Archiv für August, 2019

THE ROOM ist, das muss ich kaum noch erwähnen, ein faszinierender Film. Zunächst scheint er lediglich auf besonders spektakuläre Art und Weise missglückt zu sein, das Werk eines unfähigen Regisseurs, der dazu verdammt ist, ein hirnrissiges Drehbuch mit mäßig begabten Darstellern zu verfilmen, aber noch während der Betrachtung merkt, man dass das dem Film kaum gerecht wird. Da ist mehr: Er ist in seiner Unzulänglichkeit nicht nur zum Schreien komisch, sondern auch ziemlich verstörend und endlos rätselhaft. THE ROOM ist Ausdruck einer absolut singulären Sicht auf die Welt und die sie bevölkernden Menschen, einem Hirn entsprungen, das gänzlich anders zu arbeiten scheint als es menschliche Gehirne üblicherweise zu tun pflegen. Man fragt sich unweigerlich: Hat Tommy Wiseau, der Mann, der hinter THE ROOM steht, ihn erdachte, das Drehbuch schrieb, ihn produzierte, inszenierte und die Hauptrolle darin übernahm, überhaupt jemals einen Film gesehen? Hat er verstanden, wie Menschen fühlen, denken und handeln? Weiß er, wie Geschichtenerzählen oder auch Kommunikation ganz allgemein funktionieren? Und dann folgerichtig: Wie kam er auf die Idee, einen Filme zu drehen – und noch wichtiger: Wie schaffte er es, ihn auch noch fertigzustellen? THE ROOM ist auch heute noch, 16 Jahre nach seiner Premiere, ein Mysterium. Und ich prophezeie, dass er das auch in 50 Jahren noch sein wird.

„The Disaster Artist“, dem Buch des THE ROOM-Hauptdarstellers Greg Sestero, kommt das Verdienst zu, das Geheimnis, das THE ROOM umweht, nicht zu entzaubern, sondern es durch die Einblicke, die er liefert, sogar noch zu verstärken. Das Buch handelt nicht nur von den Dreharbeiten des Films, sondern vor allem von der ungleichen Freundschaft zwischen Sestero, einem gutaussehenden, aber nur mittelmäßig begabten Schauspieler, und Wiseau, einem Mann, der umso mysteriöser wird, je näher man ihm kommt. Wie alt er ist, wo er herkommt, welche Vergangenheit ihn zu dem machte, was er ist, und vor allem woher die Millionen stammen, mit denen er seinen Film im Alleingang finanzierte – das alles konnte auch Sestero ihm nicht entlocken. Aber man bekommt eine Ahnung davon, was in ihm vorgehen mag, aus welcher Quelle sich der Wahnsinn von THE ROOM speist. Sestero erzählt seine Geschichte ohne Pathos und ohne rückblickend Schönfärberei: Tommy Wiseau legte in seiner Freundschaft zu ihm wie auch am Set bisweilen soziopathische und manipulative Züge an den Tag, er war längst nur nicht der liebenswerte Narr, der Outsider, den man in den Arm nehmen möchte. Aber er schuf eben auch diesen Film, den kein anderer hätte machen können und der die Menschen, die ihn gesehen haben und sehen werden, auch in Zukunft beschäftigen wird. Tommy Wiseau hat mit THE ROOM ohne Zweifel etwas geschaffen, was vielen anderen Filmemachern, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt haben und erfolgreich in Hollywood arbeiten, verwehrt bleiben wird.

Dass James Franco sich mit THE DISASTER ARTIST Sesteros Buch annahm und in die Rolle von Wiseau schlüpfte, ist nur ein weiterer Beleg. Und natürlich ist das ein endlos faszinierender Stoff für einen Film, Wiseau eine Figur, die geradezu danach schreit, interpretiert zu werden. Das Drehbuch von Scott Neustadter und Michael H. Weber folgt Sesteros Vorlage, lässt einige Details der Geschichte weg, wie das zu erwarten war und rückt Wiseau noch mehr ins Zentrum. Franco erhält demnach viel Raum für seine Darbietung, er geht, um TROPIC THUNDER zu referenzieren, full Wiseau und hat erkennbare Freude daran, dessen Idiosynkrasien und Macken nachzuahmen. Gerahmt wird THE DISASTER ARTIST von den Stimmen einiger Kollegen aus dem Filmbiz (u. a. Kristen Bell, Adam Scott, J. J. Abrams und Kevin Smith), die den Stellenwert von THE ROOM als Außenseiter-Kunstwerk preisen, und der Premiere von THE ROOM im Jahr 2003, bei der das ohrenbetäubende Gelächter des Publikums WIseau fast das Herz brach, bevor ihm sein Freund erklärte, was er da eigentlich auf die Beine gestellt hatte. THE DISASTER ARTIST – das ist es wahrscheinlich auch, was Franco zu dem Stoff hinzog – vertritt die Haltung, dass man seinen Träumen folgen sollte, egal, was andere dazu sagen. Wer glaubt, er habe der Welt etwas mitzuteilen, der sollte dies tun und sich nicht lange mit der Frage aufhalten, ob sich jemand dafür interessiert.

Der Weg zu dieser disneyesken Empowerment-Botschaft ist zwar durchweg unterhaltsam, aber auch steinig: Der Mensch Tommy Wiseau muss hinter Francos raumgreifender Darbietung zurückstecken und einige Härten der literarischen Vorlage werden im Film arg geschönt, um die Fabel vom liebenswerten Geek mit der sympathischen Macke überhaupt aufrecht erhalten zu können. Wo Sesteros Buch passagenweise ziemlich schmerzhaft ist, gerät seine Verfilmung weitaus versöhnlicher: Wiseaus Eifersuchtsanfälle, seine Paranoia und der daraus hervorgehende Kontrollwahn gepaart mit seinen erratischen, wirtschaftlich bisweilen selbstmörderischen Entscheidungen müssen in THE DISASTER ARTIST zu Randnotizen degradiert werden, damit die schöne Message am Ende nicht kaputt gemacht wird. Was schade ist, denn das Spannende an Sesteros Buch und der Geschichte von THE ROOMS ist ja gerade, das sie beides zusammenbringen: Man kann Wiseau für ein therapiebedürftiges Arschloch halten und dennoch seine Chuzpe, einen Film ohne jedes Fachwissen zu drehen, bewundern. Man kann erkennen, dass die Freundschaft von Sestero und Wiseau ein reichlich dysfunktionales Konstrukt ist, und trotzdem verstehen, warum sie zusammenblieben. Das Albtraumhafte des Buches – die Erfahrung, mit einem Tyrannen zusammenarbeiten zu müssen, dessen Denkmuster keiner nachvollziehbaren Logik folgen – kommt in Francos Film deutlich zu kurz.

THE DISASTER ARTIST ist natürlich dennoch ein guter Zeitvertreib, wie könnte er es angesichts dieser irren Geschichte auch nicht sein? Francos Performance ist wunderbar, wenngleich man sich nicht ganz des Eindrucks erwehren kann, dass er auf das Original noch eine ganze Schippe drauflegte. Das zeigt auch der schöne Einfall am Schluss, Originalszenen aus THE ROOM und für THE DISASTER ARTIST nachgedrehte direkt nebeneinander zu stellen: Misslungenheit lässt sich einfach nicht nachahmen, egal wie sehr sich die Schauspieler auch bemühen. Hinter der ganzen Verschrobenheit von THE ROOM steckten zum einen eine gewisse Unschuld, zum anderen wahrscheinlich ein gerüttelt Maß an Verwirrung und Unsicherheit. Die Akteure von THE DISASTER ARTIST waren hingegen zu jeder Zeit in on the joke, sie hatten ein Vorbild, das sie studieren konnten, ein klares Ziel vor Augen. Sie bewegten sich in einem sicher abgesteckten Rahmen, während die Darsteller unter der Regie von Wiseau buchstäblich im Nichts agieren mussten. Diese Umstände verliehen ihrem Spiel eine Qualität, die sich nicht simulieren lässt. Das bringt mich dann auch wieder zu meiner initialen Lobpreisung von THE ROOM und seiner anhaltenden Faszination. THE DISASTER ARTIST ist ihm rein technisch gesehen weit überlegen. Aber er erreicht zu keiner Sekunde dessen oszillierenden Wahnsinn und seine emotionale Kraft. Es ist aber auch ein Kreuz mit dieser verdammten Kunst.

