu sein scheint, diese befinden sich auch in einem andauernden Schwanzvergleich. Dass man seine Opfer auch einfach „nur“ umbringen und irgendwo verscharren könnte, ist diesen Psychos nie in den Sinn gekommen: Der eine benutzt seine mit Drogen betäubten Opfer als lebende Pilzfarmen, ein anderer errichtet aus ihren Körperteilen einen riesigen Totempfahl, wieder ein anderer stellt aus ihren Innereien Saiten für Streichinstrumente her und einer verwandelt sie gar in Bäume. Das ist schön krank und abseitig und wird von den Maskenbildnern und Effektleuten mit großer Detailfreude ins Bild gerückt, aber in der schieren Häufung wirkt diese wöchentliche Selbstüberbietung einfach lächerlich. Und da diese Fälle sowieso nur rahmendes Beiwerk sind, erfolgt ihre Auflösung dann nahezu im Vorbeigehen, sodass man sich fragt, wieso es überhaupt so weit kommen konnte. Ohne Scheiß: Der Schöpfer des Leichentotems (Lance Henriksen) sitzt in seiner Wohnung und wartet anscheinend nur darauf, dass zwei Kriminalbeamte hereinkommen, denen er dann bereitwillig ein Geständnis ablegen kann. Dieses Missverhältnis zwischen Aufbau und Denouement kann ich mir beim besten Willen nicht schönreden.

Auch optisch beackert die Serie ein anderes Feld als die Filme. Alles ist deutlich glatter und designter als etwa bei Demme und Scott, die zwar beide einen ganz eigenen Stil pflegten, aber in ihren Anleihen im Gothic Horror eine gemeinsame Schnittmenge zeigten. Die monochrome Optik der Serie entspricht hingegen der heute vorherrschenden Ästhetik solcher Produktionen und speziell die von Lecter bewohnten Räumlichkeiten sehen aus, als seien sie aus einem hochpreisigen Magazin für Vintage-Hipster herausgerissen worden. Statt der Vorliebe für Renaissance, Barock und Klassizismus, die Hopkins‘ Lecter an den Tag legte, kommt Mikkelsen in seiner ganzen Erscheinung so rüber, als ließe sich er sich von teuren Modedesignern und Innenarchitekten beraten. Sein ganzer Habitus wirkt unendlich gewollt und aufgesetzt und ich habe ihm nie abgenommen, dass das alles der natürliche Ausdruck seiner Persönlichkeit ist. Vielmehr scheint er damit ein Statement machen oder sich selbst eine unverwechselbare „Marke“ verleihen zu wollen. Allgemein verwendet man dafür das Wort „Poser“, das mir für Hopkins‘ Interpretation eher nicht in den Sinn gekommen wäre – das verhinderte schon sein deutlich höheres Alter. Aber auch Will Graham funktioniert in der Darstellung durch den Briten Hugh Dancy weniger gut als William Petersens Figur. Dancy legt den Profiler als sensiblen Nerd an, der mit Wuschelfisur und schlabberigen Anzügen rein gar nichts mehr mit Petersens toughem Cop zu tun hat, dem man auch eine härtere Gangart abnahm und dessen Absturz dadurch umso schockierender wirkte. Was musste dieser Lecter mit ihm angestellt haben, damit dieser Kerl schwerst traumatisierte in einer Klinik landete? Bei Dancy hat man von Anfang an das Gefühl, dass er sich in einer Branche bewegt, für die er eigentlich zu soft ist, und als sich das dann bewahrheitet, überreizt die Serie seine Symptome vollends, lässt ihn ständig schweißgebadet aufwachen, mit geränderten Augen ins Leere starren, an Halluzinationen leiden oder zusammenklappen. Die Manipulationen Lecters nehmen gegenüber den subtilen Andeutungen aus MANHUNTER und THE SILENCE OF THE LAMBS breiten Raum ein, ohne seine Perfidie dadurch aber wirklich greifbarer zu machen. Stattdessen wird alles entweder banalisiert oder aber übertrieben. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass die explizite Ausformulierung nicht immer einen Gewinn gegenüber der Andeutung bringt und die Serie HANNIBAL ist ein guter Beleg dafür. Wo in THE SILENCE OF THE LAMBS ein Blick Hopkins‘ und die stumme Reaktion Starlings ausreichten, um einen Eindruck von Lecters diabolischem Genius zu vermitteln, mit dem er sein Gegenüber im tiefsten Inneren traf, mutet Mikkelsen Treiben wie das Werk eines zwar überdurchschnittlich intelligenten, letztlich aber doch nur sehr geschickten Kriminellen an, der seine Spuren verwischen möchte und daraus noch ein Spielchen zu seiner Belustigung macht. Der breite Raum, den der Kannibalen-Psychiater hier erhält, geht auf Kosten seiner Wirkung und wo einem in den Filmen mehr als einmal ein Schauer über den Rücken lief, sich in kleinen Gesten die ganze Grausamkeit und Unberechenbarkeit der Figur zeigte, ist das zivilisierte Understatement, mit dem der Däne seine Rolle bestreitet, vor allem eines: langweilig. Die unzählbaren Aufnahmen, die ihn beim konzentrierten Zubereiten irgendwelcher überkandidelter Speisen zeigen, verkommen im Laufe der Serie zum optischen Gimmick, ebenso wie die deepen Sinnsprüche, in denen sich die Protagonisten zunehmend artikulieren. Ein Apologet könnte die Dialoge vielleicht als „literarisch“, „kunstvoll“ oder „artifiziell“ bezeichnen, aber für mich (und meine Gattin) waren sie tatsächlich irgendwann der Grund, die Sichtung abzubrechen. Speziell in der dritten Staffel grenzt die Art, wie da Lecter und seine Muse, die Psychotherapeutin Du Maurer (Gillian Anderson), in geschmackvoll ausgeleuchteten Interieurs rumstehen und sich mit lüsternem Blick Non sequiturs zuraunen, schon an eine Parodie.

