das testament des dr. mabuse (fritz lang, deutschland 1933)

Veröffentlicht: April 27, 2014 in Film
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Filme wie DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE machen mir immer ein bisschen Angst, weil sie mit der Bezeichnung „Klassiker“ fast noch unterbewertet sind. Fritz Langs legendäre Fortsetzung seines eigenen 1922 entstandenen DR. MABUSE, DER SPIELER schafft als früher, aber formal bereits unheimlich avancierter Tonfilm überhaupt erst die Grundlage, anhand derer wir die Kriterien, nach denen wir auch heute noch bestimmen, was einen „Klassiker“ oder ein „Meisterwerk“ auszeichnet, aufstellen konnten. DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE ist mehr als ein Film, auch mehr als ein historisches Dokument oder kulturelles Artefakt: Er ist gewissermaßen das filmische Äquivalent des Urmeters, die Blaupause, an der sich noch heute – wissend oder unwissend – jeder Filmemacher orientiert, wenn er sich in der Schnittmenge von Thriller, Paranoiafilm und Horror bewegt, und ohne dessen formalen Errungenschaften seine Kunst heute um Einiges ärmer wäre – wenn sie die 80 Jahre, die seitdem vergangen sind, ohne sie überhaupt überdauert hätte. Mein Textchen hier ist von vornherein zur Redundanz verdammt, weil sich bereits Dutzende von Filmwissenschaftlern und -historikern an Langs Film abgearbeitet, seine komplizierte Editions- und Rezeptionsgeschichte durchleuchtet, jedes Einzelbild auf links gedreht, jeden Schnitt analysiert, jede Dialogzeile interpretiert und dabei Erkenntnisse zu Tage gefördert haben, die ich hier weder zusammenfassen noch übertreffen könnte. Ich kann mir nicht helfen, mir nötigt ein Werk wie DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE höchsten Respekt ab. Vielleicht bin ich von Natur aus autoritätsgläubig: Ich kann mich vom Status von Langs Film unmöglich freimachen und ihn betrachten wie irgendeinen beliebigen Film. Trotzdem kann ich ihm an dieser Stelle aber auch keinen Text widmen, der diesem Status auch nur annähernd gerecht würde.

Der Name „Mabuse“ ist mir seit meiner Kindheit geläufig, als ich ihn von einem Schulkameraden aufschnappte, wahrscheinlich weil der einen von Brauners Mabuse-Filmen aus den Sechzigerjahren im Fernsehen gesehen hatte. Dann gab es in den Achtzigern ja auch noch den Song „Dr. Mabuse“ der Düsseldorfer Synthiepopgruppe Propaganda (den ich aber auch nur vom Namen her kannte). Schließlich fand die vielleicht unheimlichste Szene aus Langs Film Eingang in den „Lieblingsszenen“-Artikel, der 1995 anlässlich des 100. Geburtstags des Kinos in der Splatting Image veröffentlicht wurde. „Mabuses Geist, ausgestattet mit hypnotischen, übergroßen Augen und einem offenliegenden Gehirn, sitzt dem Irrenarzt gegenüber und faselt von der ,Herrschaft des Verbrechens‘ […] die Szene [ist] nach Mitternacht bei vereinsamter Wohnung besser als jede Koffeintablette“, schrieb damals Peter Blumenstock. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich die Reihenfolge der verschiedenen Mabuse-Filme auf die Reihe bekam, verstand, dass Langs späterer DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE, den er nach seiner Rückkehr nach Deutschland drehte, mit den beiden vorangegangenen Filmen zwar den titelgebenden Schurken teilte, sonst aber eine ganz andere Baustelle war. Aber die beschriebenen Konfusionen trugen erheblich dazu bei, dass die Figur des kriminellen Masterminds eine enorme Faszination auf mich ausübte: Die Figur war irgendwie schon immer da und das machte sie seltsam real für mich. Wie dieses kriminelle Mastermind – vom luxemburgischen Autor Norbert Jacques 1919 erdacht – sich über das Medium Film ins kollektive Bewusstsein schlich und seinen Keim legte, dann über Jahrzehnte verschwand, nur um dann doch noch einmal zurückzukehren, wie er seit den Sechzigerjahren von der Bildfläche verschwunden, aber trotzdem nicht vergessen ist: Das erinnert frappierend an seine Methode, eine Stimmung der Angst zu erzeugen um mit ihr auch noch in die entlegendsten Winkel zu kriechen, die Fritz Lang in DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE beleuchtet.

