Archiv für Januar, 2013

Zu Beginn ein Geständnis: Ich liebe Renny Harlin. Meine Erstbegegnung mit ihm war sein NIGHTMARE ON ELM STREET 4: THE DREAM MASTER – auch der erste Freddy-Krueger-Film, den ich gesehen habe – und mit 13, 14 Jahren ein denkbar idealer Einstieg, um seinen Macher für immer ins Herz zu schließen (dass der Film auf Video geschnitten war, fiel nicht weiter ins Gewicht). Damals war Harlin on a roll: Nach seinem Debüt mit BORN AMERICAN steigerte sich langsam von PRISON über besagten NIGHTMARE ON ELM STREET 4 zum absoluten Durchbruch mit DIE HARDER. Es folgten THE ADVENTURES OF FORD FAIRLANE und CLIFFHANGER, bis der Riesenflop mit CUTTHROAT ISLAND seiner Karriere einen Dämpfer verpasste. THE LONG KISS GODDNIGHT – für mich nach wie vor einer der vielleicht 5 besten großen US-Actionfilme der Neunzigerjahre – konnte den Karriereknick nicht verhindern. Danach waren seine Filme nicht mehr ganz dieselben, auch wenn ich sie kaum weniger liebe. Das absurde Prämissenkino von DEEP BLUE SEA oder MINDHUNTERS ist für mich die perfekte Verschränkung von blutiger, schaulustiger Exploitation, wissendem Metahumor und inszenatorischer Geschliffenheit. Man merkt ihnen an, dass Harlin sich den Spaß an der Over-the-Topness nicht durch schnöde Logik kaputtmachen lassen, aber dennoch gewisse ästhetische Prinzipien wahren wollte. THE COVENANT passt perfekt in dieses Bild. Es ist ein Film, der gößtes Hasspotenzial birgt und unter nahezu jedem anderen Regisseur tatsächlich unerträglich geraten wäre. Aber er ist von Renny Harlin, einem Mann, der es wie kein zweiter versteht, einem das abgrundtief Blöde schmackhaft zu machen.

Auf einem Elitecollege irgendwo in New England bereiten sich die vier attraktiven Boys Caleb (Steven Strait), Pogue (Taylor Kitsch), Tyler (Chace Crawford) und Reid (Toby Hemingway) aufs Erwachsenwerden vor. Von ihren Vorfahren haben sie übernatürliche Kräfte geerbt, die mit ihrem 18. Geburtstag zur vollen Kraft reifen. Doch übermäßiger Gebrauch dieser Kräfte zehrt an der Gesundheit, weshalb Enthaltsamkeit angesagt ist. Ihr neuer Freund Chase (Sebastian Stan) entpuppt sich als einer von ihnen: Er ist der einzige Nachkomme einer bislang ausgerottet geglaubten Hexenfamilie. Ihm dürstet nach Macht und er sieht gar nicht ein, maßvoll mit seinen Fähigkeiten umzugehen …

THE COVENANT wirkt wie eine 10 Jahre verspätete Jungsversion des Neunigerjahre-Trendfilmchens THE CRAFT. Damals übten sich minderjährige Gothic-Schlampen wie Fairuza Balk oder Neve Campbell im Umgang mit Kajal, schwarzem Lippenstift und Hexerei, hier sind es besixpackte Jocks, denen man unentwegt auf die Fresse hauen möchte. Auch die Musik versetzt einen mit gnadenlos überkommener Mucke von White Zombie weit in die Vergangenheit. Die mehr als ansehnliche Fotografie und moderne CGI schaffen dann aber den Brückenschlag zur nächsten Referenz: Renny Harlin fragt sich wahrscheinlich heute noch, warum sein Film gnadenlos Bruchlandung erlitt, während TWILIGHT nur wenige Jahre später zum heißesten Scheiß avancierte. Natürlich ist THE COVENANT völlig anders gelagert und ich behaupte mal, dass das auch gut so ist. Pubertäre Todessehnsucht und romantischen Heckmeck sucht man in THE COVENANT weitestgehend vergebens, stattdessen gibt es Superheldenaction im Gruselgewand. Der Film ist ziemlich gewiss mit dem Gedanken an diverse Sequels im Hinterkopf entstanden, die es dann leider nicht gegeben hat. Ich muss nicht dazusagen, dass vieles hier ziemlich bescheuert ist: Der Protagonist ist entsetzlich altersweise, seine Kumpels eklig selbstverliebte Prolos, denen der Begriff „Date Rape“ bestimmt nicht fremd ist. Der Film mäandert gut 50 Minuten vor sich hin, bevor er eine echte Handlung etabliert und das ganze ganze Hexendings bleibt seltsam unterentwickelt. Da kommt dann auch so eine ungute Moral von der Geschicht ins Spiel: Natürlich ist es Bäh, seine Hexenpower zum Spaß oder überhaupt anzuwenden. Wohl auch, weil diese Kräfte kaum übersehbar als Drogenallegorie herhalten müssen: Wer zu viel und zu oft „used“, der wird krank und stirbt. So wie Calebs Papa, der aussieht wie der Zwillingsbruder vom Texas-Chainsaw-Opa, aber erst 44 Jahre alt ist. Jaja, man muss verantwortungsvoll mit seinen Fähigkeiten umgehen. Es sei denn natürlich, es steht gerade eine große Party mit schlechter Musik und Feuerjongleuren an, denn dann nutzt man seine Power natürlich dazu, mächtig rumzuposen und den anrückenden Bullen einen Streich zu spielen. Oder um in der Kneipe zu schauen, was die Mädels drunter tragen. Aber was soll ich sagen: Ich stehe auf von Harlin inszenierten Tinnef. Und THE COVENANT macht da keine Ausnahme. Ich kann es dem Film kaum hoch genaug anrechnen, dass er sich jedwede Avid-Furzerei, mit denen sonst nahezu jeder zeitgenössische Genrefilm zugeknallt ist, verkneift. Dieser Film ist blöd, weil er sich dazu entschieden hat. Aber die Blödheit afiziert nie die Form. Hey, Sly, wie wär’s mit Harlin für THE EXPENDABLES 3?

 

Die Zeit zwischen OPERA und LA SINDROME DI STENDHAL markiert eine Zäsur in Argentos Werk. 1990 teilte er sich mit George A. Romero die Regie beim Episodenfilm DUE OCCHI DIABOLICI: Die Verbindung der beiden Regisseure, die ja schon bei DAWN OF THE DEAD zusammengearbeitet hatten, las sich auf dem Papier überaus vielversprechend. Leider konnte der Film die hohen Erwartungen nicht erfüllen (ich referiere hier sehr vage Erinnerungen, denn ich habe den Film seit bestimmt 15 Jahren nicht mehr gesehen). Der folgende, ebenfalls amerikanisch koproduzierte TRAUMA festigte den Eindruck, dass Argento in eine Schaffenskrise geraten war. Warum dieser Film damals als Enttäuschung und kreativer Tiefpunkt wahrgenommen wurde, ist mir nach dem ersten Wiedersehen seit vielen, vielen Jahren allerdings ein Rätsel. Natürlich ist TRAUMA ein wenig anders als Argentos rein italienischen Filme – aber das sollte ja wohl auch Zweck der Übung gewesen sein, nach Amerika zu gehen, nicht wahr? Gemessen an der oft aller Ecken und Kanten beraubten Dutzendware, die internationale Filmemacher abliefern, sobald sie in Hollywood angekommen sind, ist TRAUMA geradezu ein Triumph der Integrität: Wie es Argento gelungen ist, einen Giallo in den USA zu drehen, seinen Stil zu wahren und den Zusammenprall zweier vollkommen unterschiedlicher filmischer Erzähltraditionen überaus produktiv für sich und seine Zwecke zu nutzen, verdient größten Respekt.