Aber um all das geht es mir eigentlich nicht. Was mich von Anfang an gestört hat: Ich konnte das, was mir die Serie vorsetzte, nicht mit meinem durch die Filme geprägten Bild der Figuren in Übereinstimmung bringen, es ist mir einfach nicht gelungen. Mikkelsen wurde für mich nie zu einer Interpretation der bekannten Figur, er blieb immer ein Schauspieler, der versucht, dem durch die ikonische Darstellung Hopkins‘ unsterblich gewordenen Kannibalen etwas eigenes abzuringen, ohne damit jedoch erfolgreich zu sein. Insgeheim musste ich alles beständig mit den Vorbildern in Abgleich bringen, nur um festzustellen, dass die Neuadaption bestenfalls ein ausgeblichenes Abziehbild ist. Die Versuche, die bekannte(n) Geschichte(n) zu erweitern oder zu variieren, empfand ich allesamt bestenfalls als gut gemeint. Und dann habe ich mich gefragt, warum das so ist. Ein Beispiel: Bram Stokers Roman „Dracula“ ist zigmal verfilmt worden. Unzählige Regisseure, Autoren und Schauspieler haben den Vampirgrafen interpretiert, verkörpert und dabei unterschiedlichste Aspekte der Figur betont, ausgeblendet oder neu erfunden. Manche dieser Interpretationen gefallen mir besser als andere, manche finde ich vielleicht komplett daneben, aber ich kann sie immer als Adaptionen von Stokers literarischer Figur akzeptieren. Nie ist es mir in den Sinn gekommen, Bela Lugosi oder Christopher Lee gegeneinander auszuspielen. Letzteren mag ich als Dracula wahrscheinlich lieber, weil mir die Hammer-Filme besser gefallen, ihre Entstehungshorizont näher an meinem eigenen Leben ist, die Filme für mich mithin weniger theatralisch daherkommen als Brownings Version, dennoch kann ich Lugosi Dracula als eine valide Interpretation der Figur akzeptieren (wie das auch für Gary Oldman oder Frank Langella oder andere gilt). Und das kann ich auf eigentlich alle Filmadaptionen von literarischen Stoffen oder Remakes von älteren Filmen übertragen: Nicht alle gefallen mir, manche finde ich überflüssig, aber trotzdem sind sie für mich eigenständige Filme, die eine Existenzberechtigung besitzen. Letztere will ich der Serie HANNIBAL natürlich nicht absprechen, aber es ist mir einfach nicht gelungen, sie losgelöst von den oben genannten Filmen zu betrachten. Mein Fehler? Vielleicht. Mit den Harris-Verfilmungen bin ich gewissermaßen aufgewachsen, selbst wenn es nicht meine Lieblingsfilme sind, so habe ich zu ihnen eine ganz andere Beziehung als zu Bram Stokers Roman, der von mir in erster Linie über seine Filmadaptionen aufgesogen wurde, von denen ein Großteil schon existierte, als ich auf die Welt kam. Dann könnte man natürlich argumentieren, dass Hopkins mit seiner Interpretation des Hannibal Lecter den Nagel ziemlich auf den Kopf getroffen hat, er darüber hinaus enger mit der literarischen Figur verwoben ist als meinetwegen Bela Lugosi (dem ja etwa bereits Max Schreck vorausgegangen war). Trotzdem halte ich es nicht für unmöglich, dass ein anderer Schauspieler sich der Rolle annimmt und damit dann entweder Erfolg hat oder scheitert – auf seine ganz eigene Weise (Brian Cox finde ich in Manns MANHUNTER etwa spitze). Das Problem, das ich mit der Serie HANNIBAL habe: Ich glaube, die Macher haben davor zurückgeschreckt, etwas wirklich Eigenständiges zu versuchen. Die Serie ist ein ständiger Kompromiss aus neuen Ideen und Referenzen an die erfolgreiche Filmreihe, deren Publikum man nicht verprellen wollte. Und beides zusammen funktioniert nur bedingt, weil so verhindert wird, das man die Serie als von den Filmen losgelöst betrachten kann. Der Reiz der Serie besteht meines Erachtens nach ganz wesentlich darin, dass man über neue, unerforschte Pfade an bekannte Orte geführt wird, um die es dann eigentlich geht. Von Interesse ist also weniger, was da tatsächlich passiert, sondern wie es den Drehbuchautoren gelungen ist, in die komplett neue Geschichte trotzdem Mason Vergers Hackfresse, die Gehirnverspeisung am lebendigen Leib oder aber den bemitleidenswerten Pazzi einzubauen und gleichzeitig noch die nachträglich hinzugewonnene Backstory aus HANNIBAL RISING zu ihrem Recht kommen zu lassen. HANNIBAL verhält sich zu den Filmen wie diese in einem Paralleluniversum angesiedelten Comic-Spin-offs, die eine alternative Version der bekannten Geschichte präsentieren. Oder man könnte die Serie in ihrem Gesamtentwurf mit diesen nerdigen Fanprojekten vergleichen, bei denen die Star Wars-Filme in einer korrekte chronologische Abfolge gebracht werden. Das ist legitim, führte bei mir aber eben dazu, dass die Filme parallel immer mitliefen und mich daran hinderten, die Serie für sich zu betrachten. Angesichts des Aufwands, der hier betrieben wurde, und des geballten Talents, das sich da vor allem vor der Kamera versammelte, finde ich diesen Mangel an Selbstbewusstsein, das ehrfürchtige Schielen auf die filmischen Vorbilder, den Rückfall auf Bestehendes ziemlich traurig.

Ich hoffe, das ist einigermaßen nachvollziehbar geworden.

 

 

 

 

argumente für würmer

Veröffentlicht: März 21, 2019 in Film

Vor kurzem habe ich mit dem lieben Patrick mal wieder einen Podcast für Bahnhofskino eingesprochen – sobald er veröffentlicht wird, erfahrt ihr das natürlich – und dabei die freudige Nachricht erhalten, dass es unser Plausch zu Jeff Liebermans wunderbarem Wurm-Schocker SQUIRM tatsächlich auf die Blu-ray von Koch Media geschafft hat. Als Kaufgrund würde ich das jetzt nicht unbedingt bezeichnen wollen, denn selbstredend ist die Verfügbarkeit dieses Schätzchens auf einem HD-Medium Grund genug, in die Tasche zu greifen, aber vielleicht benötigt der ein oder andere dennoch eine kleine Überzeugungshilfe. Die habe ich hiermit gegeben. Auf sie mit Gewürm!