HEREDITARY stellt einen radikalen Gegenentwurf zu Muschiettis IT Vorstellung von Horror dar: Statt des gut ausgeleuchteten, jederzeit vorhersehbaren Films um einen Killerclown, der einem Actionhelden gleich im Fünf-Minuten-Takt durch Geisterbahnsettings gehetzt wird, auf dass er sein Teenie-, Hausfrauen- und „Ich-grusel-mich-halt-so-gern“-Publikum erschrecke, gibt es hier Horror, der weitestgehend ohne Schreckgespenst auskommt, seinen Schrecken fast ausschließlich aus dem menschlichen Miteinander bezieht, dabei gleichermaßen verstört und wehtut und auch noch formal einiges zu bieten hat.

Es dauert nicht lang, bis der Zuschauer merkt, dass in der Familie von Mutter Annie (Toni Collette), Vater Steve (Gabriel Byrne), Sohn Peter (Alex Wolff) und Tochter Charlie (Milly Shapiro) einiges im Argen liegt: Annies tyrannische, psychisch kranke Mutter ist soeben verstorben, eine Familientradition von Geisteskrankheit inklusive Gewalt und Selbstmord lastet auf ihren Schultern – und möglicherweise in ihrem Erbgut? Der Druck, den sie verspürt, wird direkt an die Familie, vor allem an de ungeliebten Sohn Peter, weitergegeben. Als Charlie, Lieblingskind sowohl der toten Oma als auch der Mutter und selbst in einer eigenen Welt lebend, in Peters Obhut bei einem bizarren Unfall sprichwörtlich den Kopf verliert und ums Leben kommt, zerfällt auch noch der letzte Anschein eines zivilisierten Miteinanders. Dass die eh schon am Rande des Nervenzusammenbruchs balancierende Annie mithilfe der freundlichen Joan (Ann Dowd) Kontakt zur toten Tochter aufnimmt, ist nur der letzte Schritt in die eh schon vorprogrammierte Katastrophe: Peter wird von einem aggressiven Geist heimgesucht, der sich für den Tod an Charlie rächen zu wollen scheint. Es sieht so aus, als sei die Oma mit okkulten Mächten im Bunde gewesen. Oder sind das alles nur die Hirngespinste Annies, bei der die Geisteskrankheit sich nun manifestiert?

Wie die meisten Horrorfilme, die diese Schnittstelle zwischen Psychologie und Übersinnlichkeit beackern, entscheidet sich auch Regisseur Ari Aster gegen Ende zumindest vordergründig zugunsten der letzteren. Ich schätze, dass ich das Ende von HEREDITARY noch vor 10, 15 Jahren als handfeste Enttäuschung empfunden hätte, aber heute kann ich sehr gut damit leben. Mehr noch: HEREDITARY ist locker einer der stärksten und eigenständigsten Horrorfilme der letzten Jahre, selbst wenn seine Vorbilder unverkennbar sind. Vor allem ROSEMARY’S BABY muss natürlich als Inspirationsquelle genannt werden, THE EXORCIST wäre eine weitere, aber es ist nicht nötig, bis ins Golden Age zurückgehen, um Artverwandte zu finden. Das arg tendenziöse Review im Slant Magazine zieht sogar Parallelen zu den Filmen Wes Andersons, vermutlich in der Absicht, Aster ein „Style over Substance“ vorzuwerfen, womit er gleich beiden Unrecht tut. HEREDITARY verwendet die detailverliebten Dioramen, die seine Protagonistin in obsessiver Feinarbeit anfertigt, als eine Art Leitmotiv sowie als formales Leitbild: Die Räume des Hauses werden immer wieder so inszeniert, als schaue der Betrachter in einen Kasten, eine Technik, die mich mehr als einmal an Mendes‘ AMERICAN BEAUTY erinnert hat, der sie zu einem ähnlichen, wenngleich auch deutlich weniger verstörenden Effekt einsetzt. Aster beginnt direkt damit, fährt mit der Kamera ganz dicht an eines der Puppenhäuser in Annies Atelier heran, bis sich die Puppen darin als Peter und Steve entpuppen. Immer wieder baut Aster gezielt auf die Täuschung des Zuschauers, für den sich die vermeintliche Realität bei näherer Betrachtung als ihre Miniaturabbildung entpuppt. Ein Hinweis auf die Dramen, die sich nur in Annies Kopf abspielen, von ihr aber als „wahr“ empfunden werden: Vor allem zum Ende hin, wenn die Mutter dem Abgrund entgegentaumelt, häufen sich Szenen, in denen sich die Realität als Albtraum oder auch als Albtraum im Albtraum entpuppt und es keinen Ausweg aus dem Wahnsinn mehr zu geben scheint. Gleichzeitig bewahrt Aster sich die Ruhe des allmächtigen Puppenspielers, der die Fäden immer in der Hand hat, auch wenn sie für den Betrachter hoffnungslos verknotet sind. Es ist auch diese Ruhe, die den Film so wirkungsvoll macht.

Im Zeitlupentempo kriecht er voran, entfaltet in aller Ruhe und mit einer geduldigen Kamera, die geradezu in die Köpfe der Protagonisten einzudringen sucht, ein Familiendrama, das mit jeder Sekunde unerträglicher wird. Die Scares und Schocks sitzen, aber als noch verstörender empfand ich die Szenen, in denen ich dabei zusehen musste, wie jedes einzelne Mitglied dieser Familie zugrunde gerichtet wird durch das Unausgesprochene, das sich nun Ausdruck verschafft, wie da lang zurück gehaltene Gefühle einmal losgelassen eine Wucht entwickeln, vor der nichts Stand hält und wie die als Resultat herausgeschleuderten Worte Leben vernichten. Die Szene, in der Peter begreift, dass er für den Tod seiner Schwester mitverantwortlich ist? Wie er sich stumm in sein Bett schleicht und regungslos die Schreie der Mutter hört, als die die kopflose Leiche ihrer Tochter findet? Niederschmetternd. Als die Trauer über den Tod Charlies sich in einer Hasstirade gegen den eigenen Sohn Luft macht, der ihren Angriffen wehrlos ausgeliefert ist? Verheerend. Wie er nach einem Albtraum aufwacht, die Mutter bei ihm im Zimmer steht und er annehmen muss, dass sie ihn umbringen wollte? Unbeschreiblich. Toni Collette und Alex Wolff agieren an unterschiedlichen Enden des Spektrums, sie ein kurz vor der Explosion stehendes Nervenbündel, er ein immer mehr in sich zusammensackender, sich unter dem Druck beinahe in Luft auflösender Tropf, und die ungleiche Kräfteverteilung verleiht dem Film im Wesentliche seine Spannung. Beide sind grandios. Zwischen ihnen steht Gabriel Byrnes Steve, dessen verzweifelte Versuche, den Frieden zu wahren, die Fassade aufrechtzuerhalten, so bemitleidenswert wie verblendet sind. Er ist weniger auffällig als seine Kollegen, aber für das Gelingen des Films absolut zentral: Er ist das Auge des Tornados, der ruhende Pol, um den das Chaos seine Bahnen ziehen kann. Aster entwickelt mithilfe seiner Charaktere eine Dynamik, nein, er entfacht einen Sturm, der, einmal losgelassen, unaufhaltsam ist. Die verstorbene Oma mag die mächtige Puppenspielerin gewesen sein, die den entscheidenden Impuls gab – ob als Okkultistin oder schlicht als Träger einer vererblichen Geisteskrankheit – aber ihre Nachfahren sind nie in der Lage, sich ihrem Einfluss zu entziehen und die Fäden zu zerschneiden. Es gelingt ihnen nicht, aus dem Puppenhaus herauszutreten und von außen auf sich, ihre Welt, ihr Leben und ihr Miteinander zu blicken. HEREDITARY ist eine griechische Tragödie im Gewand eines Horrorfilms.

