cannibal girls (ivan reitman, kanada 1973)

Veröffentlicht: November 22, 2010 in Film
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Das Liebespärchen Clifford (Eugene Levy) und Gloria (Andrea Martin) verschlägt es bei einem Ausflug in ein beschauliches Nest im kanadischen Osten. Eine dort kursierende Legende berichtet von drei kannibalistisch veranlagten Mädchen, die ahnungslose, auf der Durchreise befindliche Männer mit Liebesversprechen in ihr Haus gelockt und dort verspeist haben. Das einstige Kannibalenheim ist mittlerweile ein Gourmetrestaurant, dessen ungünstige Lage mitten im Wald Cliff und Gloria nicht von einem Besuch abhalten kann. Der Maitre (Ronald Ulrich), der sie dort in Empfang nimmt, ist allerdings etwas merkwürdig …

CANNIBAL GIRLS steht auf meiner Liste, seit ich als Steppke das Horrrolexikon von Hahn/Jansen erwarb (also schon gute 20 Jahre), aber irgendwie habe ich es nie geschafft, ihn zu sehen. Diesen Missstand konnte ich nun endlich beheben, denn CANNIBAL GIRLS ist soeben auf einer überaus empfehlenswerten DVD erschienen, auf der auch zwei schöne, aufschluss- und anekdotenreiche Interviews mit Regisseur Ivan GHOSTBUSTERS Reitman und Produzent Daniel Goldberg sowie mit Hauptdarsteller Eugene Levy enthalten sind. Beide erinnern sich an die Schwierigkeiten, die es den unerfahrenen Filmanfängern bereitete, den Film zu machen (CANNIBAL GIRLS wurde zunächst an neun Tagen gedreht, brauchte dann aber inklusive einiger Nachdrehs doch rund zwei Jahre, um das Licht der Welt zu erblicken, und stürzte die beiden Filmemacher fast in den Ruin) und schließlich zu verkaufen, und an die aus dieser mangelnden Erfahrung hervorgegangenen Unzulänglichkeiten des Drehbuchs, der Inszenierung und des Schauspiels. Sowohl Reitman/Goldberg als auch Levy scheint CANNIBAL GIRLS ein wenig peinlich zu sein: Immer und immer wieder betonen sie, wie schlecht der Film sei und wie viel besser er hätte sein können, hätte man damals doch nur undsoweiter undsofort. Man kennt diese Haltung von erfolgreichen Filmschaffenden mit Wurzeln in der Exploitation, aber ich muss mich doch immer über den vorauseilenden Gehorsam, mit dem diese bereit sind, ihr Werk noch vor jeder Kritik abzuwerten, und das Fehlen jeder Sensibilität für die originellen und manchmal fast avantgardistischen Schlenker, die ihre „Billigfilme“ gegenüber ihen späteren zwar ungleich akribischer geplanten, sauberer inszenierten und aufwändiger finanzierten, aber daher doch oft auch langweiligeren, zahnloseren und mutloseren Studioproduktionen auszeichnen. In den Extras von CANNIBAL GIRLS wird viel darüber geredet, dass es kein richtiges Script gab, nur ein kurzes Dokument mit den wichtigsten Szenen, auf dessen Basis dann improvisiert wurde, und darüber, dass diese Improvisation nur mittelprächtige Erfolge hervorbrachte, weil die Schauspieler allesamt Anfänger und deshalb ungeübt waren. Eugene AMERICAN PIE Levy etwa berichtet, wie sorglos er an den Film herangegangen sei, wie beeindruckt er davon war, den Aufenthalt in einem Motel bezahlt zu bekommen, dass er keinen einzigen Gedanken an sein Erscheinungsbild – er trägt einen unglaublichen, ausgefransten Afro, riesige Koteletten zum ebenso riesigen Schnurrbart und eine schwarz gerahmte Brille zur Schau – oder eine Szenenvorbereitung verschwendet habe: Kein Wort verliert er hingegen darüber, dass es doch auch diese sichtbare Unbekümmertheit ist, die seine Figur sichtbar auszeichnet und dem Film einen Gutteil seine Energie verleiht.

Überhaupt Energie: Wie unorthodox Reitman und Goldberg ihre Geschichte erzählen, ist schon eine Erwähnung wert und hebt den Film aus meiner Sicht ein ganzes Stück über lediglich billig runtergekurbelten Trash. So besteht ein nicht unerheblicher Teil der Narration aus einer Rückblende, die sich aber erst nach ihrem Ende als solche herausstellt. Ein anderer zentraler Teil der Handlung entpuppt sich als Traum, der sich dann wiederum in einer Art Twist-Twist als Realität entpuppt. Diese eigenwillige Struktur mag auf Inszenierungsfehler zurückgehen und nicht auf Absicht, doch spielt das für den Betrachter eigentlich keine Rolle. Man wohnt dem absurden Treiben neugierig bei und muss regelmäßig seine Erwartungen korrigieren, wenn man doch glaubt, dem Film endlich auf die Schliche gekommen zu sein. Auch die Schlusspointe, die zunächst etwas faul, wenig spektakulär und irgendwie auch vorhersehbar scheint, entpuppt sich als ziemlich hintersinnig, clever und witzig. Eugene Levy und Andrea Martin sind beide großartig mit ihren nicht ganz, aber dann doch ziemlich schrägen Charakteren und Reitman/Goldberg sind mit ihrem Humor, der keine großen Schenkelklopfer produziert, sondern sich eher durch die Hintertür einschleicht, auch recht erfolgreich. Für Filme wie CANNIBAL GIRLS ist das Wort „offbeat“ geradezu erfunden worden und es ist nicht zuletzt diese offbeatige, aus der Not geborene Eigenwilligkeit, die – ganz entgegen ihrer Einschätzung – vom Talent der Macher zeugt und sie für größere Taten prädestinierte. Man muss schon ein sehr traditionelles Verständnis von Film und Geschichtenerzählen generell haben, um diese Stärken nicht zu sehen und den Film – wie auf IMDb zu sehen – mit lausigen 4 Pünktchen abzuspeisen.

Abschließend sei noch erwähnt, dass CANNIBAL GIRLS mit einem an William Castle erinnernden Gimmick ins Kino kam: einer Glocke, die Zuschauer vor besonders schrecklichen Szenen warnen sollte. Ich habe die „bereinigte“ Version des Films gesehen, aber das Gimmick lässt sich auf der DVD via separater Tonspur zuschalten.

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