So wie ich das mitbekommen habe, war ANNIHILATION im vergangenen Jahr hierzulande vor allem deshalb mediales Gesprächsthema, weil Netflix sich weigerte, den von EX MACHINA-Regisseur Alex Garland inszenierten Film an deutsche Kinos zu verleihen, auch wenn diese explizit den Wunsch äußerten, ihn zu zeigen. In meiner Social-Media-Blase schloss sich daran eine bis heute nicht wirklich abgeebbte Diskussion über das Geschäftsgebaren von Netflix, die Pros und Contras von Streaming-Portalen, die Zukunft des Kinos sowie darüber, wie man denn Film nun „richtig“ zu sehen habe, an. Über den Film wurde dabei meines Wissens eher nicht gesprochen: Wie denn auch, es hatte ihn ja bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand sehen können. Aber es schien klar, dass ANNIHILATION im Idealfall in deutschen Kinos gezeigt werden solle (vor allem, da ja eine offenkundige Nachfrage danach bestand), weil Film nun einmal auf die große Leinwand gehöre – und natürlich, weil das in den USA und Großbritannien auch möglich gewesen war. Allerdings hatte Garlands Film sein mit 40 Millionen Dollar nicht eben übermäßig beeindruckendes Budget in den USA nicht annähernd wieder eingespielt: Wahrscheinlich nur ein weiteres Argument für Netflix, von einer kostenintensiven Kinoauswertung abzusehen

ANNIHILATION basiert auf dem gleichnamigen ersten Band der von Jeff VanderMeer verfassten Southern-Reach-Trilogie. Im Zentrum der Geschichte steht die Biologin Lena (Natalie Portman), deren Ehemann, der Soldat Kane (Oscar Isaac), auf eine rätselhafte Mission geschickt wird, von der er erst ein Jahr später völlig verändert zurückkehrt – und dann verwirrt und blutspuckend zusammenbricht. Die Wissenschaftlerin Ventress (Jennifer Jason Leigh) erklärt Lena, was vorgefallen ist: Kane war Teil eines Erkundungstrupps, der in das sogenannte „Shimmer“ geschickt wurde, einer Art sich langsam aber unaufhörlich ausbreitender Dunstglocke wahrscheinlich außerirdischen Ursprungs. Lena erklärt sich bereit, mit vier anderen Frauen ebenfalls ins Shimmer vorzudringen, um herauszufinden, was dort mit ihrem Mann passierte. Hinter dem Vorhang finden die Frauen eine völlig veränderte Welt vor, in der die Gene aller Lebewesen immer wieder neu kombiniert werden und zu bizarren Mutationen führen …

Alex Garland widmet sich mit ANNIHILATION einer Spielart der Science Fiction, die eher nicht im Mainstream beheimatet ist. Als Vergleich fallen Filme wie Tarkowskis STALKER oder SOLARIS sowie Kubricks 2001: A SPACE ODYSSEY (oder auch Aronofskys THE FOUNTAIN) ein: Filme, in denen es nicht in erster Linie um Action und die Zurschaustellung von Technik geht, sondern um die Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen und das Erzeugen einer bestimmten Atmosphäre. Letzteres bewerkstelligt Garland vor allem mithilfe seines Scores, der introvertierten Singer/Songwriter-Pop, fremdartige Soundcollagen und experimentell anmutende Synthie- und Elektroklänge maximal effektiv miteinander kombiniert. ANNIHILATION konfrontiert den Betrachter nicht mit Spektakel, sondern nimmt ihn an der Hand und geleitet ihn behutsam in diese fremde Welt, die sich wie ein Traum vor ihm eröffnet. So entfaltet der Film eine meditative Stimmung, die sehr gut zur Haltung Lenas passt. Die Expedition führt die Protagonistin in eine andere Welt, ja, aber gleichzeitig tritt sie auch eine Reise in ihr eigenes Innenleben an. Die rätselhafte Präsenz wirft ihre Wahrnehmung durcheinander, verändert ihr Zeitempfinden sowie schließlich ihren Körper und ihr gesamtes Sein. Sind die Lena und der Kane, die das Shimmer am Ende anscheinend gesund verlassen, tatsächlich noch die Menschen, die es betreten haben?

Die titelgebende „Auslöschung“ – so die deutsche Übersetzung des Originaltitels – findet gleich auf mehreren Ebenen statt: Sie bezieht sich zum einen ganz einfach auf die existenzielle Bedrohung, die von der außerirdischen Dunstglocke und den unter ihr beheimateten Kreaturen ausgeht, aber noch vielmehr überhaupt auf die Auflösung jeglicher trennender Elemente zwischen den die Welt bewohnenden Organismen. Im Shimmer, so bemerken die Forscherinnen, ist alles eins, bestimmt ein allem übergeordneter Strukturwille die Gestalt aller Lebewesen. Es ist die radikale Interpretation des einleitenden Off-Kommentars Lenas, die darüber referiert, dass alles irdische Leben auf eine einzelne Zelle zurückzuführen ist. In gewisser Weise ist ANNIHILATION ein religiöser Film, der einer Art aufgeklärtem, naturwissenschaftlich unterfüttertem Pantheismus anhängt. Der Mensch ist eingewoben in ein riesiges Geflecht des Lebens, aus demselben Stoff wie die Bäume, Pflanzen und Tiere, die ihn umgeben. Schon diese Erkenntnis ist Teil der „Auslöschung“, weil der Mensch mit dem Wissen über seine „Verflechtung“ auch akzeptiert, dass er nur ein fließender Teil eines größeren Ganzen ist, „Bewusstsein“ und „Individualität“ im Grunde nur Illusionen, die ihm das genetische Programm einimpft. Während die Todesschreie der Forscherin Sheppard (Tuva Novotny), die von einer Kreuzung aus Bär und Wildschwein zerrissen wird, fortan als verzerrtes Röhren aus dessen Maul dringen und sich Lena am Ende einem außerirdischen Spiegelbild ihrer selbst stellt, wählen die todkranke Expeditionsleiterin Ventress und die Programmiererin Radek (Tessa Thompson) die freiwillige Auflösung: Vendress explodiert förmlich in Licht, Radek verschwindet ganz einfach vom Erdboden, der sie wahrscheinlich in sich aufgenommen hat. Ob man das nun für esoterischen Kokolores oder anregende Wissenschaftsphilosophie hält, sei mal dahingestellt. Es spricht nämlich Einiges dafür, dass Garland seinen Stoff als überaus treffende Verbildlichung von Trauerarbeit und Traumabewältigung betrachtete, es ihm mithin gar nicht so sehr um eine außerirdische Bedrohung oder naturwissenschaftliche Spekulationen ging, sondern vor allem um psychische Prozesse. So hatte ich gegen Ende des Films sogar die Befürchtung, ANNIHILATION könne mit einem gar nicht mal so überraschenden Plottwist alle Phänomene, die er vorher so prachtvoll ins Bild gerückt hatte, als Halluzinationen Lenas enttarnen, einer Frau, die den Tod ihres geliebten Ehemanns einfach nicht verarbeiten konnte. Zum Glück geht Garland nicht so weit, aber er lässt diese Interpretation als Möglichkeit gewissermaßen mitlaufen. Dieses gleichberechtigte Nebeneinander von Innen und Außen zeichnet ANNIHILATION aus und es passt natürlich zu einer außerirdischen Intelligenz, die alles Leben in einem gigantischen Prisma spiegelt und vervielfacht.

