Mit ‘Animationsfilm’ getaggte Beiträge

In den vergangenen Wochen hat sich das Werk des 87-jährigen Aachener Maschinenschlossers-gone-Filmregisseur Bruno Sukrow vom gut gehüteten Familiengeheimnis zum cineastischen Insidertipp gemausert. Rainer Knepperges verlieh seiner Begeisterung in einem schwärmerischen Blogeintrag Worte, Olaf Möller gelang es gar, einen Film des „Filmbastlers“ ins Programm des renommierten Filmfestivals Rotterdam zu hieven. Weil auch auf Hard Sensations regelmäßig über Sukrow und seine Filme geschrieben wird, im vergangenen September gar ein vielbeachtetes Interview dort erschien, möchte ich mich zur Einführung hier kurz fassen: Bruno Sukrow, früher begeisterter 8-mm-Urlaubsfilmer, stieß auf der Suche nach einem Hobby vor einigen Jahren auf das Animationsprogramm iClone, das es dem User gestattet, mithilfe vorgegebener oder zukaufbarer, dann beliebig kombinierbarer Figuren und Requisiten eigene Filme zu inszenieren. Seitdem bastelt Sukrow Tag und Nacht an diesem Programm, hat gewissermaßen ständig einen Film in der Mache. Die von seiner Vorliebe für pulpige Groschenheftromane inspirierten Werke – derzeit existieren wahrscheinlich um die 30 – werden abschließend von Sukrow höchstselbst und einem kleinen Kreis von Familienmitgliedern und Freunden synchronisiert und gelangen dann im kleinen Rahmen in Aachen zur Aufführung, nachdem sie jahrelang der Sukrow-Familie vorbehalten waren, quasi als fantasievollere Variante zum Diavortrag. Das ist für sich genommen schon eine wunderbare Geschichte, die Mut für das eigene Älterwerden macht: Noch besser wird sie dadurch, dass die Filme Sukrows – soweit ich das nach der Sichtung von MARTINS FEUER beurteilen kann – wirklich genauso toll sind, wie es bisherige Eingeweihte schon die ganze Zeit beschwören. Ich muss zugeben, zunächst skeptisch gewesen zu sein, ob Sukrows Filme auch für mich als Außenstehenden funktionieren würden. Auch etwas Angst schwang da mit, schließlich ist Alex Klotz, gewissermaßen Bruno Sukrows Max Brod, ein guter Freund und Kollege, den ich nur ungern verprellt hätte. Die Sorge erwies sich als unbegründet, denn MARTINS FEUER ist zauberhaft, in der internationalen Filmlandschaft absolut singulär und macht immense Lust auf weiteren Stoff.

Sehr geschickt und mit vielen kleinen biografischen Details und bedeutungsvollen Andeutungen gespickt, verbindet Sukrow die Geschichte um den an Albträumen von Hexenverbrennungen leidenden Martin mit einem klassischen Kriminalfall um den Mord an einem Psychologen. Sukrow zeigt ein beeindruckendes natürliches Erzähltalent, folgt jedoch nicht bloß etablierten Genreformeln, sondern weiß instinktiv, wann er diese zu beugen oder zu brechen hat. Der unorthodoxe, durch die Computersoftware bedingte visuelle Stil und die Amateursynchro mit heftigem mundartlichen Einschlag verleihen Sukrows Filmen darüber hinaus ihren unnachahmlichen, speziellen surrealistischen Charme. Die Figuren bewegen sich verlangsamt, wie unter Wasser, hier und da gibt es kleine Bugs, die die träumerische Atmosphäre noch verstärken. Im Stile alter B-Filmer muss Sukrow diese Fehler und Limitierungen in seine Arbeit einbinden oder aber um sie herumarbeiten. Das von der Software angebotene Inventar verleitet ihn oft zu kleinen Spielereien, in denen eine große Detailverliebtheit aber auch ein feiner Humor zutage treten, etwa wenn eine Ente in aller Seelenruhe und quietschvergnügt durch einen sonst drögen Establishing Shot watschelt. Oder wenn die einzige Kamerafahrt des Films, der Tracking Shot einer Fahrradfahrerin, in der von Sukrow unnachahmlich intonierten Dialogzeile „Ich fahre nur noch kurz Getränke holen!“ kulminiert. Humor ist überhaupt immens wichtig für MARTINS FEUER. Sukrow verfügt über die Fähigkeit zu gesunder Selbstironie, weiß um den kruden Charme seiner Bilderwelten und dass diese einer Prise Humor bedürfen. Dennoch hat man nie den Eindruck, da distanziere sich ein Filmemacher von seinem Werk, wolle sich gewissermaßen gegen den Vorwurf technischer Unzulänglichkeiten absichern. Der Regisseur weiß um die Grenzen, aber auch um die Stärken seiner Mittel und akzentuiert sie sehr geschickt. Das unterscheidet ihn auch von den unsäglichen Vertretern etwa des Amateur-Splatterfilms, die einfach drauflosdrehen und vom Zuschauer erwarten, er teile ihre Freude und Begeisterung am Selbermachen ganz automatisch. Bruno Sukrow geht auf seine Zuschauer zu, er lockt sie auf sein Narrenschiff und macht es ihnen leicht, sich auf seinen Stil einzulassen, ohne jedoch von diesem abzulenken. Vielleicht sind Avantgardismus und Unterhaltung noch nie eine so innige Bindung eingegangen wie in MARTINS FEUER.

