we die young (lior geller, bulgarien/usa 2019)

Veröffentlicht: Oktober 20, 2019 in Film
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Jean-Claude Van Damme fühlt sich in den Sad-Sack-Rollen, die ihm nun seit rund zehn Jahren immer wieder zugetragen werden, offenkundig so wohl wie in einem schlabberigen Jogginganzug, der mindestens genauso viele Knitterfalten hat wie sein Gesicht. In WE DIE YOUNG spielt er Daniel, einen kriegsversehrten Veteranen des Afghanistan-Feldzuges, der sich als Kfz-Mechaniker verdingt, bei einer Bombenexplosion seine Stimme verlor und außerdem eine Lungenverletzung erlitt, die ihn zur regelmäßigen Einnahme harter Schmerzmittel zwingt, die er dem jungen Lucas (Elija Rodriguez) abkauft. Lucas wiederum ist einer der Kuriere der elsalvadorianischen Gang, die die Vorstadtstraßen Washingtons beherrscht und ein blutiges Regiment führt. An der Spitze der Gang steht Rincon (David Castañeda), ein gesichtstätowierter Melancholiker, mit dem man keinen Streit haben möchte. Als Lucas‘ kleiner Bruder in die Gang aufgenommen werden soll, beschließt der Junge, dass es Zeit für den Ausstieg ist, was Rincon naturgemäß gar nicht gefällt. Es kommt zur Hetzjagd auf den Jungen, bei der ihm Daniel schließlich mit all seiner Erfahrung zur Seite steht.

WE DIE YOUNG scheitert ein wenig an seinen hohen Ambitionen. Regisseur und Drehbuchautor Lior Geller, dessen Debüt-Kurzfilm ROADS den Rekord als meistausgezeichneter Studentenfilm hält, wollte viel mehr schaffen als „nur“ einen Actionfilm. Sein Vorbild dürfte John Singletons BOYZ N THE HOOD gewesen sein, denn wie dieser wirft Geller mit WE DIE YOUNG einen Blick auf die amerikanische Realität des Gangwesens, erzählt eine bewegende Coming-of-Age-Geschichte um den Ausstieg eines Jungen aus dem Sumpf, der ihn umklammert, gibt einen Kommentar zu den außenpolitischen Unternehmungen Amerikas ab, das er mit Elementen des Heimkehrerfilms verbindet, und verpackt das alles in einen innerhalb weniger Stunden spielenden Reißer mit zahlreichen Gewaltszenen, Schießereien und Verfolgungsjagden. Der Versuch ist aller Ehren wert und WE DIE YOUNG hebt sich vom typischen, gleichförmigen DTV-Klopper durchaus wohltuend ab, aber am Ende ist das Stück, das Geller von der Wurst abbeißt, dann doch einfach zu groß.

Das zeigt sich gut an der Rolle Van Dammes, dessen Darbietung als traumatisierter, körperlich behinderter Veteran umso bemerkenswerter ist, als die Figur über eine Ansammlung vager Klischees kaum hinauskommt. Es fehlen jegliche spezifische Details, die diesen Daniel zu einem dreidimensionalen, lebendigen Charakter machen würden. Das zeigt sich besonders deutlich am Schluss, wenn das „Rätsel“ um die Ursache seines Traumas aufgelöst wird, das bis zu diesem Zeitpunkt in Form von nicht weiter identifizierbaren Rückblickfetzen angedeutet wurde: Es zeigt sich, dass Daniel in Afghanistan aus Versehen ein Kind erschossen hatte und über dem Schock schließlich in die Explosion geraten war, die ihm die Stimme kostete. So wie der Film das präsentiert, wirkt das aber nicht wie eine echte Erfahrung, sondern lediglich wie ein Platzhalter, den man vergessen hat, mit Leben zu füllen. Das große Finale, ein Shootout, in den die Polizei die Gangmitglieder verwickelt, koinzidiert mit der Hochzeitsfeier von Rincons Schwester, die natürlich eine tödliche Kugel abbekommen muss, zum einen,um Rincon zu bestrafen, zum anderen, um seinen Zorn auf Lucas noch einmal zu vergrößern. Auch das ist sofort als Drehbuchkniff zu enttarnen, der umso billiger ist, als die Schwester nie wirklich Gestalt annehmen darf, nur als vage Manifestierung von Rincons Bruderliebe existiert. Stark ist WE DIE YOUNG hingegen in der Skizzierung seines Schauplatzes und des Milieus, in dem er spielt. Hätte sich Lior Geller ganz auf den „Arbeitsalltag“ des Drogenkuriers Lucas konzentriert, der mit seinem Fahrrad verschiedene Kunden ansteuert und im Dienste seines Chefs Aufträge ausführt, wäre sicher mehr dabei herausgekommen. So wird WE DIE YOUNG gegen Ende immer zerfahrener und das zum Dabeibleiben nötige emotionale Investment wird durch allzu viele oberflächliche Klischees verhindert. Für Van-Damme-Fans ist der Film aber trotzdem sehenswert und als schlecht würde ich ihn auch nicht bezeichnen.

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