sympathy for the devil (jean-luc godard, großbritannien 1968)

Veröffentlicht: Oktober 1, 2009 in Film
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sympathyforthedevil[1]Godard parallelisiert in seiner Semidoku den kreativen Prozess, der zur Entstehung eines der berühmtesten Songs der Rolling Stones führt, mit dem kognitiven Prozess, der einer linken Revolution vorangeht. In mehreren Kapiteln wohnt der Zuschauer abwechselnd den Stones im Tonstudio bei, wo er die Entstehung des Songs von den ersten Proben bis zu den Aufnahmen verfolgt, und verschiedenen gestellten Szenen, in denen etwa die Black Panther ihre Philosophie darlegen und sich auf die kommende Revolution vorbereiten, „Eve Democracy“ (Anne Wiazemski) im Wald von einem Fernsehteam interviewt wird – und stets mit „Ja“ oder „Nein“ antwortet -, eine Frau Wände, Autos und Plakatwände mit agitatorischen Grafitti besprüht und Menschen in einem Zeitschriftenladen Schundromane, Pornomagazine und Comics kaufen, während ein Mann nationalsozialistische Literatur verliest.

Ich musste  die zwangsläufig aufdämmernden Assoziationen zu kulturellen Errungenschaften der 68er-Generation wie linkem Impro-Theater, Happenings und bemühtem politischem Kabarett zunächst etwas beiseite schieben, um den Film genießen zu können, doch dieser potenziell furztrockene Thesenfilm hat mich irgendwann schließlich in seinen Bann gezogen, weil Godard viele formale Finessen aufbietet und – wie mein Mitgucker Kasi richtig ausführte – ein enorm weites thematisches Feld aufspannt, auf dem man sich in alle Richtungen verlieren kann. Der aufrührerische Gestus, mit dem hier linksradikale Schriften und Pamphlete verlesen werden, bildet meines Erachtens nämlich nur den Unterbau für (für mich) sehr viel spannendere Themen, wie etwa Godards Medien- bzw. Selbstreflexion, die Frage nach der Authentizität dokumentarischer Bilder oder jene nach dem Verhältnis von Spontaneität und Inspiration im künstlerischen Schöpfungsprozess. Letztere treibt vor allem die Stones-Sequenzen an: Akribisch-lückenlosen Passagen, die das Feilen an einer fast nackten Rohversion dokumentieren, werden von krassen Zeitsprüngen konterkariert, die den Betrachter plötzlich mit einer fast fertigen Fassung des Songs konfrontieren. Was ist dazwischen passiert? Und wie viel Zeit wurde übersprungen? Gerade für mich als musikalischen Laien, der nach zwei musikalisch reichlich unfruchtbar verlaufenen Band-Anfängerjahren frustriert das Handtuch warf, offenbart sich in diesem Sprung das ganze Mysterium großer Musik: Wie entsteht sie? Woran „erkennen“ diejenigen, die sie machen, dass ein Song fertig ist? Wussten die Stones, was sie wollten, als sie mit den Aufnahmen zu „Sympathy for the Devil“ begannen? Wie oft nahmen sie den Song auf, bis sie meinten, dass er fertig war? Und in wie vielen verschiedenen Versionen? Godard muss dieses Mysterium aufrecht erhalten, weil sie die Essenz seiner Musik/Revolutions-Metapher sind: Es ist ein langer Weg bis zum Umsturz und es gibt kein Patentrezept dafür, wie er zu gehen ist. (Ein solches Rezept wäre geradezu die Negation des Wesens von Revolution, denn wie heißt es in einem zentralen Satz des Films: „There is only one way to be an intellectual revolutionary and that is to give up being an intellectual.“) Kein Wunder, dass Godard darüber erzürnt war, dass seine Produzenten darauf bestanden, den fertigen Song unter den Endcredits laufen zu lassen (die von mir gesehene Fassung ist nicht die von Godard autorisierte; jene lautet auf den Namen ONE PLUS ONE).       

Die oben angesprochene Parallelisierung der unterschiedlichen thematischen Stränge wird formal vor allem in der durchgehenden Inszenierung der einzelnen Sequenzen in langen Einstellungen ohne Schnitt deutlich. Die Black-Panther-Sequenzen zeigen die politischen Aktivisten auf einem Schrottplatz beim Verlesen politischer Texte, beim Erschießen von in weißen Nachthemden gekleideten weißen Frauen, dem Weiterreichen von Maschinengewehren oder dem Geben von Interviews. Die Sequenzen sind zwar wie gesagt ohne Schnitt realisiert, doch werden sie durch die Handlungen der gezeigten Personen strukturiert: Jede Sequenz unterteilt sich im Fluss in einzelne „Sinn“-Abschnitte (so wie ein Song sich in Strophen, Bridges und Refrains gliedert, die jedoch ineinandergreifen). Was sich auf dem Papier wie ein straffes, unflexibles und verkopftes formales Konzept liest, entwickelt im vorliegenden Film jedoch eine befreiende Kraft, die die Strenge der politischen Aussage geschickt unterwandert. Man sollte es kaum glauben, aber SYMPATHY FOR THE DEVIL ist ein schöner Film.

Spannend auch das Geschehen auf der Tonspur: Da mischen sich dn bester Popmanier der Voice-over und das onscreen Gesprochene zu einem unentwirrbaren Kauderwelsch, die misogynen Fantasien aus Pulpromanen mit der rassistischen Agitation von Eldridge Cleaver und nationalsozialistischem Gedankengut und geraten die live aufgenommenen Sprecher immer wieder aus dem Aufnahmebereich des onscreen vorhandenen Mikrofons – sowohl in den Stones-Passagen als auch besonders eklatant in der Eve-Democracy-Sequenz -, illustrieren das unfertige, improvisierte, spontane, das bei aller formalen Finesse diesen Film auszeichnet. Oder um es dialektisch auf die Punkte zu bringen: Die Finesse besteht gerade in der Spontaneität, die das Unerwartete und Schöne hervorbringt.

Ein Film, über den man endlos reden kann. Ich höre hier auf.

Kommentare
  1. […] Das ist jetzt tatsächlich der erste Godard in meiner kleinen Retrospektive (SYMPATHY FOR THE DEVIL, den ich im vorvergangenen Jahr gesehen habe, lasse ich mal außen vor), der dem entspricht, was […]

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