 

 

Die Neuverfilmung von Stephen Kings Roman „It“ – nach der TV-Miniserie von Tommy Lee Wallace aus dem Jahr 1990 – ist eine Erfolgsgeschichte: Weltweit 700 Millionen Dollar eingespielt bei einem heute geradezu lächerlich anmutenden Budget von 35 Millionen, erfolgreichster R-Rated-Horrorfilm aller Zeiten (nicht inflationsbereinigt), erfolgreichster Horrorfilm aller Zeiten, unzählige Nominierungen und Awards, Kritikerlob und und und. In wenigen Wochen startet die Fortsetzung, die angesichts dieses Erfolges natürlich niemanden überrascht, die aber angeblich bereits vorab geplant war, um Kings epischer Vorlage gerecht zu werden: IT adaptiert lediglich die erste Hälfte des Romans, das Sequel wird sich der zweiten annehmen. Ich war ja mehr als skeptisch: Wenn ein Film diese breite Zuneigung erfährt, dann spricht das ja nicht unbedingt dafür, dass er sein Publikum besonders gefordert hat, eher dafür, dass er sauberes Mittelmaß abliefert, mit dem sich jeder anfreunden kann. Und natürlich hatte ich Recht mit dieser Einschätzung. Aber Mittelmaß heißt auch: IT hätte deutlich schlechter ausfallen können.

Muschietti unterzieht Kings Geschichte erst einmal einer sanften Modernisierung: Statt in den späten Fünfzigerjahren sind die Ereignisse nun in den Achtzigern angesiedelt, um die Zielgruppe einzufangen, die sich an die Eighties zumindest noch vage erinnern kann, während in den Sixties noch nicht einmal ihre Eltern lebten. Da fangen die kleineren Problemchen aber schon an, denn mal abgesehen von eingestreuten Signifiern wie diversen Achtzigersongs auf dem Soundtrack (u. a. „Antisocial“ von Anthrax, „Hangin‘ Tough“ von den New Kids on the Block, „Bust a Move“ von Young MC oder „Six Different Ways“ von The Cure), T-Shirt-Aufdrucken („Airwolf“), Kino-Marquees (BATMAN, LETHAL WEAPON, A NIGHTMARE ON ELM STREET 5), Postern oder Vokuhila-Fisuren könnte IT auch in den Neunzigern, den Nullerjahren oder in diesem Jahrzehnt spielen: Muschietti bemüht einen Einheitslook, den heutzutage nahezu alle Filme aufweisen, betrachtet „sein“ Jahrzehnt als bloß kosmetisches Element, ohne verstanden oder sich auch nur dafür zu interessiert zu haben, wodurch sich die Achtzigerjahre von anderen Epochen eigentlich unterschieden. Teile der Geschichte – etwa der Spießrutenlauf, den der Afroamerikaner Mike (Chosen Jacobs) mitmachen muss – lassen zudem deutlich erkennen, dass da Elemente des Romans ohne jede Modifizierung einfach aus ihrem ursprünglichen Kontext in einen neuen hinübergeholt wurden. Diese Vereinfachung scheint mir – ich habe Kings Roman nie gelesen – charakteristisch für den ganzen Film zu sein, der die Komplexität der Vorlage weitestgehend zugunsten (vor allem gegenüber der produktionstechnisch deutlich bescheideneren TV-Adaption) markig ausgeschmückter Effekt- und Horrorszenen um den Monsterclown Pennywise und die verschiedenen Manifestationen des Bösen reduziert.

Gerade der familiäre Background der sieben jugendlichen Protagonisten Bill (Jaeden Martell), Ben (Jeremy Ray Taylor), Beverly (Sophia Lillis), Richie (Finn Wolfhard), Mike, Eddie (Jack Dylan Grazer) und Stanley (Wyatt Oleff), dem im Roman eine bedeutende Rolle zukam, wird hier eher stiefmütterlich abgehandelt und bis auf wenige Ausnahmen auf gängige Tropes heruntergekürzt: Bill stottert und hat seinen kleinen Bruder an das Böse verloren, Ben ist dick und außerdem der Neue, Beverly wird von ihrem Vater missbraucht oder zumindest angemacht, Mike ist ein Waisenjunge und Eddie wird von der überprotektiven Mutter mit Placebos gefüttert, damit er in dem Glauben aufwächst, krank zu sein, Stanley ist der Sohn eines Rabbis, über Richies Elternhaus erfährt man gar nichts. Auch der Heimatort der Kids wird nie wirklich lebendig: Die Stadt wächst nie über den Status einer Kulisse hinaus, die in ihrer aseptischen Sauberkeit übrigens verdammt gegenwärtig aussieht, ganz anders als in Kings Romanen, in denen er ganze Soziotope und Mikrokosmen vor dem Auge des Lesers entwirft. Dem langsamen Aufbau, der detailversessenen Zeichnung jeder noch so unbedeutenden Nebenfigur, dem feinen Herausarbeiten von Atmosphäre und Stimmung, die für seine Bücher charakteristisch sind, setzt Muschietti einen rasanten Reigen von zwar actionreichen, aber leider auch nur wenig unheimlichen Set Pieces entgegen. Er baut dabei vor allem auf die Präsenz des Clowns Pennywise (Bill Skarsgård) , den die Produzenten offensichtlich als das Zugpferd des Films erachteten: Er bekommt fast mehr Screentime als die Protagonisten und so gut die Make-up- und Spezialeffekte um ihn auch gelungen sind, so schnell hat man sich an ihm sattgesehen.

Das ist ein bisschen symptomatisch für den ganzen Film, der sehr offenkundig auf gute Konsumierbarkeit hin produziert wurde und das mit einem Mangel an Identität, Atmosphäre und verstörendem Potenzial bezahlt, also genau mit jenen Eigenschaften, die beim Horrorfilm die bloß nett unterhaltende Spreu vom nachhaltig schockierenden Weizen trennen. IT ist aber keineswegs schlecht: Hervorzuheben sind die Jungdarsteller, denen es fast mühelos gelingt, die Sympathien auf ihre Seite zu ziehen und die gut miteinander harmonieren. Auch das ein oder andere starke Bild bleibt hängen, etwa das in blutrotes Licht getauchte, blutverschmierte Badezimmer Beverlys, vielleicht die beste Szene des ganzen Films. Und langweilig ist IT zu keiner Sekunde – wenngleich auch nicht gerade wahnsinnig überraschend. Die Wendepunkte des Plots sind allesamt Standardware, nie hält sich Muschietti auf dem Weg zum nächsten saftigen Effekt zu lang mit irgendwelchen Subtilitäten auf, manche Details, etwa der wie ein aus einem vorherigen Draft übrig gebliebene Fragment wirkende menschliche Gegenspieler Henry (Nicholas Hamilton), erfüllen ganz offensichtlich keine andere Funktion als jene, sich dem Buch gegenüber nichts zu Schulden kommen zu lassen. Das ist nett wie der ganze Film, aber Nettigkeit ist nicht unbedingt die Eigenschaft, auf die es bei einem Horrorfilm ankommt.

LA SOUPE AUX CHOUX markiert hier den Auftakt einer kleinen Louis-de-Funès-Reihe. Der Komiker war in meiner frühen Kindheit ein treuer Weggefährte, wohl auch, weil seine Filme damals noch regelmäßig im TV ausgestrahlt wurden. Sein LES AVENTURES DE RABBI JACOB zählte aufgrund der Anfangssequenz in der Kaugummifabrik lange zu meinen Lieblingsfilmen. Irgendwann erwähnte meine liebe Oma dann aber mal, dass Louis de Funès (bei uns wurde er immer „Lui de Finee“ ausgesprochen) sie „verrückt machen“ würde. Das war dann für mich ein Grund, mir seine Filme nicht mehr anzuschauen. Komisch, aber so sind Kinder wohl. Bis auf die FANTOMAS-Filme, die ich vor nunmehr auch gut 15 Jahren mal nachgeholt habe und die ja streng genommen keine reinen Louis-de-Funès-Filme sind, wird diese Reihe für mich also eine fast ganz neue Erfahrung werden. Und mit LA SOUPE AUX CHOUX, de Funès‘ drittletztem Film, habe ich den Anfang gemacht, weil ich den auch für meine Kinder als geeigneten Einstieg ansah. Womit ich richtig lag, wenngleich der Film auch so seine Untiefen hat.

