the jazz singer (richard fleischer, usa 1980)

Veröffentlicht: Dezember 18, 2011 in Film
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Yussel Rabinovitch (Neil Diamond) ist der jüngste in einer langen Familientradition jüdischer Kantoren. Doch für den Sohn von Cantor Rabinovitch (Laurence Olivier) und den Ehemann der Jüdin Rivka (Catlin Adams) ist das Singen in seiner New Yorker Synagoge nur noch Pflichterfüllung: In seiner Freizeit schreibt er Songs und tingelt unter seinem Künstlernamen Jess Robin mit einer Band durch die Lokale. Als sich ihm tatsächlich die Chance auf eine Popkarriere bietet, greift er zu und reist nach Los Angeles. Sehr zum Verdruss und Unverständnis seines Vaters und seiner Frau …

Fleischers THE JAZZ SINGER, das gleichnamige Remake des ersten Tonfilms der Filmgeschichte von 1927, ist ein gut geeignetes Beispiel, um darzulegen, wie Fleischers Enthusiasmus und seine Lust, sich Herausforderungen zu stellen, ihm manchmal den Blick vernebelten, ihm im Weg standen: Wahrscheinlich war dieses Remake für jeden außer ihn und die direkt Beteiligten als Schnapsidee erkennbar, er sah wahrscheinlich nur die Gelegenheit, sich mit zwei absoluten Superstars (allerdings way past their prime) an einem monumentalen Klassiker der Filmgeschichte abzuarbeiten. Sofern ich das anhand der Inhaltsangaben im Netz beurteilen kann (ich habe Alan Croslands THE JAZZ SINGER nie gesehen), bleibt Fleischer dem Original weitestgehend treu. Der wohl berühmteste Aspekt des Klassikers, Stichwort: blackface, wird natürlich über Bord geworfen, lediglich in einer kurzen, lustig gemeinten und nicht recht zum Rest des Films passenden Szene referenziert, in der Jess sich auf der Bühne als Schwarzer ausgeben muss, weil ein Musiker krank geworden ist.

THE JAZZ SINGER funktioniert sonst als formelhafte Geschichte vom Aufstieg eines Musikers und den persönlichen Konflikten, die es dabei für ihn zu bewältigen gilt. Wie wenig gelebt, wie gestelzt und vor allem wie erschreckend spaßfrei und deprimierend THE JAZZ SINGER wirkt, sieht man unter anderem daran, dass Fleischer gleich zweimal innerhalb der zweiten Hälfte des Films auf Montage-Sequenzen zurückgreifen muss: einmal, um sich einstellenden Erfolg und Glück schlaglichtartig zu beleuchten, dann, nach dem unvermeidlichen Konflikt, um seinen Niedergang zu illustrieren. Hier geht THE JAZZ SINGER endgültig in die Binsen, nachdem er zuvor immerhin biederen Durchschnitt bot: Wenn Jess sich nach einer Konfrontation mit seinem Vater in einer grausam konstruierten Szene erst mit seinen Musikerkollegen und dann mit seiner Geliebten Molly (Lucie Arnaz) überwirft, besagte Montage-Sequenz dann zeigt, wie er mit Seesack, Cowboyhut und Klampfe auf Sinnsuche im amerikanischen Heartland und seinen Countrykneipen geht, ist diese peinliche Übersteuerung aber eigentlich auch nur exemplarisch für ein Problem, das den Film insgesamt kennzeichnet: Statt Differenzierung und Genauigkeit hagelt es Schwarzweißmalerei und Klischees. Die Szenen in der jüdischen Gemeinschaft in New York sind in erdrückenden Braun- und Beigetönen gehalten, spielen in nur wenig ansehnlichen Settings, Vater Rabinovitch und Ehefrau Rivka kann man mit ihrer Leichenbittermiene und ihrem jammervollen Habitus schon fast als antisemitische Zerrbilder bezeichnen. Die Vehemenz mit der sie sich gegen die Karriere Jess‘ stellen wird niemals nachvollziehbar.

Fleischer, dem es zuvor stets gelungen war, auch Nichtschauspieler gut aussehen zu lassen, versagt hier leider dabei, den großen Olivier im Zaum zu halten: Die Szenen eines der größten Filmstars aller Zeiten muss man schon fast als Selbstdemontage bezeichnen. Neil Diamond kommt demgegenüber deutlich besser weg. Seine Auszeichnung mit der „Goldenen Himbeere“ darf angesichts einer gleichzeitigen Golden-Globe-Nominierung relativiert werden. Seine Stimme (und der Soundtrack mit drei Top-10-Singles) ist wohl das größte Qualitätsmerkmal und das deutlichste Lebenszeichen des Films. Dass er 1980 trotzdem alles andere als die Idealbesetzung für einen aufstrebenden Star war, darüber lässt sich kaum streiten. THE JAZZ SINGER war von vornherein zum Reinfall prädestiniert. Und Fleischer fehlte 1980 wohl einfach die Energie, daran etwas zu ändern.

Kommentare
  1. Whoknows sagt:

    Du liebe Güte! „Song Sung Blue“ spielte in einem Film mit? Danke für die Warnung! Ich konnte den Kerl nie ausstehen. 😀

  2. Thies sagt:

    War das sowas wie eine kurze Strömung im Weltkino sich an den Stummfilmvorbildern abarbeiten zu müssen? Werner Herzog’s „Nosferatu“ war schliesslich gerade mal ein Jahr vorher gedreht worden. Klar, zwei Filme ergeben noch keinen Trend, aber dass sich zwei Filmemacher in so kurzem Abstand auf in ihrer Art so gewagte wie sinnlose Experimente einlassen, erscheint wie ein sehr merkwürdiger Zufall.

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