nessie, das verrückteste monster der welt (rudolf zehetgruber, deutschland 1985)

Veröffentlicht: Dezember 7, 2019 in Film
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Es ist ja doch erstaunlich, dass es auch nach 35 Jahren Filmeschauen, in denen ich vor dem Schrägen, Obskuren, Bescheuerten und Missglückten nicht gerade zurückgescheut bin, immer noch Filme gibt, die mir die Schuhe ausziehen und mir das Gehirn an die Schädeldecke nageln. Zehetgrubers NESSIE hat mich gestern beim Mondo Bizarr verstört, genervt, in die Verzweiflung getrieben, gelangweilt, fasziniert und in dieser Melange auch irgendwie begeistert (nur wiedersehen muss ich ihn erst einmal nicht). Man kann sich als denkender Mensch nur wundern, wie so etwas entsteht. Was dachten die Verantwortlichen und Beteiligten nur, als sie diesen Kram fabrizierten und dann am Ende zum ersten Mal sahen? Waren sie wirklich der Meinung, dass dieser Film mit seiner abscheulichen Titelkreatur – ohne Zweifel ein kläglich gescheiterter Versuch, sich an den im Vorjahr mit großem Erfolg gelaufenen DIE UNENDLICHE GESCHICHTE und den Kuscheldrachen Fuchur anzuhängen – den Ansprüchen des anvisierten Familienpublikums genügte? Dass er dem entsprach, was ein deutsches Kind unter vergnüglicher Unterhaltung verstand? Dass er all das war, was er ohne Zweifel sein wollte: nämlich witzig, turbulent, spektakulär, spannend, fantasievoll, rührend? Oder erkannten sie konsterniert, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes ein Monster geschaffen hatten, einen Film, der so kaputt, missraten und gestört war, dass man ihn zum Schutz der Menschheit eigentlich verbrennen oder besser noch verkapseln und ins Weltall schießen musste? Klar, die Filmgeschichte ist voll mit fürchterlich missglückten, potthässlichen Filmen, sowohl kleinen Billigheimern, bei denen das Versagen auf die Mischung aus zu wenig Geld, ungünstigen Produktionsbedingungen und mangelndem Talent zurückzuführen war, als auch Großproduktionen, bei denen nicht selten aufgedunsene Egos oder die Einmischung der Produzenten verantwortlich waren, wenn etwas unheilvoll schief ging. NESSIE liegt zwischen diesen Extremen: Zehetgruber war im deutschen Film wenn auch gewiss keine Größe, so doch ein Mann, der einige Erfolge vorzuweisen hatte und über langjährige Erfahrung verfügte. Die Besetzungsliste versammelte Profis wie Horst Niendorf, Christian Rode, Ulli Kinalzik oder Gerd Duwner, die, wenn sie auch nicht selbst als Hauptdarsteller in Erscheinung getreten waren, so doch als Nebendarsteller agiert und darüber hinaus als Synchronsprecher etlichen Stars ihre markanten Stimmen geliehen hatten. Ähnliches traf auch auf die „Jungstars“ Oliver Rohrbeck und Tobias Meister zu, die hier allerdings erneut ziemlich eindrucksvoll Zeugnis davon ablegen, warum allein ihre Stimmen zu ihrer Marke wurden. Und auch der Rest der Stabliste ist voller Professionals, die man zwar nicht unbedingt namentlich kennt, die gewiss auch nicht als Meister ihres Faches gelten, die ihr Handwerk aber ohne Zweifel verstanden. Trotzdem geht hier wirklich nichts zusammen.