Klamaukfreunde erinnern sich wahrscheinlich vor allem an die exzessive Furzerei sowie die ausgiebigen Gespräche über eben diese Fürze. Ja, LA SOUP AUX CHOUX (was schlicht „Kohlsuppe“ bedeutet und in Deutschland elegant als LOUIS UND SEINE AUSSERIRDISCHEN KOHLKÖPFE übersetzt wurde) handelt nicht nur in zweiter Linie vom Furzen und der Freude, die eine gepflegte Flatulenz bringen kann. Im Zentrum des Films stehen die beiden alten Weinbauern Claude (Louis de Funès) und Francis (Jean Carmet): Sie leben auf einem in die Jahre gekommenen Weiler wie in den Vierzigerjahren und haben mit der Moderne und ihren Errungenschaften nichts am Hut. Beide sind alleinstehend – Claudes Gattin Francine ist vor Jahren verstorben – und verbringen den lieben langen Tag mit Wein- und Pastistrinken, mit dem Zubereiten und Verspeisen von Kohlsuppe sowie mit Gesprächen über die gute alte Zeit, wobei sie dann ihren Blähungen nach Herzenslust freien Lauf lassen. Eines Tages landet ein Außerirdischer (Jacques Villeret) auf dem Grundstück der beiden: Die lauten Fürze hat er als Botschaft missverstanden. Claude heißt den Besucher willkommen, versorgt ihn mit Kohlsuppe und schickt ihn wieder nach Hause. Die Kohlsuppe erweist sich wiederum auf dem Heimatplaneten des Außerirdischen als Sensation: Zum Dank schickt er Claude erst die verstorbene Ehefrau (Christine Dejoux) zurück, die aber gut 50 Jahre jünger ist als ihr Gatte und verständlicherweise keine Lust hat, mit ihm zusammenzuleben, dann lädt er ihn ein, mitzukommen. Auf Oxo blühen Claude noch 130 Jahre Lebenszeit – und seinen Kumpel Francis darf er natürlich mitnehmen. Weil der Bürgermeister des Örtchens sich anschickt, den lästigen Weiler zugunsten eines Freizeitparks einzureißen, nehmen die beiden Bauern die Einladung dankend an. Fin.

LA SOUP AUX CHOUX ist nur wenig kohärent, erzählt vielmehr mehrere kleine Geschichten, deren gemeinsamer Kern Claude, das Altern sowie das damit verbundene Gefühl sind, von der Zeit überholt worden zu sein. Claude und Francis leben wie in einer anderen Epoche, völlig abgeschottet von den Geschehnissen um sie herum (sehr passend dazu wurde der Weiler für die Nachtaufnahmen im Studio nachgebaut und von einem sehr deutlich als künstlich zu identifizierenden Horizont umgeben) hängen sie den guten alten Zeiten nach. Ihr Wasser kommt aus dem Brunnen – dass Claude sich irgendwann ein Waschbecken aufschwatzen ließ, kann Francis immer noch nicht begreifen -, die Uhr zeigt schon seit Jahren nicht mehr die richtige Uhrzeit an und der Körper ächzt unter der Last der Jahre. Als der Arzt Claude empfiehlt, statt drei Flaschen Wein am Tag nur noch ein Gläschen zu trinken, ist der geradezu empört. Das ist es wirklich nicht wert! Der Außerirdische verwirrt Claude nicht so sehr, als der sich über einen Gesprächspartner freut, der seine Geschichten noch nicht in- und auswendig kennt. Berührungsängste gibt es keine, Gästen bietet man ein gutes Tröpfchen und etwas zu essen an, so einfach ist das. Als plötzlich die junge Francine auf der Matte steht, weicht die Freude schnell der Einsicht: Eine Fortsetzung der Ehe kann es angesichts des Altersunterschiedes nicht geben. Was soll die hübsche, junge, lebenslustige Frau von einem alten Zausel wie ihm? Und Claude selbst ist ja viel zu unflexibel geworden, um sich noch einmal um- und seine eingeschliffenen Gewohnheiten abzustellen. Auch das Umsiedeln auf einen anderen Planeten kommt für ihn aus genau diesem Grund zunächst nicht infrage: Viel zu sehr würde er Francis, den Wein, die Kohlsuppe und die Fahrradfahrt zum örtlichen Bäcker vermissen. Und 200 Jahre alt werden auf einem Planeten, auf dem es laut seinem Besucher keine Freude und kein Lachen gibt? Das klingt gar nicht verlockend. Dann lieber in zehn Jahren sterben, aber dafür jeden Abend in den Nachthimmel furzen, während Francis dazu auf dem Akkordeon spielt. Der Film lebt von de Funès‘ bekannter Art, seinen Schimpfereien, Flüchen und seiner generellen Aufgedrehtheit sowie natürlich von den Auftritten des Außerirdischen, eines treudoof dreinblickenden Tollpatsches. Girault bedient sich eines eher rustikalen Humors, aber dahinter steckt ehrliche Liebe für ein Stück aussterbendes Frankreich, das eben Claude und Francis verkörpern. Meine Gattin sagte während des Films mal sinngemäß, dass dies wohl der französischste Film aller Zeiten sei: Das ist in dieser Ausschließlichkeit ganz gewiss nicht haltbar, aber es stimmt, dass LA SOUP AUX CHOUX eine Lebensart und Haltung zelebriert und würdigt, die wir als „typisch französisch“ apostrophieren können. Kohlsuppe mit dicken Weißbrotrunken, Anisschnaps mit Brunnenwasser, Rotwein zum Frühstück, Kaffee aus Trinkschalen. Man bekommt gleich Lust auf Urlaub in Frankreich.

Davon abgesehen handelt LA SOUP AUX CHOUX (de Funès‘ zweite Begegnung mit Außerirdischen nach LE GENDARME ET LES EXTRA-TERRESTRES von 1979) aber, wie gesagt, vom Altern, mehr aber noch von den einfachen Freuden, die wir angesichts technischer Errungenschaften und moderner Annehmlichkeiten zu vergessen drohen, und damit von einem Thema, das wahrscheinlich zu jeder Zeit aktuell war. Die Vergangenheit, die in LA SOUP AUX CHOUX noch liebevoll und mit einem wehmütigen Auge gezeichnet wird, findet man heute fast gar nicht mehr. (Ehrlich gesagt mutet selbst die Gegenwart des Films heute beinahe steinzeitlich an.) Die verfallenen Weiler mit ihren schrulligen Bewohnern mussten längst irgendwelchen Einkaufszentren und Bungalow-Parks weichen. Kohlsuppe isst niemand mehr und welches Glück es bedeutet, mit einem guten Freund Wein zu trinken und sich gegenseitig im Furzen zu übertreffen, haben die meisten auch schon vergessen. Aber so ist er eben, der Lauf der Dinge. Wir werden älter, während sich die Welt um uns erneuert, und irgendwann kommen wir nicht mehr mit. Und das müssen wir ja nicht: Es gilt, zu erkennen, was uns glücklich macht, und dann daran festzuhalten. Im Notfall auf einem anderen Planeten.

PEPPERMINT ist Vigilanten-Action ohne allzu große Ambitionen, ohne Vorgaukelei von Relevanz oder Brisanz, dafür aber schön ruppig und dank der versierte Regie von Morel, der schon mit TAKEN und BANLIEUE 13 bewiesen hat, was er kann, in seinen Actionszenen angenehm zupackend und immer übersichtlich.

Die Story ist natürlich Tinnef, da muss man sich nichts vormachen, aber das ist ja nicht zwingend ein Makel: Riley North (Jennifer Garner) mutiert von der braven Familienmama zur mit allen Abwassern gewaschenen Killerin, nachdem gesichtstätowierte Killer des mexikanischen Drogenkartells ihren Mann und ihre kleine Tochter exekutiert haben und eine korrupte Rechtsprechung ihr die Gerechtigkeit verwehrt hat.

PEPPERMINT beginnt in medias res mit einem heftigen Fight, bei dem Riley verwundet wird, und springt dann fünf Jahre in die Vergangenheit, an den Tag ihres Verlusts. Ihr Mann landet auf der Todesliste des Kartells, weil sein Name im Zusammenhang mit einem Einbruch gefallen ist, den sein Arbeitskollege mit seiner Hilfe verüben wollte. Ausgerechnet am Geburtstag der süßen kleinen Tochter werden die beiden auf einer Weihnachtskirmes erschossen. Auch Riley wird getroffen, kann die Täter aber – auch dank der erwähnten Tattoos identifizieren. Morel und Drehbuchautor Chad St. John (LONDON HAS FALLEN) ziehen alle Register, um den Zorn des Zuschauers hervorzukitzeln: Erst taucht ein schmieriger Anzugtyp bei Riley auf, um sie mit einem fetten Geldumschlag  zum Zurückziehen ihrer Aussage zu überreden, dann begegnet sie demselben Typen im Gerichtssaal wieder – es ist der Verteidiger der Mörder. Alle sind gegen sie, ihr Geisteszustand wird angezweifelt und als sie wutentbrannt auf die Mörder losgeht, wird sie getasert und dann gleich in einen Krankenwagen verfrachtet, der sie in eine Heilanstalt bringen soll. Sie reißt sich los und flieht.

