la ragazza del vagone letto (ferdinando baldi, italien 1979)

Veröffentlicht: Dezember 19, 2011 in Film
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Ein Nachtzug in die Schweiz wird mit lauter furchtbaren Vertretern der Gattung Mensch vollgeladen, von denen drei junge hedonistische Designerproleten sich als noch einen Tick asozialer erweisen als der Rest und sich sogleich daran machen, den Rest zu terrorisieren – so er denn männlich ist – oder zu vergewaltigen – so er weiblich ist. In dem Waggon, in dem eine Edelprostituierte (Silvia Dionisio) das Objekt der Begierde für drei Testosteronprotze darstellt, herrscht Anarchie, bis sich schließlich ein Häftling den Unholden entgegenstellt …

Ferdinando Baldis Sleazereduktion von Aldo Lados L’ULTIMO TRENO DELLA NOTTE – seinerseits wiederum eine italienisch-gallige Annäherung an Cravens LAST HOUSE ON THE LEFT – mit analytischem Werkzeug zu begegnen, würde bedeuten, sie etwas zu ernst zu nehmen. Muss man den beiden genannten Filmemachern ohne Zweifel unterstellen, mit ihrer schmerzhaften Kritik genau ins Schwarze getroffen und unangenehme Wahrheiten über die Scheinheiligkeit des Bürgertums enthüllt zu haben, so begnügt sich Baldi damit, die erfolgreiche Blaupause für ein saftiges Exploitationstück zu instrumentieren. Aber wem erzähle ich etwas: Der Film heißt auf Deutsch HORROR-SEX IM NACHTEXPRESS. Wer sich an der Zurschaustellung von Niedertracht um der Niedertracht willen delektieren kann, wird hier also definitiv fündig, wenn man auch sagen muss, dass Baldi mit angezogener Handbremse operiert, der Film immer im Rahmen dessen bleibt, was man damals zeigen konnte. Das ist ja das eigentlich Abgeschmackte, Skandalöse an diesen und vergleichbaren Filmen: Sie setzen zwar auf Sex und Gewalt, aber es darf auch nicht wirklich wehtun. Feministen werden jedenfalls ihre helle Freude an einer Vergewaltigungsszene haben, die das Opfer mit auffallender Bereitwilligkeit über sich ergehen lässt. Aber dieses opportunistische Manövrieren zwischen der Befriedigung der Schaulust einerseits und dem Einhalten der nicht ausgesprochenen Übereinkunft, innerhalb „sicherer“ Grenzen zu verbleiben, macht ja auch den Reiz solcher Filme aus.

LA RAGAZZA DEL VAGONE LETTO bedient schon mit seinem Personeninventar jedes gängige Vorurteil des Bild-Zeitungs-Lesers: Da gibt es das sich ständig streitende Ehepaar bestehend aus der jungen, attraktiven Frau (Zora Kerova) und dem älteren, eifersüchtigen Mann (Venantino Venantini), den bonzigen Politiker, der sich von seinem Adlatus Pornohefte am Bahnhofskiosk kaufen lässt und bei der ersten Gelegenheit mit der Edelnutte ins Bett hüpft, und schließlich die Kleinfamilie, deren Vater es auf die schnuckelige Tochter abgesehen hat. Ein gefundenes Fressen für die drei Proleten, die in den anwesenden Männern bald schon willige Komplizen für ihre Schandtaten finden, während die Frauen um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müssen. Der letzte Satz deutet es schon an: In diesem durchweg krachigen Sleazehaufen verbirgt sich irgendwo ein Film, der den Konflikt aus den weiter oben genannten Vorbildern entlang der Gender- statt der Klassengrenzen austrägt, doch Baldi hat sich mit weniger zufrieden gegeben. Die stärkste Szene des Films illustriert lustigerweise auch seinen generellen Makel: Als ein Rentner, der seine schwerkranke Ehefrau im Zug transportiert, um Hilfe bittet, wird er von dem zynischen Politiker grob abgefertigt. Das lässt dessen Assistenten, einem rückgratlosen Ja-Sager, endlich den Kragen platzen. Doch sein Wutanfall, seine Konfrontation des Chefs, mutet aller benutzten Schimpfworte zum Trotz seltsam zahnlos an. Am Ende kassiert er die Entlassung und setzt sich etwas ratlos wieder auf seinen Platz. Dieser Zug ist einfach nicht der Ort für große gesellschaftliche Umbrüche.

Kommentare
  1. […] Horror-Sex im Nachtexpress (Ferdinando Baldi, 1980) […]

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