14. hofbauer-kongress: oh happy day (zbynek brynych, deutschland 1970)

Veröffentlicht: Januar 6, 2015 in Film
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10858595_691208994328276_5655791815666574058_nAnna (Anne-Marie Küster), jugendliche Tochter aus bestem Hause, ist durcheinander: Die langweiligen Schulstunden verträumt sie von der Frage getrieben, was die unterrichtenden Schwestern wohl unter dem Ornat tragen. Im Wagen beim Chauffeur (Siegfried Rauch) weiß sie nicht, ob sie seine Blicke im Rückspiegel schmeichelnd oder bedrohlich finden soll. Robert (Amadeus August), ihr Jahre älterer Freund, weckt sexuelles Begehren in ihr, nimmt sie aber nur zu den Spielen des FC Bayern München mit, weicht aus, wenn sie mit ihm über ihre Bedürfnisse reden will. Und die Eltern, Unternehmerpapa (Karl Michael Vogler) und Vorzeigemama (Nadja Tiller), sind nur an ihrem Funktionieren interessiert, als es darum geht, vor dem potenzielle Geschäftspartner Siemsen (Eckart Dux) harmonische Familie vorzuspielen. Da kann man ja nur verrückt werden …

Zbynek Brynych kenne ich vor allem für seine zahlreichen Beiträge zum Serien-Dauerbrenner DERRICK, aber der gebürtige Tscheche drehte Anfang der Siebzigerjahre auch einige Kinofilme in Deutschland: DIE WEIBCHEN harrt derzeit seiner DVD-Veröffentlichung via Bildstörung, OH HAPPY DAY und ENGEL, DIE IHRE FLÜGEL VERBRENNEN drohen indes, dem Vergessen anheimzufallen. Was ich an Brynychs DERRICK-Episoden so liebe, sind seine ausgefallenen, oft jenseits jeglicher narrativer und stilistischer Konvention liegenden erzählerischen und inszenatorischen Ideen, die ins steife Korsett formelhafter Fernsehunterhaltung gepresst noch umso stärker wirken. OH HAPPY DAY, der erste seiner drei deutschen Kinofilme, belegt, dass Brynych es wohl gern noch wilder gehabt hätte, wenn man ihn hätte machen lassen. Das Coming-of-Age-Drama fällt zunächst durch den Verzicht auf eine klassische, „saubere“ und auf den Zweck zugerichtete Exposition auf: In der ersten halben Stunde, in der er seiner Protagonistin nicht von der Seite weicht, ja, ihr förmlich in den Kopf dringt, veranstaltet Brynych einen deliriösen psychedelischen Bilderwirbel, der hart mit der braungrauen Spießerwelt Nachkriegsdeutschlands kollidiert. Anna mutet mit ihren natürlichen Wünschen und Sorgen wie eine Außerirdische inmitten katholischer Lehrerinnen, kapitalistisch-ökonomischer Eltern, spießbürgerlicher Mitbürger und selbstvergessener Altersgenossen an – und kommt sich auch selbst so vor: Ein Eindruck, den die Exponate psychedelischer Pop-Art, die die Wände ihres unentschlossen zwischen Mädchenzimmer und Studentenbude pendelnden Refugiums im Haus der Eltern, mit ihren Abbildungen übergroßer Augenmünder, noch verstärken. Wenn der Film nach diesem wilden Anfangsdrittel langsam in geordnetere Bahnen läuft, gewinnt auch Anna ihren Überblick wieder, sucht nach einer nächtlichen Odyssee, bei der es sie in eine auf einer der Baustellen ihres Vaters hausende Hippiekommune und auf die Polizeiwache verschlägt – wo man mit den Jung-Erwachsenen auch nichts anzufangen weiß –, die Aussprache mit den Eltern und landet dann endlich mit ihrem Freund, der sich als kaum souveräner als sie herausstellt, im Bett eines Hotelzimmers.

Faszinierend und sofort einnehmend an OH HAPPY DAY ist diese Spannung zwischen urdeutscher Bildwelt und formaler Wildheit und Lockerheit, die man nun nicht als erstes mit deutschem Film assoziiert. Gleichzeitig hatte ich aber gerade mit den psychedelischen Anwandlungen der ersten halben Stunde einige Schwierigkeiten. Ich finde Brynych ja eigentlich immer dann am besten, wenn er den schmalen Grat zwischen mondän-distinguierter Theatralik und galliger Satire beschreitet (was er in seinen besten DERRICK-Folgen sehr oft tut). Nadja Tiller, die sich in lasziven Yogaübungen auf dem Teppich ihrer Villa räkelt, während sie mit ihrem Mann Geschäftliches bespricht, ein schmieriger, alternder Casanova mit Bleistiftschnurrbart und Raubtierlächeln in einer dunklen Gasse: Das ist der Stoff, aus dem die Brynych-Träume sind. Die in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern so modernen, mit Beatmusik unterlegten Bilderwirbel rauben dem Film aber leider etwas von seiner Singularität und wirken auf mich heute vor allem dated. OH HAPPY DAY ist als Ganzes immer noch ein ausgesprochen frisches Beispiel für das, was deutsches Populärkino zu jener Zeit im Idealfall war oder hätte sein können, aber auf mich machten gerade jene Szenen den nachhaltigsten Eindruck, in denen Brynych seine Figuren in verbalen Schlagbatausch schickt, hohle gesellschaftliche, bürgerliche Rituale erst auf die Spitze treibt und dann umkippen lässt, ohne dabei den distanzierten, aber wissenden Beobachterblick aufzugeben. Vor allem aus psychologischer Hinsicht lässt der improvisiert anmutende, bewusst offen und elliptisch gehaltene Film aber einiges zu wünschen übrig: Wenn die frech-kesse Anna ihren Vater damit konfrontiert, dass er ihre Mädchen-Verliebtheit einst nicht erwiderte, ist das aus den Trends der Sexualerziehung heraus jener Zeit vielleicht nachvollziehbar, für sie als mittlerweile nach Selbstständigkeit strebende junge Frau aber nicht. Solche Szenen sind wie aus der Drehbuchfibel diktiert und muten im freiassoziativen Fluss wie Fremdkörper an, wie ein Klammern an die Psychologie, die Brynych doch sonst kaum interessiert. OH HAPPY DAY lässt sich – nach meinem Empfinden – so auf eine Formel bringen: Er ist der Film eines starken Filmemachers, den unterwegs der eigene Mut verlassen hat.

Kommentare
  1. […] für Bild und Wissenschaft in Wissenschaft und Unterricht”, ebenso wie Zbynek Brynychs „Oh Happy Day“.  Bevor ich nun aber zum nächsten Kongressteilnehmer kommen, möchte ich noch auf Olivers […]

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