 

Auf dem Mond trifft Baron Prásil (Milos Kopecky) einen vermeintlichen Mondmenschen, der sich jedoch als Astronaut und Naturwissenschaftler Tonik (Rudolf Jelinek) entpuppt. Um ihm die Wunder der Erde nahezubringen, reist der Lügenbaron mit ihm erst nach Konstantinopel, wo sie die Prinzessin Bianca (Jana Brejchová) befreien und daraufhin vor den Türken fliehen müssen. Sie landen schließlich auf einem Schiff, legen sich mit der türkischen Armada an, werden von einem Wal geschluckt und geraten schließlich mitten in einen Krieg …

Karel Zemans Verfilmung der Abenteuer des Lügenbarons Münchhausen ist vor allem ein ästhetischer Triumph: Basierend auf den berühmten Stahlstichen Gustav Dorés und mithilfe verschiedener Animationstechniken lässt Zeman nicht nur die Geschichten des Barons aufleben – die von der historischen Figur Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen tatsächlich selbst erzählt worden waren, bevor verschiedene Literaten sie dann verarbeiteten und für ihre Verbreitung sorgten –, er nähert sich filmtechnisch auch der Zeit ihrer Entstehung an. Denn obwohl Zemans Film aus dem Jahr 1962 stammt, wirkt er wie ein historisches Dokument aus der Zeit, als die Bilder mithilfe heute vorsintflutlich wirkender Geräte laufen lernten. Der innersequenzielle Schnitt ist von ebenso untergeordneter Bedeutung wie die Kameraarbeit, die die Abenteuer Münchhausens in überwiegend statischen Tableaus einfängt. Das Bild ist je nach Stimmung der jeweiligen Szene in monochromes Gelb oder Blau gehüllt und die Schauspieler agieren in Szenerien, die eben zum Großteil der „Feder“ Dorés entstammen, also innerhalb gezeichneter Settings, die durch „reale“ Bauten oder Landschaften vervollkommnet werden. Die so vor dem Auge des Betrachters entstehenden Kunstwelten werden durch eine Vielzahl von Spezialeffekt-Techniken ergänzt, die von simplen Doppelbelichtungen über scherenschnittartige Animationen bis hin zu Stop-Motion reichen. Das Ergebnis ist absolut einzigartig: BARON PRÁSIL wirkt wie aus der Zeit gefallen. Vielleicht kann man ihn als ein Simulakrum im Baudrillard’schen Sinne verstehen, als eine Kopie ohne Original: Er scheint einen historischen Stil zu kopieren, der in dieser Form jedoch nie existiert hat, ja, der erst dank der 1962 verfügbaren Tricktechnik überhaupt denk- und realisierbar war. Ein nahezu perfekter Rahmen für die Lügengeschichten Münchhausens, in denen sich Wahres, Halbwahres und Erlogenes nicht eindeutig von einander trennen lassen.