Dass TRAUMA zum Teil von amerikanischen Geldgebern finanziert wurde, sieht man zunächst an der imposanten Besetzung: Nebenrollen werden von Piper Laurie, Frederic Forrest, James Russo und Brad Dourif absolviert. Als männlicher Protagonist steht mit Christopher Rydell zwar kein Star zur Verfügung, aber doch ein typisch amerikanischer Darsteller, der den Zuschauer nahezu mühelos auf seine Seite zieht. Er ist es dann auch, der mit seinem verhaltenen, natürlichen Spiel für jenen ruhigen Fluss und die emotionale Offenheit sorgt, die man vorher nicht unbedigt mit Argentos Werk assoziierte. Die Geschichte um den jungen Mann, der eine verwirrte Minderjährige (Asia Argento) vor dem Selbstmord bewahrt, beginnt, sich für sie verantwortlich zu fühlen und sich schließlich in sie verliebt, ist der Stoff, aus dem Hollywood sonst tragische Tearjerker webt: Argento lässt sie auf eine seiner bizarren Serienmörder-Storys prallen, schafft so nicht nur eine sehr eigene, merkwürdige Stimmung, sondern auch einen eigenartigen, fiebrigen, dann wieder tagträumerischen Rhythmus. Der eigentliche Hauptdarsteller von TRAUMA ist aber das Licht. Der Film ist nicht kalt und künstlich, wie so viele von Argentos vorangegangenen Arbeiten, sondern ausgesprochen warm. Er vermittelt ein Gefühl absoluter Gegenwart, wie man es aus nicht enden wollenden Sommernächten kennt, in denen man sich planlos dem Strom des Lebens überantwortet und gerade so zu besonders tiefen Eindrücken gelangt. Es passiert viel Grausames in TRAUMA, aber was bleibt, ist dieses Licht, die Ewigkeit im Hier und Jetzt. TRAUMA ist ein zärtlicher Film.

IMDb weiß zu berichten, dass Piper Laurie gestand, sich den fertigen Film nie angesehen und während der Dreharbeiten mit Frederic Forrest über Argento lustig gemacht zu haben. Nur ein Mosaiksteinchen, das am Ende zu dem kolportierten Bild von TRAUMA als Fehlschlag führte. Dabei wundert es mich nicht, dass amerikanische Darsteller nicht recht wussten, was sie von dem Film zu halten hatten, an dem sie da mitwirkten. Wer mit Argentos Werk indes vertraut ist, der erkennt vor allem in den Mordszenen seine unverkennbare Handschrift, typische Motive und natürlich Reminiszenzen an ältere Filme. Die Ursache für die Mordserie liegt wieder einmal tief in der Vergangenheit begraben: Ein nicht verarbeitetes Trauma hat sich zu einer dekorativen Macke entwickelt und führt zu drastischem Aderlass in der Gegenwart. Ein bizarres Mordwerkzeug kommt dabei bevorzugt zum Einsatz, Argento entdeckt die Freuden der Enthauptung und lässt die abgetrennten Schädel gern auch noch einmal zu Wort kommen. Die Entsorgung des Killers erinnert frappierend an PROFONDO ROSSO, ein Subplot um einen bebrillten kleinen Jungen, der aus Neugier ins Haus des Nachbarn steigt, der sich dann als der Mörder entpuppt, verschränkt Argentos eigene Fantastik mit uramerikanischem Vorstadtgrusel à la FRIGHT NIGHT. Ein Gecko spielt auch mit und lässt sogleich an das Finale von OPERA und – wieder einmal – PROFONDO ROSSO denken. Die Identität des Killers verbirgt sich abermals hinter der Wahrnehmungsstörung einer der Hauptfiguren und wird zum Finale in der Wiederholung aufgedeckt. Thematisch ist TRAUMA trotz bekannter Leitmotive jedoch weitaus weniger festgelegt als ältere Filme des Meisters: eine Parallele zu PHENOMENA. Wie dieser wird auch TRAUMA zu allererst von jener oben beschriebenen, verträumten Stimmung geprägt. Er ist nicht schneidend und scharf, grell und plakativ, sondern sanft und liebevoll, er behandelt keine Themen, sondern beschreibt Empfindungen. Wurde man früher vom Jazzrock Goblins in den Sessel gedrückt, da säuselt uns nun Pino Donaggio sanft ins Ohr. Und auf einer Veranda tanzt ein anorektisches Mädchen lasziv und selbstvergessen in den Sonnenuntergang. Dieses Licht …

THE EXPENDABLES hat mich vor etwas mehr als zwei Jahren wahnsinnig glücklich gemacht: Ein richtig guter Film war er trotzdem nicht. Die Freude darüber, die alten Recken nach teilweise entbehrungsreichen Jahren in einem großen Actionfilm vereint zu sehen, überdeckte die milde Enttäuschung darüber, dass Slys Film kein großes „Fuck You!“ an die modernen Sitten und Gebräuche des Actionkinos darstellte, sondern weitestgehend dessen fragwürdigen ästhetischen Rahmenbedingungen verpflichtet war. Dass THE EXPENDABLES verglichen mit anderen Großproduktionen dennoch beinahe bescheiden rüberkam – was Viele ihm ankreideten –, er nicht versuchte, das Rad neu zu erfinden oder Michael Bay und Konsorten in Sachen Megalomanie zu überbieten, fand ich sehr angenehm. Es passte zur Altersmüdigkeit seiner Darsteller, zu ihrem Wissen, dass der eigene Mythos längst gesichert ist. Niemand von ihnen musste irgendwem noch irgendwas beweisen. Bei THE EXPENDABLES 2 ist die Unschuld weitestgehend verloren: Die Freude über das Wiedersehen, das schöne Gefühl, den alten Helden bei ihrer verdienten Ehrenrunde zujubeln zu dürfen, weicht hier dem Eindruck, dass das alte Eisen den angekündigten Ruhestand gern noch ein paar Jahre nach hinten verschiebt, wenn die große Kasse winkt. THE EXPENDABLES war ein Geschenk, THE EXPENDABLES 2 ist im Grunde Business as usual. THE EXPENDABLES war Black Sabbath einmalig wiedervereint mit Ozzy, THE EXPENDABLES 2 ist die xte Tournee der greisenhaften Rolling Stones. Der Film schmälert schon durch seine bloße Existenz rückwirkend den Liebesdienst, den Sly seinen Fans mit Teil 1 erwiesen hat. Und er wirft teilweise sogar die Frage auf, ob er wirklich verstanden hat, was einen guten Actionfilm auszeichnet, was Fans am Genre und seinen Protagonisten lieben und was am ersten Teil gelungen war.

THE EXPENDABLES handelte seine Action-Set-Pieces fast pflichtschuldig ab, war dafür immer ganz bei sich, wenn er seinen wettergegerbten Helden dabei zusah, wie sie sie selbst waren. Mehr als irgendwelche Stunts oder Effekte sind es die kleinen Momente, die sich bei mir eingebrannt haben: Stallone und Rourke im nachdenklichen Zwiegespräch, die Sorge Jet Lis um sein finanzielles Auskommen, Dolph Lundgrens fall from grace und seine finale Wiederaufnahme im Kreis der Kameraden. Dass ich hier die Namen der Darsteller verwende und nicht die ihrer Rollen, ist zwar meiner Faulheit zuzuschreiben, bei IMDb nachzuschauen, macht aber dennoch Sinn: THE EXPENDABLES bediente den Wunschtraum eines jeden Fans, dass seine Helden (oder etwa die Mitglieder der Lieblingsband) auch privat die dicksten Kumpels sind, in ihrer Freizeit miteiander rumhängen und in Erinnerungen schwelgen, Anekdoten austauschen, sich necken und aufziehen, aber immer für einander da sind. Außergewöhnlich an diesem Film war nicht die Allstar-Besetzung, sondern seine fast unverschämte Relaxtheit. Der generische Plot um Eric Roberts und seine Bananenrepublik hat beim Ehemaligentreffen fast gestört.

