Mit ‘Charlie Sheen’ getaggte Beiträge

wraith-movie-poster-1986-1020216120Viel mehr Achtziger als THE WRAITH geht kaum noch: Charlie Sheen gibt den coolen Loner, Nick Cassavetes den fiesen Autotuner mit Matte und geairbrushter Lederjacke, Sherilyn Fenn trägt Bräunungscreme für zwei und arbeitet auf Rollschuhen im Burgerladen, dem Treffpunkt der Wüstenjugend, der Sountrack spielt u. a. Ozzy Osbourne, Mötley Crüe, Bonnie Tyler und Billy Idol. Erwachsene gibt es gar nicht – mit Ausnahme von Randy Quaids Sheriff und seinen Leuten – und das titelgebende Phantom kommt mit coolen Blitzen auf die Erde und heizt dann in einem potthässlichen Custom Car über die Landstraßen. Das hat schon was, auch wenn der Film um diese Zeitmarker herum nicht so wirklich zünden mag.

Auf den Highways rund um sein Wüstenkaff veranstalten Packard (Nick Cassavetes) und seine Gang Autorennen mit aufgegriffenen und drangsalierten Teens (die allesamt geile Sportwagen von Papa und Mama unter den Weihnachtsbaum gestellt bekommen haben): Wer verliert, ist seine Karre los, und Packard verliert nie. Bis plötzlich ein ganz in schwarze Bikerkluft gewandetes Phantom auftaucht: Da sterben Packards Leute einer nach dem anderen und enden trotz feuersbrünstiger Unfaälle ohne Verbrennungen – dafür aber mit leeren Augenhöhlen. Das Auftauchen des Phantoms koinzidiert mit dem von Jake (Charlie Sheen), der sich gleich an die süße Keri (Sherilyn Fenn) heranmacht, die von Packard umworben wird. Wie sich herausstellt, wurde Keris Freund einst von Packard und seinen Leuten ermordet …

Dass THE WRAITH – oder auch INTERCEPTOR, benannt nach dem Auto des Phantoms – ziemlich doof ist, muss nicht besonders betont werden. Als Spannungs- oder auch nur als Erzählfilm funktioniert er zudem überhaupt nicht: Dem Film fehlt ein Protagonist, mit dem man mitfiebern könnte, ein Konflikt, dessen Ausgang nicht von vornherein klar wäre. Charlie Sheen, dessen Jake sowas wie der Held ist, hat vielleicht 10, 15 Minuten Screentime aber dass er da ist, ist der totale Spannungskiller, denn das eine große „Mysterium“ des Films – wer ist der Rächer im Interceptor? – wird durch seine Anwesenheit völlig nivelliert. Man weiß, dass er es sein MUSS, weil seine Figur sonst überhaupt keine  Daseinsberechtigung hat. Die Morde an Packards Leuten sind ebenfalls total spannungsarm, weil von Anfang an kein Zweifel daran gelassen wird, dass sie chancenlos sind – und man darüber hinaus auch keinerlei Grund hat, auch nur das geringste Mitleid mit ihnen zu empfinden. Was bleibt, sind die sehr eigenartige Stimmung, die der Film allen Unzulänglichkeiten zum Trotz entfaltet, und seine geleckten Bilder, die an Airbrush-Kunstwerke auf Motorhauben aufgemotzter Muscle Cars denken lassen. Der Auftakt mit ein paar Irrlichtern, die aus verschiedenen Richtungen über die nächtlichen Wüstenhighways flitzen, ist sehr hübsch, genauso wie die Bilder des dampfenden Burgerladens vor dem violetten Nachthimmel. THE WRAITH wäre wohl gern sowas wie die Teenie-Version von HIGH PLAINS DRIFTER gewesen, aber dafür fehlt ihm einfach jede Ambiguität: Die Bösen sind böse, Jake und Keri herzensgut, und love will conquer it all in the end fo‘ shizzle. Am besten, man betrachtet das Teil als den überlangen Videoclip, der er ist, dann kommt man auf seine Kosten.