Und diese Stimmung prägt auch den Film. Von der ersten Szene an, die von einem maschinellen Dröhnen ohne Ursprung bestimmt wird, liegt sie wie ein Schleier über den Bildern, nicht greif- aber doch spürbar. Sie materialisiert sich in den kurzen Momenten, in denen wir den Geist Mabuses erblicken, wie er als Projektion der von ihm beeinflussten Opfer Kontrolle über sie ausübt, aber eigentlich handelt der Film davon, wie sich das Böse als self-fulfilling prophecy selbstständig und von Menschen unabhängig macht. Die Gemeinsamkeiten von Mabuses angestrebter „Herrschaft des Verbrechens“ und dem Regime des Dritten Reichs, das sich eine Nation „williger Vollstrecker“ heranzüchtete, sind unübersehbar – nur Goebbels fielen sie nicht auf. Vom Verbot des Films hielt ihn das nicht ab, aber der Grund war nicht, dass er sich und die Pläne Hitlers enttarnt fühlte, sondern – ironischerweise – einen schlechten Einfluss auf die Volksmoral berfürchtete: Er war der Meinung DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE stifte zum Verbrechen an. Das war der Anfang einer überaus turbulenten Editionsgeschichte mit verschiedenen Sprach- und Schnittfassungen, deren vorläufiger Entstand annähernd vollständig, aber eben immer noch nicht mit Langs finaler Version identisch ist. Man merkt es ihm nicht an: Schon während der Sichtung erweist sich DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE als perfekt, einer jener raren Filme, bei denen sich jede Szene nahtlos an die vorangegangene anschließt, nichts mehr hinzugefügt oder weggenommen werden kann (die kürzeren Versionen behalten die Szenenfolge nahezu bei, kürzen lediglich innerhalb der Szenen). Trotzdem wirkt TESTAMENT zu keiner Sekunde steril oder leblos, er wurde von Lang nicht zu Tode optimiert, sondern bewahrt sich ein zentrales Mysterium und seine rohe Energie. Das ist zum einen auf Langs „reimenden Schnitt“ zurückzuführen, der den Film nicht so sehr voranschreiten als -fließen lässt, auf die spannungsreiche Bildsprache und die einprägsamen Protagonisten, zum anderen auf den actiongeladenen Szenenaufbau. Einige der Stunts und Effekte lassen das Alter des Films völlig vergessen: Großartig etwa die Sequenz in der der gefügig gemachte Kent (Gustav Diessl) mit seiner Freundin in einem Raum eingesperrt ist, und eine Überflutung initiiert, um ein Fluchtloch in den Dielenboden zu sprengen. Lang hat seinen Schauspieler auch körperlich einiges abverlangt. Und dann ist da natürlich Mabuse: Eine faszinierende Figur, vom hakennasigen Rudolf Klein-Rogge mit diabolischer Präsenz ausgestattet und einem Blick, der durch und durch geht. Er wahrt sein Geheimnis bis zum Schluss, ist umso unheimlicher und furchteinflößender, als man nie genau weiß, was er ist, was ihn treibt, wie man ihn stoppen kann. Es dürfte sich bei ihm um eine der interessantesten Schurkenfiguren des populären Kinos handeln. Dass es seit fast 50 Jahren keinen Film mehr mit ihm gegeben hat, liegt definitiv nicht daran, dass die Figur nicht mehr zeitgemäß wäre (im Gegenteil), sondern allenfalls daran, dass DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE heute immer noch voller Kraft und Frische ist, keines Updates bedarf. Ein Meisterwerk eben.

 

 

 

 

Kommentare
  1. Schlombie sagt:

    Und trotzdem würde ich mich riesig auf einen neuen Mabuse-Film freuen, ein Wunsch den ich schon seit vielen Jahren hege. Übrigens schon „Dr. M“ gesehen?

    • Oliver sagt:

      Klaro, die Figur wäre auch heute noch aktuell. Das Ende meines Textes war keinesfalls abwehrend oder ablehnend gemeint. 🙂

      DR. M von Chabrol? Nein, habe jetzt auch zum ersten Mal davon gehört.

      • Schlombie sagt:

        Bin sehr neugierig wie der Dir gefallen wird, da er recht seltsam erzählt ist und Du ja ein Freund abseitiger Filme bist. Hoffe Du bekommst den mal aufgetrieben 🙂