Nun also THE EXPENDABLES 2: Die Vermarktungslogik ließ vermuten, dass gegenüber dem Vorgänger vor allem quantitativ zugelegt wird. Und so ist es dann auch: Die Cameos von Bruce Willis und Arnold Schwarzenegger wurden zu Nebenrollen ausgebaut, Chuck Norris darf einen Gastauftritt absolvieren, Jean Claude Van Damme den Schurken spielen, die Rolle des obersten Henchman, die im Vorgänger Steve Austin zufiel, übernimmt nun Scott Adkins. (Zu meinem Bedauern wurde Gary Daniels nicht adäquat ersetzt. Dabei hätten sich Lorenzo Lamas, Billy Blanks, Roddy Piper, Sasha Mitchell oder Jeff Speakman sicherlich über einen Anruf gefreut und wären wahrscheinlich zu Fuß zum Drehort gelaufen. Na gut, Billy Blanks vielleicht nicht, der dürfte als Tae-Bo-Guru mehr Geld gescheffelt haben als mit allen seinen Filmen zusammen.) Diese personelle Auftstockung wird aber bei genauem Blick schon dadurch relativiert, dass Jet Li bereits nach gut 20 Minuten aus dem Film verschwindet. Ein Fehler, weil es auch sein Rapport mit Dolph Lundgren war, der dem Vorgänger Herz und Seele verlieh. Und Lundgren, der eigentliche Star und emotionale Kern von THE EXPENDABLES, wird hier als hohler Comic Relief verheizt. Randy Couture und Terry Crews waren schon im ersten Teil nur Randfiguren und werden noch mehr marginalisiert. Die Szenen, die das Team bei den gemeinsamen Plauderstündchen zeigen, vermisst man schmerzlich. Gerade, weil sie auch hier wieder genau jene Momente markieren, in denen der Film die Seele offenbart, an der es ihm sonst an allen Ecken und Enden mangelt. Die Actionszenen wurden ausgebaut, sie sind länger, blutiger und auch spektakulärer, zudem – eine der wenigen echten Verbesserungen gegenüber dem ersten Teil – deutlich übersichtlicher und kohärenter inszeniert, aber sie füllen nicht die Lücke, die da sonst klafft.

Wie auch THE EXPENDABLES wird auch sein Sequel voreilig als Eighties-Revival-Action, als Dienst am Fan des guten alten Actionkinos der Achtziger bezeichnet. Das traf schon auf Teil 1 nur bedingt zu (stilistisch hatte er mit den Actionfilmen der Achtziger rein gar nichts zu tun), hier geht es vollkommen an der Sache vorbei. THE EXPENDABLES 2 ist genauso am Reißbrett entworfenes Produkt wie so viele Filme, die man sonst mit dem Arsch nicht anschauen würde. Die Ausnahme ist, dass hier Leute mitspielen, von denen man dachte, dass sie es besser wüssten. Das große Ärgernis des Films ist seine unerträgliche Selbstreferenzialität, mit der er sich eben gerade nicht an die Cracks wendet, an Menschen, die das Werk Stallones, Schwarzeneggers, Norris‘, Lundgrens oder Van Dammes in- und auswendig kennen, es studiert haben und innig lieben. Die hohlen Zitate, die da vor allem Schwarzenegger in einem fort in den Mund gelegt werden, sind genau jene Zeilen, die zu bejubeln man die Quelle gar nicht mehr kennen muss, weil sie längst in den Fundus der Popkultur eingegangen sind. Wie einfallslos und ahnungslos muss man sein, wenn man ein von Arnie geäußertes „I’ll be back“ als Pointe in einer Multimillionen-Dollar-Produktion verkauft, die sich als Oldschool-Action versteht? Wenn man ihn Bruce Willis ein „Yippiekayay“ entgegnen lässt? Das hat nichts mit Ehrerbietung oder Metahumor zu tun (und mit Insiderwitz noch viel weniger), das ist einfach nur miserables Handwerk. Ein Armutszeugnis, ehrlich gesagt. Chuck Norris‘ Auftritt wäre eine schöne Sache gewesen, wenn man sich wenigstens ein bisschen Mühe gegeben hätte, ihn halbwegs sinnvoll in die Handlung zu integrieren. So latscht er in den Film rein, weil er auch noch mitmachen muss und verwandelt ihn in eine härtere Variante von HOT SHOTS. Es hätte nur noch der Schwenk auf das mitfilmende Kamerateam gefehlt, die Entfremdung wäre dadurch kaum stärker ausgefallen.

Solcherlei Stückwerk, die unkreative, ohne Sinn für eine übergeordnete Dramaturgie erfolgte Aneinanderreihung zotiger Gimmicks zerstört dann auch den Effekt, den die gelungeneren Szenen ohne jeden Zweifel hätten haben können. Jean Claude Van Damme hat eine traurig unterentwickelte Schurkenrolle abbekommen, aber er reißt den Film in jeder seiner Szenen an sich. Er muss dafür nicht mehr tun, als anwesend zu sein und sein in den letzten zehn Jahren ausgeprägtes Eisgesicht hinter einer coolen Sonnenbrille zu verbergen. Er sieht aus wie die Muse eines Avantgarde-Künstlers, wie die Gestalt aus einem Kraftwerk-Video: unantastbar, kantig, androgyn, geil. Dem Affentheater, zu dem der Film in den letzten 20 Minuten verkommt, setzt er Arroganz, Selbstbewusstsein und Kaltschnäuzgkeit entgegen. Auch Scott Adkins nutzt seine Mini-Chance und bekommt die Gelegenheit, seinen bewährten Yuri-Boyka-Akzent in einer Hollywood-Produktion unterzubringen (vielleicht der einzig echte In-Joke des Films, schon deshalb, weil er kaum jemandem aufgefallen ist – so ähnlich wie Gary Daniels im Vorgänger). Nur Stallone kann da mithalten. Sein kurzatmig ausgestoßenes „Track him, find him, kill him!“ ist einer der raren Gänsehautmomente des Films. THE EXPENDABES 2 sollte eigentlich voll von solchen Momenten sein, aber die Prioritäten lagen leider woanders.

Der Text ist jetzt etwas schärfer geworden, als ich das vorhatte. Es ist mir tatsächlich genetisch unmöglich, THE EXPENDABLES 2 nicht doch irgendwie zu mögen, aber die Erkenntnis, dass die unantastbaren Helden nicht nur nicht unfehlbar sind, sondern auch noch unter massiven Geschmacksverwirrungen leiden, ist ziemlich schmerzhaft. Ich wollte einen anderen THE EXPENDABLES 2 als diesen. Einen, der ohne dämlichen Humor auskommt, einen, der seine Recken nicht insgeheim zu Clowns degradiert. Einen der mir nicht ständig – wink-wink, nudge-nudge – zuzwinkert und sich mit mir verbrüdern will, indem er mir Witze erzählt, die ich schon kenne. Einen mit Herz und Seele und nicht nach zielgruppenorientierter Marktanalyse zurechtoptimierten Eventklumpen. Ich muss mich wohl damit abfinden, dass ich damit einer Minderheit angehöre. Und ich bin durchaus kompromissbereit. Das Problem an THE EXPENDABLES 2 ist nicht in erster Linie, dass er etwas macht, was ich nicht wollte. Sondern dass er das, was er macht, schlecht macht.