Oliver Stone war früher, während meiner Teenagerzeit und auch noch später, während meines Studiums, einer meiner absoluten Lieblingsregisseure, NATURAL BORN KILLERS ein Film, der die Art und Weise, wie ich Film wahrgenommen habe, komplett veränderte. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren fand dann aber eine zunehmende Entfremdung statt: Stones aufklärerischer, pädagogisch-didaktischer Impetus stößt mir heute eher sauer auf. Oder vielmehr: Er langweilt mich ein bisschen. Ich finde, dass zahlreiche der schöpferischen Möglichkeiten, die Film bietet, ungenutzt bleiben, wenn man ihn lediglich als Vehikel zum Transport einer wie auch immer gearteten Botschaft begreift. Es gibt nicht viel Bewegungsmöglichkeit in Stones Filmen, keine Zwischenräume und kein Zwielicht, nur Ja und Nein, Zustimmung oder totalen Widerspruch. WALL STREET ist demzufolge der erste Film von Stone, den ich nach SAVAGES gesehen habe, dem ebenfalls schon eine langjährige Abstinenz vorausging, die bis ins Jahr 2009 zurückreicht, als mal wieder NIXON dran gewesen war. Und was soll ich sagen: Es war schön.

WALL STREET stammt aus einer Zeit, als Stone ja noch den „jungen Wilden“ zugerechnet werden konnte. Mit PLATOON hatte er eben erst seinen großen Durchbruch gefeiert und das Bild, das man von ihm und seinen Filmen hatte, war längst noch nicht so scharf konturiert, wie es dann wenige Jahre später der Fall sein sollte. Auch WALL STREET hat natürlich ein Thema, lässt keinen Zweifel daran, wo Stones Sympathien liegen, dennoch geht der Regisseur meines Erachtens deutlich spielerischer und entspannter mit seinem Sujet um, als man es einem Mann mit Mission gemeinhin zubilligt. Der Film ist spannend, witzig und schlagfertig und für jemanden mit einem derart ausgeprägten Achtzigerjahre-Fetisch, wie ich ihn habe, eine Offenbarung. Das Tempo, das Stone anschlägt, um eine erzählerische Entsprechung zur Hektik der Börsenwelt mit ihren im Sekundenrhythmus reinrauschenden Gewinn- und Verlustmeldungen, enthemmt durcheinander schreienden Brokern und klappernden Tastaturen zu finden, erinnert fast schon an Billy Wilder oder Howard Hawks. In deren Gesellschaft ist WALL STREET eh gut aufgehoben, wenngleich Stone sich von den beiden Genannten durch seinen ungebrochenen Idealismus abhebt: Bei ihm bekommt der böse Spekulant Gordon Gekko (Michael Douglas) am Ende sein Fett weg und der reuige Held Bud Fox (Charlie Sheen) muss immerhin Buße tun, um für seine Taten zu bezahlen.

Auch der Auftakt erinnert etwas an die überdrehten Screwball-Komödien der Dreißigerjahre: Sinatra trällert „Fly me to the Moon“ (OK, ol‘ blue eyes sang seine Lieber erst etwas später), während Impressionen des erwachenden Manhattans über die Leinwand flimmern. Doch statt des sentimental aufgeladenen Sepiatons alter Fotografien ist es ein Eighties-typischer Farbfilter, der alles in ein bronze glänzendes Braun taucht. Auch die Bilder der im Anzug auf die Straßen und in die Bürotürme eilenden Menschen sind nicht mehr von jener enthusiastischen Lebendigkeit geprägt, keine ermutigende Vision des Realität gewordenen amerikanischen Traums, sondern erinnern fatal an die Visionen Romeros, der in DAWN OF THE DEAD amerikanische Bürger zeigte, die als Zombies in einer ewig währdenden Simulation ihres vergangenen Alltags gefangen sind. Das „geschäftige Treiben“ hat in WALL STREET kannibalistische Züge angenommen und darum geht es ja dann auch: um das survival of the fittest an der Börse, das als „Überleben der Stärksten“ nur unzureichend übersetzt ist. Denn nicht  der stärkste gewinnt, sondern der gierigste, abgebrühteste, skrupelloseste, der, der Moral und abendländische Werte verwirft und nur noch dem Paradigma des Kapitals folgt, nach dem eben der im Recht ist, der am meisten hat.

