schamlos (eddy saller, deutschland/frankreich/österreich 1968)

Veröffentlicht: Juli 28, 2014 in Film
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77 Minuten dauert Eddy Sallers SCHAMLOS, einer von nur fünf Filmen, die der Österreicher zwischen 1965 und 1981 gedreht hat, und er raste vorgestern so rauschartig an mir vorbei, dass es mir heute schwer fällt, mich sinn- und gehaltvoll zu ihm zu äußern. Mit „Vorbeirasen“ meine ich dabei nicht, dass er keinen Eindruck hinterlassen hätte, sondern vielmehr, dass er dem Zuschauer keine Zeit gibt, sich in ihn einzufinden, sich mit seinem Rhythmus und seinem ganzen Modus operandi vertraut zu machen. SCHAMLOS ist ein bisschen wie der komische Kumpel, den ein Bekannter ungefragt anschleppt, und der sich gar nicht erst lange vorstellt oder zurückhält, sondern sich gleich benimmt wie zu Hause. Man braucht dann einen Tag, um festzustellen, dass er eigentlich ganz in Ordnung ist, dieser Kumpel, auch wenn er sich keine große Mühe macht, einem zu gefallen, und sich noch weniger darum schert, ob er das tatsächlich tut. Ganz zu Beginn von Sallers Film, da weiß man allerdings, dass man nicht an der ganz falschen Adresse sein kann – quasi das Äquivalent zum sympathischen Band-T-Shirt, dass einem bei besagtem Kumpel als erstes ins Auge sticht: In betont sachlichen, nüchternen und seriös klingenden Worten wird einem da via Schrifttafel erklärt, dass der folgende Film ein hehres Anliegen verfolge, ja, dass es ihm um nicht weniger gehe als die Aufklärung, darum ein Bewusstsein zu schaffen für die Abwärtsspirale, in der unsere Jugend unaufhaltsam ihrem Abgrund entgegenschlittere. Man weiß da schon, dass das reine Lippenbekenntnisse sind, dass der Film froh über jeden jugendlichen Straftäter ist, der ihm Stoff für einen gepflegten Reißer liefert, und diese Dreistigkeit, die nimmt einen natürlich sofort ein für SCHAMLOS.

Erzählt wird die Geschichte von Alexander Pohlmann (Udo Kier), einem 20-jährigen Kriminellen, der mit seiner Gang Schutzgelder von Frankfurter Geschäftsinhabern erpresst und nebenbei mit der geilen Annabella (Marina Paal) liiert ist. Zwar genießt er die gemeinsamen Schäferstündchen mit der experimentierfreudigen Freundin, doch mehr noch bewegt ihn der Gedanke an die Knete, die ihre Offenherzigkeit und Schönheit ihm einbringen könnte. Ohne jede falsche Sentimentalität verhökert er sie an den Nachtklubbesitzer und Zuhälter Kowalski (Rolf Eden) – und tritt danach erst einmal relativ unvermittelt ab, um Platz für Annbella und ihre zwielichtiger Karriere zu machen. Die dauert indes nicht lang, denn ihr Schicksal ist natürlich vorgezeichnet: Sie wird umgebracht, möglicherweise von ihrem letzten Freier, dem Unternehmer Hohenberg, und das ruft sowohl Alexander auf den Plan als auch Annabellas Vater (Vladimir Medar). Während letzterer Rache für das Verbrechen möchte, hat Alexander noch einen Hintergedanken: Er vermutet Kowalski hinter dem Mord und sieht eine Möglichkeit, die Unterweltgröße von ihrem Thron zu stoßen. Mithilfe des Anwalts Dr. Fuhrmann (Herbert Kersten) initiiert Alexander einen Prozess …

SCHAMLOS ist geil, schnell, hart, wie ein Ritt auf der heißen Annabella oder auch die Fahrt mit einem aufgemotzten Schlitten über Frankfurter Kopfsteinpflaster. Der Rotlichtsumpf, er sieht in unnachahmlich cooles, à-bout-de-soufflöses Schwarzweiß gegossen unwiderstehlich aus, endlos verlockend und bedrohlich zugleich: ein Ort für echte Kerle eben, Frankfurt Sin City. Alexander Pohlmann ist natürlich ein Arschloch (genauso wie Kowalski und eigentlich überhaupt alle Figuren, die den Film bevölkern), aber wenn man so aussieht wie er, wird das zum verzeihlichen Makel. Das narrative Holterdipolter passt zur Kurzatmigkeit, mit der die Nachtschattengewächse ihrem Geschäft nachgehen: Immer auf der Suche nach einem neuen Coup, immer auf dem Sprung, zum Zerreißen gespannt, fiebrig zitternd, mit vibrierenden Muskeln und aufgestellten Haaren, wie ein lauerndes Raubtier in den Sekundenbruchteilen vor dem Angriff oder der Flucht. Wie sich die Story in der zweiten Hälfte entwickelt, ja, wie SCHAMLOS sich in dieser zweiten Hälfte eigentlich überhaupt erst entscheiden kann, eine Geschichte erzählen zu wollen, das erinnert ein bisschen an Fritz Langs großen M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER, mit dem Unterschied, dass es den Schurken, die hier Gericht halten, nicht um die Moral geht, lediglich um verletzte Eitelkeiten. Noch andere Filme fallen einem ein, Fassbinders LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD oder eben Godards À BOUT DE SOUFFLE, oder natürlich die tief in schwarzer Melancholie versinkenden Sittenreißer jener Tage, ST. PAULI ZWISCHEN NACHT UND MORGEN vielleicht an vorderster Front. Aber SCHAMLOS geht seinen eigenen Weg, hat nichts zu tun, will nichts zu tun haben mit verblendeter Romantisierung, mit Intellektualisierung oder politischem Revoluzzertum, mit Liebe schon gleich gar nichts. Hier geht es einzig und allein um den Ritt, den Thrill, den Arschtritt und den Geschmack von Metall auf der Zunge, um das durch die verengten Gefäße peitschende, mit Adrenalin versetzte Blut, glänzende Lederjacken, begehrenswerte Kurven und den von schwarzen Sonnenbrillengläsern neutralisierten Stahl im Blick. Eddy Saller hat – entgegen seiner einleitenden Worte – keinerlei politische oder moralische Agenda. Aber auf rein gefühlsmäßiger, affektiver Ebene ist SCHMALOS pure Agitation, eine sinnliche Provokation, der lüstern-geile Griff an die sich hinter engen Jeans abzeichnende Erektion.

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