Ich habe zwei Filme aus dem rasant wachsenden DTV-Werk des ehemaligen Wrestlings-Weltmeisters Steve Austin angeschaut: den aktuellen RECOIL mit Danny Trejo als schurkischem Anführer einer Rockergang und den schon etwas älteren DAMAGE. Letzterer fügt sich lückenlos in die Riege großer DTV-Action-Meisterwerke, zeigt den schauspielerisch eher limitierten Austin in großartiger Form, bietet THE SHIELD-Powerhouse Walton Goggins in einer maßgeschneiderten Nebenrolle auf und rührte mich mit seiner hoch emotionalen Story tatsächlich zu Tränen (naja, fast jedenfalls). Den Text gibt es bei Hard Sensations.

Die Geschichte des Fremden, der sein Leben hinter sich lässt, aber an einem fremden, zunächst anscheinend friedlichen Ort, von ihr eingeholt wird, ist vielleicht der reinste Plotstandard des Actionfilms. Zurückreichend in graue Vorzeit, als Menschen Geschichten noch mündlich weitertrugen, ist sie filmisch wohl untrennbar mit George Stevens‘ SHANE verbunden und enthält alles, was den (Action-)Helden definiert: Sie kennzeichnet ihn – sowohl durch seine angedeutete „dunkle“ Vergangenheit, als auch durch die räumliche Distanz zu seiner „Heimat“ – als Außenseiter, als zur Sphäre der „normalen“ Menschen nicht zugehörig. Sie zeigt die Welt als einen makelbehafteten Ort, der ohne das Eingreifen des Helden, aus den Fugen geriete, der ständig in Gefahr ist, zerstört zu werden – und ihm so immer wieder aufs Neue die Gelegenheit gibt, Abbitte für seine vergangenen Sünden zu leisten.

MALONE ist Reynolds‘ SHANE-Variation und gleichzeitig ein introspektiver Altersfilm des einstigen Playboys. Reynolds ist Malone, aus dem Staatsdienst im Vietnamkrieg direkt in eine Tätigkeit als Killer im Auftrag des CIA „gerutscht“. Über 20 Jahre des Tötens fordern in der Gegenwart ihren Tribut: Malone will nicht mehr. Nach einem abgebrochenen Auftrag setzt er seine Kontaktperson und Freundin Jamie (Lauren Hutton) von seinem Wunsch, auszusteigen, in Kenntnis und macht sich auf den Weg, wissend, dass er nun auf der Abschussliste steht. Auf seiner folgenden, ziellosen Riese versagt sein Wagen in der beinahe unberührten Natur Oregons: Hilfe findet er bei Paul Barlow (Scott Wilson), dem Betreiber einer kleinen Werkstatt, und seiner minderjährigen Tochter Jo (Cynthia Gibb), die sich in den wortkargen Fremden gleich verliebt. Es stellt sich bald heraus, dass der Frieden in dem malerischen Tal längst gestört ist: Der reiche Unternehmer Delaney (Cliff Robertson) will es für sich haben und vertreibt alle Bewohner, die ihre Grundstücke nicht freiwillig verkaufen, mithilfe seiner fiesen Schläger. Als Malone sich ihrem Treiben entgegenstellt, erregt er das Interesse Delaneys – und führt den Konflikt auf die nächste Eskalationstufe.

Da MALONE sich eben nicht durch eine originelle Geschichte auszeichnet, sondern von Beginn an einer durch unzählige Filme hindurch entwickelten Linie folgt, rückt unweigerlich Reynolds selbst in den Fokus. Der hatte die 50 eben hinter sich gelassen und zeigt eine deutlich zurückgenommene Darbietung. Das selbstverliebte Gegacker aus SMOKEY AND THE BANDIT, das eine Art Markenzeichen geworden war, wirkt hier wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Reynolds‘ Malone ist ein introvertierter Typ: Er redet nicht mehr als nötig, scheint in konstanter Clinch mit sich und seiner eigenen Vergangenheit zu liegen. Auf neugierige Fragen reagiert er ausweichend. Sein Aufenthalt im Häuschen der Barlows ist eine eher störende Unterbrechung seines Weges in die Emigration, wo er seine Dämonen besiegen will. Aber es dämmert ihm recht bald, dass er die überall mithinnehmen wird: Es gibt ihn nicht, den friedlichen Ort, an dem er nicht mehr Malone sein muss. Interessant ist, wie schnell er diese Tatsache akzeptiert: Will er mit dem Problem der Bewohner des Tals zunächst nichts zu tun haben – er verweigert eine belastende Zeugenaussage, nachdem er einen Mord beobachtet hat –, macht er es dann umso nachdrücklicher auch zu seinem. Als er und Jo bei einem Spaziergang von den Schlägern Delaneys belästigt und bedroht werden, schlägt er brutal zu. Seine Reaktion als unangemessen zu bezeichnen, wäre noch untertrieben. Da bricht sich etwas Bahn, was sich im weiteren Verlauf in seiner zunehmenden Kaltschnäuzigkeit und der Saftigkeit der Einschüsse niederschlägt. Jeder Mord ist wie ein Befreiungsschlag Malones, wie ein Bekenntnis zu einem Sein, das er zu Beginn des Films verloren glaubte. MALONE ist nicht übermäßig rasant inszeniert, aber in seinen Actionszenen unglaublich brutal. Die Schüsse des Protagonisten zerreißen seine Opfer förmlich und machen deutlich, dass dieser Malone niemals an der Normalität teilhaben wird. Es hilft, dass Reynolds sich dieser Fremdheit des Protagonisten nicht ganz bewusst zu sein scheint. Er weiß, dass seine Handwerk „böse“ ist, auch, dass er „anders“ ist als andere – aber wie weit er sich entfernt hat, wie sehr dieser Beruf ihn im Innersten definiert, das überblickt er nicht. Der Abschied von Jo, die ihn mit den Worten, in fünf Jahren „alt genug“ zu sein halten will, Der Abschiedskuss, den Malone Jo auf den Mund gibt, nachdem sie ihn mit dem „Versprechen“ halten wollte, in fünf Jahren „alt genug“ zu sein – ein typischer Reynoldismus – ist vor diesem Hintergrund besonders gruselig und scheint mehr als nur doppelt codiert. Will er sich wirklich nur verabschieden oder etwas von sich bei ihr lassen?

Auch wenn OPERA nach dem Horrormärchen PHENOMENA wieder eine Rückbesinnung auf die Giallostoffe bedeutet, mit denen Argento sich Anfang der Siebziger einen Namen machte: Ich meine, die Entspanntheit, mit der er Letzteren eher „laufen ließ“, als ihn mit strenger Hand zu dirigieren, ist auch in OPERA am Werk. Und dennoch kommt am Ende ein ganz anderer Film dabei heraus, nämlich vielleicht der kompakteste Argento.

OPERA hat mit Hauptdarstellerin Cristina Marsillach ein ganz klares emotionales Zentrum und funktioniert daher vor allem als mitreißender Thriller. Dass der letztlich nur „Tarnung“ für Argentos Meditation über das Spannungsverhältnis von Sehen-Müssen und Sehen-Wollen – sein Leib- und Magenthema sozusagen – ist, fällt kaum auf. Für Irritationen sorgt erst der bizarre und sich in bester Giallo-Tradition eher mittelprächtig ins Gesamtbild einfügende Schluss. Der lässt dann auch erkennen, dass es Argento wohl doch nur in zweiter Linie darum ging, einen spannenden Krimi zu servieren.