Danach geht es wieder in die Gegenwart: Die Leichen der drei Mörder werden aufgeknüpft an einem Riesenrad gefunden, das FBI macht die Polizei darauf aufmerksam, dass niemand Geringeres als die verschwundene Mutter für die Taten verantwortlich sein könnte. „We found this on YouTube.“, sagt sie und führt den verdutzten Beamten ein Video vor, das sie als MMA-Fighterin zeigt. Im Folgenden räumt Riley im Alleingang mit dem Kartell um den miesen Diego Garcia (Juan Pablo Raba) auf, der unter anderem aus einer Piñata-Fabrik heraus operiert. Außerdem wird sie zu einer Art Schutzpatronin der Obdachlosen, deren Heimat, eine urbane Ruine, sie von Gesindel befreit hat: Einem trinkenden Vater erteilt sie eine Lektion darüber, dass er sich um seinen Sohn kümmern soll und an einer Wand gibt es ein großes Mural, das sie als Engel darstellt. Am Ende wird sie von der Polizei gefasst, doch der ermittelnde Detective (John Ortiz) lässt sie frei, sodass es theoretisch ein Sequel geben könnte.

Ich fand PEPPERMINT sehr hübsch: Der Film hat ein paar Doofheiten und einmal vergreift er sich meines Erachtens erheblich im Ton, aber ich fand es sehr angenehm, dass er sich ganz auf seine Qualitäten als Reißer konzentriert und sich nicht dazu emporschwingt, eine Message zu verbreiten. Die Actionszenen sind brutal, dynamisch und einigermaßen realistisch, kein Over-the-Top-Spektakel und Jennifer Garner hat schon häufiger bewiesen, dass sie so etwas kann. Outlaw Vern hat in seinem Text sehr richtig darauf hingewiesen, dass allein die Tatsache, dass hier eine Frau auf Rachefeldzug geht, der Geschichte schon einen anderen Spin gibt: Während es in DEATH WISH etwa ja auch implizit darum geht, dass der anzugtragende Liberale endlich zum richtigen Mann wird, also seine wahre Bestimmung erfüllt ist hier das Gegenteil der Fall. Riley findet sich zunächst in der Mutterrolle, die die Gesellschaft für sie als ideal auserkoren hat und mutiert dann zur Ein-Personen-Todesschwadron, entsagt gewissermaaßen dem gesellschaftlichen Konsens. Dass die Bösewichte super-eindimensionale Hispanics sind, ist hingegen gerade heute ein bisschen rückständig und wird auch nicht durch die Tatsache aufgehoben, dass der gute Cop Beltran heißt. PEPPERMINT hat, soweit ich weiß, keine allzu guten Kritiken erhalten, aber das sollte Actionfans und Freunde von guten Selbstjustigeschichten nicht davon abhalten, ihm eine Chance zu geben. Ich halte es für ziemlich wahrscheinlich, dass solche mit dem Teil genauso zufrieden sein werden wie ich.

hatchet: victor crowley (adam green, usa 2017)

Veröffentlicht: August 22, 2019 in Film
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Im Text zu HATCHET III lobte ich an der Serie den Kniff, zum einen jeden Teil mit einem abrupten Schnitt enden und den jeweils nächsten exakt an dieser Stelle anfangen, zum anderen den Gag, Schauspieler Parry Shen in allen Teilen in einer anderen Rolle auftreten zu lassen. Jetzt die Überraschung: HATCHET: VICTOR CROWLEY, der vierte Teil, tritt gleich beide liebgewonnenen Traditionen in die Tonne. Sequel Nr. drei beginnt zehn Jahre nach dem Vorgänger und macht dessen einzigen Überlebenden, den Sanitäter Andrew Yong (Parry Shen), zu seinem Protagonisten. Yong hat soeben ein Buch über seinen Überlebenskampf veröffentlicht und befindet sich auf Promotour, auf der er von allen Menschen als eigentlicher Mörder, ätzender Hochstapler und geldgeiler Profiteur diffamiert wird – wer sollte seine Geschichte auch glauben? Wie es die Sequellogik will, führt ihn ein vermeintlich lukrativer Auftrag zurück in die Sümpfe, doch das Flugzeug stürzt ab und weil parallel eine Gruppe von Amateurfilmern, die einen Crowley-Film drehen will, den Fluch, dem Crowley seine Unzerstörbarkeit verdankt, via Youtube-Videos abspielt, geht das Gehacke wieder von vorn los.

Ich halte Adam Green zugute, dass er mit HATCHET: VICTOR CROWLEY nach den beiden vorangegangenen, arg austauschbaren und ideenlosen Teilen zumindest versuchte, die abgedroschene Formel etwas zu variieren. Sein Film greift mit dem Flugzeugabsturz Elemente des Katastrophenfilms auf und konfrontiert die Protagonisten schon vor dem Auftauchen des Killers mit einer lebensbedrohlichen Situation. Die Backstory um Yong, der sich den ständigen Beleidigungen und Verleumdungen der Medienleute ausgesetzt sieht, bringt zusätzliches Konfliktpotenzial. Green setzt auch wieder verstärkt auf Humor, wobei der lockere Plauderton des ersten Teils meilenweit verfehlt wird und manche der hier gerissenen Zoten in ihrer verzweifelten edgyness arg gezwungen wirken. Es ist einfach nicht per se witzig, einen Pimmel zu zeigen. Für einen Slasherfilm hat HATCHET: VICTOR CROWLEY eine geradezu episch erscheinende Geschichte zu erzählen, innerhalb der das Auftauchen Killers eindeutig das uninteressanteste Element ist: Der Versuch einer breit angelegten „Saga“ wird dadurch unterminiert, dass es letztlich immer wieder auf denselben Quark hinausläuft. Die beiden Elemente gehen einfach nicht zusammen und der „erzählerische“ Teil ist am Ende nichts mehr als ein Gimmick.

Im Vergleich zum gut gelaunten HATCHET vor 13 Jahren, in dem Green selbst den beiden dümmlichen Pornohäschen noch mit einer gewissen Sympathie begegnete, fällt außerdem die Verachtung, die hier nahezu jeder Figur entgegengebracht wird, sehr unangenehm auf. Nicht nur sind nahezu alle Charaktere egomanische Arschlöcher, sie halten auch alle anderen um sich herum für solche und zeigen das bei jeder Gelegenheit. Yong ist ein Nichtskönner, der Geld aus der Tatsache schlagen will, ein Massaker überlebt zu haben. Seine Agentin hält ihn für einen Lügner und belügt wiederum ihn, weil sie ihrerseits Geld aus ihm herauspressen möchte. Die Moderatorin der Talkshow, in der Yong auftreten soll, lässt ihn bei jeder Gelegenheit wissen, dass er für sie nicht mehr als Abschaum ist, und als sie ihm das in einer langen Rede in aller Deutlichkeit auseinandersetzt, nutzt das Final Girl die Gunst des Augenblicks, um über Medienhuren abzukotzen, die selbst nichts können, als gut auszusehen, und es trotzdem wagen, über andere ein Urteil zu fällen. Es ist schon ein sympathisches Grüppchen, das Green da versammelt hat, und zumindest ich fragte mich bei Betrachtung unweigerlich, wie man nur so verbittert sein kann, wenn man sich doch eigentlich über das Glück freuen sollte, seinen Lebensunterhalt mit einem stulligen Slasherfranchise bestreiten zu können. Was treibt einen an, ein Drehbuch zu schreiben, das ausschließlich von Unsympathen bevölkert wird, denen man es dann heimzahlen kann? Auch wenn es mal menschelt, ist das letztlich nur Vorwand, um es dem Zuschauer nur umso härter zu besorgen: Die Fotografin des Fernsehteams hat das Pech, beim Absturz eingeklemmt zu werden, was umso schlimmer ist, als das Flugzeug langsam mit Wasser vollläuft. Um die eh schon dramatische Situation noch schlimmer zu machen, gesteht sie ihrem Partner, dass sie ein Kind von ihm erwartet. Das alles hat wirklich keine Funktion für den Fortgang der Geschichte, außer der, mit ihr auch noch ein ungeborenes Kind sterben zu lassen und den Film so vermeintlich noch „härter“ zu machen. Bevor es soweit ist, wird die hilflos im Wasser liegende Frau auch noch mit dem Skalp des toten Vaters ihres Kindes beworfen, was Menschen, mit denen ich nichts zu tun haben möchte, wahrscheinlich irrsinnig komisch finden. Ehrlich, was soll das?