  2. Schöner, persönlich geprägter Text, der vermutlich auch den einzigen Weg einschlägt, mit dem man sich vor dem Kanonisierungsruf etwas drücken kann. Das ist auch ein Grund, warum ich mich bisher nicht an eine Kritik gewagt habe, da meine Meinung da von der Masse abweicht. Ich gehe da respektloser vor als du und behaupte, daß der fraglos sehr gute Film dennoch nicht das Nonplusultra ist. Man merkt ihm nämlich schon an, daß es ein runtergehetzter Trivialfilm ist, der den Original-Mabuse mit der deutlichen Handschrift Thea von Harbous aus seinem Ursprung reißt. Die Legende als solches hat der erzählfreudige Lang auch selbst zu verantworten, denn damit schmückte er die Geschichte von seiner Flucht aus Deutschland gern aus. Wer sich mit Literatur und Filmdokumenten über den Ausnahmeregisseur auseinandersetzt, bemerkt zum einen, daß seine Darstellungen nicht immer gleich sind und die Tendenz zu der Aussage geht, man habe seine Ausführungen mit Vorsicht zu genießen. Langs Biographie steckt daher auch voll einiger Mysterien und Geheimnisse, mit denen er seine Persön verschleiert hat. Ich schätze damit wollte er sich auch ein wenig vor der Öffentlichkeit schützen.
    Das Testament des Dr. Mabuse ist sicher ein Film, der vieles auf einen Nenner bringt und das macht ihn sehr funktional für Verweise und Vergleiche. Er ist aber darüber hinaus nicht sonderlich originell. Zum einen fand ich den Film im Vergleich mit dem Stummfilm doch eher enttäuschend, zum anderen hat es zu Stummfilmzeiten schon manche actionreiche und schurkige (vgl. z.B. die Fanômas Filme Mitte der 10er Jahre) Krimis gegeben. Gleichwohl glänzt insbesondere das Weimarer Tonfilmkino der frühen 30er mit einigen weiteren Schmuckstücken, die man über den Mabuse nicht vergessen darf. Immerhin dürfte die Produktion ähnlich angetrieben gewesen sein wie auch Die 1000 Augen des Dr. Mabuse, den ich persönlich deutlich mehr schätze. Mitte/Ende der 20er boomte z.B. Edgar Wallace und wurde nicht nur gelesen und am Theater aufgeführt, sondern es gab zunächst einige Stummfilme, denen dann erfolgreich mehrere Wallace Tonfilme folgten. Lamacs Der Hexer von 1932 ist z.B. echt ein Knüller, den darf man sich nicht entgehen lassen.
    Schade ist, daß ganz viele damalige Genrefilme gar nicht erhalten sind. Da bekommt man dann ab und zu eine Rarität wie Der Bettler vom Kölner Dom vorgesetzt, hat aber kaum die Möglichkeit, sich ein wirklich umfassendes Bild vom zeitgenössischen Kino zu machen. Mag gar nicht dran denken, was uns da alles entgeht.

    • Oliver sagt:

      Ach ja, was heißt schon „Nonplusultra“? Mich hat damals M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER auch mehr beeindruckt als TESTAMENT jetzt. Dass er ein „runtergehetzter Trivialfilm“ ist, muss man ja nicht unbedingt gegen ihn verwenden. Dass er vor allem für einen eher populären Strang des Kinos immens wichtig gewesen sein dürfte, habe ich ja geschrieben. Das bedeutet natürlich auch, dass manche Elemente heute vielleicht etwas schablonenhaft anmuten. Ich fand ihn beeindruckend als wie am Schnürchen laufende, Scheckheft-gepflegte, formal meisterliche Thrillmaschine, die den ein oder anderen durch Mark und Bein gehenden Effekt aufbot. Und dass ich ein Faible für das Populäre, Triviale habe, muss ich wohl kaum betonen. 🙂

      • Ich ja auch. Deshalb besteht vermutlich auch einfach mein Unverständnis dafür, das Kunsthafte im Testament bzw. nichts kunsthaftes in anderen „Trivialwerken“ zu sehen, was man bei Texten anderer Autoren durchaus vorfinden kann. Wobei gerade bei Lang ja ganz viele Arbeiten in diesen Bereich fallen, gerade die etwas kitschigen Vorkriegsfilme. M, da bin ich auch bei dir, ist da von ganz anderer Qualität.

      • Oliver sagt:

        Ich habe gestern mit den 1.000 AUGEN angefangen (den ich vor ca. 10 Jahren zum letzten Mal gesehen habe) und mein Text wird sich sehr wahrscheinlich genau um diese Frage drehen, warum man TESTAMENT als „Kunst“ einordnet und AUGEN eher nicht. Der Film ist formal, etwa was die Schnitttechnik anbelangt, sehr nah dran am TESTAMENT und die Nazi-Parallelen werden natürlich sehr viel stärker hervorgehoben. Trotzdem fühlt sich der Film viel leichter und weniger gewichtig an. Ich vermute im Moment, dass das einfach an den knapp 30 Jahren, die zwischen den beiden liegen, liegt, und vieles, was Lang zu Beginn seiner Laufbahn „erfunden“ hat, in den Sechzigern bereits Standard war. Mehr dazu, wenn ich den Film ganz gesehen habe.

      • Man merkt zu der Zeit auf jeden Fall auch einen deutlichen Unterschied zu dem, was die Wallace Filme boten. Ob damals nun das Timing ungünstig war bzw. die Nazi-Altlasten mit den Seitenhieben auf das Wirtschaftswunder zu wenig dem entsprachen, was das Publikum damals sehen (oder wahrhaben?) wollte, kann man als Nicht-Zeitzeuge sicher nur vermuten. Ich würde aber schon sagen, daß Lang dort mit höchster Präzisionsarbeit nichts dagegen ausrichten konnte, in der harten Welle und deren Mechanismen etwas unterzugehen. Ich freue mich auf jeden Fall schon auf deinen Text.

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