new kids turbo (steffen haars/flip van der kuil, niederlande 2010)

Veröffentlicht: Juli 2, 2012 in Film
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Die fünf Freunde Richard Batsbak (Huub Smit), Gerrie van Boven (Tim Haars), Rikkert Biemans (Wesley van Gaalen), Robbie Schuurmans (Steffen Haars) und Barrie Butsers (Flip van der Kuil) verdingen sich in dem niederländischen Provinzkaff Maaskantje in miesen Kleinjobs, aus denen sie wegen wiederholten Fehlverhaltens gefeuert werden. In ihren Augen ist allerdings vor allem „die Krise“ schuld an ihrer Arbeitslosigkeit. Egal, denn wozu gibt es Sozialhilfe? Doch als alles Geld verprasst ist und weitere Sozialleistungen wegen eines tätlichen Angriffs auf den zuständigen Beamten gestoppt werden, ist das schöne Lotterleben vorbei. Die neue Lebensphilosophie „Wir zahlen nicht mehr!“ führt ebenfalls nur zu neuen Problemen: Denn dem Staat sind die fünf Proleten wegen ihrer antikapitalistischen und systemzersetzenden Haltung ein Dorn im Auge. Ein Bürgerkrieg bahnt sich an …

NEW KIDS TURBO basiert auf einer Comedyserie ca. dreiminütiger Miniepisoden, die zunächst im niederländischen Fernsehen, dann schließlich via Comedy Central auch in Deutschland ausgestrahlt wurde und es auf drei Staffeln mit insgesamt 35 Folgen brachte. Die zugrunde liegende Idee ist denkbar einfach: Fünf skurrile Provinzproleten mit Vorliebe für Trainingsanzüge, Badelatschen, Vokuhila-Frisuren, Oberlippenbärte, Billigtechno, Dosenbier und niederländisches Fastfood werden dabei beobachtet, wie sie ihren nichtsnutzigen Alltag bestreiten. Zentrum der Serie sind der Ort Maaskantje und seine „Sehenswürdigkeiten“ – Parkplatz, Imbissbude, Supermarkt –, ihren Witz bezieht sie aus der Beschränktheit ihrer Protagonisten, die sich einer von Kraftausdrücken durchsetzten Sprache bedienen, und zotigen Running Gags. Dieses denkbar begrenzte „Konzept“ wird in NEW KIDS TURBO allerdings zu einer überraschend cleveren Satire erweitert, die nicht nur einen als gegeben betrachteten, unmenschlichen Kapitalismus kritisch hinterfragt, sondern auch seine Protagonisten – und schließlich sogar die Zuschauer.

NEW KIDS TURBO macht sich natürlich gehörig über seine verblödeten Prekariatsprotagonisten lustig, die auch aus einer besonders üblen Folge der RTL-Scripted-Reality-Serie „Mitten im Leben“ stammen könnten. Ihr vollkommen sinnbefreites Dasein, ihr ganzer Stil, ihre haarsträubenden Ansichten (Frauen – außer Mama – sind Huren, und die schlimmste Beleidigung, die ihnen einfällt, ist „Homo“ oder „Mongo“) , ihre restringierte Sprache sind willkommene Zielscheibe für den krass überzogenen Humor. Ihre mantraartig wiederholte Behauptung, die „Krise“ habe sie die Jobs gekostet, und ihre völlige Verantwortungslosigkeit werden genüsslich bloßgestellt.

Anstatt jedoch im Stile der Bild-Zeitung lediglich über „Sozialschmarotzer“ und arbeitsunwillige Faulpelze herzuziehen, schießen die Macher hinter NEW KIDS TURBO auch in die andere Richtung: Sie zeichnen die Protagonisten als Menschen, die von der sie umgebenden Welt komplett entfremdet sind, Gefangene eines Systems, das sie weder verstehen noch überhaupt erkennen können. Sie halten sich für autark, sind aber in Wahrheit Sklaven. Als sie sich – eben aus reiner Dummheit und Unwissenheit, wie Gesellschaft überhaupt funktioniert – gegen dieses System auflehnen, ist der Spaß schnell vorbei. Dem Staat sind seine Kinder plötzlich ziemlich egal: Auch drastischste Maßnahmen sind kein Tabu mehr, als es darum geht, den gestörten Frieden wiederherzustellen. Spätestens wenn am Schluss in Erwägung gezogen wird, den Unruheherd Maaskantje mittels gezielten Bombardements auszulöschen, tun sich unübersehbare Parallelen zum Zombiefilm, vor allem natürlich zu RETURN OF THE LIVING DEAD oder auch zu Romeros THE CRAZIES auf. Was NEW KIDS TURBO von den Dystopien eines Alt-68ers wie Romero unterscheidet: Die Zombies sind hier keine bemitleidenswerten Tiere, Repräsentanten der Machtlosen und Unterprivilegierten überhaupt, sondern der eigentlich selbst kaum satisfaktionsfähige, zudem höchst aggressiv auftretende Pöbel. Es fällt schwer, Mitleid etwa mit Rikkert zu haben, der sich bei seiner hochschwangeren, biersaufenden und kettenrauchenden Freundin vor deren halbwüchsigen Kindern beschwert, dass er sie nur fingern darf. So überzeichnet dieses Bild auch sein mag: Bei der Ahnung, dass es wahrscheinlich nur allzu oft genau so ist, wie es hier dargestellt wird, läuft es einem kalt den Rücken runter. Und die „lustigen Prolos“ sind plötzlich überhaupt nicht mehr komisch.

Und genau in dieser Dialektik zeigt sich die Klasse des Films: Seine Protagonisten sind zwar Idioten, aber es wird eben auch ganz deutlich, dass sie Produkt unserer Zeit sind, Symptom einer Krankheit, die sich „Kapitalismus“ nennt. Der Staat, die Gesellschaft können die Verantwortung für diese Menschen nicht einfach ablegen, wie sie das am Ende tun wollen. Man muss mit dem Pöbel umgehen lernen: Wenn auch nur, um ihre weitere „Verbreitung“ zu verhindern. Maaskantje, das ist in NEW KIDS TURBO Dystopie und Utopie gleichzeitig: Ein Ort voller ungebildeter Kleinbürger, ohne jede nennenswerte Geschichte, eine Leerstelle mitten in den Niederlanden, aber eben auch der Ort, an dem der Ausstieg aus dem System geprobt wird, an dem sich die Menschen über abstrakte Forderungen und Konzepte erheben und sich wehren. (Auch wenn ihnen die Tragweite ihrer Handlungen natürlich nie bewusst ist.) Und so, wie man diesen Ort und seine Einwohner aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachten kann, oszilliert auch der Film zwischen geschmackloser Außenseiterkomödie und bitterböser Sozialsatire.

Es ist klar, dass die Schärfe dieser satirischen Verzerrung vom Großteil des Publikums des Films nicht erkannt wurde. Man darf mutmaßen, dass NEW KIDS TURBO aus den „falschen“ Gründen ein Hit wurde, nämlich weil seine Zuschauer die Dummheit der Protagonisten „cool“ fanden – möglicherweise, weil sie einem ähnlichen Milieu entstatmmen. Für diese Leute ist dann NEW KIDS NITRO die passende Antwort.

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