Aber BARON PRÁSIL hat durchaus noch mehr zu bieten als avancierte Form: Mit seinem feinen Humor zeichnet Zeman Münchhausen als idealtypischen Vertreter preußischen Herrenmenschentums und aristokratischer Arroganz. Seine Lügengeschichten sind nicht bloß Ausdruck unschuldiger Fabulierfreude, vielmehr schlägt sich in ihnen eine recht exklusive Sicht auf die Welt nieder, die der Adlige für sich gegenüber dem unterprivilegierten Fußvolk in Anspruch nimmt. Beim Klang einer einschlagenden Kanonenkugel gerät er nicht etwa in Unruhe über die drohende Gefahr: Vielmehr freut er sich über das Geräusch, ist es ihm doch untrüglicher Beweis dafür, dass das geliebte Europa nun nicht mehr weit weg ist. Die tatsächlichen naturwissenschaftlichen Errungenschaften des Astronauten Tonik werden von Münchhausen als Spinnerei verlacht: Zeman markiert in der Figur des Lügenbarons die Grenze zwischen einer gewissermaßen utopisch-naturwissenschaftlichen Fantasie, die Realität werden möchte, und einer bloß ästhetischen, die den Blick auf die Wirklichkeit vielmehr versperrt, als ihn zu öffnen. Der Baron interessiert sich gar nicht besonders für die Welt, die ihn umgibt, sie dient ihm lediglich als Stichwortgeber für seine Geschichten. Und was er nicht begreift, das kann auch nicht so wichtig sein. Dass Prinzessin Bianca sich in den Forscher verliebt, einen in seinen Augen langweiligen Arbeiter, und nicht in ihn, den eleganten Freigeist, ist ihm demzufolge unbegreiflich. Und natürlich ist er vor jeglicher Erkenntnis und Selbsteinsicht gefeit. Münchhausen ist der perfekte Narziss. Und Zeman hat ihm mit BARON PRÁSIL eine filmische Wunderwelt geschaffen, in der es so leicht ist, auf die schnöde Realität zu pfeifen. Kein Wunder, dass sich Terry Gilliam – dessen Animationsstil man hier manchmal wiedererkennt – von der Sichtung dieses Films inspiriert wurde, auch seine Vision von Münchhausen auf die Leinwand zu bringen. Er gab dem Lügenbaron dann aber die Unschuld zurück, die Zeman ihm genommen hatte. Welcher Version des Lügenbarons man vorzieht, dürfte Geschmackssache sein. Dass BARON PRÁSIL aber einer der schönsten Filme überhaupt sein dürfte, daran besteht für ich kein Zweifel.

Satsuki und ihre kleine Schwester Mei ziehen mit ihrem Vater in ein altes Haus auf dem Land, um in der Nähe des Krankenhauses zu sein, in dem die kranke Mutter behandelt wird. Bei ihren Erkundungsgängen in die umgebende Natur macht die kleine Mei Bekanntschaft mit Totoro, einem riesengroßen, pelzigen, freundlichen Waldgeist, mit dem sich die Mädchen schließlich anfreunden. Als ein beunruhigendes Telegramm aus dem Krankenhaus eintrifft, läuft Mei von zu Hause weg. Satsuki sucht kurz entschlossen Totoro auf, damit er ihr bei der Suche behilflich ist …

