the room (tommy wiseau, usa 2003)

Veröffentlicht: Mai 6, 2017 in Film
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Filme, die das (von mir nicht so gemochte) Etikett „so bad it’s good“ umgehängt bekommen, gibt es einige und manche schaffen es sogar, damit zu anhaltendem Ruhm zu gelangen. Aber die wenigsten lösen den Grad an Faszination aus, den der gebürtige Pole Tommy Wiseau mit seinem Regiedebüt THE ROOM erreichte. Ihm ist gewissermaßen der Idealfall des „schlechten“ Films gelungen: Seine vielseitigen „Verfehlungen“, seien sie dramaturgischer, technischer oder schauspielerischer Art, sind so frappierend, dass man sich kaum vorstellen kann, dass sie bloß „Fehler“ sind, die dem Macher und den Beteiligten mangels Erfahrung „passiert“ sind. Vielmehr wirken sie wie das Ergebnis einer sehr eigenwilligen Weltsicht oder auch wie ein Versuch, die Festgefahrenheit und Arbitrarität filmischer Konventionen offenzulegen. In THE ROOM, einem zumindest thematisch-motivisch eher bodenständig zu nennenden Film, passieren solche vollkommen rätselhafte Dinge, dass es einem fast die Schuhe auszieht. Man muss Wiseau zugestehen, dass er ein absolut eigenständiges, singuläres Werk erschaffen hat. Ich kenne viele sogenannte „baddies“, aber nur wenige von ihnen sind so durch und durch seltsam wie THE ROOM.

THE ROOM spielt zu einem Großteil in zwei, drei Räumen, die allesamt zur zweistöckigen Wohnung des Bänkers Johnny (Tommy Wiseau) und seiner „zukünftigen Ehefrau“ Lisa (Juliette Danielle) gehören: Wohnzimmer, Schlafzimmer und Dach. Johnny ist ein zartfühlender Romantiker, der der etwas, nun ja, „einfachen“ Lisa die Welt förmlich zu Füßen legt: Die erste Szene zeigt sie in zärtlichem Liebesspiel, bei dem es zu preisgünstigem R’n’B Rosenblätter regnet, doch schon kurz darauf folgt der Bruch. Lisa gesteht ihrer Mutter Claudette (Carolyn Minnott) relaativ schonungslos, dass sie Johnny nicht mehr liebe, die Mama insistiert darauf, dass ihre Tochter ihn dennoch heiratet, weil er sie wirtschaftlich versorgt. Lisa schiebt die alternativlose Trennung vor sich her und beginnt stattdessen eine Affäre mit Johnnys bestem Freund Mark (Greg Sestero). Als Johnny hinter den Verrat kommt – als letzter natürlich -, gibt es eine Katastrophe.

THE ROOM basiert angeblich auf einem Theaterstück von Wiseau, was seine eigenwillige Struktur erklärt: Die Handlung spielt sich in wenigen Innenräumen ab, die immer wieder von neuen Charakteren betreten oder von bereits anwesenden verlassen werden. Aufgelockert wird das durch wenige Außenszenen, die für die Entwicklung des Plots komplett unerheblich sind. Dialoge und kleinere Ideen scheinen on the spot improvisiert oder spontan entstanden, viele im Dialog angerissene Ereignisse sind schon im nächsten Moment wieder vergessen, die Figuren zeigen von einer Szene oder auch Einstellung zur nächsten gravierende Charakteränderungen und Stimmungsschwankungen, verweigern sich aber dennoch jeder Weiterentwicklung, die die Geschichte in irgendeiner Form vorantriebe. Formal drängen sich Vergleiche zur Soap Opera und zur Sitcom (die erwähnten Türen, der begrenzte Raum, das Auf und Ab der Figuren),  zum (amateurhaften) Improtheater (die ins Leere laufenden Dialoge, misslungenen Einfälle und fallen gelassenen Elemente), zum DTV-Softerotikfilm (Darsteller, Ausstattung, Soundtrack und Sexszenen) und zum Indiefilm der Neunzigerjahre (Tommy Wiseau). Das zentrale Faszinosum ist aber Wiseau selbst, der sich in der Rolle des Johnny als herzensguter Träumer inszeniert, mit seinen langen schwarzen Haaren, dem blassen, verhärmten Antlitz, den übergroßen schwarzen Anzügen und dem komischen Körperbau aber eher aussieht wie Draculas Urenkel. Er redet mit einem fremdartigen Akzent und seine Stimme scheint zu dünn für diesen Typen, dann bricht er an den unpassendsten Stellen immer wieder in ein linkisches, schwachsinnig wirkendes Lachen aus oder fängt an zu klagen und bricht angesichts der Demütigungen der blöden Lisa wie ein Jammerlappen zusammen, anstatt dieses Miststück endlich zum Teufel zu jagen. Lisa ist wahrlich eine Perle: Eine totale Schlampe ohne jede Einsicht in ihr Verhalten, die jedes Gespräch mit einem „I don’t wanna talk about it“ beendet, sobald es unangenehm wird – also immer.