NESSIE, DAS VERRÜCKTESTE MONSTER DER WELT bedient sich einerseits beim unsterblichen Mythos des Monsters von Loch Ness und verbindet das mit einem tranigen Krimiplot, grauenvoll unwitzigem Humor, hirnrissigen Gimmicks und einem haarsträubenden Monsterdesign zu einem Spektakel, das sich jedem Versuch, ihm mit den Mitteln der Sprache auf den Leib zu rücken, entwindet wie ein in zwei Teile geschnittener Regenwurm. Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich die Story, die der Film da erzählt, nicht verstanden habe. Was gewiss nicht an ihrer überdurchschnittlichen Cleverness liegt, sondern eher daran, dass das Gehirn des Betrachters nach einiger Zeit aus reinem Selbstschutz herunterfährt und nur noch Bruchteile dieses nach archaischen alchimistischen Regeln zusammengebrauten Werkes an ihn heranlässt. Es geht um die Tochter der wohlhabenden Campbell-Familie, die durch einen Unfall bei den Mackenzies landet, die in ihrer Werkstatt neben allerlei anderem Firlefanz auch ein Roboternessie zusammengeschraubt haben und damit Unfug treiben. Am Ende kommt irgendwie ein Lösegeld ins Spiel, ein verrückter Bruder (Gerd Duwner), der etwas an Teddy Brewster aus ARSENIC AND OLD LACE erinnert, und natürlich das echte Nessie, eine wahlweise lächerliche bis abscheuliche Effektschöpfung, die vom vollkommen verblendeten Marketing tatsächlich in den Mittelpunkt der Promotion gerückt und als Konkurrenz zum weiter oben erwähnten, ungleich überzeugenderen Flugdrachen Fuchur aufgebaut wurde. Nessie sieht wirklich so beschissen aus wie auf dem Bild da oben, bewegt sich, als leide es an einem schweren Gehirnschaden und macht auch solche Geräusche. Dazu ist es vollkommen nutzlos und bekommt als gerechte Strafe eine Kugel in den Hals (!), an der es aber leider nicht qualvoll verendet. Wenn man den Film im Fieber betrachtet, löst er wahrscheinlich schwere Schäden aus. Dazu wird Rohrbeck, Identifikationsfigur für das jugendliche Publikum, das NESSIE nie zu Gesicht bekam, weil es 1985 schon zu klug war, um sich eine solche Scheiße andrehen zu lassen, dazu gezwungen, sich in einer Tour in einem Jargon zu artikulieren, den Drehbuchautor Zehetgruber offenkundig für authentische Jugendsprache hielt. Es ist einfach nicht zum Aushalten. Alle, wirklich alle humoristischen Versuche des Films scheitern kläglich, was auch deshalb so schmerzhaft auffällt, weil keiner von ihnen auch nur ansatzweise homogen in die Handlung eingebunden wird. NESSIE, DAS VERRÜCKTESTE MONSTER DER WELT hat weniger Lacher als Pasolinis SALÒ O LE 120 GIORNATE DI SODOMA oder IDI I SMOTRI und besteht nahezu ausschließlich aus Schnittmüll, der bei anderen Filmen selbst aus den Outtakes und Bloopers im Bonusmaterial aussortiert worden wäre.

Hauptübeltäter des Films ist ganz ohne Zweifel Zehetgruber, der als Writer-Director wirklich keine Ausrede hat. Aber er bestätigt hier eigentlich auch nur, was man eh schon wusste, wenn man mehr als einen Film von ihm gesehen hat. Man muss seine Fähigkeit, durch einen Wink seiner geübten Hand wirklich alles leblos, träge, lauwarm und langweilig zu machen, ein graues Leichentuch über den Dingen auszubreiten, als außerordentliche Gabe begreifen. Ich kann das gar nicht wirklich beschreiben: Es passiert eine Menge dummes Zeug in NESSIE, trotzdem fühlt man sich bei der Sichtung, als würde man während eines Schneesturms mit Bleischuhen durch Teer laufen, in Richtung eines unbekannten, aber mit jedem Meter uninteressanter und sinnloser werdenden Ziels. Einmal lockert eine aus einem über den See rasenden Helikoper gefilmte Kamerafahrt das rammdösige Tempo des Films auf und diese zwei, drei Sekunden wirken wie der Zug aus der Sauerstoffflasche, nachdem man drei Minuten lang die Luft angehalten hat. Aber weil wir bei Zehetgruber sind, bleibt es bei dieser Ausnahme, geht es danach sofort weiter in diesem Trantütentempo, das an einen langweiligen Schunkelschlager erinnert, der zu langsam abgespielt wird. Ich weiß nicht, ob Zehetgruber einfach nur schlampig war: Er war deutlich zu lang im Geschäft, als dass man seine Tätigkeit auf einen Irrtum zurückführe könnte, was nahelegt, dass er eine sehr spezielle Weltsicht und Ästhetik sein eigen nannte. Dafür sprechen auch solche Absonderlichkeiten wie das von Ilja Richter angeführte Fernsehteam, das nur aus ihm besteht und seinen Bericht über das sensationelle Seeungeheuer Nessie offensichtlich ohne Kameras zu produzieren gedenkt. Was passiert da eigentlich, um Himmels willen? Gibt es diesen Film wirklich oder habe ich ihn nur geträumt? Es ist einfach nicht in Worte zu fassen. Unter den vielen, vielen rätselhaften Scheißfilmen, die die Filmgeschichte hervorgebracht hat, nimmt NESSIE tatsächlich einen Sonderplatz ein.