Bei den Eltern musste unsere Tochter Selma ja ein Filmfan werden. Und weil wir daher in den letzten Monaten eine schwere Überdosis Pixar, Disney und Dreamworks erhalten haben, war ich froh, als mir einfiel, dass ja noch ein paar von arte aufgenommene Miyazakis im Schrank lagen. TONARI NO TOTORO, von dem ja eigentlich jeder schwärmt, der ihn gesehen hat, war definitiv die richtige Wahl: Ich weiß nicht, ob Papa den nicht sogar noch eine Spur schöner, lustiger, trauriger, süßer und besser fand als die kleine Selma. Tatsächlich ist dieser Film ein Glücksfall sondergleichen, einer, der keine Fragen offenlässt und dennoch nicht alle Geheimnisse offenbart; einer, der ausschließlich in Bildern erzählt, der keinen konstruierten Plot mehr darüber stülpen muss, um Einheit zu suggerieren; ein Film von großer stilistischer Sicherheit; einer, der in jeder Sekunde die Weisheit seines Machers erkennen lässt. TONARI NO TOTORO ist ein Film über die kindliche Fantasie und über Fantasie überhaupt. Über den Respekt vor der Natur, die Demut vor Schöpfung, darüber, dass der Mensch nicht allein auf der Welt ist, dass es um ihn herum zahlreiche Dinge gibt, die er nicht versteht. Darüber, wie er Sinn in die Welt bringt, indem er ihr aufgeschlossen gegenübertritt, seine Sinne nicht von kalter, starrer Vernunft vernebeln lässt. Und diese Haltung gegenüber den Dingen übernimmt man nur zu gern, weil Miyazakis Film selbst ein ungeahntes Maß an Leben und Lebensfreude ausstrahlt. Man vergisst tatsächlich, dass man einen Film, einen Trickfilm noch dazu, sieht: TONARI NO TOTORO ist wie ein Fenster in eine Realität, aus der alles Kalkül, jede Schablone abgezogen wurde, und die man daher in absoluter Klarheit sieht. Die Bilder, die Musik: Man kann sich diesen Film schlicht nicht anders vorstellen. Alles ist so perfekt, ohne dabei jemals klinisch, leblos oder unspontan zu wirken, wie das bei „perfekten“ Filmen allzu oft der Fall ist. Miyazaki erreicht diese Perfektion, weil sich sein Gestaltungswille immer seinen Protagonisten unterordnet. Es sind Satsuki und Mei, die den Rhythmus des Films bestimmen, die die Regeln machen, denen er folgt, die den Blick des Films konstituieren: den Blick von Kindern, die die Welt erst noch verstehen lernen, denen menschliche Hybris fern ist, weil sie nur den grenzenlosen Himmel, turmhohe Wolken und majestätische Bäume sehen. Ja, TONARI NO TOTORO ist in gewisser Hinsicht ein Film über den Himmel, Wolken und Bäume. Und nie sahen sie schöner aus als hier. Ein Traum.

Vor Jahren schwor Mr. Fox (George Clooney) seiner Gattin (Meryl Streep), sein Leben nicht mehr bei der Hühnerjagd zu riskieren. Doch das folgende beschauliche Leben als Kolumnist einer Zeitung und Vater des schwer pubertierenden Ash (Jason Schwartzman) hält nur wenig Herausforderungen und Befriedigung für den geborenen Räuber bereit. Der letzte große Coup, ein dreifacher Überfall auf die Höfe der bösartigen Bauern Boggis, Bunce und Bean, soll alte Lebensgeister wecken. Doch stattdessen bringt Mr. Fox sich, sein Familie und alle anderen Tiere in Gefahr …

Im Vorfeld von THE DARJEELING LIMITED war ich mir nicht sicher, ob ich mich zu den Anderson-Verehrern oder doch eher zu den -Verächtern zählen sollte. Der wunderbare Film zerstreute dann jeden Gedanken an eine zuvor unterstellte mögliche Substanzlosigkeit oder einen leeren Manierismus. Klar, wer schon den Untergang des Abendlandes oder der künstlerischen Integrität wittert, bloß weil ein iPod ins Bild gerückt wird, der soll sich von Andersons Filmen besser fernhalten: Ein solcher Griesgram wird mit seinem Stilwillen und seinem moralischen Ästehtizismus eh nix anfangen können. Auch FANTASTIC MR. FOX ist zunächst mal eine sinnliches Erlebnis: Die Idee, Dahls Vorlage mithilfe vermeintlich altmodischer Puppenanimation zum Leben zu erwecken, ist so großartig wie sie eigentlich auf der Hand liegt, und ihre Umsetzung so reich und lebendig, dass die ganzen aufgeblasenen 3D-Animationsschinken mit ihrem Einheitslook daneben komplett seelenlos wirken. Trotzdem ergeht sich Anderson nicht in barockem Kitsch, heimeliger DIY-Romantik oder Früher-war-alles-besser-Nostalgie: Diese seltsam unterkühlte Atmosphäre, die mir vor allem daher zu rühren scheint, dass Emotionen bei ihm selten nonverbal, sondern meist in den eloquenten Dialogen zum Ausdruck kommen, verhindert ein allzu bequemes Disney-Gefühl und macht FANTASTIC MR. FOX – aller familienkompatibler Message zum Trotz – zu einem unverkennbar modernen Film. Und zu einem ungemein witzigen obendrein.