Der Film ist auch ein Duell seiner beiden Hauptdarsteller. Michael Douglas legte hier den Grundstein für seine Karriere als Arschloch vom Dienst und spricht die grandiosen, geschliffenen Mono- und Dialoge von Oliver Stone mit gespaltener, aber rasender Zunge. Es macht Freude ihm zuzusehen, weil er sich vom Tempo des Films mitreißen lässt und es in seinen Szenen selbst noch forciert. Charlie Sheen hat den uninteressanteren Part als staunender Grünschnabel und die Freude an seiner Darbietung resultiert nicht zuletzt an der Kluft zwischen diesem „unschuldigen“ Jungerwachsenen von einst, der erst durch die Versuchung durch einen mephistophelischen Bösewicht abfällt, und dem Wissen um sein heutiges drogenfressendes, nuttenverschleißendes Ich. Diese klare Figurenkonstellation ist aber auch die Crux des Films: Stone sieht die Probleme nicht so sehr im Kapitalismus an sich, sondern erst im Missbrauch durch schurkische Brutalkapitalisten vom Schlage Gekkos. Während ein Lou Mannheim (Hal Holbrook) als Generator altersweiser, humanistischer Aphorismen den traditionsbewussten Kaufmann alter Schule verkörpert, zitiert Gekko die kriegsstrategischen Leitsätze Sun Tzus. Es schwingt schon auch ein bisschen Bewunderung für die Abgewichstheit der Gekkos dieser Welt mit. Aber das trägt ja eigentlich nur dazu bei, WALL STREET zu einem der quintessenziellen Filme der Achtzigerjahre zu machen.

Von dem seit Jahrzehnten titel- und erfolglosen Baseballteam der Cleveland Indians erwartet niemand mehr etwas. Doch die neue Besitzerin des Clubs, das ehemalige Las-Vegas-Showgirl Rachel Phelps (Margaret Whitton) tritt ihr Amt an, um diese Erwartungen noch zu unterbieten. Mit wenig Geld trommelt sie einen Haufen aus Sportlern zusammen, die ihren Karrierehöhepunkt entweder schon lang hinter sich haben oder aber zu schlecht sind, um überhaupt eine Karriere haben zu können. Und sie verfolgt damit einen Plan: Wenn die Zuschauerzahlen unter einen bestimmten Wert fallen, darf das Team an einen Investor verkauft werden. Einen Geldgeber im sonnigen Miami hat sie schon, jetzt fehlen noch die nötigen Misserfolge. Doch dann kommt ihr das Team in die Quere, das unerwartet seinen Spirit entdeckt …