Mir hat ANNIHILATION ausgezeichnet gefallen: Ich mochte seine Stimmung, diese gleichgültige Stille, die den Film gefangen nimmt, und dass seine durchaus happigen Effektszenen immer als Akzente gesetzt werden, den schlafwandlerischen Rhythmus des Films aber nie auflösen. Es gelingt Garland meines Erachtens ausgezeichnet, ein Gefühl der Fremdartigkeit und des Unbegreiflichen in Bild und Ton einzufangen, ohne dabei in die totale Abstraktion abzugleiten. Der Film bleibt durch seine Erdung in einem für jeden nachvollziehbaren emotionalen Konflikt immer greifbar, auch wenn er sich in die Sphäre eines Gedankenexperiments erhebt. Mit markanten Bildern geizt ANNIHILATION zwar nicht, dennoch fühlte ich mich von ihm nie angesprungen oder überrumpelt. Während andere Genrefilme oft in die Falle tappen, die im Plot gemachten Versprechungen durch Überexposition mit halbgaren CGI nicht einlösen zu können, möchte man bei ANNIHILATION eher mehr von dieser rätselhaften Welt und den Schöpfungen, die sie hervorbringt, sehen. Ob aus den ursprünglich wahrscheinlich angedachten Fortsetzungen indes etwas wird, erscheint nach dem mäßigen Erfolg eher fraglich. Ob die Produzenten noch einmal bereit sind, tief in die Tasche zu greifen? Wobei „tief“ eh relativ ist, denn ANNIHILATION wurde gemessen an Exzessen wie jenen des MCU nahezu für Peanuts produziert. Ich bin mir nach der Betrachtung auch gar nicht mehr so sicher, ob die Entscheidung, ihn ins Kino zu bringen, nicht eher nachträglich gefällt wurde: Speziell in den Dialogszenen sieht ANNIHILATION sehr fernsehmäßig aus, farbarm und matschig in den dunklen Tönen. Es ist der einzige echte Kritikpunkt, den ich habe.

 

 

 

Damiano Damiani darf als einer der Meister des cinema di denuncia gelten, einer italienischen Spielart des Polit- und Justizthrillers mit durchlässiger Grenze zum Gangster-, Polizei- und Mafiafilm. Meist geht es um die bitteren Erfahrungen eines aufrechten Bürgers, der sich im Kampf gegen herrschende Ungerechtigkeit und Korruption hoffnungslos im Netz von Politik und Wirtschaft verheddert und am Ende erkennen muss, dass er in den Augen der Mächtigen nur ein lächerliches, zudem höchst entbehrliches Rädchen im Getriebe ist. Der typische Beitrag zu diesem Genre ist komplex und labyrinthisch, getragen von einer Vielzahl handelnder Haupt- und Nebenfiguren und meist mit einem desillusionierenden oder tragischen Finale versehen. Trotz seiner detaillierten Darstellung der Verflechtung von organisiertem Verbrechen, Staats- und Wirtschaftsmacht kann man das cinema di denuncia nicht ganz vom Vorwurf des Populismus freisprechen: Der Kontrast zwischen den unbarmherzigen Mächtigen auf der einen und dem persönlichen Einzelschicksal auf der anderen Seite trägt ganz wesentlich zur Affektsteuerung bei. Als Zuschauer muss man sich zwangsläufig auf die Seite des Protagonisten schlagen und die Identifikation fällt selten schwer. Auch in Damiani L’ISTRUTTORIA É CHIUSA: DIMENTICHI, der sich mit dem italienischen Rechtssystem bzw. den Gefängnissen auseinandersetzt, sind die Fronten von Anfang an klar. Aber Damiani verkompliziert die Sache mit der Sympathie …

Der junge Architekt Vanzi (Franco Nero) wird wegen Fahrerflucht angeklagt. Trotz seiner Beteuerungen, unschuldig zu sein, bringt ihn die Last der Beweise zunächst in Untersuchungshaft. Eingepfercht mit Gewaltverbrechern, die in dem Intellektuellen aus gutem Hause ein willkommenes Opfer für ihre bösen Späße und Erpressungsversuche sehen, stößt der sensible Vanzi schnell an seine Grenzen – zumal auch die von seinem Anwalt versprochene Freilassung auf sich warten lässt. Als Vanzi beim ebenfalls inhaftierten Mafiaboss seine Verlegung in eine andere Zelle fordert, legt man ihn zum paranoiden Pesenti (Riccardo Cucciolla): Der glaubt, dass man ihn umbringen wolle, weil er über Wissen verfüge, das bestimmten Würdenträgern schweren Schaden zufügen könne. Vanzi muss bald feststellen, dass Pesenti mitnichten unter Verfolgungswahn leidet, sondern dass seine Ängste mehr als berechtigt sind …

Die Geschichte ist nicht neu, die Konfrontation eines bislang unbescholtenen oder nur durch einen dummen Unglücksfall mit dem Gesetz in Konflikt geratenen Bürgers steht im Zentrum vieler Gefängnisfilme. Bei der Betrachtung von L’ISTRUTTORIA É CHIUSA: DIMENTICHI erkennt man dann auch einige typische Merkmale und Standards des Knastfilms wieder: den selbstherrlich-weltfremden Gefängnisdirektor, der selbst nur Empfehlsempfänger ist, sich in seiner kleinen Welt aber zum Herrscher aufschwingt, den sadistischen Wärter, der hier mit seinen Männern als williger Vollstrecker des Mafia-Willens fungiert, den alten Zausel, der den Protagonisten mit wertvollem Wissen versorgt, den schwerkranken Häftling, der aufgrund der miserablen medizinischen Versorgung verstirbt, den Mafia-Boss, der der eigentliche Herr im Hause ist, sowie natürlich die unzähligen Halsabschneider, die nichts anderes im Sinn haben, als der Hauptfigur die Hölle auf Erden zu bereiten. Hinzu kommen Elemente wie der Gefangenenaufstand, die Folter durch Einzelhaft, die kleinen Gefälligkeiten, die man sich teuer erkaufen kann, darunter etwa das Treffen mit einer attraktiven Prostituierten. Wer mehr als eine Handvoll von Knastfilmen gesehen hat, findet sich in Damianis Film blind zurecht. Bis auf einen kleinen, aber gravierenden Unterschied.