Der Mangazeichner Nishi kehrt nach Jahren in seine Heimatstadt zurück und trifft dort auf seine Jugendliebe Myon, die jedoch mittlerweile mit dem langweiligen Einfaltspinsel Ryu verlobt ist. Als Nishi bei der Begegnung mit zwei Yakuza-Gangstern kurzerhand erschossen wird, in den Himmel gelangt und dort vom lieben Gott mit der Armseligkeit seines Daseins konfrontiert wird, trotzt er ihm eine zweite Chance ab: Zurück auf der Erde kann Nishi sich seines „Mörders“ selbst entledigen, die anschließende Flucht führt ihn, Nyon und deren Schwester Yan jedoch nicht in Sicherheit, sondern in den Bauch eines gigantischen Wals, in dem auch ein greisenhafter älterer Mann seit 30 Jahren sein Dasein fristet. Nachdem es den Vieren zunächst ganz gut gelingt, sich mit der misslichen Situation zu arrangieren, reift in ihnen der Wunsch, sich aus dem Schlund des Tieres zu befreien …

Pixar, eat you heart out! MAINDO GÊMU, was nichts anderes als „Mind Game“ bedeutet (so auch der internationale Verleihtitel), beweist eindrucksvoll, dass Animationsfilm weitaus mehr leisten kann als langweilige technische Perfektion und das Wiederkäuen längst ausgereizter 08/15-Plots. Masaaki Yuasas Film ist ein rasanter Trip, eine ästhetische Tour de Force, bei der ein genialer und (irr)witziger Einfall den nächsten jagt, ohne dass dabei das große Ganze aus dem Blick geraten würde. Statt kantenloser 3D-Animationen gibt es unter Koffeineinfluss hingeworfene, aber stets liebevolle Zeichnungen, die in ihrer Lebendigkeit manchmal ein wenig an Bill Plympton erinnern und hier und da mit verfremdetem Film- und Fotomaterial oder psychedelischen Farbexplosionen angereichert werden. Yuasa frönt in der Akkumulation seiner Bilder dem Vertical Cutting, springt in die Gedanken seiner Figuren, zerdehnt die Zeit, lässt sie ganz stehenbleiben oder beschleunigt sie auf Höchstgeschwindigkeit und jongliert mit den Zeitebenen als wäre das nichts. Das eigentliche Wunder besteht jedoch nicht darin, wie er diese schier unendliche Flut an Ideen umsetzt, sondern darin, dass MAINDO GÊMU immer nachvollziehbar bleibt und wie aus einem Guss wirkt, anstatt in seine Einzelteile zu zersplittern. Unterstellt man manchen Filmen, dass sie wie Trips wirkten, den Zuschauer mit rauschhaften Bildern bombardierten, so bedeutet das ja nicht selten, dass sie sich in solcher experimenteller Formenvielfalt erschöpfen, aber darüber hinaus nur wenig fürs Herz bieten. Das ist bei MAINDO GÊMU komplett anders: Sein psychedelisches Spiel der Formen steht immer im Dienst der Geschichte, ob es einem nun die Figuren näherbringt oder aber schlicht neue, originelle Wege findet, das Bekannte so darzustellen, dass sich neue Persepktiven und Erkenntnisse eröffnen. Umgekehrt mindert diese Funktionalität aber niemals die rauschhafte Wirkung seiner Bilder: Selten saß ich so gebannt vor dem Bildschirm, voller Vorfreude auf den nächsten Einfall, die nächste visuelle Überraschung, die nächste komplett entfesselte Sequenz, mich ganz und gar in die Hände des Regisseurs überantwortend. MAINDO GÊMU kulminiert gegen Ende, wenn man eigentlich schon glaubt, eine Steigerung sei nicht mehr möglich, in einer ca. zehnminütigen Sequenz, die den berühmten Sternenflug aus Kubricks 2001: A SPACE ODYSSEY zur naiven Kleckserei eines Ahnungslosen degradiert: Zehn Minuten lang tritt Yuasa das Gaspedal bis zum Anschlag durch und interpretiert die Flucht seiner Protagonisten aus dem Maul des riesigen Wals als existenzielles Wettrennen, als Sieg des menschlichen Willens über die Gesetze der Natur und der Wahrscheinlichkeit: Film als Niederreißen aller einengender Grenzen, als triumphaler Bildersturm und orgiastisch-orgasmisches Formenspiel. Man hört es mir vielleicht an: MAINDO GÊMU ist wahrscheinlich das größte Filmkunstwerk, dass ich seit langer, langer Zeit gesehen habe. Die kanonisierten Meisterregisseure, ob sie nun Scorsese, Scott, Gilliam, Burton oder sonstwie heißen, können mit ihrem langweiligen, saft-, kraft- und eierlosen, sich in der Wiederholung des Immergleichen suhlendem Konsenskino genauso einpacken, wie die über Gebühr gehypten Protagonisten des neuen „Mindfuck“-Kinos, die im Regelfall doch gar nicht erst bis in das zu fickende Gehirn vordringen mit ihrem durchkalkulierten Eventmoviequark. MAINDO GÊMU ist formal revolutionär, sensationell unterhaltsam, witzig, ergreifend, spannend, herzerwärmend und bewegend.