1989, als dieser Film herauskam, habe ich selbst angefangen Baseball zu spielen, insofern hat MAJOR LEAGUE – oder DIE INDIANER VON CLEVELAND, wie er bei uns hieß – eine wichtige Rolle in meiner Jugend gespielt. Die Kopie, die ich besaß, habe ich wohl Dutzende Male gesehen: Ich liebte die Charaktere – besonders natürlich den angry young man Rick „Wild Thing“ Vaughn (Charlie Sheen), der für die Rolle des Pitchers einen starken Arm, aber leider auch einen frappierenden Mangel an Kontrolle mitbringt, aber natürlich auch den wieselflinken Willie Mays-Hayes (Wesley Snipes) und den Voodoo-Zauberer Cerrano (Dennis Haysbert), der seinen Gott anbetet, ihn endlich auch einen Curveball treffen zu lassen –, die Coverversion des Troggs-Hits „Wild Thing“, den lebhaften, aber nicht zu überdrehten Humor, die vielen vielen Spielszenen und vor allem die Gänsehaut, die sich wie bei fast allen Sportfilmen auch hier am Ende einstellt, wenn das Loserteam das Unmögliche möglich macht. Jetzt habe ich den Film zum ersten Mal überhaupt im O-Ton gesehen und auch, wenn die deutsche Synchro die Klippen der Peinlichkeit gekonnt umschifft, an denen Baseballfilme in der Übersetzung sonst häufiger zerschellen, so lohnt die Originalfassung doch allein für die unvergleichliche Stimme des Ex-Profis und Kommentators Bob Uecker, die tatsächlich Stadionatmopshäre ins Wohnzimmer holt.

Aber man muss MAJOR LEAGUE generell zu Gute halten, die 23 Jahre, die seit seinem Erscheinen vergangen sind, überraschend gut überstanden zu haben. Das liegt auch daran, dass der Film seine Charaktere bei allem Witz ernst nimmt, man mit ihnen mitfiebert, anstatt nur auf den nächsten Gag zu warten. Selbst die dramatischen Elemente, wie etwa die Bemühungen des alternden Catchers Jake Taylor (Tom Berenger), seine Ex-Frau (Rene Russo) zurückzugewinnen – ein überstrapazierter Subplot, der meist nur zum Bierholen und Pinkeln gehen animiert –, erfüllen ihre Funktion und kommen glaubwürdig rüber, anstatt nur Zeit zu schinden. Das Casting ist inspiriert, die Hauptdarsteller Berenger, Sheen, Snipes und Bernsen sind nicht weniger als perfekt in ihren Rollen, aber auch Nebendarsteller wie der erwähnte Dennis Haysbert, der unverwüstliche James Gammon, Ex-Carpenter-Regular Charles Cyphers, Margaret Whitton oder Chelcie Ross tragen zum rundum positiven Gesamteindruck bei und machen den Film besser, als er es sein müsste. Letztlich bin ich aber massiv befangen in der Bewertung von MAJOR LEAGUE. Neben dem tatsächlichen Film läuft immer meine private Vergangenheit mit und macht es mir unmöglich, ihn objektiv zu bewerten. Andererseits gibt es auch genug Beispiele, wo eine alte Liebe beim Wiedersehen der Ernüchterung weichen musste. Wahrscheinlich ist MAJOR LEAGUE doch einfach nur gut.

An ihrem letzten Schultag vor dem Beginn des Daseins als Erwachsene beschließen die beiden sozialen Outcasts Bo (Charlie Sheen) und Roy (Maxwell Caulfield) nach L. A. zu fahren, um es dort noch einmal so richtig krachen zu lassen. Doch der Ausflug beendet in mehr als einer Hinsicht ihre Jugend: Der von der Außenwelt komplett entfremdete Roy spürt in sich nämlich das unstillbare Verlangen, einen Menschen zu töten …