Ich habe meistens Mitleid mit Filmen, die scheitern, weil ich die Träume sehe, die hinter ihnen stehen, aber hier empfinde ich es als tröstlich, zu wissen, dass die Zahl der Kinder, die sich in Erwartung eines großen, spannenden, die Fantasie anregenden, herzerwärmenden Spektakels in eine Vorführung von NESSIE verirrten und so traumatisiert, geschädigt, für die Verlockungen des Kinos auf ewig verloren und schlicht um 90 Minuten Freude betrogen wurden, sehr überschaubar blieb. Vor meinem geistigen Auge sehe ich ihn vor mir, diesen blässlichen Jungen namens Torben, der nie zu den Coolen gehörte, aber dann zum achten Geburtstag all seine Freunde in eine Vorstellung von NESSIE mitnehmen durfte. Die Vorfreude war groß, endlich würde er dazugehören. Aber er kam als Gebrochener aus dem Kino, als Außenseiter, man hatte ihm einen Tag gestohlen, der ein Triumph hätte sein sollen und stattdessen in einem Trauerspiel endete. Seine vermeintlichen Freunde redeten nie wieder über NESSIE und eingeladen hat ihn danach auch keiner mehr. Keine Ahnung, was aus Torben geworden ist. Dieser Text ist auch für ihn. Ich verstehe Torben und weiß, warum er manchmal auf die Welt schaut und nur Enttäuschung fühlt. Es ist der Zehetgroove. Nicht jeder kann ihn fühlen. Es braucht besondere Antennen dafür. Und irgendwann, wenn man alt genug ist, kommt man damit klar. Dann kann er einem nichts mehr anhaben. Und die Sichtung von NESSIE, die ist wie diese Narbe, die man sich man selbst zugefügt hat und die einen stärker macht, wenn man sie betrachtet.

Kommentare
  1. HomiSite sagt:

    Danke für den launigen Text (trotz „ernstem“ Anlass :-D). Ich glaube, ich habe den Film als Kind im Fernsehen gesehen, denn dieses absurde Monsterdesign erkenne ich jederzeit wieder. Alles andere habe ich vergessen – vielleicht auch damals schon aus Selbstschutz. 🙂

  2. zat sagt:

    Ich kann den Furor nachvollziehen, auch wenn ich den Film nie gesehen habe. Dafür aber seinen Vorgängerfilm.

    Seine Dudu-Filme, die Zehetgruber nicht nur schrieb und produzierte, sondern in denen er auch die Hauptfigur Jimmy Bondi spielte, entsprachen durchaus meinem kindlichen Geschmack. Die Dudu-Filme liefen sonntags in Kindervorstellungen, sie erreichten ihr Publikum und erzeugten Lachstürme, wie ich sie erst Jahre später mit einem älteren Publikum bei den Monty Pythons-Filmen noch einmal erlebt habe. Ich hatte mir angewöhnt, die Eintrittskarten zu sammeln und die Namen der Filme auf die Rückseite zu schreiben. Bereits vier Dudu-Filme hatte ich gesehen, ich freute mich auf den fünften. Ich war nicht vorbereitet auf das, was kam. Ich bin aus dem Kino getaumelt, ein Betrogener, ein Getäuschter, ein Gedemütigter, dem man einen Kübel Jauche über den Kopf gekippt hat und dafür noch Geld verlangte. Ich ging nach Hause, schrieb mit einem fetten schwarzen Filzstift SCHEISSFILM auf die Kinokarte, und das Thema Dudu war für immer erledigt.

    Es verlief also nicht ganz so tragisch wie für Torben, aber ich kann wirklich jede Zeile nachvollziehen und bestätigen, dass sich dieses Gefühl, betrogen worden zu sein, eingebrannt hat. Das Schlimme aber war: ich wußte nicht von wem und warum. Denn Zehetgruber war ja auch in allen anderen Dudu-Filmen. Es wäre so einfach gewesen, deren simples Rezept auch im fünften Film zu wiederholen. Es war etwas Unbegreifliches, Schreckliches passiert. Vermutlich war ich Torben und seinem Blick auf die Welt in diesem Moment doch sehr nahe.

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