up (pete docter/bob peterson, usa 2009)

Veröffentlicht: Januar 27, 2010 in Film
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Frage: Was hat dieser aktuelle Pixar-Animationsfilm mit einem Russ-Meyer-Film von 1976 gemeinsam?

Antwort: Den Titel. Und in beiden spielen Ballons eine wichtige Rolle.

Wieder einmal ist es Pixar nicht gelungen, einen schlechten Film zu machen. Die Exposition fasst in wenigen prägnanten Minuten das ganze Leben des mürrischen Carl und seiner geliebten Ehefrau Ellie vom ersten Treffen im Kindesalter bis zu ihrem Tod wunderbar zusammen und enthält darin schon mehr Herz und Klugheit als so mancher ganze Film und die Idee mit dem fliegenden Haus ist kaum weniger schön. Die Qualität der Animationen hat noch einmal einen kaum noch für möglich gehaltenen Satz nach vorn gemacht: Die Darstellung von verschiedenen Oberflächen (besonders Fell, Haare und Wasser) wird immer authentischer, hinzu kommt, dass nun auch der räumliche Eindruck von Entfernung annähernd perfekt simuliert wird (man beachte etwa den Blick in die Schlucht auf die in einem Fluss schwimmenden Hunde). Kurzum: UP bietet insgesamt gute, witzige, leichtfüßige und abwechslungsreiche Unterhaltung.

Jetzt kommt das Aber: Denn bei mir wollte sich zum ersten Mal keine echte Begeisterung einstellen. Warum? Die Faulheit, die sich im unkreativen Beharren auf Disney-typischen Erzählkonventionen äußert, steht in krassem Missverhältnis zu dem Aufwand, der auf der technischen Seite betrieben wird. Warum muss es in einem solchen Film immer einen Schurken geben? Warum muss sich am Ende jeder Konflikt in Luft auflösen? Und warum mündet ein doch eigentlich so herzlicher Film in einen actionlastigen Showdown, bei dem dann auf einmal sogar Menschen sterben? Die Botschaft schließlich – nicht jedem Menschen ist es gegeben, große Abenteuer zu erleben, trotzdem kann man ein erfülltes und glückliches Leben führen – hinterließ bei mir einen mehr als bitteren Nachgeschmack. Möchte man sich so etwas denn wirklich von Menschen sagen lassen, die das Glück haben, in Hollywood Millionenbeträge für die Fertigung von Animationsfilmen ausgeben zu dürfen? Ich weiß es nicht.

Wie gesagt: Eigentlich gibt es an UP nicht viel auszusetzen. Die Geschichte ist durchaus kunstfertig erzählt, der Film sieht toll aus, die Zeit vergeht wie im Flug. Aber so langsam stellt sich bei mir doch das Gefühl ein, dass das Herz, das Pixar-Filme zum Leben erweckt, eine Maschine ist.

fire and ice (ralph bakshi, usa 1983)

Veröffentlicht: Januar 13, 2010 in Film
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Ralph Bakshi zählt zu den großen Künstlern des „traditionellen“ Animations- bzw. Zeichentrickfilms: Sein FRITZ THE CAT öffnete das zu Beginn der Siebzigerjahre noch in erster Linie mit Walt Disney assoziierte Genre für Erwachsene, begründete mit dem Rotoskopie-Verfahren eine Technik, die als Vorläufer des heute als Zukunft des Kinos geltenden Motion Capturing verstanden werden darf, und versuchte sich lange vor Peter Jackson an einer Umsetzung von Tolkiens „Lord of the Rings“. Heute ist er ein bisschen in Vergessenheit geraten. Vielleicht ändert sich das mit der prächtigen DVD-Edition, die Capelight Bakshis gemeinsam mit Fantasy-Zeichner Frank Frazetta kreiertem Fantasy-Film „Feuer und Eis“ spendiert hat. Auf F.LM habe ich über Film wie DVD geschrieben. Hier geht’s lang.