Gleich nach ihrem desillusionierenden Jahrhundertwerk SUBURBIA drehte die filmische Jugendbeauftragte Penelope Spheeris diese kalte Hundeschnauze von einem Film, der ihr Plädoyer aus dem erstgenannten noch einmal bekräftigt. Flüchten sich die vernachlässigten Kids aus SUBURBIA in eine Ersatzfamilie aus Gleichgesinnten und in den artikulierten Zorn des Punk, um den sozialen Halt nicht vollständig zu verlieren, und lösen sie damit nur wieder das Unverständnis, die Angst und den Hass der Erwachsenen aus, die eine Alternative zu ihrem Lebensstil nicht akzeptieren können, zeigt THE BOYS NEXT DOOR unmissverständlich, was passiert, wenn jegliches Ventil, die eigenen Frustrationen abzulassen, fehlt. Für Roy ist schon von Beginn an alles zu spät: Sein smartes Lächeln kann nicht verbergen, dass ihn Gewaltfantasien ausfüllen, sein aufgepumpter Körper ist kein Zeichen von Sportsgeist und Ehrgeiz, sondern von Travis Bickle’scher Mobilmachung gegen den unspezifischen Feind, sein Vater ist ein Säufer und sein bester Freund Bo selbst noch zu unreif und beeinflussbar, um die richtigen Fragen zu stellen. Für die Armee, die allein seine Bedürfnisse noch in eine gesellschaftlich akzeptierte Richtung lenken könnte, mangelt es ihm an der nötigen Disziplin und der Bereitschaft zur Selbstaufgabe, also muss sich seine ganze angestaute Aggression – die seinen muskulösen Körper förmlich niederzudrücken scheint – anders Bahn brechen. Wenn er sich auf seine Opfer stürzt und ohne Rücksicht auf sie einprügelt, auch wenn sie schon längst am Boden liegen, kommt ein krasses Maß an Selbsthass und Verzweiflung darin zum Ausdruck, die zu heilen kaum noch möglich ist.

Spheeris‘ Kamera vollzieht dies dadurch nach, indem sie immer wieder die Furcht und damit das Kindliche im Blick Roys aufspürt – und mit ihr  seinen menschlichen Kern -, besorgt beobachtet, wie diese Furcht mehr und mehr von einer gefährlichen Leere aufgelöst wird, und in den Gewaltszenen, in denen eine vormoralische Kraft sich seines Körpers zu bemächtigen scheint, auf Distanz geht, schockiert von dem, was da mit ihm passiert. Es mag bei so viel Kälte widersprüchlich klingen, aber THE BOYS NEXT DOOR ist ein einfühlsamer Film, weil er sich mit Vorverurteilungen zurückhält, er seinen beiden hoffnungslosen Protagonisten vielmehr mit Sympathie und Mitgefühl begegnet und eine Welt zeigt, in der es allzu leicht ist, zum misanthropischen Soziopathen zu werden. Als Roy auf offener Straße einen Tankwart zusammenschlägt, reagiert kein einziger der zahlreichen Passanten und der „Augenzeuge“, der sich der Polizei anbietet, ist ein alter Mann, der die Gelegenheit prompt dazu nutzt, das Verbrechen einem Schwarzen und einem Hispanic zuzuschieben. Roy verfährt genauso, nur seine Mittel sind ungleich drastischer: Den Wohlstand, der um ihn herum als erstrebenswert ausgestellt wird und von dem er weiß, dass er ihn niemals wird erreichen können, das Glück, das ihm verstellt bleiben wird, die Liebe, die er nicht erfahren wird, weil er sich selbst hasst, all das soll auch kein anderer haben. Und wer sich diesem unausgesprochenen Diktum widersetzt, ist ein Verräter und muss bestraft werden. Doch die Kluft, die Roy zwischen sich und der Gesellschaft spürt, wird so nur noch größer: Denn nichts ändert sich durch seine Gewalttaten. Im Gegenteil zementieren sie nur seinen Status als vom Schicksal Übergangener.

