série noire (alain corneau, frankreich 1979)

Veröffentlicht: Juli 30, 2018 in Film
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Franck Poupart tanzt. Er spielt das Air-Saxophon und wiegt sich ebenso enthemmt wie ungelenk zur Musik. Er singt im Auto. Er legt sich mit Rockern an und schaut nervös wie ein Reh im Scheinwerferlicht, wenn sie sich ihm dann zuwenden. Er lügt, betrügt und stiehlt. Er erfindet haarsträubende Ausreden. Oder er schweigt, als hoffte er, die im Raum schwebenden Fragen lösten sich dann in Luft auf. Er schimpft und klagt, fühlt sich immer angegriffen. Er heult und schlägt um sich. Er verliert die Beherrschung, schreit und geht in die Luft wie das HB-Männchen. Im nächsten Moment ist ihm sein Ausbruch dann peinlich, aber zugeben würde er das nicht. Er verliebt sich in ein junges,traumatisiertes Mädchen, das nie etwas sagt. (Oder er meint, sich verliebt zu haben: Eigentlich verliebt er sich in die Idee sich zu verlieben, weil das ein Beweis dafür wäre, dass er kein irrer Solipsist, sondern ein Mensch ist.) Er plant einen Mord für Geld. Er erschlägt eine alte Frau mit bloßen Händen, schleppt ihren leblosen Körper die Treppe hoch, um ihn wieder runterzuschmeißen. Er freundet sich mit einem Mann an, um ihn später umzubringen. Er erwürgt seine Frau, weil sie Fragen stellt. Er rennt mit dem Kopf gegen sein Auto, weil er sich hasst. Er beschimpft sich. Er heult. Franck Poupart ist ein jämmerlicher Feigling, glitschig wie ein Aal, ausgehöhlt, ohne Prinzipien, aber mit der festen Überzeugung ausgestattet, dass das Leben ungerecht zu ihm ist. Er ist ein Mörder. Nur sich selbst zu töten, dafür fehlt ihm der Mut.

Der Mann, der Franck Poupart das jungenhafte blasse Gesicht mit dem vornehmen Schnurrbart gibt, die schütteren Haare, den leeren Blick, die linkischen Bewegungen und das Temperament eines Alligators ist Patrick Dewaere, der hier – glaubt man vielen, die besser mit seinen Filmen vertraut sind als ich – seine beste Leistung abliefert. Er verleiht Poupart eine lachhafte Gestalt, interpretiert ihn als Versager ohne jedes Rückgrat, als Dummkopf, bei dem sich dreiste Bauernschläue mit moralischer Flexibilität und dem gefährlichen Ehrgeiz des Emporkömmlings paart. Manchmal gelingt es Dewaere, als Poupart eine so lächerliche Figur abzugeben, dass man Mitleid mit ihm haben möchte, aber auch diese Tür schlägt er mit seiner Selbstgerechtigkeit sofort wieder zu. Jede, wirklich jede Entscheidung die er trifft, jedes Wort, das er sagt, ist falsch. Das ist kein Unvermögen mehr. Er hat die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens entweder nicht begriffen oder aus freien Stücken verworfen, weil sie ihn nicht weitergebracht haben. Wie man es dreht, es kommt nichts Gutes für ihn dabei heraus: Ersteres macht ihn zum Vieh, letzteres zum Soziopathen.

Alain Corneaus Verfilmung von Jim Thompsons Roman „A Hell of a Woman“ ist ein Meisterwerk, dabei gleichzeitig Hommage, Aktualisierung und Europäisierung sowie beinahe satirische Übersteigerung klassischer Noir-Motive – ohne dabei jedoch ihre tragisch-existenzialistischen Untertöne zu nivellieren. Getragen von Patrick Dewaeres unglaublicher Leistung dürfte SÉRIE NOIRE darüber hinaus eine der beindruckendsten, verstörendsten und herunterziehendsten Porträtierungen menschlicher Jämmerlichkeit sein, die je inszeniert wurden. Die Trostlosigkeit des Films ist kaum zu ertragen: Es hilft ein wenig, dass Dewaere diesen Poupart mit vollem Körpereinsatz interpretiert und SÈRIE NOIRE in manchen Momenten zur Körperkomödie macht. Aber wirklich nur ein wenig. Es fällt schwer, sich ein Leben außerhalb der abgebildeten Tristesse vorzustellen.  Der Himmel ist grau, das Wetter durchweg mies, die Häuser abgeranzt und vergammelt, zwischen ihnen erstreckt sich sumpfiges Brachland oder brutale Betonklötze versperren die Sicht. Nur wenige Menschen bevölkern diese Vorhölle und alle sind sie verloren. Es gibt keinen Ausweg, für keinen von ihnen. Niemand tut irgendetwas Gutes, jeder lebt nur auf Kosten der anderen, schlägt die Tage tot und hofft, abends mehr zu besitzen als am Morgen zuvor. Die vielleicht menschlichste Regung von allen zeigt der von Poupart provozierte Rocker: Anstatt den Jammerlappen vom Stuhl zu fegen, gibt er ihm einen langen Kuss auf den Mund. Er weiß, wie man diese verkommene Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Pouparts Blick sagt dann auch alles. Er weiß nicht, wie er reagieren soll. Er geht einfach.

SÉRIE NOIRE endet konsequenterweise nicht mit der Bestrafung des Mörders: Er wird weder verhaftet noch wird er Opfer seines amateurhaften Vorgehens. Stattdessen wird er mit der Parodie eines Happy Ends beschenkt: Wer ihm etwas konnte, hat sich teuer ausbezahlen lassen, eine für Recht und Ordnung sorgende Staatsmacht ist den ganzen Film über nicht in Erscheinung getreten. „Die Leute“, wer immer sie sein mögen, so hört man, munkeln, aber niemand wird etwas sagen, weil es nichts zu gewinnen gibt. Also schließt Franck auf offener Straße seine Mona in die Arme und dreht sich und dreht sich und dreht sich mit ihr, dass ihre Füße vom Boden abheben. „Niemand kann uns jetzt noch etwas anhaben“, ruft er immer wieder wie ein Irrer in die Nacht hinaus. Ich glaube, er dreht sich deshalb so lange, weil er gar nicht weiß, was er mit dieser „Freiheit“, diesem „Triumph“ anfangen soll. Drinnen, im Badezimmer seines Hauses, liegt seine tote Gattin. Er hat sie schon vergessen.

 

 

 

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