Der Protagonist des Knastfilms ist, wie oben bereits erwähnt, nicht selten ein harmloser, gutmütiger Bürger. Schon die Tatsache, dass er ins Gefängnis gesteckt und dort wie ein gewöhnlicher Verbrecher behandelt wird, zieht den Betrachter auf seine Seite. Die sich meist anschließende Passionsgeschichte verstärkt die Identifikation noch: Je brutaler er gequält wird, je größer seiner Verzweiflung ist, je weniger seine Unschuldsbeteuerungen Gehör finden, umso mehr halten wir zu ihm. L’ISTRUTTORIA É CHIUSA: DIMENTICHI macht es einem nicht ganz so einfach, denn dieser Vanzi ist in der Darstellung von Franco Nero nicht unbedingt ein Sympathieträger. Schon in seiner ersten Szene ist er völlig entnervt, steht da mit rot geränderten Augen vor dem Gefängnisdirektor, als hätte er die ganze Nacht durchgeweint. Diese Weinerlichkeit behält er weitestgehend bei, es gelingt ihm nicht, die Arschbacken zusammenzukneifen und für sich einzustehen. Dafür nimmt er nur zu gern die Annehmlichkeiten entgegen, die er sich mit seinem Geld erkaufen kann: den Aufenthalt auf der Krankenstation mit feinem Essen, den Besuch bei der Prostituierten, schließlich den Deal mit dem Mafiosi, um die Verlegung in eine andere Zelle zu erreichen. Vanzi ist kein Systemgegner wie Pesenti, er nimmt die Vorteile, die ihm als gebildetem, finanziell gut situiertem Bürger in den Schoß fallen, nur zu gern entgegen. Ja, dieser Vanzi ist ein Feigling und Opportunist, wie er im Buche steht. Zwar wacht er am Ende auf, aber auch dann ist er noch nicht bereit, echte Konsequenzen zu ziehen. Er wählt den Weg des geringsten Widerstandes, weil ihm sein eigenes Heil näher ist als die Gerechtigkeit.

Diese Tatsache macht den Film natürlich noch bitterer und wahrscheinlich auch realistischer: Ganz sicher würde jeder normale Mensch versuchen, die Erfahrung „Knast“ so gut hinter sich zu bringen wie irgend möglich, ohne anzuecken und Ärger einfach seine Zeit absitzen, wenn nötig gute Miene zum bösen Spiel machen. Und wenn es darum ginge zu wählen zwischen der posthumen Gerechtigkeit für ein Mordopfer und der eigenen Sicherheit, wahrscheinlich würden wir dann auch so entscheiden wie Vanzi – vielleicht würden wir uns dabei selbst hassen und verachten, aber am Ende könnten wir uns auch mit diesem Gefühl arrangieren. Auch wenn die Frage von Gut und Böse im cinema di denuncia nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, so gibt es doch meistens eine Figur, die das moralische Ideal verkörpert. Eine solche Figur ist hier vielleicht Pesenti, aber es ist auch klar, dass er eine krasse Ausnahme von der Regel ist. Der Standard sind solche Typen wie Vanzi, die die Moral gern auch mal aussetzen, wenn es ihnen selbst gelegen kommt. Vielleicht sind sie das eigentliche Problem: die schweigende Mehrheit eben, die sich mit dem Übel arrangiert, weil sie sich von vornherein machtlos wähnt. Das ist sehr wahr an L’ISTRUTTORIA É CHIUSA: DIMENTICHI, aber es macht die Sichtung nicht eben leicht. Damiani präsentiert uns ein ziemlich ungeschöntes Spiegelbild unseres höchst durchschnittlichen Selbst.

 

Ein seltsamer Film, der Fragen aufwirft, das ahnt man schon bei den mit dissonantem Pfeifen unterlegten Aufnahmen psychedelischer Farbspiele, die die Credits illustrieren. Allen voran: Wer ist dieser Remi Kramer und warum konnte bzw. durfte er diesen Film drehen? Es blieb seine einzige Regiearbeit (auch das Drehbuch stammte von ihm), als einziges weiteres Engagement listet die IMDb die Tätigkeit als „Miscellaneous Crew“ bei der 1968 -1969 ausgestrahlten DORIS DAY SHOW. Warum schickte man ihn auf die Philippinen, um dort einen wenn auch nicht gerade höchste künstlerische Weihen erfordernden, aber dennoch gewiss nicht ganz unkomplizierten Söldnerfilm zu drehen? Eine Frage, die leider bis auf Weiteres unbeantwortet bleiben muss, denn es gibt keinerlei Informationen zu seiner Person oder diesem Projekt. Auch der Blick auf die Riege der Produzenten hilft nicht wirklich weiter: Takafumi Obayashi zog sich nach dieser ersten Erfahrung gleich wieder aus dem Filmgeschäft zurück, Co-Autor Michael Parsons beendete ebenfalls danach seine Karriere. Lediglich Joseph Wolf blieb dem Business erhalten und finanzierte später deutlich erfolgreichere Projekte wie etwa Mark L. Lesters ROLLER BOOGIE (OK, der ist auch nicht so prall), FADE TO BLACK, HALLOWEEN 2,  HALLOWEEN 3 und A NIGHTMARE ON ELM STREET. Die Philippinen waren kurz zuvor von Roger Corman als preisgünstiger Drehort mit funktionierender Infrastruktur und kompetenten Filmcrews erschlossen worden und wurden von da an regelmäßig für zünftige Söldner- oder WiP-Filme aufgesucht, aber HIGH VELOCITY passt in das Schema von unter markigen Titeln eifrig rausgehauenen Hobeln fürs örtliche Bahnhofskino nicht recht rein. Der Film erinnert in seiner dem Titel krass widersprechenden Langsamkeit und dem bitteren Ende eher an solche Slow Burner wie John Flynns ROLLING THUNDER (ohne dessen Klasse freilich auch nur annähernd zu erreichen), aber er bemüht über weite Strecken einen völlig konträr laufenden Tonfall, bei dem ich bezweifle, dass er allein auf dem Mist der deutschen Synchro gewachsen ist.

