die erben (walter bannert, österreich 1983)

Veröffentlicht: Februar 8, 2020 in Film
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Der junge Thomas Feigl (Nikolas Vogel) wächst mit seinem musizierenden Bruder in einem lieblosen Elternhaus auf. Der Mangel an Kommunikation und Verständnis treibt ihn zusammen mit seinem halbstarken Kumpel Charly (Roger Schauer), dessen Familie zu Hause vom saufenden Vater terrorisiert wird, in die Arme der Jugendbewegung einer rechtsradikalen Partei, die sich anschickt, da weiterzumachen, wo die NSDAP einst aufgehört hatte. Von der Kameradschaft begeistert und einer Ideologie eingefangen, die Stärke, Reinheit und Stolz propagiert und Schwäche verachtet, landet Thomas schließlich sogar in einer paramilitärischen Absplitterung der Jugendgruppe. Hier wird ihm auch noch die letzte Hemmung ausgetrieben, auf Menschen zu schießen und sie umzubringen.

Die Idee zu DIE ERBEN hatte Bannert, der zuvor mit dem Jugendsportfilm WAS KOSTET DER SIEG? debütiert hatte, als er in einem Lokal Opfer eines gewaltsamen Angriffs rechter Schläger wurde. Sein Wunsch war es danach, die Öffentlichkeit vor der sehr realen Bedrohung durch Neonazis zu warnen, die zu Beginn der Achtzigerjahre großen Zulauf von Jugendlichen fanden – und immer noch finden. Zur Vorbereitung für DIE ERBEN drang Bannert tief in die rechte Szene ein: so tief, dass er als Mitglied eines rechten Schlägertrupps, der im Münchener Hofbräuhaus randalierte, sogar auf einem Foto abgelichtet in einer Tageszeitung landete. Als sein „Verrat“ an den braunen Kameraden bei Veröffentlichung des Films publik wurde, sah er sich heftigen Repressalien und Morddrohungen ausgesetzt, Vorführungen von DIE ERBEN wurden immer wieder zur Zielscheibe rechter Anschläge, sodass viele Kinos sich gezwungen sahen, den Film aus dem Programm zu nehmen. Wen bei Betrachtung von DIE ERBEN also der Eindruck ereilt, das dort dargestellte Auftreten und Treiben der Neonazis sei hoffnungslos überzogen, der sollte in Erwägung ziehen, dass es vielleicht tatsächlich so schlimm sein könnte wie gezeigt. Viele Szenen speisen sich aus den Erfahrungen, die Bannert während seiner Zeit als Undercover-Agent in der rechten Szene sammelte.

Gedreht wurde DIE ERBEN in Österreich mit österreichischen Darstellern, wie man am Akzent unschwer erkennen kann, aber der Schauplatz wird nie konkret benannt und wenn von Nationalitäten die Rede ist, dann ausschließlich von der deutschen. Das macht die Schamlosigkeit, mit der die Neonazi-Partei ganz öffentlich auftritt, ausgestattet mit stilisierten Hakenkreuzbinden und -flaggen und der alltagstauglichen Variation der schnittigen SS-Uniformen, nur noch frappierender. Der Gipfel ist sicherlich der Besuch der Jungs bei einem Altnazi, der stolz die Schreibtischlampe mit dem Schirm aus echter Judenhaut aus Auschwitz vorzeigt (leider, so bedauert er, habe er den einstigen Besitzer der Haut nicht identifizieren können, denn die letzte Ziffern der sichtbaren Häftlingsnummer seien unkenntlich). Die kurze Verwunderung Thomas‘ über die geradezu mit Ehrfurcht ausgesprochene Aussage, pro Tag seien bis zu tausend Juden in Auschwitz vergast worden, die doch im Widerspruch zu der sonst propagierten Haltung steht, der Holocaust sei eine infame Erfindung der Linken, weicht schnell wieder der Faszination. Den ersten Blowjob holt er sich von einer Prostituierten und er trägt dabei die SS-Mütze und ein schickes Lederholster über dem sonst nackten Körper. Als er mit seiner Wehrsportgruppe trainieren geht, üben sie die fachgerechte Exekution durch Genick- oder Hinterkopfschuss an einem der ihren, den sie zuvor nackt ausgezogen und dann mit dem Davidsstern gekennzeichnet haben.