Um den Eindruck der Hilflosigkeit komplett zu machen, endet HATCHET: VICTOR CROWLEY mit dem Blick auf die ihre Pumpgun durchladende und eine Kampfansage in die Kamera bellende Marybeth (Danielle Harris), von der sich die Serie mit diesem Teil eigentlich endgültig verabschiedet zu haben schien. Also doch wieder alles auf Anfang? Es passt ja, dass eine Serie um einen unsterblichen Killer einfach kein Ende nehmen mag, aber man muss doch auch mal loslassen können, oder? Mensch Adam, lehn‘ dich zurück, nimmt eine Auszeit und überleg dir mal, ob das wirklich alles sein soll.

Wie Teil 2 zuvor schließt auch Teil 3 der Reihe um die mit einem Fluch belegten, rachsüchtigen Hackfresse Vincent Crowley (Kane Hodder) direkt an den Vorgänger an: Nachdem Marybeth (Danielle Harris) den Killer mit dem Hackebeil erledigt hat, nimmt sie seinen Skalp und wird damit in der Polizeistation von Sheriff Fowler (Zach Galligan) vorstellig. Der glaubt natürlich kein Wort ihrer wilden Geschichte und inhaftiert die junge Frau als mutmaßliche Massenmörderin. Fowlers Frau Amanda (Caroline Williams), eine True-Crime-Bloggerin, die von der Crowley-Legende besessen ist, wird allerdings hellhörig: Und sie glaubt zu wissen, wie man dem Mörder, der ihrer Meinung nach immer noch lebt, endgültig das Handwerk legen kann. Während Fowler und seine Leute im Sumpf vom quicklebendigen Crowley dezimiert werden, begibt sich Amanda mit Marybeth auf die Suche nach der Asche von Crowleys Papa …

Mir hat Teil 3 zwar wieder eine Ecke besser gefallen als der eher dröge zweite Teil – er ist bunter, sieht besser aus und bemüht sich wenigstens ein kleines Bisschen, eine Geschichte zu erzählen -, aber Begeisterungsstürme löst auch er nicht mehr aus. Ja, die Effekte sind wieder hübsch blutig und „handgemacht“, wie es so schön heißt, und die Anwesenheit der Altstars Harris, Williams, Galligan und Haig stellt einen Bonus dar, aber der ganzen Angelegenheit und vor allem dem Killer selbst fehlt irgendwie die Identität. Crowley hat eine ganz brauchbare Backstory und Hodder weiß, wie man unaufhaltsam durchs Unterholz walzt, aber die Figur bleibt letztlich völlig austauschbar, ihr Erscheinen löst nichts aus und mitfiebern kann man auch nicht, das die Filme keinerlei Zweifel daran lassen, dass Crowley unbesiegbar ist. So stellen sich im dritten Film, in dem dem immer gleichen Opferpersonal auf die immer gleiche Art und Weise der Gar aus gemacht wird, deutliche Ermüdungserscheinungen ein. Ich weiß nicht genau, woran das liegt: Jason Voorhees ist auch nicht gerade ein Ausbund an Persönlichkeit, aber die FRIDAY THE 13TH-Filme kann ich mir immer noch alle paar Jahre anschauen und habe dann meinen Spaß damit. Da mag der Nostalgiebonus reinspielen, aber ich will nicht so recht daran glauben, dass das alles ist.

Das Einzige, was ich an den HATCHET-Filmen richtig „schön“ finde, ist die Strategie, jeden Film mit einem abrupten Schnitt zu beenden und den folgenden Teil dann direkt dort ansetzen zu lassen, weil es die einzelnen Teile zu einer langen Geschichte zusammenschweißt und für eine gewisse Dramatik, Kohärenz und Drive sorgt. Anstatt erst wieder neue Charaktere einzuführen und die Geschichte lang einzuleiten, geht sie einfach da weiter, wo sie aufgehört hat. Auch der Gag, Darsteller Parry Shen immer wieder in einer neuen Rolle einzuführen, ist ganz witzig. Als Fazit lässt sich relativ nüchtern feststellen, dass HATCHET 3 deutlich schlechter sein könnte: Die Logik verlangt es eigentlich, den Satz mit „aber auch viel besser“ fortzusetzen, aber ich bezweifle ehrlich gesagt, dass das wirklich der Fall ist. Vielleicht ist die Zeit für diese Art von eindimensionalem Schlitzerentertainment endgültig vorbei, zumindest, wenn man noch irgendwelche Erwartungen oberhalb von „Ganz OK“ daran knüpfen mag.

Ist es ein Fall von „steter Tropfen höhlt den Stein“ oder gar Altersmilde? GUARDIANS OF THE GALAXY VOL. 2 ist jetzt nach SPIDER-MAN: INTO THE SPIDER-VERSE schon der zweite Marvel-Film in Folge, den ich richtig klasse fand. Und nein, ich glaube nicht, dass es einfach daran liegt, dass mein Widerstand gebrochen ist: Das Sequel zum Überraschungserfolg macht einfach Spaß, es ist bunt, witzig und spektakulär, es hat Tempo und Drive und kommt mit jener wunderbaren Leichtfüßigkeit daher, die mir bei den „großen“ Meilensteinen des MCU meist fehlt. Schon der Vorgänger verfügte über diese Eigenschaften, vielleicht auch, weil er den Vorteil hatte, mit seiner vergleichsweise unbekannten Protagonistenschar nicht die Last von fünf Jahrzehnten Comicgeschichte auf den Schultern tragen zu müssen, und mit James Gunn einen Regisseur mit Exploitationvergangenheit und der passenden Attitude. Trotzdem konnte ich die Begeisterung, die GUARDIANS OF THE GALAXY damals bei vielen auslöste, nicht hundertprozentig teilen, wobei ich heute nicht mehr weiß, woran das eigentlich lag. Ich müsste den Film noch einmal auffrischen – und ganz ehrlich, nach der Sichtung gestern habe ich da nicht übel Lust drauf.

Vor der Aufgabe stehend, mein positives Urteil zum Sequel zu begründen, könnte ich es mir leicht machen und Teile meines Textes zum bereits erwähnten SPIDER-MAN: INTO THE SPIDER-VERSE hier per copy&paste-Verfahren einstellen, aber das mache ich natürlich nicht. Also anders: Innerhalb des MCU kommt den Guardians die Rolle der respektlosen Underdogs zu, die auch schon mal zotige Pimmelwitze reißen (ohne gleich in die Niederungen eines DEADPOOL abzugleiten) und sich gegenseitig dissen, wie alte Freunde das zu tun pflegen. Sie zeichnen sich nicht durch heilige Ergebenheit gegenüber der guten Sache aus, auch nicht durch Edelmut und Unfehlbarkeit: Die Guardians sind im Gegenteil ein paar Banditen mit gutem Herz, die mangelnden Intellekt und fehlende Tugendhaftigkeit mit Einsatzbereitschaft, Improvsationsgabe und Nehmerqualitäten wettmachen. Ihre Kämpfe gegen Monster, aufgebrachte Armeen und Superschurken arten meist in chaotische Scharmützel und Ballereien aus, bei denen die Helden auch davon profitieren, dass sie das Glück des Tüchtigen auf ihrer Seite haben. Diese Charakterisierung macht das Team um Star-Lord (Chris Pratt), Gamora (Zoe Saldana), Rocket (Bradley Cooper), Drax (David Bautista) und Groot (Von Diesel) nahbar und sympathisch, verleiht den Filmen zudem jene Unvorhersehbarkeit, die die Tentpole-Produktionen des MCU, also die Filme um die Avengers, Captain America oder Iron Man, sich nur sehr selten erlauben. Es weht ein milde anarchischer Wind durch die Filme um die Guardians, sie werden beflügelt vom Enthusiasmus der Helden, die es halt auch einfach ziemlich geil finden, durchs Weltall zu rasen und sich mit Superwaffen in die Schlacht zu werfen – auch wenn sie dabei manchmal auf die Fresse bekommen. Heldentum ist hier gleichbedeutend mit Fun und Abenteuer, eben nicht mit der oft beschworenen Verantwortung und drückendem Pflichtgefühl: Zwar setzen sich die Guardians immer für das Gute ein, aber oft genug nervt es sie auch, dass sie nicht einfach nur miese, ausschließlich auf den eigenen Vorteil bedachte Halsabschneider sein können. (Das erinnert mich etwas an die Filme meines großen Helden Bud Spencer – eine sehr gute Referenz!) Der ideologisch befremdliche Militarismus der Avengers, die sich da regelmäßig von irgendwelchen fragwürdigen Institutionen für das angebliche „greater good“ einspannen lassen, ist hier gänzlich abwesend. Das ist sehr wohltuend.