Es geht um die Entführung des wohlhabenden britischen Geschäftsmanns Andersen durch eine Gruppe von Widerstandskämpfern: Der schmierige Anwalt (Alejandro Rey) des Entführten engagiert den zunächst unwilligen Söldner Clifford Baumgartner (Ben Gazzara), der wiederum seinen Kumpel Watson (Paul Winfield) an Bord holt. Eigentlich sind ihnen die Auftraggeber – miese Imperialisten und Kapitalisten – zuwider, aber wer wird denn angesichts von 100.000 Dollars schon Nein sagen? Und so geht es auf zum Lager der ärmlich ausgestatteten Freiheitskämpfer …

Zwei Herzen schlagen, ach, in der Brust von HIGH VELOCITY: Auf der einen Seite ist er ein düsterer, sich auf die Seite der Geknechteten schlagender Thriller mit zwei Helden, die sich wissentlich den bösen Mächten andienen und am Ende wie so oft die Gelackmeierten sind, auf der anderen Seite zeichnet er die beiden ganz im Stile unbedarfter Männerfilme als kumpelige Himmelhunde, die immer einen Spruch auf den Lippen sowie eine von Zigarrenrauch und Whiskey aus der Pulle geschwängerte Rebeisenlache haben, die sie zu jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit erschallen lassen. Das Kriegsspiel im Urwald, das sorglose Wegballern unbekannter Gegner und in die Luft sprengen trauriger Wellblech- und Holzhütten ist solch eine Riesengaudi für die beiden, dass man sich fast fragen muss, warum sie überhaupt Geld dafür nehmen. Die Freude, die Watson an den Tag legt, als er die eingetroffene Waffenlieferung begutachtet, erinnert an ein Kleinkind beim Auspacken der Weihnachtsgeschenke, und dass er diese Ausrüstung dazu nutzen wird, Menschenleben auszulöschen, scheint ihm zu keiner Sekunde in den Sinn zu kommen. Wenn sich HIGH VELOCITY auch über weite Strecken also abspielt wie ein Abenteuerfilm aus einer heute weit zurückliegenden Zeit, als Männer noch echte Kerle sein durften und Amerikanern traditionell die ehrenwerte Aufgabe zukam, rund um den Globus die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen und halbzivilisierten Nationen eine helfende Hand beim Aufbau ihrer niedlichen Staaten zu reichen, so muss man doch dankend anerkennen, dass er der Versuchung widersteht, seine weibliche Hauptdarstellerin entsprechend auszubeuten. Die schmollmündige Schwedin Britt Ekland war wahrscheinlich maximal zwei Tage am Set und bekommt als Gattin des Entführten nur wenig mehr zu tun, als adrett auszusehen. Ihr wichtigster Part ist der des Lockvogels für Baumgartner, der den Auftrag erst nicht will, dann aber einlenkt und sein schmierigstes Lüstlingsgrinsen aufsetzt, als er sie kennenlernt: Dass es – zum Glück! – nicht zur in diesem Moment eigentlich unwiderrufbar angebahnten Liebesgeschichte inklusive Sexszene kommt, ist aber wohl weniger Kramers gutem Geschmack zuzuschreiben als Symptom mangelnder Entscheidungsfreude, die sich als einziger roter Faden durch den Film zieht.

Während HIGH VELOCITY technisch durchaus als überdurchschnittlich bezeichnet werden muss – hinter der Kamera stand mit Robert Paynter der langjährige Kameramann von Michael Winner, der wenig später u. a. an SUPERMAN II und SUPERMAN III mitarbeitete und die Landis-Filme AMERICAN WEREWOLF, INTO THE NIGHT und SPIES LIKE US fotografierte, der Soundtrack stammt von Jerry Goldsmith und für den Schnitt zeichnete mit David Bretherton (u. a. CABARET, WESTWORLD oder COMA) ebenfalls ein Vollprofi verantwortlich -, geht in der Inszenierung einiges daneben. Das beginnt bei der schon erwähnten Zeichnung der Charaktere, setzt sich im Schneckentempo des „Showdowns“ fort, bei dem die größten Banalitäten, wie etwa das Anbringen von Sprengstoff mithilfe von Gaffatape, mit aufreizender Geduld in die Länge gezogen werden und nahezu jede Einstellung ein bis zwei Sekunden zu lang gehalten wird, und endet dann bei rätselhaften Entscheidungen wie jener, den Entführten in einem Verschlag einsperren zu lassen, der nicht nur keine Rückwand hat, sondern auch keine verschließbare Tür. Zwar hielt ich es für durchaus nachvollziehbar, dass der gut situierte ältere Herr Andersen gar keine Lust hat, auf eigene Faust durch den nächtlichen Regenwald zu fliehen, aber dass mit keiner Silbe darauf Bezug genommen wird, dass sein „Gefängnis“ eigentlich gar keines ist, ist dann doch eher rätselhaft. Die sich an seine Nacht im Hühnerstall anschließende Demütigung – er soll sich von seiner nach Hühnerscheiße stinkenden Bekleidung befreien und wird zum Ausziehen gezwungen – spielt Kramer als Gag aus, was dank des wunderbaren Keenan Wynn zwar gelingt, den Film aber noch weiter Richtung Komödie rückt. Ob Kramer den Zuschauer mit solchen Strategien in Sicherheit wiegen wollte, um ihn dann am Ende umso härter zu treffen? Ich glaube nicht, denn dazu bleibt zu vieles zu unausgereift und auch der Nackenschlag zum Finale wirkt eher gewollt. Die existenzialistische Trostlosigkeit, die er anschlägt, ist für Kramer kaum mehr als ein Zitat, letztlich eher seinem verqueren Sinn für Romantik als einer desillusionierten Weltsicht geschuldet, und durch die Handlung kaum ausreichend motiviert.

Schade, denn zu gern hätte ich hier vermeldet, dass HIGH VELOCITY bzw. BLUTHUNDE VOM TEUFEL ZERRISSEN, wie er hierzulande hieß, ein vergessener Klassiker des Söldnerfilms ist. Das ist er nicht, wohl aber – gerade auch wegen seiner Mängel – interessant genug für eine Sichtung. Wer weiß, mit modifizierter Erwartungshaltung – ich hatte deutliche reißerischeren Stoff erwartet – fällt das Urteil am Ende vielleicht auch besser aus. So bleibt also ein ungewöhnlich sorgfältig produzierter Reißer mit Spitzenbesetzung, aber erheblichen erzählerischen Defiziten – und viel zu wenig Tempo.