Die amerikanische Kritik, die im Booklet der Mondo-Macabro-Veröffentlichung zitiert wird, bemängelte den angeblich pulpigen Charakter des Films, seine Grobschlächtigkeit, den Mangel an Subtilität und die Klischeehaftigkeit in der Darstellung der Nazis. Bannert entgegnete ihr, dass es ihm nicht um Subtilität gegangen sein, dass er stattdessen habe aufrütteln und schockieren wollen, was ohne Zweifel nachvollziehbar ist und ihm auch gelang. Aber ich habe den Film gar nicht als so grobschlächtig empfunden: Inszenatorisch ist er sehr ungeschliffen, das ist richtig, er dokumentiert eher als dass er bewusst inszeniert. Visuell ist DIE ERBEN roh und direkt, dadurch eben sehr realistisch und authentisch, „dokumentarisch“, wie man gemeinhin sagt. Der Erzählfluss ist nicht ruhig, sondern sprunghaft und ruckartig, es wird eben nicht alles auserzählt und „rund“ gemacht, es gibt auch kein befriedigendes Ende. Auf den ersten Blick lädt DIE ERBEN dazu ein, Thomas‘ Abstieg in die rechte Szene kausal auf das lieblose Elternhaus zurückzuführen, auch weil dies der einzige Aspekt seines Lebens ist, der sich als Erklärung anbietet. Die Nazis schließlich – sowohl die brutalen Schläger als auch die Anzugträger von der Parteifront – sind ausnahmslos schurkische Gesellen ohne jede positive Eigenschaft, Schamgefühl oder auch nur die geringste politische Bescheidenheit. Auch hier gestand Bannert, bewusst auf eine Differenzierung verzichtet zu haben, weil er der Überzeugung war, dass die humanistische Gesinnung seines Publikums gewissermaßen von außen für die nötige Balance sorgen würde. Ich finde diese Strategie sehr einleuchtend – und glaube, dass die oben skizzierte Kritik den Film unterschätzt hat. Zunächst mal geht es Bannert nicht um die Frage nach dem „Warum“: Er zeigt einfach, was er damals sah und treibt dies sehr konsequent auf die Spitze. Statt einer einfachen Lebensweisheit – „sei lieb zu deinen Kindern, wenn du nicht willst, dass sie Nazis werden“ – liefert er in erster Linie Unbehagen: Thomas‘ Eltern mögen egoistische, lieblose Tröpfe sein, aber sie sind gewiss keine Barbaren, entstammen ganz im Gegenteil dem gehobenen Bürgertum. Trotzdem schützt ihren Sohn das nicht vor dem Übergriff durch die Nazis, viel eher hat man sogar den Eindruck, es bereite ihm eine gewisse Genugtuung, die humanistischen Werte seiner Erzeuger und der Autoritätsfiguren, die sich nie für ihn interessiert haben, mit Füßen zu treten. Und – das ist vielleicht das deutlichste Zeichen dafür, dass Bannerts Antrieb nicht der Hass auf Nazis, sondern die Liebe zum Menschen war – wenn Thomas am Ende seiner Desensibilisierung zum Mörder am brutalen Vater Charlys wird, dann ist das ja ein Akt der Freundschaft. Es trifft eben nicht „den Juden“, „den Linken“, „den Kommunisten“, sondern einen Mann, der die ganz banale Rücksichtslosigkeit gegenüber dem anderen repräsentiert, ohne jeden politischen Überbau.

Bannerts Laufbahn setzte sich fort mit dem Jugendfilm HERZLOPFEN, dann fing der Mainstream ihn für AHAVA TZEIRA, den siebten Teil der EIS AM STIEL-Reihe, und GUMMIBÄRCHEN KÜSST MAN NICHT EIN. Bannert ging danach zum Fernsehen, wo er sein Talent in den Dienst von Serien wie AUF ACHSE, EIN BAYER AUF RÜGEN, DIE ROSENHEIM-COPS, DER BULLE VON TÖLZ, JULIA – EINE UNGEWÖHNLICHE FRAU, DIE GARMISCH-COPS oder TATORT stellte. Der starke Hauptdarsteller Vogel spielte sowohl in WAS KOSTET DER SIEG? als auch in HERZKLOPFEN mit, hängte seine Karriere dann aber an den Nagel, um Fotograf zu werden. Als er in dieser Tätigkeit 1991 nach Slowenien reiste, um dort den Zehn-Tage-Krieg zu dokumentieren, kam er bei einem Bombenabwurf ums Leben. Er war gerade 24 Jahre alt.

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