wall street (oliver stone, usa 1987)

Veröffentlicht: Oktober 16, 2015 in Film
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Oliver Stone war früher, während meiner Teenagerzeit und auch noch später, während meines Studiums, einer meiner absoluten Lieblingsregisseure, NATURAL BORN KILLERS ein Film, der die Art und Weise, wie ich Film wahrgenommen habe, komplett veränderte. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren fand dann aber eine zunehmende Entfremdung statt: Stones aufklärerischer, pädagogisch-didaktischer Impetus stößt mir heute eher sauer auf. Oder vielmehr: Er langweilt mich ein bisschen. Ich finde, dass zahlreiche der schöpferischen Möglichkeiten, die Film bietet, ungenutzt bleiben, wenn man ihn lediglich als Vehikel zum Transport einer wie auch immer gearteten Botschaft begreift. Es gibt nicht viel Bewegungsmöglichkeit in Stones Filmen, keine Zwischenräume und kein Zwielicht, nur Ja und Nein, Zustimmung oder totalen Widerspruch. WALL STREET ist demzufolge der erste Film von Stone, den ich nach SAVAGES gesehen habe, dem ebenfalls schon eine langjährige Abstinenz vorausging, die bis ins Jahr 2009 zurückreicht, als mal wieder NIXON dran gewesen war. Und was soll ich sagen: Es war schön.

WALL STREET stammt aus einer Zeit, als Stone ja noch den „jungen Wilden“ zugerechnet werden konnte. Mit PLATOON hatte er eben erst seinen großen Durchbruch gefeiert und das Bild, das man von ihm und seinen Filmen hatte, war längst noch nicht so scharf konturiert, wie es dann wenige Jahre später der Fall sein sollte. Auch WALL STREET hat natürlich ein Thema, lässt keinen Zweifel daran, wo Stones Sympathien liegen, dennoch geht der Regisseur meines Erachtens deutlich spielerischer und entspannter mit seinem Sujet um, als man es einem Mann mit Mission gemeinhin zubilligt. Der Film ist spannend, witzig und schlagfertig und für jemanden mit einem derart ausgeprägten Achtzigerjahre-Fetisch, wie ich ihn habe, eine Offenbarung. Das Tempo, das Stone anschlägt, um eine erzählerische Entsprechung zur Hektik der Börsenwelt mit ihren im Sekundenrhythmus reinrauschenden Gewinn- und Verlustmeldungen, enthemmt durcheinander schreienden Brokern und klappernden Tastaturen zu finden, erinnert fast schon an Billy Wilder oder Howard Hawks. In deren Gesellschaft ist WALL STREET eh gut aufgehoben, wenngleich Stone sich von den beiden Genannten durch seinen ungebrochenen Idealismus abhebt: Bei ihm bekommt der böse Spekulant Gordon Gekko (Michael Douglas) am Ende sein Fett weg und der reuige Held Bud Fox (Charlie Sheen) muss immerhin Buße tun, um für seine Taten zu bezahlen.

Auch der Auftakt erinnert etwas an die überdrehten Screwball-Komödien der Dreißigerjahre: Sinatra trällert „Fly me to the Moon“ (OK, ol‘ blue eyes sang seine Lieber erst etwas später), während Impressionen des erwachenden Manhattans über die Leinwand flimmern. Doch statt des sentimental aufgeladenen Sepiatons alter Fotografien ist es ein Eighties-typischer Farbfilter, der alles in ein bronze glänzendes Braun taucht. Auch die Bilder der im Anzug auf die Straßen und in die Bürotürme eilenden Menschen sind nicht mehr von jener enthusiastischen Lebendigkeit geprägt, keine ermutigende Vision des Realität gewordenen amerikanischen Traums, sondern erinnern fatal an die Visionen Romeros, der in DAWN OF THE DEAD amerikanische Bürger zeigte, die als Zombies in einer ewig währdenden Simulation ihres vergangenen Alltags gefangen sind. Das „geschäftige Treiben“ hat in WALL STREET kannibalistische Züge angenommen und darum geht es ja dann auch: um das survival of the fittest an der Börse, das als „Überleben der Stärksten“ nur unzureichend übersetzt ist. Denn nicht  der stärkste gewinnt, sondern der gierigste, abgebrühteste, skrupelloseste, der, der Moral und abendländische Werte verwirft und nur noch dem Paradigma des Kapitals folgt, nach dem eben der im Recht ist, der am meisten hat.

Der Film ist auch ein Duell seiner beiden Hauptdarsteller. Michael Douglas legte hier den Grundstein für seine Karriere als Arschloch vom Dienst und spricht die grandiosen, geschliffenen Mono- und Dialoge von Oliver Stone mit gespaltener, aber rasender Zunge. Es macht Freude ihm zuzusehen, weil er sich vom Tempo des Films mitreißen lässt und es in seinen Szenen selbst noch forciert. Charlie Sheen hat den uninteressanteren Part als staunender Grünschnabel und die Freude an seiner Darbietung resultiert nicht zuletzt an der Kluft zwischen diesem „unschuldigen“ Jungerwachsenen von einst, der erst durch die Versuchung durch einen mephistophelischen Bösewicht abfällt, und dem Wissen um sein heutiges drogenfressendes, nuttenverschleißendes Ich. Diese klare Figurenkonstellation ist aber auch die Crux des Films: Stone sieht die Probleme nicht so sehr im Kapitalismus an sich, sondern erst im Missbrauch durch schurkische Brutalkapitalisten vom Schlage Gekkos. Während ein Lou Mannheim (Hal Holbrook) als Generator altersweiser, humanistischer Aphorismen den traditionsbewussten Kaufmann alter Schule verkörpert, zitiert Gekko die kriegsstrategischen Leitsätze Sun Tzus. Es schwingt schon auch ein bisschen Bewunderung für die Abgewichstheit der Gekkos dieser Welt mit. Aber das trägt ja eigentlich nur dazu bei, WALL STREET zu einem der quintessenziellen Filme der Achtzigerjahre zu machen.

Kommentare
  1. Mr. Majestyk sagt:

    Ich glaube es war Polanski der mal sagte, hätte er eine Botschaft zu versenden, dann würde er es mit der Post tun.

    Im Grunde habe ich gar nichts dagegen, wenn Filme eindeutig Stellung beziehen, also eine „Botschaft“ vermitteln. Nur mag ich mich nicht fühlen als säße ich an einem Schülerpult und vorne an der Tafel erklärt mir ein Oberlehrer wie die Welt funktioniert. In die Richtung hat sich Stone leider ein wenig entwickelt, das stimmt schon. Was ich z.B. von SAVAGES halten soll weiß ich nach zweimaligem sehen immer noch nicht so ganz, dabei verschlinge ich Winslows Romane nahezu. Allerdings habe ich zu Jahresbeginn PLATOON und JFK neu gesichtet, die mir beide auf ihre Art wieder gut gefielen. Deine Besprechung hat jetzt richtig Lust geweckt WALL STREET (einen DER Filme der 80er) neu zu entdecken und TALK RADIO kam mir auch gleich in den Sinn. Muss die wohl mal auf meinem Einkaufszettel notieren.

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