Meine Versuche mit dem Eurospy-Genre waren bisher nur mäßig erfolgreich: Ich mag das Prinzip der Filme, die Bildwelten, in die sie den Betrachter entführen, ihre pulpige Aneinanderreihung von Schauwerten und infantilen Ideen sowie den Mut der Verzweiflung, mit dem sich die meist auf ein karges Budget limitierten Regisseure der Herausforderung entgegenwarfen, dem großen James Bond Konkurrenz zu machen. Aber trotz grundsätzlicher Sympathie haben mich die meisten Vertreter des Genres bislang eher milde gelangweilt. DEADLIER THAN THE MALE kommt in meiner Gunst deutlich besser weg, was nicht zuletzt an den besseren Production Values und der ausgezeichneten Besetzung liegt, aber dass Tarantino ihn zu seinen Lieblingsfilmen zählt, ist meines Erachtens doch eher auf den häufigen, wahrscheinlich koksinduzierten Sprechdurchfall des Regisseurs zurückzuführen: DEADLIER THAN THE MALE ist sympathische, stimmungsvolle Unterhaltung, dabei deutlich besser inszeniert als das Gros der Eurospy-Konkurrenz aus Südeuropa und von elegantem Witz, der tatsächlich an die großen Vorbilder erinnert, aber er ist nun auch nicht gerade von dem Stoff, der einen in grenzenlose Euphorie versetzen würde. Dafür ist die ganze Affäre dann doch wieder etwas zu bieder und gemütlich.

Interessant ganz sicher, dass dieses Rip-Off auf einer literarischen Vorlage basiert, die Bond-Erfinder Ian Fleming erst auf die Idee für die Doppel-Null im Geheimdienst ihrer Majestät brachte. Der britische Autor Herman Cyril MacNeile erdachte die Figur des Weltkriegsveterans/Privatdetektivs Hugh „Bulldog“ Drummond 1920 und schrieb dann bis zu seinem Tod im Jahr 1937 insgesamt zehn Romane um ihn, bevor Gerard Fairlie die ehrenvolle Aufgabe übernahm, das literarische Erbe weiterzuführen, was er bis 1954, dem Jahr des letzten Bulldog-Drummond-Romans, auch tat. Verfilmungen ließen angesichts des Erfolgs nicht lang auf sich warten: Der Stummfilm BULLDOG DRUMMOND datiert auf das Jahr 1922, es folgten bis in die Fünfzigerjahre regelmäßig weitere Adaptionen sowie ein eigenes Serial. Mit DEADLIER THAN THE MALE übernahm der Brite Ralph Thomas das ambitionierte Projekt, den schlummernden Romanhelden neben James Bond auf der Leinwand zu etablieren, und ihm stand dafür mit Richard Johnson ein Akteur zur Verfügung, der selbst als Bond im Gespräch gewesen war, bevor sich die Produzenten schließlich auf Sean Connery festlegten. In der deutschen Synchronfassung spricht Johnson dann auch mit der Stimme von Connery-Sprecher Gert Günther Hoffmann. Johnson ist exzellent als charmanter, typisch britischer Ermittler und das u. a. von Jimmy Sangster verfasste Drehbuch hält sich dankenswerterweise nicht lang mit einer langweiligen Origin-Story auf. Wer dieser Hugh Drummond (die deutsche Synchro nennt den armen Mann beständig „Juck“) tatsächlich ist, darüber schweigt der Film sich weitestgehend aus, aber das Sujet ist so bekannt, dass das keine Rolle spielt.

Worum es eigentlich geht, ist hingegen ähnlich schwer herauszufiltern wie in den Bond-Filmen: irgendwie um viel Geld, Erdöl und einen bis zum Schlussakt unbekannt bleibenden Superschurken, der die titelgebenden „heißen Katzen“ als gerissene Auftragsmörderinnen einsetzt. Vor allem die schöne Elke Sommer bekommt reichlich Gelegenheit, ihre Gardemaße – etwa das üppig bestückte Dekolleté – vorzuführen, sodass man DEADLIER THAN THE MALE schon beinahe als ihren Film bezeichnen kann. Die sieben Jahre ältere Sylvia Koscina wird ihr gegenüber etwas ins zweite Glied verschoben: Es wirkt ein bisschen so, als sei den Machern erst während des Drehs klar geworden, dass die Kluft zwischen den beiden Schauspielerinnen deutlich größer ist, als angenommen. Neben Sommers Atomfigur wirkt die Koscina, selbst eine attraktive und begehrenswerte Frau, fast wie ein Hausmütterchen. Und so übertölpelt sie dann ja auch Drummond kleinen Bruder: Lässt sich beim Einkaufsbummel anrempeln und daraufhin alle Einkäufe fallen. Immer wieder gut für einen schuldbewussten Lacher sind auch die salopp hingeworfenen Sexismen und Rassismen, hier etwa in der Szene, in der ein Informant die als Masseuse engagierte Schwarze zärtlich als „Schokopüppchen“ bezeichnet. (By the way: Ist die Wohnung dieses Informanten, in der ihn eine riesige Leinwand per Knopfdruck an einen sonnigen Sandstrand versetzt, nicht ein wissender Hinweis auf die fakeness der eigenen Produktion?) Aber größtenteils kann DEADLIER THAN THE MALE auf Basis seiner intendierten Gags bestehen – oder dem, was die deutsche Synchro – wie so oft in verspieltem Plaudermodus – hinzudichtet. Vor allem die von Drummond locker fallen gelassenen Reaktionen auf Wortäußerungen der Nebendarsteller erwecken mehr als einmal den Eindruck, als habe sich die deutsche Dialogregie einige Freiheiten genommen. Wunderbar etwa, wenn Drummond auf das Versprechen seines Bruders, er werde das geliehene Geld bestimmt zurückzahlen, nur resigniert mit „So alt werde ich nicht“ antwortet. DEADLIER THAN THE MALE und sein Held sind von angenehmer Lakonie, nicht unbedingt die Eigenschaft, die man mit den all ihre vermeintlichen Attraktionen ostentativ-geschäftig ins Bild rückenden Eurospy-Vehikeln als erstes verbindet.

Leider bin ich gegen Ende eingeschlafen und hatte bisher noch keine Gelegenheit, das Versäumte nachzuholen. Dem Protokoll meiner Erstsichtung kann ich immerhin entnehmen, dass es ein Finale mit einem Riesenschachbrett gibt, das mir zumindest damals sehr gut gefallen hat. Glücklicherweise bin ich aber rechtzeitig zur Explosion von Elke Sommer wieder aufgewacht. Und natürlich, um den großartigen Titelsong der Walker Brothers noch einmal zu hören.