Die junge Opernsängerin Betty (Cristina Marsillach) erhält die Chance, die Rolle der Lady Macbeth in einer Inszenierung der Verdi-Oper durch den Horrorfilm-Regisseur Marco (Ian Charleson) zu übernehmen, als die eigentlich Hauptdarstellerin einem Unfall zum Opfer fällt. Ihre Befürchtungen, zu jung für die Rolle zu sein, und die Angst vor dem „Fluch“, der der Legende nach auf den Inszenierungen von „Macbeth“ liegt, erweisen sich  als durchaus begründet. Schon bald fallen die ersten Mitarbeiter einem Mörder zum Opfer, der überdies eine besondere Beziehung zu Betty aufbaut: Er zwingt sie dazu, seine Taten mitanzusehen, indem er sie fesselt und sie mittels unter die Augen geklebter Stecknadeln daran hindert, wegzuschauen …

Von Anfang an stellt Argento die Wahrnehmung des Zuschauers auf die Probe und testet – wie einst in PROFONDO ROSSO – seine Aufmerksamkeit. Die Aussage eines Zeugen, die Sängerin sei von einem Auto überfahren worden, stellt sich bei genauer Betrachtung als ebenso falsch heraus, wie Bettys Befürchtung „zu jung“ zu sein. (Ein wohlmeinender Kollege klärt sie sogleich darüber auf, dass Verdis Lady Macbeth erst 17 war.) Der teuflische Modus Operandi des des Killers, offensichtlich von der Ludovico-Methode aus Kubricks A CLOCKWORK ORANGE inspiriert, wird im Film durch die Technik unterwandert. Was Betty sieht, sieht der Zuschauer nämlich nicht: Ihre Subjektiven zeigen die vor ihren Augen klebenden Stecknadeln und einen dadurch vollkommen unscharfen Hintergrund. (In der Realität würde unsere Wahrnehmung entsprechend korrigieren: Die Stecknadeln würden „ausgeblendet“.) Bei der Ermordung der Kostümbildnerin spielt sich die grausame Tat jenseits des Bildrahmens ab und der Ton übernimmt die Funktion, uns darüber aufzuklären, was genau passiert. In einer anderen wichtigen Sequenz ist Bettys Wahrnehmung durch die Verwendung von Augentropfen getrübt. Es gibt immer wieder seltsam „falsche“ Kamerasubjektiven, denen entweder gar kein Blick zugeordnet wird oder einer, der sich körperlich nicht erklären lässt (wie am Anfang, als die Opernsängerin den kompletten Weg aus dem Opernhaus rückwärts zurückzulegen scheint). Die Attacken auf das Auge nehmen fast Fulcieske Züge an: In einer der grandios komponierten Mordszenen wird Bettys Agentin Mira (Daria Nicolodi) beim Blick durch einen Türspion durch das Auge erschossen. Die Kugel schlägt nach dem Weg durch ihren Kopf in einem Telefon ein: Die Kommunikation ist vollständig gestört. Der Blick der Raben, die zum lebenden Inventar der Operninszenierung gehören, ist es schließlich, der den Killer enttarnt. Und der Angriff der Vögel gilt welchem seiner Körperteile? Natürlich dem Auge.

OPERA war zu diesem Zeitpunkt Argentos aufwändigster und teuerster Film. Man sieht das unter anderem an der fantastischen Kamerafahrt während des berühmten Rabenflugs durchs Opernhaus: eine Sequenz die ich während der Argento-Retro auf den Fantasy Filmfest 1997 im Kino bewundern durfte und die auf großer Leinwand ein wahrhaft rauschhaftes Erlebnis darstellt. Der ganze Film profitiert natürlich immens von dem barocken Opernhaus-Setting wie auch von der Originalmusik, die immer wieder von den theatralischen, rasend schnellen Metal-Songs aufgelockert wird – eine stilistische Fortsetzung von PHENOMENA. Ich bin ein bisschen ratlos, was OPERA angeht: Ich liebe den Film sehr, aber ich bekomme ihn trotzdem nicht wirklich zu fassen. Vielleicht beende ich diesen Text einfach mit dem Hinweis auf eine meiner Lieblingsszenen. Es ist keine wichtige Szene. Sie gehört zu einem kleinen Nebenstrang des Films, dessen Sinn sich mir immer noch nicht ganz erschlossen hat. (OPERA, den ich oben als „kompakt“ bezeichnet hatte, ist voll mit solchen Details, die wie Fragmente eines anderen Films wirken, ohne jedoch jemals deplatziert zu wirken.) In der Szene, die ich meine, hört Betty – kurz nachdem sie den ersten Mord mitansehen musste – Stimmen aus dem Hausflur vor ihrer Wohnungstür. Sie schaut durch den Spion und sieht ein Pärchen im Gespräch. Die Kamera wechselt nun in ihre Subjektive: Der Zuschauer sieht das Pärchen auf dem Flur, leicht verzerrt durch den Spion, und hört Betty mit unangemessener Panik durch die Tür fragen, wer die beiden seien und was sie wollen. Der Mann verschwindet sofort und ohne Reaktion. Die Frau hingegen blickt Richtung Tür, so als könne sie Betty tatsächlich dahinter sehen, und antwortet dann genervt, dass sie nur eine Nachbarin sei. Dann verschwindet sie mit einer divenhaften Drehung und beendet die Szene. Ich habe die Szene während meiner aktuellen Sichtung zweimal gesehen: Beide Male musste ich kichern, beide Male fragte mich meine Gattin, was ich an der Szene so lustig fände. Die Wahrheit ist, dass ich es nicht genau sagen kann. Sie wirkt auf mich einfach urkomisch, umso mehr, als ihr Kontext überhaupt nicht witzig ist. Bettys Angst ist schließlich echt und absolut nachvollziehbar. Argentos artifizielle Regie, die zusätzlich entfremdende Synchronisation des Films und die affektierte Reaktion der Nachbarin werfen jedoch ein grelles Licht auf sie, heben sie seltsam hervor, obwohl sie eigentlich ganz und gar unbedeutend ist. Vielleicht erklärt sie ganz gut, was man aus OPERA mitnehmen kann – und was es nahezu unmöglich macht, etwas Definitives über den Film zu sagen: Die Wahrheit liegt nämlich immer im Auge des Betrachters.

EDIT April 2015: Anlässlich meiner Kinosichtung beim Terza Visione-Filmfestival habe ich einen neuen, kurzen Text zu OPERA geschrieben.

Mit PHENOMENA ist Dario Argento mit knapp fünfjähriger Verspätung in den Achtzigerjahren angekommen: Vom Soundtrack wummern Metal-Tracks von Iron Maiden – damals auf dem Zenith ihrer Popularität – und Motörhead, um den Synthiebeats von Simon Boswell und Goblin ab und zu eine Pause zu gönnen, die damals 15-jährige Jennifer Connelly betritt – ein Jahr vor LABYRINTH – zum ersten Mal eine unerklärliche Märchenwelt und die Vorfahren dessen, was wir heute als CGI bezeichnen, halten Einzug. Der Film markiert unverkennbar einen ersten kleinen Bruch in Argentos Werk – ganz unabhängig davon, ob man ihn toll findet oder, wie viele, als ersten Schwächeanfall des Meisters betrachtet. PHENOMENA wirkt, anders als die Vorgänger, zum ersten Mal nicht mehr wie ein mit den Mitteln des Horrorfilms formulierter philosophischer Essay. Weitestgehend verflogen ist diese eigenartige Strenge, die Argentos Filme aller kreativen Wildheit zum Trotz charakterisierte und die sich sowohl in ihrer kubistischen Architektur und der Musik Goblins, mit ihren komplizierten mathematischen Formeln folgenden Melodiebögen und treibenden Rhythmen, niederschlug. PHENOMENA ist emotionaler, auch zärtlicher, märchenhafter und verträumter. Einige dieser Attribute treffen auch auf SUSPIRIA zu, aber da fungierte Argento noch als strenger Dirigent, der den Rausch mit den Mitteln der Vernunft in Bann schlug. Hier lässt er die Zügel schleifen. Oder besser: Er verfällt selbst dem Zauber seines Films.