Sowohl GUARDIANS als auch VOL. 2 profitieren außerdem immens davon, dass sie als poppige Space Opera angelegt sind und demnach visuell aus dem Vollen schöpfen können – und das auch tun: GUARDIANS OF THE GALAXY VOL. 2 hält sich gar nicht erst lang mit einer Exposition auf, sondern versetzt den Zuschauer mitten rein in den Kampf gegen ein riesiges zahnbewertes Krakenmonster, macht ihn mit den goldhäutigen Klonen der Sovereign bekannt, entführt ihn in einen an TOTAL RECALL erinnernden Amüsierbetrieb sowie den Planeten Ego, der von seinem göttlichen Namenspatron zu einem trügerischen Paradies geformt wurde. Es gibt jede Menge fantasievoller Kreaturen und Kostüme zu bestaunen sowie erstklassig choreografierte Action-Set-Pieces. Der Film läuft geradezu über vor Stilwillen und Ideen und macht nicht den Fehler „Dynamik“ mit „Hektik“ zu verwechseln. Jede Sequenz ist perfekt durchkomponiert, folgt einem klaren visuellen Konzept – ich denke da nur an den fliegenden Pfeil von Yondu (Michael Rooker), der mit der Hilfe seiner einen roten Schweif hinter sich herziehenden Waffe die hundertköpfige Besatzung eines Raumschiffes ausschaltet. Dass die eigentliche Story letztlich auch wieder nur auf den Kampf gegen einen Superschurken hinausläuft, ist angesichts dieses Reichtums verzeihlich, zumal dieser Konflikt durch seine spezielle Konstellation mit einer Fallhöhe ausgestattet ist, die anderen Superheldenfilmen abgeht. Wie INTO THE SPIDER-VERSE vor ihm, fand ich auch dieses Sequel im besten Sinne bewegend und menschlich. So abgedreht GUARDIANS OF THE GALAXY VOL. 2 auch ist, letztlich geht es um Sorgen, Ängste und Gefühle, die universell sind. Und eben nicht darum, sich mit Gleichgesinnten zu vereinen, um sich in einem allumfassenden Krieg gegen das zurückzuschlagende Böse zu opfern.

Ach ja, der Soundtrack ist auch wieder toll.

 

 

 

hatchet ll (adam green, usa 2010)

Veröffentlicht: August 20, 2019 in Film
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Nach dem wunderbaren ersten Teil sind bis zum Sequel vier Jahre ins Land gezogen. Im Filmgeschäft, in dem sich die Trends die Klinke in die Hand geben, ist das eine halbe Ewigkeit. An die Remakes japanischer Horrorfilme, die noch die Tagline des Vorgängers aufs Korn nahm, konnte man sich 2010 kaum noch erinnern und darüber, dass jeder halbwegs erfolgreiche Film ein Sequel erfährt, hatte man sich längst gewöhnt. Darüber zu lästern, verbot sich für einen zweiten Teil ja sowieso. Ich kann mich an 2010 vor allem deshalb erinnern, weil es das Jahr war, in dem ich zum ersten Mal Vater wurde, aber ich würde lügen, wenn ich behauptete, noch zu wissen, wie die Filmlandschaft damals aussah, so im Überblick. Ich würde aber Geld darauf wetten, dass ein Teil wie HATCHET mit seinem Witz, den altmodischen Effekten und seinen satten Farben auch in jener Zeit wie der sprichwörtliche frische Wind gewirkt hätte – umso trauriger, dass das Sequel in jeder Hinsicht zeitgenössisch wirkt. Ich weiß nicht, was da schiefgegangen ist.

HATCHET II knüpft unmittelbar an den ersten Teil an: Nachdem Marybeth (Danielle Harris) die Konfrontation mit Victor Crowley (Kane Hodder) überlebt hat, sucht sie Reverend Zombie (Tony Todd) auf, der die schicksalhafte Tour in die Sümpfe organisiert hatte. Er erzählt ihr nicht nur die ganze Wahrheit über Crowley, sondern auch, dass ihr Vater zu den Lausebengeln gehörte, die für den vermeintlichen Tod des entstellten Kindes verantwortlich waren. Weil Zombie dem Treiben des Killers ein Ende machen will, trommelt er eine Expedition zusammen: Wer ihm den Kopf Crowley bringt, erhält 500 Dollar. Tatsächlich findet sich eine bunte Schar von Draufgängern, die nicht wissen, dass Zombie eigentlich einen ganz anderen Plan verfolgt.

In meinem Text zu HATCHET lobte ich als eine seiner herausragenden Stärken seine Kürze: Er bot eine flotte 80-Minuten-Packung, kam dabei schnell zum Punkt und war zu Ende bevor man zum ersten Mal auf die Uhr schauen konnte. Teil 2 braucht nun allein schon eine gute halbe bis Dreiviertelstunde, bis seine für einen zünftigen Body Count zusammengestellte Opferriege überhaupt einen Fuß in das Jagdgebiet Crowley setzt. Das ist – JAWS-Referenzen hin oder her – eindeutig zu lang für einen Film, dessen Reiz die Auftritte des Monsters, die Creative Killings und die mit diesen einhergehenden Effekte sind. Doch auch dieser Teil des Films wirkt irgendwie lustlos und pflichtschuldig: Das Gelatsche durch den Busch ist öde, weil einem die meisten Figuren herzlich egal sind sowohl die zündenden Gags als auch die schlagfertigen Dialoge fehlen. Selbst die Morde sind nicht mehr so spaßig wie im Vorgänger (wobei die Enthauptung beim Doggystyle-Sex ganz putzig ist). Am meisten enttäuscht hat mich aber die Optik des Films: Keine Spur mehr von den satten Farben, mit denen die Sümpfe von Louisiana im ersten Teil wie geradewegs aus den Seiten greller Horrorcomics auf die Leinwand gebeamt erschienen, stattdessen regiert nun auch hier die monochrom-braunstickige Tristesse, die fast alle neuzeitlichen Filme befallen hat und einem beim Angucken förmlich die Füße einschlafen lässt. Dazu passt Hauptdarstellerin Danielle HALLOWEEN IV Harris, die den ganzen Film über aussieht, als kämpfe sie mit einem amtlichen Hangover oder trauere über den Tod ihres Lieblingspinschers. Und was ist eigentlich mit ihrer rechten Augenbraue los? Ist das das Resultat eines Botox-Unfalls oder eine Reminiszenz an Gregory Pecks Darbietung in THE OMEN? Weiß das jemand?