THE BOYS NEXT DOOR schwächt seinen Impact ein wenig durch die einleitende Creditsequenz, in der mittels Archivbildern und Kommentaren eine Parallele zu berühmt-berüchtigten Serienmördern gezogen wird: Die einfache Message lautet, dass sich das Böse manchmal hinter einer sehr alltäglichen Maske verbirgt. Das trifft zwar auf Spheeris‘ Film auch zu, verdeckt meines Erachtens aber den sozialkritischen Kern ihres Films, der doch nicht die bloße Existenz eines zwar banalen, aber dennoch voraussetzungslosen Bösen konstatiert, als vielmehr einen graduellen Übergang von jugendlicher Devianz hin zur pathologischen Mordlust erkennt und damit auch eine Möglichkeit, wenn nicht gar Verpflichtung, zur gesellschaftlichen Intervention. Vielleicht ist diese Creditsequenz aber auch eher als Warnung zu verstehen: Der Grundstein für ein Dasein als Serienmörder wird in Kindheit und Jugend gelegt. Wehret den Anfängen! Wie dem auch sei: THE BOYS NEXT DOOR ist bärenstark, profitiert von Caulfields wirklich furchteinflößender, beunruhigender Darstellung und der linkischen Naivität, die der spindeldürre Charlie Sheen mitbringt. Die ausgezeichnete Fotografie und der gleichermaßen mit Punk- und Hardrocksongs gespickte Soundtrack schaden gewiss auch nicht und der visuelle Zirkelschluss, der die Klammer für THE BOYS NEXT DOOR bildet, ist zu schön, um wahr zu sein.

 

 

Während sich Ferris Bueller (Matthew Broderick) während des gemeinsam blaugemachten Schultags auf dem Festwagen einer Parade durch die Straßen Chicagos vergnügt, haben sein bester Freund Cameron (Alan Ruck) und Ferris‘ Freundin Sloane (Mia Sara) einen Moment zu zweit, in dem sie über ihre Zukunft – die Zeit nach der Highschool – und über die Bedeutung ihrer Freundschaft zu Ferris sprechen. Es ist dieser Moment – und einige weitere, in denen sich Ferris, nun seinerseits  isoliert von seinen beiden Freunden, an den Zuschauer wendet –, die den Schlüssel zum Verständnis des Films liefern und den Film im Film erkennbar machen, der  FERRIS BUELLER’S DAY OFF von der „nur“ witzigen Teeniekomödie zu etwas größerem, nämlich m. E. zur Gottwerdung des Teeniefilms und damit natürlich auch zum mit weitem Abstand besten Film John Hughes‘ macht.

Im Grunde genommen hat Hughes‘ Film zwei gleichberechtigte Protagonisten und je nachdem, welchen von beiden man auswählt, erzählt er zwei Geschichten – beziehungsweise eine Geschichte aus zwei denkbar unterschiedlichen Perspektiven: Die eine ist die Geschichte des supersympathischen, supercleveren Wunderknaben Ferris, den alle lieben, dem alles gelingt und der deshalb auch mit allem, was er tut – etwa seinem chronischen Schulschwänzen – durchkommt, ohne je Sanktionen befürchten zu müssen. In dieser Geschichte ist Ferris der Erzähler, der sich direkt an den Zuschauer wendet und ihn so an seinen Tricks und seiner Lebensphilosophie – das Leben ist schnell, deswegen muss man manchmal anhalten und sich umschauen, um es nicht zu verpassen – teilhaben lässt. Doch sein süßes Leben ist in Gefahr, weil zum einen der manisch-obsessive Direktor Ed Rooney (Jeffrey Jones) ihm endgültig das Handwerk legen will, zum anderen Ferris‘ Schwester Jean (Jennifer Grey) aus Eifersucht in Versuchung geführt wird, ihn zu verraten. Hughes bezieht die Spannung hier vor allem aus der Frage, ob Ferris auch am Ende seines spektakulären Tages noch weitermachen kann mit seinem Lotterleben oder ob er als Betrüger enttarnt werden wird. Das I-Tüpfelchen auf dieser von ihrem grandiosen Timing lebenden Geschichte ist die Darbietung von Jeffrey Jones, der sich als eifriger, aber glückloser Rooney an Ferris die Zähne ausbeißt und im Verlauf der 90 Minuten eine Demütigung nach der anderen erfährt. Jean fungiert als Spiegel für Rooney: Auch sie sagt immer wieder, wie sehr sie ihren Bruder hasse, doch erkennt sie schließlich, dass sie selbst das Zentrum ihrer Probleme ist: Sie ist unzufrieden mit der eigenen Mittelmäßig- und Mutlosigkeit. Rooney ist von dieser Selbsterkenntnis ausgenommen. Er hat die verhängnisvolle Abfahrt zum Durchschnitt schon vor Jahren genommen, eine Kurskorrektur ist für ihn nicht mehr möglich.