Jennifer Corvino (Jennifer Connelly), Tochter eines amerikanischen Filmstars, wird auf eine Mädchenschule in der Schweiz geschickt, in deren Umgebung ein Serienmörder umgeht. Während einer somnambulen Episode wird das Mädchen, das über eine besondere Beziehung zu Insekten verfügt, Zeuge eines Mordes und findet wenig später einen madenbefallenen Handschuh des Killers. Sie freundet sich mit dem Entomologen Prof. John McGregor (Donald Pleasence) an und kommt dem Mörder schließlich auf die Spur …

Die Story will sich nicht wirklich zu einem homogenen Ganzen fügen, scheint aus zwei nur lose verbundenen Elementen – der märchenhaften Geschichte eines jungen Mädchens mit besonderer Begabung und einem klassischen Giallo-Plot –  eher willkürlich als zwingend zusammengesetzt. Der rote Faden geht dann auch mit zunehmender Spieldauer immer mehr verloren. Dem Vergnügen tut das indes keinen Abbruch, weil PHENOMENA über zahlreiche faszinierende Bilder, Momente und eben diesen außerweltlichen, mal betörenden, dann wieder eiskalten und furchteinflößenden Score verfügt. Der Film ist ein Stimmungsbild, ein wunderschönes, rätselhaftes Gemälde, mehr als alles andere. Warum der entstellte Killer nun umgeht, welche Beziehung seine Mutter zu ihm hat und wie sich Jennifer mit ihrem besonderen Talent ins Bild fügt, lässt sich am Ende kaum noch sagen. Aber wer will nach einem geilen Albtraum schon nach dem lästigen Sinn fragen? Was im Gedächtnis bleibt, sind im Alpenföhn ebenso bedrohlich wie berückend rauschende Bäume, die die Beseeltheit der Natur suggerieren (wohl eines der Leitmotive, die man aus dem Film herausfiltern könnte), die Schönheit der jugendlichen Hauptdarstellerin, die ein magisches Gravitationsfeld um sich aufbaut und jedes Bild an sich reißt. Jennifer, die Abertausenden von Käfern zuruft „I love you all!“, während ihr dunklen Haare im Wind wehen. Jennifer im von tiefer Intimität geprägten Gespräch mit dem schrulligen McGregor. Jennifer, die von dem Schimpansen an der Hand genommen und aus dem Wald geführt wird. Jennifer und das Glühwürmchen. Jennifer, wie sie über diese riesige Bergwiese rennt. Dann natürlich die eher horriblen Szenen: Der unglaubliche Auftakt mit der über die Bäume fliegenden Kamera, der Jagd durch eine enge Gebirgsklamm und dem anschließenden Zeitlupenmord. Die berühmte Leichengruben-Sequenz, die die vergleichbare Szene aus POLTERGEIST wie Wassergymnastik erscheinen lässt. Der Kampf auf dem See, der auf positivste Art und Weise an diverse FRIDAY THE 13TH-Filme denken lässt. Und dann schließlich dieser komplett irrsinnige Schluss mit dem Schimpansen, wohl einer der bizarrsten Schlussgags, die je ersonnen wurden. Bemerkenswert auch, mit welchem Einfühlungsvermögen der vermeintliche Frauenfeind Argento das Gespräch der beiden jugendlichen Zimmergenossinnen eingefangen hat. Banalität ist nur selten so reizvoll. (Auch hier wieder: Jennifer, auf dem Bett sitzend, mit festem, offenem Blick zuhörend und antwortend.)

Der Regisseur selbst hat PHENOMENA wohl einmal als seinen liebsten und persönlichsten Film bezeichnet. Das finde ich zunächst einmal ziemlich erstaunlich, weil er überhaupt nicht mit den erkennbaren Markern des persönlichen Ausdrucks versehen ist. PHENOMENA wirkt, wie ich oben sagte, entspannt, flüchtig, frei fließend, streckenweise banal und impulsiv, vielleicht sogar unausgereift. Das alles gereicht ihm zum größten Vorteil – und es lässt den genialischen Meisterregisseur in einem ganz anderen Licht erscheinen. Ein toller, unterschätzter Film. I think I’m falling in love again.

PS Erwähnte ich die Musik schon?

TENEBRE war immer einer meiner liebsten Filme Argentos. Warum, kann ich heute, nach wiederholter Sichtung, gar nicht so genau sagen. Wahrscheinlich war es nicht ganz unbedeutend, dass TENEBRE im Gegensatz zu SUSPIRIA, INFERNO oder auch PROFONDO ROSSO nicht eine ganz so frenetische Schar von Bewunderern um sich geschart hatte. Der Film bedeutete für Argento eine Rückkehr zu den Giallos, mit denen er sich einen Namen gemacht hatte, ist aber noch deutlich aufgeräumter und wohl auch ein Stück zugänglicher als diese. Der ganze Film ist deutlich im Gegensatz zu seinem Titel geradezu auffallend sonnig und auch wenn sich die Leichen am Ende bis an die Decke stapeln, wird er nie wirklich grimmig oder gar unangenehm. Die freundliche Art von Franciosas Protagonist Peter Neal (eine Falle!), die Höflichkeit von Gemmas Detective Germani und der spitzbübische Charme, mit dem John Saxon seinen Literaturagenten Bullmer versieht, prägen die Stimmung des Filmes wesentlich – mehr als es alle Axtmorde oder deviantes Verhalten vermögen. Einer meiner Lieblingsmomente ist dann auch keines der großen, „typischen“ Argento-Set-Pieces, sondern jene Szene, in der Bullmer seinem Klienten und Freund Peter Neal seinen neuen Hut vorführt: Auf die Frage Neals, ob der Hut ihm denn nicht ständig vom Kopf rutsche, beginnt er wie wild mit dem Kopf zu wackeln und fragt dann mit der Geste eines Zauberkünstlers, dem mit größter Leichtigkeit ein besonders verblüffender Trick gelungen ist: „See?“ Überhaupt John Saxon: Er hat hier eine dieser Giallo-Rollen, die für die Handlung komplett unwichtig sind, ist lediglich dazu da, erst einen möglichen Verdächtigen und dann ein Opfer abzugeben, aber er drückt dem Film mit seiner Handvoll Szenen seinen Stempel auf. Wie er da kurz vor seiner Ermordung auf einer Bank in der Sonne wartet, den Blick schweifen lässt und die Menschen um sich herum beobachtet, das Nichtstun zur Attraktion für den Zuschauer werden lässt: Das ist schon große Schauspielkunst.