LascarsDie beiden Banlieue-Bewohner Tony Merguez (Vincent Cassel) und Joe (Izm) wollen eigentlich in den Urlaub nach Santo Rico. Irrtümlich habe sie jedoch das falsche Ticket gelöst und stehen so vor dem Problem, ihren Traumurlaub neu finanzieren zu müssen. Lösung naht: Joe verpflichtet sich, beim Richter Santiepi eine Sauna einzubauen – nicht zuletzt, weil er mit dessen Tochter Clémence (Diane Kruger) anbändeln möchte –, Tony nimmt dem brutalen Dealer Zoran (Gilles lelouche) fünf Kilo Haschisch ab, das er verkaufen will. Natürlich gibt es reihenweise Schwierigkeiten: Joe zerstört das halbe Haus des Richters und Tony verliert das Dope, hat somit bald Zoran im Nacken und muss sich zudem mit seiner Freundin herumschlagen, die sich als Polizistin entpuppt …

LASCARS ist ein Animationsfilm, der von seiner Mischung aus expressiv gezeichneten Figuren und im 3D-Verfahren animierten Hintergründen lebt, von den dank der ausgezeichneten Sprecher sehr lebendig und authentisch rüberkommenden Figuren und den skurrilen und witzigen Situationen, in die er seine Charaktere treibt. Der fett pumpende Hip-Hop-Soundtrack tut sein übriges und so bietet LASCARS witzige Unterhaltung, die sich vom US-Animatiosneinerlei wohltuend abhebt und lediglich einige kleine Durchhänger aufzuwesien hat.

Die Erde ist seit 700 Jahren nicht mehr bewohnt, weil die Menschen sich selbst zugemüllt und somit jede Basis für ein Leben auf dem blauen Planeten zerstört haben. Zurückgeblieben sind kleine Aufräumroboter, die des Müllproblems Herr werden sollen, während ihre Schöpfer in gigantischen Raumschiffen durchs Weltall schweben. Von diesen Robotern existiert in der Gegenwart nur noch einer: Der kleine WALL•E, der unermüdlich seine Arbeit verrichtet. Eines Tages bekommt er Besuch: Ein Raumschiff setzt Eve ab, einen ungleich moderneren Roboter, der den Auftrag hat, die Erde nach Spuren organischen Lebens abzusuchen. Zwischen den beiden Maschinen entsteht eine Freundschaft, bis Eve schließlich fündig und wieder abgeholt wird. Doch WALL•E wird seine neue Freundin auf gar keinen Fall gehen lassen …

Nach dem zwar wunderschönen, erzählerisch aber doch eher traditionellen RATATOUILLE, stellt sich Pixar mit WALL•E einer neuen Herausforderung: Der Film kommt über weite Strecken ohne Dialoge aus, bietet mit dem kleinen Roboter zunächst nur eine unbelebte Hauptfigur, die aber natürlich einer zaghaften Anthropomorphisierung unterzogen wird. Trotzdem darf man die erste Hälfte von WALL•E durchaus als ungewohnt radikal bezeichnen. Sie wirkt, als habe Pixar nun jeglichen Ballast abgeworfen, die Zugeständnisse an da Reezptionsverhalten des Publikums auf ein Minimum reduziert, seine eigene Form gefunden. Die ist nicht zuletzt deshalb so überzeugend, weil sie so geschlossen erscheint: WALL•E ist ein Film über Maschinen aus der Maschine, erzeugt somit die Illusion, dass die Technik über sich selbst erzähle. Es ist wohl einer der genannten Kompromisse, dass diese Radikalität und Geschlossenheit in der zweiten Hälfte geopfert wird. Wenn die beiden Roboter an Bord der „Axiom“ gelangen, einem der gigantischen Weltraumkreuzer der Menschen, die über die Jahrhunderte vollkommen immobil geworden sind und sich ganz den sie in allen Lebenslagen bedienenden Robotern unterworfen haben, verwandelt sich die Fabel um Freundschaft zwischen Maschinen nicht nur in eine handfeste Utopie, sondern dann auch in einen Film über Menschen. So schön WALL•E auch ist – zeitweise hat es mir fast das Herz zerrissen – er leidet ein bisschen darunter, dass die Macher der Mut, so weiter zu machen wie in der ersten Hälfte des Films, verlassen hat, der Film in der zweiten Hälfte „gewöhnlicher“ wird. Dennoch: Auch dieser Pixar-Film gehört für mich in der Jahresendabrechnung wieder zu den absolut unbestrittenen Höhepunkten, wohl auch, weil sich kein anderes Animationsstudio erlauben kann, auf so vertrackte Weise widersprüchlich zu sein. Dass ausgerechnet in einem Film aus der Maschine die Technikversessenheit und die daraus resultierende Bequemlichkeit der Menschen kritisiert wird, ist schon ziemlich frech.