Die andere Geschichte erzählt von Ferris‘ bestem Freund Cameron, einem neurotischen Jungen aus wohlhabendem Hause, der unter dem Materialismus seiner Eltern zu leiden hat. Der ganze Stolz seines Vaters ist der seltene Ferrari, den dieser hütet wie seinen Augapfel, während er für seinen Sohn nie Zeit und noch weniger Zuneigung übrig hat. (Bezeichnenderweise bekommt man weder den Vater noch die Mutter zu Gesicht.) Cameron – der zu Beginn des Films im Gegensatz zu Ferris tatsächlich krank im Bett liegt – wird nun von seinem Freund dazu überredet, mit ihm den Tag zu verbringen. Gemeinsam tricksen sie Rooney aus, sodass Freundin Sloane ebenfalls von der Schule befreit wird, und begeben sich ausgerechnet in des Vaters Ferrari auf Vergnügungstour durch Chicago, die sie auf die Aussichtsplattform des mittlerweile nur noch zweithöchsten Gebäudes der Welt, des Willis Towers, zu einem Spiel der Chicago Cubs, in ein teures Restaurant, ein Kunstmuseum und einen Straßenumzug führt. Der Tag endet für Cameron mit einem traumatischen Schock, als er erkennt, dass sich die Spritztour vor dem Vater kaum verheimlichen lassen wird. Er zerstört (aus Versehen) das Auto und beschließt, seinen Vater offen zu konfrontieren, zum ersten Mal in seinem Leben nicht den Kopf einzuziehen, sondern seine Probleme auszusprechen und anzugehen. Es ist vor allem der Abgleich mit seinem Freund Ferris, der auf jedes Problem eine Antwort hat, weil er furchtlos ist und deshalb stets handlungsfähig bleibt, der ihn – parallel zu Jean im anderen Handlungsstrang – zur Selbsterkenntnis führt. Aber Hughes geht noch weiter: Der Film bietet durchaus die Möglichkeit, Ferris als rein imaginären Freund Camerons zu interpretieren, weil Ferris so überzeichnet und idealisiert gezeichnet wird, dass er gegenüber Cameron kaum noch als realistische Figur wahrgenommen werden kann. Ferris steht über den Dingen und er kann als einziger die Grenze zum Zuschauer überwinden, so als sei er nicht an die dargestellte Welt gebunden. Demzufolge kann er auch die Grenzen von Zeit und Raum überwinden: Die Sightseeingtour der drei Freunde ließe sich unmöglich an einem einzigen Tag absolvieren. Weil Camerons Entwicklung vor allem ein innerer Prozess ist – angezeigt durch die katatonische Schockstarre, in die er kurz vor Ende fällt –, sich nicht in Slapstick und Action entäußert wie im Falle Jeans und Rooneys, muss sich Cameron am Schluss wie bei THE BREAKFAST CLUB in einem überdeutlichen Monolog erklären und seinen Entschluss äußern, dem Vater die Stirn zu bieten und somit seine Geschichte verbal beenden. Doch anders als bei Hughes‘ Vorgängerfilm bricht dies dem Film nicht das Genick: Zum einen, weil es das passende Ende für den eher kopfgesteuerten Cameron ist, zum anderen, weil es den aktionsgeladenen zweiten Strang als Kontrast gibt.

FERRIS BUELLER’S DAY OFF ist ein Film voller solcher Gegenüberstellungen und Dualismen. Ferris und Cameron, Jean und Rooney, Jean und Ferris, Ferris und Rooney, Freiheit und Zwang, Leben und Angst, Schule oder Blaumachen. Und eben um Längen besser als der meist bevorzugte THE BREAKFAST CLUB.