TENEBRE ist (auch) Argentos Antwort auf die Kritikerstimmen, die ihm Frauenfeindlichkeit und Gewaltverherrlichung vorwerfen – und Peter Neal, Verfasser blutiger Detektivromane, sein Alter ego. Es ist Argentos selbstreflexivster Film und weist von daher stets über seinen eigenen Rahmen hinaus. Auch dann, wenn er ganz „bei sich“ zu sein scheint. Als Germani bei Neal auftaucht, ihn mit der Tatsache konfrontiert, dass eine Frau blutrünstig umgebracht und noch dazu mit Seiten aus Neals aktuellem Bestseller „Tenebre“ erstickt wurde, stellt Neal die Frage, ob Germani auch den Geschäftsführer von Smith & Wesson aufsuche, wenn jemand erschossen worden sei. Diese Frage ist zwar berechtigt, dennoch wirkt Neal nicht wirklich überzeugend, wie er sich da so einfach in die Defensive drängen lässt und mit einem fußlahmen Allgemeinplatz verteidigt. Auch später ist der sonst so gewinnende und sympathische Schriftsteller auffallend unkreativ, wenn es darum geht, seinen Kritikern zu antworten. So, als sei er noch nie auf die Idee gekommen, dass seine Romane Feministen auf die Barrikaden treiben könnte. Wenn man den ganzen Film gesehen hat, weiß man natürlich warum: Neal kann sich gegen die Vorwürfe der Misogynie deshalb nicht adäquat verteidigen, weil sie zutreffen. Er, ein schizophrener Killer, weiß es nur nicht. Und es ist ja tatsächlich fast so, als würde er erst durch den Kontakt mit Killer Nr. 1 des Films, dem von einem Messiaskomplex getriebenen Fernsehmoderator Cristiano (John Steiner), auf sein im Inneren schwelendes zerstörerisches Potenzial gestoßen. Was sagt das über Argento aus? Hier ist jemand am Werk, der sich mit großer Lust dem „Mord als schöner Kunst“ verpflichtet hat, der aus einem verborgenen inneren Impuls heraus und mit „perverser“ Obsession die Vernichtung des Schönen selbst als einen Akt der Schöpfung von Schönheit inszeniert. Aber bei diesem Geständnis bleibt Argento nicht stehen. Der Zuschauer liebt es schließlich, ihm beim Ausleben seiner Triebe zuzusehen. Das spiegelt auch die Diegese von TENEBRE mit ihren zahlreichen lustvoll-verängstigten Blicken und in Angstlust gelähmten Zeugen. Und auch die beiden Mörder inspirieren sich mit ihren Taten gegenseitig: Der eigentliche Copycat-Killer geht dem „echten“ Mörder voraus, entnimmt dessen Buch die Anregung für seine eigenen Morde, und erinnert den dann an seine vergessene Begabung.

Über PROFONDO ROSSO hatte ich geschrieben, dass er sehr klar sei, den Zuschauer nicht mit faulen Tricks hinters Licht führe – und trotzdem zutiefst befremdlich und labyrinthisch. Auf TENEBRE trifft das noch mehr zu. Sonnendurchflutet und von auskunftsfreudigen, freundlichen Charakteren bevölkert wirkt er so klar und buchstäblich luzide, dass man gar nicht bemerkt, mit einem Rätsel konfrontiert zu sein. Alles liegt ganz offen da, trotzdem wird man auf dem falschen Fuß erwischt. Man könnte erahnen, was einem bevorsteht, würde man sich genau ansehen, wie es den zahlreichen Zeugen des Filmes ergeht: Sie sehen, ohne zu verstehen und ohne das Unausweichliche abwenden zu können.

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich REPULSION zum ersten Mal gesehen habe. Es muss irgendwann zwischen meinem 13. und 18. Lebensjahr gewesen sein, als ich zum Großteil aus dem Fernsehen aufgenommene Filme schaute (und bei der Auswahl auf die damals noch halbwegs integre TV Spielfilm vertraute). Natürlich wusste ich beim gestrigen, ersten Wiedersehen seit rund 20 Jahren noch, worum es in Polanskis Film geht. Aber erstaunlicherweise waren von seinen doch starken, eindrucksvollen Bildern kaum welche hängengeblieben. Es waren vor allem die eher banalen Szenen, in denen Deneuves Carol zu Beginn des Films durch London läuft, an die ich mich erinnern konnte – und nicht etwa die eindrücklichen, lediglich mit dem unerbittlich gleichgültigen Ticken der Uhr unterlegten eingebildeten Vergewaltigungen, die unheimlichen Verwandlungen von Carols Wohnung oder die zwei, drei immens effektiven Schocks. Und das, was sich bei mir am meisten eingebrannt hatte – eine Szene, in der  Carol minutenlang einen Riss in der Decke über ihrem Bett begutachtet, stellte sich gestern zudem als von mir nachträglich hinzuerfunden heraus. Zwar spielen Risse in Wänden und Decken eine wichtige Rolle, aber auf jene Szene, an die ich mich zu erinnern glaubte, wartete ich vergebens. Keine Ahnung, warum das so ist. Gut möglich, dass ich damals noch zu jung für REPULSION war und ihn schon zum Selbstschutz aus einer gewissen Distanz heraus betrachtete, die es mir ermöglichte, seine Bilder schnell wieder zu vergessen. Nach der gestrigen Sichtung, die mich ein paar mal sehr unangenehm angefasst hat, kann ich mir das nicht anders erklären.

Aber irgendwie scheint mir das zum Status, den der Film in der Rezeption einnimmt, zu passen. REPULSION gehört zwar zu einem Kanon anerkannter Klassiker, aber gemessen an seinem tatsächlichen Einfluss ist er im intellektuellen Diskurs eher unterrepräsentiert (vielleicht lese ich aber auch nur die falschen Texte, das kann schon sein). Gerade das zeitgenössische Thriller- und Horrorkino ist Polanskis Film enorm verpflichtet; so sehr, dass ich mir kaum vorstellen kann, wie es aussähe, würde man ihn aus der Geschichte tilgen. Polanski war möglicherweise der erste, der den Zuschauer vollständig in die Perspektive einer psychisch gestörten Persönlichkeit zwang – zumindest war er der erste, der die filmischen Möglichkeiten, die diese Perspektive mit sich brachte, auslotete. Fotografie, Sound- und Setdesign von REPULSION sind meisterlich: so meisterlich, dass Polanskis damals revolutionären Ideen zu Inszenierungsklischees werden konnten. Was aber wirklich ertaunlich ist, ist dass REPULSION heute trotzdem nichts von seiner verstörenden Wirkung eingebüßt hat. Jener beliebte Schockeffekt etwa, bei dem sich sekundenkurz eine Gestalt in der Bewegung einer Spiegeltür zeigt und bei dem man sich heute meist eher übertölpelt als wirklich erschreckt fühlt, hat mir gestern dieses überaus unangenehme Prickeln zwischen die Schulterblätter gezaubert und ein Gefühl echten, körperlichen Unwohlseins erzeugt. Das schaffen nur sehr wenige Filme.

Was REPULSION von ähnlichen Filmen unterscheidet – und möglicherweise auch seinen immensen Erfolg in der Erzeugung seiner desolaten, verstörenden Wirkung erklärt –, ist Polanskis Verzicht auf jeglichen Kontext. Seine Carol ist zumindest für den Zuschauer eine Person ohne Vergangenheit, ohne Geschichte. Der Blick auf das alte Familienfoto, das sie auch im Kreise der Ihren als isoliertes, nachdenkliches Mädchen zeigt, wird gern als Hinweis auf eine Missbrauchsgeschichte interpretiert (sie scheint einen der Männer – Vater? Großvater? Onkel? – anzustarren). Eine legitime, aber auch sehr spekulative Interpretation, die mehr dem Bedürfnis des Zuschauers als den tatsächlich gelieferten Fakten entspringt. Was der Blick auf das Bild leistet, mehr als eine Ursache für Carols Zustand zu liefern, ist, das Unerklärliche zu unterstreichen, dem REPULSION verpflichtet ist. Gerade dass dieser einzige Blick auf Carols Vergangenheit, noch dazu auf die so prägende Zeit der Kindheit, den Polanski uns gönnt, nicht etwa Klarheit bringt, sondern dieses Gefühl nagender Hillosigkeit nur noch verstärkt, macht REPUSLION so effektiv. Der Überzeugung der Psychoanalyse, dass sich das Leben wie eine Geschichte analysieren und interpretieren ließe, wird hier eine ziemlich vehemente Absage erteilt. Es gibt keine Erklärung für Carols Krankheit, keinen erkennbaren Grund für den rapiden Verfall ihres Zustandes. Nur Fragen.