Die Menschen sind wirklich der größte Spezialeffekt von THE ROOM – mal von dem Greenscreen auf dem Dach abgesehen – und man fühlt sich manchmal fast an Jürgen Enz erinnert. Da gibt es den ca. 16-jährigen, gruseligen Nachbarsjungen Denny (Philip Haldiman), der Johnny und Lisa am Anfang „zusehen“ will, ohne dass ihm die Implikationen bewusst zu sein scheinen, und ständig in der Wohnung – und im Bett! – der beiden auftaucht. Es stellt sich dann heraus, dass Johnny ihn einmal adoptieren wollte (!) und in einem der fallen gelassenen Subplots gesteht Denny, er habe ein Drogenproblem, nachdem Johnny und Mark ihn vor einem Gangster mit Wollmütze gerettet haben. Mark ist ein Softie, der immer wieder betont, er sei der beste Freund Johnnys, sich aber trotzdem bereitwillig von Lisa auf die Matratze zerren lässt. Seine spätere Rasur wird von Wiseau wie eine Metamorphose inszeniert, aber laut Darsteller Sestero war der wahre Grund dafür, dass Johnny ihn so als „Babyface“ bezeichnen konnte. Die Art wie diese Freunde fürs Leben miteinander umgehen ist auch so ein Mysterium: Als sich der Psychologe Peter (Kyle Vogt) weigert, Johnny und Mark bei einem Sportwettkampf zu begleiten, bezeichnen sie ihn als „chicken“, beginnen zu gackern und mit den „Flügeln“ zu schlagen. Das wiederholt sich dann später sogar noch einmal ohne jeden Anflug von Selbstironie. Mark wirft den armen Peter einmal fast vom Dach, weil der ihn für seine Affäre mit Lisa kritisiert. Der Vorfall wird anschließend von beiden weggewischt wie eine Lappalie. Dann gibt es da noch einen „Spaßvogel“, der seine Freundin mit haarsträubenden Beispielen tumben Humors zum Lachen zu bringen pflegt, und natürlich Lisas Mutter, deren einzige Funktion darin besteht, Lisa immer wieder dazu zu ermahnen, Johnny zu heiraten. Einmal erwähnt sie auch, dass sie Brustkrebs habe, was dann nie wieder zur Sprache kommt.

Aber es sind tatsächlich die ständigen, geradezu penetranten Wiederholungen, die den Film machen und eine ganz eigene Art kafkaesken Wahnsinns darstellen: Wie die obsessiven Ballspieleinlagen, die immer nach kurzer Zeit abgebrochen werden, ergehen sich alle Figuren in den immer selben Fehlern, Dialogen, Catchphrases und Handlungen, ohne das überhaupt zu bemerken. Manche Sätze werden wohl ein dutzend Mal gesprochen. Man wird schon vom bloßen Zusehen  irre. THE ROOM, das ist der Vorhof zur Hölle. Mal reinschauen: Immer gern, aber hier leben? Nein, danke.

 

Kommentare
  1. Thies sagt:

    Zur Entstehung des Films hat der Web-Comic XKCD eine eigene Theorie:
    htps://xkcd.com/1400/

    Für die tatsächlichen Dreharbeiten wird James Franco demnächst als Regisseur/Hauptdarsteller seine Interpretation/Huldigung veröffentlichen:
    http://www.slashfilm.com/the-disaster-artist-review/

    Den Film selbst kenne ich bisher nur durch den „Review“ des Nostalghia Critics, aber er ist allein durch die Ausschnitte und die zahlreichen Reviews im Netz zu einem Must-have geworden, vor dessen tatsächlichen Kauf und Sichtung ich dennoch zurückschrecke. Vielleicht eine Form des instinktiven Selbstschutz die sich nicht überwinden lässt. 😉

  2. […] – Oliver Nöding hat sich auf Remember It For Later an den legendären „The Room“ gewagt. Sein Erfahrungsbericht findet man hier. […]

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