Im echten Leben arbeitet der Panda Po (Jack Black) im Nudelhaus seines Vaters, doch in seinen Träumen ist er ein gefürchteter Kung-Fu-Kämpfer, der mit den „Furious Five“ – Tigress (Angelina Jolie), Monkey (Jackie Chan), Viper (Lucy Lu), Crane (David Cross) und Mantis (Seth Rogen) – historische Schlachten schlägt. Als Kung-Fu-Meister Oogway (Randall Duk Kim) im örtlichen Kung-Fu-Tempel den „Dragon Warrior“ ernennen will, fällt seine Wahl ausgerechnet auf den verfressenen, trägen und tolpatschigen Po, der sich im Verlauf seiner Ausbildung durch Meister Shifu (Dustin Hoffman) als hoffnungsloser Fall entpuppt. Umso schlimmer, weil der gefährliche Tai Lung (Ian McShane) unterwegs ist, um sich an Shifu zu rächen und nur der Dragon Warrior ihn bezwingen kann. Für Po beginnt ein hartes Training …

Wem das alles jetzt schon bekannt vorkommt, der wird während der Sichtung des neuen DreamWorks-Aniamtionsfilms noch einige weitere Dèjá Vus erleben. Nicht nur, dass hier natürlich zum xten Mal die alte Leier von Selbsterkenntnis und Selbstachtung und vom American Dream, nach dem man alles erreichen kann, wenn man nur daran glaubt, abgespult wird, die ganze Prämisse erinnert außerdem fatal an Chris Farleys Abschiedsgeschenk BEVERLY HILLS NINJA, das auf deutsch mit dem tollen Untertitel DIE KAMPFWURST geadelt wurde. Aber um Inhalte geht es ja eigentlich eh nicht: KUNG FU PANDA lebt in erster Linie von seinen Animationen und den wunderschönen Bildern, an denen man sich nicht sattsehen kann. Schon die Eröffnungssequenz, deren abstarkter Stil an künstlerische Graphic Novels denken lässt, ist das Eintrittsgeld wert, und dieser Eindruck setzt sich über zahlreiche Set-Pieces hindurch fort. Das farbenfrohe Fest zur Ernennung des Dragon Warriors, der Panoramablick vom Jadepalast auf das ihm zu Fuße liegende Tal, die Flucht Tai Lungs aus seinem unbezwingbaren Kerkerverlies inmitten eines unwirklichen Gebirges, sein Kampf gegen die „Furious Five“ auf einer über einen nebligen Abgrund gespannten Hängebrücke: Jede Sequenz, jede Einstellung bietet spektakuläre Perspektiven und ist mit viel Liebe zum Detail gefertigt worden. Leider kann die Story da nicht mithalten. Sie ist ein recht einfallsloser Aufguss bereits Dagewesenen , der zudem erkennbar macht, dass Matial Arts und Fernost für Hollywood nicht mehr als Verpackung sind. Mehr als die Shaw Bros., Hongkong-New-Wave á la Tsui Hark oder Ching Siu-Tung oder auch neuere Vertreter des Martial-Arts-Kinos wie Ang Lees CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON oder Zhang Yimous HERO standen wieder einmal (und vor allem) STAR WARS, LORD OF THE RINGS oder eben Aufsteiger- und Sportlerdramen wie ROCKY Pate. Das ist nicht weiter verwunderlich, aber eben doch schade, weil es dem Film eine zusätzliche Referenzebene raubt, die ihn über seinen Unterhaltungsfaktor hinaus interessant gemacht hätte. Wollte man böse sein, müsste man gar von Assimilation oder Kulturimperialismus sprechen. Letzlich hat mir KUNG FU PANDA dann aber doch zu viel Spaß und Freude bereitet. Entlarvend allerdings, dass nach 90-minütiger Fernost-Mimikry während der Endcredits ausgerechnet „Kung Fu Fighting“ laufen musste …