Nach dem zumindest für mich enttäuschenden THE CRIMSON KIMONO bedeutet UNDERWORLD U.S.A. wieder einen Schritt in die richtige Richtung; dennoch erreicht er nicht die Klasse der 12 von Fuller zwischen 1949 und 1959 inszenierten Filme (behaupte ich jetzt mal, ohne THE CHINA GATE und RUN OF THE ARROW schon gesehen zu haben). Der Erfolg von UNDERWORLD U.S.A. wird etwas durch seinen aufgesetzten aufklärerischen Impetus torpediert, der sich in der Tagline des nebenstehenden Plakats Tagline und in mehreren rein deskriptiven Monologen äußert. Letztere reißen aus dem Fluss des Films, wirken holprig, unelegant und nur wenig authentisch. Es ist einfach nicht glaubhaft zu vermitteln, dass ein Staatsanwalt seinen Untergebenen im Büro Vorträge über das Wesen des organisaierten Verbrechens hält, während die still und andächtig lauschen. Kein Beinbruch, aber doch einer jener Schönheitsfehler, die man in den großen Filmen Fullers vergeblich sucht. Hier ging teilweise der Journalist mit ihm durch und geriet sein Geschick, griffige „yarns“ zu spinnen, ins Hintertreffen. Schade, denn über weite Strecken ist UNDERWORLD U.S.A. sehr spannend, mitreißend und von einer sehr dynamischen Kamera geprägt, die wirkungsvolle Bilder einfängt.

Der 14-jährige Tolly Devlin hat kein leichtes Leben: Im Knast in eine kriminelle Familie hineingeboren, verlor er früh seine Mutter und lernte von seinem Vater nur, wie man sich mit krummen Dingern durchs Leben mogelt. Als er sieht, wie sein Vater auf der Straße von vier Männern zu Tode geprügelt wird, schwört er Rache, der er sein ganzes Leben widmet. Die Spur führt den Jungen mehrfach in den Knast, wo er als Erwachsener (Cliff Robertson) schließlich einem der sterbenden Täter die Namen seiner Helfer abringen kann. Sie sitzen an der Spitze des organisierten Verbrechens, teilen sich Drogenhandel, Prostitution und Schmuggel und verstecken sich hinter der Fassade seriöser Geschäftsmänner. Tolly erschleicht sich ihr Vertrauen und beginnt dann, einen nach dem anderen aus dem Weg zu räumen. Aber er beschwört damit keine guten Geister …

Fuller zeigt in UNDERWORLD U.S.A. zweierlei: Zum einen, wie negativer, krimineller Einfluss ein Kind buchstäblich „verseuchen“ kann, sich das Verbrechen durch solchermaßen „Infizierte“ unaufhaltsam verbreitet und immer neue Verbrechen verursacht. Zum anderen, dass das organisierte Verbrechen sich nicht mehr länger auf offener Straße mit Maschinenpistolen bekriegt, wie zu Zeiten Al Capones, sondern längst unter dem Deckmantel der Legitimität operiert. Die Organisation aus Fullers Film sitzt in einem hochmodernen Bürohaus, sie betreibt mehrere rentable und legale Firmen und ist sogar sozial engagiert. Aber diese legalen Geschäfte sind in erster Linie Tarnung für die Schweinereien, die im Hintergrund ablaufen. Der Titel UNDERWORLD U.S.A. ist mit mehr als leiser Ironie versehen: Die Unterwelt ist längst salonfähig geworden. Sie befindet sich mitten in der Gesellschaft, wird repräsentiert von angesehenen Männern und braucht Gewalt nur noch im äußersten Notfall. Tolly, der Kleinkriminelle von der Straße, der noch den althergebrachten Hustle im Blut hat, übersieht, dass das System des organisierten Verbrechens längst nicht mehr an einzelne Personen geknüpft ist. Sein Kampf ist ein Kampf gegen Windmühlen, von einer verklärten Romantik geprägt, für die einfach kein Platz mehr ist. In dem Moment, in dem er Mitglied der Organisation wird, gibt es keine Chance für ihn mehr. Seine persönliche Involvierung, die Leidenschaft, mit der er sein Ziel verfolgt, wird ihm zum Verhängnis in einer Welt, die alles nach dem Paradigma der Ökonomie betrachtet.

Die Geschichte Tollys, des Jungen, dessen Weg von Anfang an vorgezeichnet ist, und der über seinen Rachdurst einen geradezu krankhaften Omnipotenzwahn entwickelt, ist interessant und spannend: Auch weil sich dieser Tolly von anderen Fuller-Helden deutlich unterscheidet. Zwar findet man in Fullers Filmografie viele zwielichtige Gesellen und Lumpen, doch zeichnen sie sich alle durch einen moralischen Kodex aus, der es möglich macht, sich mit ihnen zu identifizieren. Tolly, vom unheimlichen, zwischen schmieriger Selbstverliebtheit und rauhem Tough-Guy-Gehabe pendelndem Cliff Robertson überlebensgroß und voller Manierismen verkörpert, unterscheidet sich deutlich von diesen Protagonisten. Er ist für den Zuschauer erkennbar fehlgeleitet, man verfolgt seine Handlungen mit der unguten Ahnung, dass das alles ein böses Ende nehmen wird – so ähnlich wie ein hilfloses Elternteil den Lebensweg eines Kindes verfolgt, das sich seinem Einfluss entzogen hat. Mehr als bei allen anderen Fuller-Filmen ist man als Zuschauer von UNDERWORLD U.S.A. der Hauptfigur voraus, ihr überlegen. Und weil Tolly mit solcher Beharrlichkeit immer genau das tut, wovon wir ihm insgeheim abraten, weil wir die tragischen Folgen absehen können, entfernen wir uns im Verlauf des Films immer mehr von ihm. Am Ende betrachten wir sein Schicksal nur noch mit der emotionalen Distanz des Zeugen, der den tödlichen Autounfall von seinem Aussichtspunkt lange vorhersehen konnte und mit einer gewissen Enttäuschung registriert, dass die Opfer nicht in der Lage waren, das Offensichtliche zu erkennen und zu vermeiden.

UNDERWORLD U.S.A. ist ein nüchterner Film. Er reißt nicht mit, involviert nicht vollständig, sondern stößt eher ab. Er ist eine Mahnfabel. Dabei sind einige Szenen durchaus dazu geeignet, den Zuschauer bei der Gurgel zu packen: Der Auftakt, wenn der junge Tolly vor einem Polizisten entwischt; sein lüsterner, an einen Süchtigen erinnernde Blick, als seine mütterliche Freundin ihren Safe öffnet und er ganz isntinktiv versucht, sich die Kombination einzuprägen; die Ermordung seines Vaters, als gewaltiger Schattenwurf an eine Backsteinmauer geworfen; schließlich zwei Auftrags- und Rachemorde, von Fuller maximal effizient inszeniert. Letztlich ist es aber vor allem Hauptdarsteller Robertson, der em Film seinen Stempel aufdrückt. Sein Spiel distanziert Tolly von uns und irgendwie sind wir wütend auf ihn, dass er den jungen Tolly, den Jungen, der das Herz auf dem rechten Fleck trug, mit seiner Selbstherrlichkeit getötet hat.