enemy (denis villeneuve, kanada/spanien 2013)

Veröffentlicht: Oktober 20, 2014 in Film
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PRISONERS, ein düsterer Thriller, mit dem sich Regisseur Villeneuve nach einigen kleineren Produktionen einen Namen gemacht hatte, war von vorn bis hinten perfekt, ein beeindruckendes Stück Spannungskino, mit viel Sinn für Atmosphäre inszeniert, außergewöhnlich guter Schauspielführung und dem richtigen Zugriff auf ein potenziell problematisches Thema. ENEMY scheint persönlicher, verzichtet auf ein publikumswirksames Thema und lässt sich auch nicht in eine Genreschublade stecken, aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass sich Villeneuve an der Adaption eines Romans von José Saramago ziemlich verhoben hat. Manchmal ist es vielleicht gar nicht so verkehrt, wenn kommerzielle Interessen einen dazu zwingen, eigene Ideen in geordnete Bahnen zu lenken, anstatt ungehindert seinen künstlerischen Impulsen nachzugehen – und sich dabei hoffnungslos zu verstricken.

Adam (Jake Gyllenhaal) ist Geschichtslehrer und doziert über totalitäre Systeme, über Hegel und Marx und ihre These, dass Geschichte aus Wiederholungen besteht. Er hat eine Freundin, mit der er seine Abende verbringt, ohne dass eine echte Verbindung zu ihr erkennbar würde. Gedankenverloren sitzt er in seinem Apartement, ins Leere starrend, nach Antworten auf Fragen suchend, die er noch nicht zu stellen weiß. Er wirkt fremd im eigenen Körper, noch fremder als Bewohner dieser Welt. Bis er eines Tages eine Entdeckung macht: In einem Film sieht er den Schauspieler Anthony (Jake Gyllenhaal), der ihm gleicht wie ein Ei dem anderen. Fasziniert und geschockt zugleich, will er ein Treffen vereinbaren. Als sich die beiden Männer gegenüberstehen, sehen sie nicht nur wie exakte Duplikate aus, sie haben auch die gleiche Stimme und sogar eine identische Narbe …

ENEMY beginnt wie einer Vertreter des wahrscheinlich schon seit den 1960er-Jahren und Titeln wie Frankenheimers SECONDS reüssierenden, aber erst in den letzten beiden Jahrzehnten mit dem schönen Namen „Mindfuck-Movies“ betitelten Subgenres. Der Film um den wie ein Fremdkörper durch karge Betonbauten schlurfenden Lehrer, der in einem allegorisch überfrachteten Bezugsrahmen  möglicherweise einem Komplott/einer außerirdischen Invasion/whatever  auf die Spur kommt, suggeriert schon früh eine THE MATRIX-artige Offenbarung. Zu verlockend sind die Hinweise auf einen totalitären Masterplan, die Bilder spinnenbeinig durch die Stadt staksende Monstren  und die seltsam irreale Atmosphäre, die Villeneuve kreiert, als dass man eine banalere Auflösung für möglich hielte. Aber Villeneuve zielt auch nicht auf post-postmoderne Science-Fiction-Pop-Art wie die Wachowskis vor rund 15 Jahren, er hat Höheres im Sinn, wahrscheinlich viel Tarkowskij, Cronenberg und Kafka aufgesogen und die Einflüsse in diesem Film gebündelt. Gut möglich, dass ENEMY wirklich etwas zu sagen hat, das mir entgangen ist, aber irgendwie glaube ich das nicht. Beziehungsweise: Ich glaube nicht, dass Villeneuves Film nach einer Exegese viel mehr offenbarte, als das, was sich während der Sichtung als Instant-Assoziation in inflationär gebrauchten und daher nahezu leer gewordenen Schlagworte wie meinetwegen „Kapitalismus“, Konformismus“, „Entfremdung“, „Konsumgesellschaft“ oder „Verlust der Spiritualität“ kristallisiert. So effektiv es Villeneuve auch gelingt, eine Welt zu zeichnen, die nur ganz leicht off ist, daher aber umso beunruhigender, so originell ENEMY auf den ersten Blick sein mag, so sehr ist er in abgegriffenen Klischees erstarrt: Adam geht wie ein Roboter seinem Job nach. Er lebt in einem sterilen Appartement und der körperliche Einsatz beim Sex mit seiner Partnerin verhält sich antiproportional zu den dabei investierten Gefühlen. Er starrt oft orientierungslos-müde ins Nichts, schlendert ziellos und wie im Zustand totaler mentaler und körperlicher Erschöpfung durch die uniformen Straßen. Das Licht ist fahl und eitrig-gelb. Nachts wird Adam aus bizarren Albträumen geweckt, die ihn aber auch kaum noch wirklich erschrecken. Er lacht oder lächelt nie. Es gibt keine Freude in seinem Leben. Die wenigen Mitmenschen, auf die er trifft, benehmen sich wie Roboter. Erst als er seinen Doppelgänger entdeckt, bringt Adam kurzzeitig Energie auf: Plötzlich scheint es eine Erklärung für die Einförmigkeit seines Lebens zu geben, auch wenn sie noch so abstrus erscheint. Und irgendwie spielt auch ein exklusiver Sex-Club eine nicht näher definierte Rolle. Wenn ich das so aneinandergereiht betrachte, frage ich mich, wie Villeneuve es überhaupt geschafft hat, mein Interesse so lange wachzuhalten.

Am Ende verweigert er klare Antworten, gefällt sich darin, ein filmisches Enigma zu liefern, dessen undurchdringliche Hülle vor allem zum Selbstschutz errichtet worden zu sein scheint. Das Trivia-Nugget, dass die Darsteller angeblich vertraglich dazu verpflichtet waren, Stillschweigen über die Spinnensymbolik des Films zu bewahren, passt dazu wie die Faust aufs Auge. Wenn man nichts zu sagen hat, ist es eine unübertreffliche Strategie, dieses Nichts in möglichst bedeutungsschwangere Bilder zu kleiden und alles vom Hauch des Mysteriums umranken zu lasse, den Rest erledigen dann Marketing und Internet. Je länger ich drüber nachdenke, umso blöder finde ich ENEMY, und umso trauriger, dass Villeneuve sich nun auf diese klischeehafte Art und Weise  zwanghaft als „Künstler“ etablieren will. Man sieht seinem Film an, was er kann, doch gegenüber PRISONERS, in dem dieses Talent für einen intellektuell wie emotional fordernden Film genutzt wurde, bedeutet ENEMY in fast jeder Hinsicht einen Rückschritt. Wenn man das unbedingt als „mutig“ bezeichnen will, bitteschön. Für mich ist Eso-Quark eben Eso-Quark und dass damit nicht das große Geld zu verdienen ist, halte ich nicht für ungerecht, sondern folgerichtig.

Kommentare
  1. zorafeldman sagt:

    Polytechnique war ebenfalls hervorragend, zurückhaltend mit Urteil und dennoch moralisch. Der erzählte ja auch nicht wirklich einen Plot, war aber total unesoterisch. Hoffentlich ist der nächste wieder besser.

  2. Peter sagt:

    Ich wollte mir den schon länger ansehen und habe das nach dem Lesen dieses Textes dann auch getan. Mir hat er gut gefallen.

    • Oliver sagt:

      Da bist du ja nicht der einzige. Überhaupt soll es mehrere Filme geben, die dem einen gut und dem anderen weniger gut gefallen. Habe ich gehört. 😉

  3. […] Oliver Nöding ist auf Remember It For Later sehr enttäuscht von Denis Villeneuves neuem Film […]

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