1. auswärtiger sondergipfel des hofbauer-kommandos: babystrich im sperrbezirk (otto retzer, deutschland 1983)

Veröffentlicht: November 11, 2014 in Film
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zzzzzzz„Der stählerne Überraschungsfilm“ des Sonderkongresses war den mittlerweile harten Stoff gewohnten Kongressteilnehmern noch nicht stählern genug. Sollte man angesichts des zur Schau gestellten Maßes an Zynismus und Niedertracht angewidert sein, oder dem Film zugute halten, dass er immerhin deutlich weniger zynisch und niederträchtig war, als es der Titel befürchten ließ? Ich indes weiß nicht genau, ob genau das nicht ein Teil des Problems ist: dass die Authentizität versprechende Straßendokumentation im Titel ein sensationsheischendes „Versprechen“ gibt, das nicht eingehalten wird, und überdies mit zahlreichen Sexszenen aus dem umfangreichen Spielfilmangebot der Lisa-Schmiede auf Länge gebracht und gewissermaßen „geschönt“ wird.

Ich war wahrscheinlich nicht der einzige, der über den Etikettenschwindel ganz froh war: Otto Retzers „Dokumentarfilm“ handelt generell von den verschiedenen Formen der Prostitution und zeigt den Regisseur in diversen, vermutlich mal echten, mal gefakten Straßeninterviews mit minderjährigen, aber auch erwachsenen, weiblichen, aber auch männlichen Prostituierten in verschiedenen deutschen Großstädten (wie es sich für einen Lisa-Film gehört, sind die verschiedenen Lokalitäten Anlass für lustige Mundart-Dialoge). Wirklich überraschende Erkenntnisse lässt die Fragtechnik von Retzer leider nicht zu. Sein möglicherweise sogar ehrliches Interesse wird immer wieder von der dem Film inhärenten Sensationsgeilheit unterwandert: Die Frage nach der Preispolitik der Huren mag dem Wunsch geschuldet sein, das Milieu vom immer im Raum stehenden Neppverdacht zu befreien, viel eher bewirkt die ständige Wiederholung dieser Frage, ganz unabhängig von ihrer Beantwortung, aber das genaue Gegenteil. Trotzdem gibt es ein paar interessante Momente: das Gespräch mit vier schwulen Strichjungen, mit einem Kölner Zuhälter oder mit der Starhure Domenica. Sie sind – ihre Echtheit mal vorausgesetzt – auch deshalb aufschlussreich, weil Retzers Gesprächspartner sich nicht in die Rolle reiner Antwortgeber fügen und gewissermaßen die Kontrolle übernehmen. Domenica zeichnet aus ihrer sicher privilegierten Perspektive ein sehr positives, schönes Bild ihres Geschäfts, doch verkürzt Retzer – ganz im Sinne seiner Mission – ihre Ausführungen am Ende auf ihre Aussage, jungen Mädchen nicht zur Prostitution raten zu wollen. Mit Echo belegt und prophetisch auf Repeat geschaltet, entlässt sie den Zuschauer mit einer Warnung.

Das steht natürlich voll im Einklang mit der Strategie, die die Reports eigentlich immer gefahren sind: Sex einerseits sehr nüchtern, als alltägliche Transaktion zu betrachten, andererseits aber immer wieder die Frage aufzuwerfen, ob gerade davon nicht eine große Gefahr ausgeht. Werden wir alle komplett durchgesext, enden wir in moralischer und körperlicher Zerrüttung oder gar als Drogenleichen? Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass ein Film wie BABYSTRICH IM SPERRBEZIRK möglicherweise auf den ein oder anderen Zuschauer positiv aufklärerisch gewirkt haben mag. Dieser Verdienst sollte aber nicht überbewertet werden: In erster Linie geht es hier darum, den Zuschauern nackte Tatsachen zu servieren und ihnen gleichzeitig ein Alibi für die Sichtung mitzuliefern. ZUm Abbau von Vorurteilen funktioniert der Film nicht, als journalistisches Werk ist BABYSTRICH IM SPERRBEZIRK nicht nur zweifelhaft, sondern aufgrund seiner Unaufrichtigkeit und offensichtlicher Täuschungsmanöver schlicht nicht zu gebrauchen. Wer die höchst manipulative, dreiste und moralisch fragwürdige Strategie der Reports und Mondo-Filme aber gerade aufgrund dieses Konfliktpotenzials schätzt, für den ist Retzers Film in jedem Fall Pflichtprogramm. (Außerdem kommt man in den Genuss, den meist nachsynchronisierten Retzer hier im O-Ton zu erleben.)

Kommentare
  1. […] Nöding waren anwesend und schreibt auf Remember It For Later ausführlich über Otto Retzers „Babystrich im Sperrbezirk“; den dänischen „Nordische Nächte – Verschwiegene Parties“ von Poul Nyrups , dem Nicholas […]

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