Wie dem auch sei. Nachdem ich mich riesig auf HATCHET II gefreut und auf mehr vom Schlage des ersten Teils gehofft hatte, bin ich nun einigermaßen ernüchtert. Und ich weiß nicht, ob ich an Teil 3 und 4 wirklich große Hoffnungen knüpfen sollte …

 

Ich mag Superhelden und ich mag Marvel Comics, das muss ich vielleicht noch mal klarstellen. Es gab mal eine Zeit, zu Beginn der Neunziger, als der heutige Hype zumindest in Deutschland in weiter, weiter Ferne lag, da sammelte ich die US-Heftchen, Trading Cards und Plastikfigürchen, kannte jeden noch so apokryphen Helden samt Fähigkeit und zugehörigem Erzfeind. Und natürlich war das nur die Fortsetzung einer Faszination, die schon in Kindheitstagen begonnen hatte, als die Heftchen noch im Condor Verlag erschienen und „Spider-Man“ noch „Die Spinne“ hieß. Dass die Superhelden nach ein paar miserablen, vielen halbgaren und einigen guten Versuchen endlich zu Protagonisten in großbudgetierten, fett produzierten Eventfilmen wurden, war wie die (für mich zugegebenermaßen etwas zu spät kommende) Erfüllung eines lang gehegten Traums. Der Erfolg der Marvel-Filme, die heute fast keinen Platz mehr für anderes in den Kinos lassen, zeigt, dass dieser Traum von ziemlich vielen Menschen geträumt wurde. Aber für mich blieb bei der Umsetzung etwas auf der Strecke: Die Entfremdung begann mit Joss Whedons THE AVENGERS, dem für mich – bei aller Freude darüber, die Helden in Überlebensgröße vereint auf der Leinwand zu sehen – der Hauch von „auf Nummer sicher“ anhaftete. Dieses Gefühl hat mich seitdem nicht mehr verlassen. So vordergründig „perfekt“ die Filme des sogenannten MCU auch sind, sie begnügen sich irgendwie damit, nichts falsch zu machen. Es gibt kein Risiko, keinen Style, keine Experimente (man komme mir bitte nicht damit, dass in AVENGERS: ENDGAME mehrere der liebgewonnenen Protagonisten sterben, denn auch das ist ja ein gängiger Mechanismus der Comics). Das liegt zum einen gewiss daran, dass verdammt viel Kohle an diesen Filmen hängt und ein Flop ziemlich teuer wäre, zum anderen aber vielleicht auch daran, dass die Kombination von echten Darstellern und aufwändigsten CGI-Effekten im Handling eher nicht die Improvisation, Spontaneität und Experimentierfreude fördert. Nach der Sichtung von SPIDER-MAN: INTO THE SPIDER-VERSE jedenfalls frage ich mich, ob wir mit einem animierten MCU nicht deutlich besser bedient wären, denn der Film hat all das, was ich an den Marvel-Verfilmungen vermisse: Style, Mut, Witz, Tempo, Dynamik, irre visuelle Einfälle und schlichte Freude am Erzählen. Das Ding ist eine Offenbarung, nicht nur als Marvel-Film, und für mich das mit weitem Abstand beste, was unter dem Namen des Comic-Verlages bislang das Licht der Leinwände erblickte.

SPIDER-MAN: INTO THE SPIDER-VERSE kommt seinen Vorlagen im Look logischerweise viel näher, als es eine Verfilmung je könnte. Er kann sich Abstraktion und Experimentierfreude erlauben und mittendrin auch einfach mal den Animationsstil ändern, ohne dass das einen Bruch gäbe. Er setzt Sprechblasen und Lautmalerei ein, wenn es passt, und sorgt so dafür, dass es immer etwas zu gucken und zu bestaunen gibt. Er setzt die visuelle Gestaltung ganz klar in den Mittelpunkt und verzichtet auf lahmarschige Dialoge, in denen dem Betrachter irgendwelche Zusammenhänge erklärt werden. Er springt mitten ins Geschehen, gibt von Anfang an Vollgas, weil er weiß, dass seine Zuschauer eh mit dem nötigen Hintergrundwissen ausgestattet sind. Er schwingt sich zum wahnwitzigen Finale in psychedelische Höhen empor, die sonst japanischen Anime vorbehalten sind, und erreicht darin eine Bildgewalt, von denen die „Real“-Verfilmungen nur träumen können. Er erlaubt es sich, von den Comics zu abstrahieren und etwas Neues zu versuchen, dem Wesen seines Helden und der Faszination, die Superhelden ausüben, an sich auf die Spur zu gehen, anstatt wieder nur vom langweiligen Kampf gegen einen beliebigen Schurken zu erzählen. Er interessiert sich nicht für ein „Cinematic Universe“, seine Rolle in einem wie auch immer gearteten großen Ganzen, sondern ist in jeder Sekunde ganz bei sich. SPIDER-MAN: INTO THE SPIDER-VERSE ist von einem immensen Selbstbewusstsein geprägt. (Und muss nicht genau das die Herangehensweise an einen Spider-Man-Film sein, in dessen Zentrum immerhin eine der wahrscheinlich populärsten Figuren der Gegenwart steht?) Mehr noch: Der Film macht genau dieses Selbstbewusstsein zum Kern seiner Geschichte.

Hauptfigur von SPIDER-MAN: INTO THE SPIDER-VERSE ist nicht Peter Parker, sondern Miles Morales, ein afro-amerikanischer Teenager, der in den Comics 2011 zum ersten Mal die Rolle Spider-Mans übernahm, nachdem Peter Parker verstorben war. Das geschieht auch hier, als Parker versucht, eine Maschine zu zerstören, mit der Superschurke Wilson Fisk das Raum-Zeit-Kontinuum manipulieren möchte. Der junge Miles, der seine neuen Fähigkeiten eben erst entdeckt hat und mit ihnen noch nicht umzugehen weiß, beobachtet den Tod Spider-Mans und sieht sich nun in der Verantwortung, für Gerechtigkeit zu sorgen. Hilfe bekommt er überraschend von fünf anderen Spider-Men: Fisks Maschine hat nämlich einen Zugang zu verschiedenen Parallel-Universen geschaffen, durch den nun  alternative Versionen des Helden bei Miles auftauchen: ein erwachsener, runtergekommener, dickbäuchiger und depressiver Peter Parker, Spider-Man Noir, ein schwarzweißer Held in Trenchcoat und Fedora, Spider-Girl, hinter der sich Gwen Stacy verbirgt, die den Tod ihres Freundes Peter nicht verhindern konnte, Peni Parker, eine Anime-Figur, die eine Art Spider-Mech namens SP//dr: führt, sowie Spider-Ham, eine Cartoonfigur im Stile der Looney Tunes, die entstand, als eine Spinne von einem radioaktiven Schwein gebissen wurde. Im gemeinsamen Kampf geht es für Miles nicht nur darum, seine Kräfte in den Griff zu bekommen, sondern seinen Helfern auch den Rückweg in ihre Dimensionen zu öffnen.

Die Idee mit den Paralleluniversen bringt jede Menge frischen Wind in die sattsam bekannte, durch die Reboots der letzten Jahre zudem reichlich durchgenudelte Geschichte um den Schüler, der von einer radioaktiv verseuchten Spinne gebissen wurde. Wann immer der Film in die Situation kommt, diese Origin-Story noch einmal zu erzählen, macht er sich sogar einen Spaß daraus, dass diese nun wirklich jedes Kind bereits auswendig kennt. Dazu liefert Fisks Erfindung mit den folgenden Störungen des Raum-Zeit-Kontinuums den Zeichnern und Animationskünstlern jede Menge Gelegenheit, freizudrehen, einen visuellen Farboverkill über dem Zuschauer auszuschütten und technisch wie erzählerisch aus dem Vollen zu schöpfen. Die Idee mit den verschiedenen Inkarnationen des Helden sorgt oberflächlich für zusätzlichen Witz, hebt die Geschichte aber auch auf eine höhere, selbstreferenzielle Ebene und unterstreicht die schöne Botschaft: Jeder kann ein Held sein, egal welche Gestalt er hat. Es tut dem Film ungemein gut, dass er ganz für sich allein stehen darf, er nicht mir der Bürde belastet ist, Baustein in einem sich über mehrere Jahre und Dutzende Filme erstreckenden narrativen Gesamtkonzept zu sein. INTO THE SPIDER-VERSE hat damit genau das, was seinen großen Kollegen fast gänzlich abgeht: Freiheit, Leichtigkeit, Flüchtigkeit, Lockerheit, Entspanntheit. Er zahlt dem Zuschauer das mit einer atemberaubenden, farbenfrohen visuellen Gestaltung zurück, aber er ergeht sich auch nicht in der bloßen Form: SPIDER-MAN: INTO THE SPIDER-VERSE ist der bislang erste Marvel-Film, der mich wirklich berührt hat. Bitte, bitte mehr davon.