Ich bin über Nathan Rabins Website auf diesen Film gestoßen, sonst hätte ich ihn mir wahrscheinlich niemals angesehen – auch wenn die Anwesenheit von Amy Poehler und solcher begnadeter Komiker wie Bill Hader sowie die Namen von David Wain und Michael Showalter (WET HOT AMERICAN SUMMER) auf einen Blick hätten klar machen sollen, dass es sich hier eben nicht um die typische, austauschbare RomCom handelt, die das Poster suggeriert. Der Film lässt sich, wie Rabin richtig schreibt, tatsächlich als Parodie auf ebensolche RomComs und ihr heteronormatives Weltbild sowie als späten Nachfahren der Ein-Gag-pro-Minute-Filmen sehen, mit denen das Zucker-Abrahams-Zucker-Team einst berühmt wurde. Wie bei diesen sitzt hier nicht jede Pointe, aber man muss die Chuzpe, mit der auch noch der blödeste Witz eiskalt durchgezogen wird, einfach liebenswert finden. Zumal THEY CAME TOGETHER nebenbei auch noch etwas gelingt, was viele der neumodischeren Parodien, die sich in einem langweiligen und unkreativen Nachmachen und Durch-den-Kakao-Ziehen begnügen, eben nicht hinbekommen: nämlich in der Form der Parodie zu jener Form der Wahrheit zu gelangen, an denen die „echten“ Vorbilder leider abprallen.

THEY CAME TOGETHER legt seinen Metacharakter schon zu Beginn bloß, wenn er seine beiden Titelhelden gleich mehrfach sagen lässt, dass ihre Geschichte „wie aus einem Film“ ist: Joel (Paul Rudd) und Molly (Amy Poehler) sitzen mit dem befreundeten Ehepaar Kyle (Bill Hader) und Karen (Ellie Kemper) in einem Restaurant und erzählen, wie sie einst zusammenkamen: Er, aufstrebender Mitarbeiter eines bösen Süßigkeiten-Konzerns, wird von seiner heißen Freundin Tiffany (Cobie Smulders) mit dem intriganten Job-Konkurrenten betrogen, sie ist Single und glückliche Inhaberin eines kleinen, niedlichen Candyshops, der leider keinerlei Gewinne abwirft, weil sie in ihrem Enthusiasmus alles verschenkt. Natürlich will sein Konzern ihren kleinen Laden plattmachen, natürlich wollen ihre gemeinsamen Freunde sie bei einer Party verkuppeln, natürlich hassen sie sich zunächst – und natürlich kommen sie dann doch zusammen. Es folgen die genreüblichen Krisen und Versöhnungen und dann das große Happy End mit Hochzeit. Aber ist es wirklich ein Happy End?

Die Strategie, haarsträubend albernen Klamauk mit Metahumor und Gross-out-Witzen zu verbinden, zeigt sich schon im Titel, der nicht nur doppel-, sondern dreifachbödig ist: THEY CAME TOGETHER bedeutet nämlich nicht nur, dass die beiden Protagonisten „zusammenkommen“ und dann sogar „zusammen kommen“, er bezieht sich auch auf die Äußerung ihrer gemeinsamen Freunde, als die die beiden unabhängig voneinander eingeladenen und zu verkuppelnden Bekannten tatsächlich gemeinsam auf der Party auftauchen – „they came together!“ eben, eine eher unspektakuläre „Auflösung“. Wain, Showalter und ihr gesamter Cast haben große Freude daran, die dämlichsten Inszenierungs- und Dramaturgieklischees der RomCom bloß- und damit auf den Kopf zu stellen und ihre gnadenlose Spießigkeit zu entlarven. Es gibt die immer hilfsbereite Freundin, die Aussprache der beiden Brüder, nach der beide sich besser verstehen und eine nicht enden wollende Lawine ergriffener „Thanks“ über ihr Gegenüber losschicken, die Kumpels auf dem urbanen Basketballcourt, die zwar keinen einzigen Korb treffen, aber dafür abwechselnd kluge Ratschläge erteilen, die dämlichen Bekenntnisse noch nicht bereit zu sein, die wilden Sexattacken, bei denen die gesamte Wohnungseinrichtung zerlegt wird, die geile Freundin, mit der man den wildesten Atomsex hat und die Schwiegereltern in spe mit der seltsamen Marotte: Hier sind es White Supremacists, die sich beim Abendessen im freundlichsten Plauderton über die „Mongrelisation“ der amerikanischen Gesellschaft ereifern.

Das humoristische Spektrum reicht dabei von Fäkalhumor, wie dem Gag um Joels Chef, der sich bei einer Halloween-Party ins Kostüm scheißt und dann alle Vorwürfe trotz klarster Beweislage brüsk von sich weist, Sight Gags, wie dem Kellner, der laut Joel „einen Stock im Arsch hat“ und mit eben diesem dann ständig das Geschirr von den Tischen räumt, wenn er sich umdreht, aber auch bizarre Ausflüge nach Absurdistan, wie in der an den berühmten Rechen-Witz aus THE SIMPSONS erinnernden Szene, in der Joel nach der Trennung von seiner Freundin in eine Bar kommt und mit dem Wirt in einen Konversationsloop gerät, in dem wieder und wieder dieselben beiden Sätze gesprochen werden. In einer anderen Szene hat Joel eine Aussprache mit seiner geliebten Oma, mit der es dann fast zum Sex kommt – die Reaktionen von Hader und Kemper, die sich das ja alles anhören müssen, sind mit Gold nicht aufzuwiegen. Wie erwähnt, zündet längst nicht jede Pointe, mancher Versuch ist arg bemüht, anderes schlicht zu albern oder auch vorhersehbar, aber es gereicht THEY CAME TOGETHER nicht zum Nachteil: Auch dank der gut aufgelegten Darsteller fängt der Esprit viele missglückte Versuche auf, macht diese kleinen Fehltritte sogar sympathisch. Sie konnten halt einfach nicht anders, als diesen auf der Straße liegenden Witz auch noch mitzunehmen. Es ist vor allem diese Unbekümmertheit, die an die Zeiten von ZAZ oder an die hierzulande erfolgreichen SUPERNASEN-Filme erinnert und von der sich heutige Komödien gern eine Scheibe abschneiden dürften.