l’assassino (elio petri, italien/frankreich 1961)

Veröffentlicht: Februar 16, 2012 in Film
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Eines Morgens klopft die Polizei beim Antiquitätenhändler Alfredo Martelli (Marcello Mastroianni) an die Tür und bittet ihn ohne weitere Erklärungen mit aufs Revier zu kommen. Nach einigen Stunden des Wartens sieht er sich endlich mit einem konkreten Vorwurf konfrontiert: Er soll seine ehemalige Geliebte umgebracht zu haben, die einige Jahre ältere, wohlhabende Adalgisa De Matteis (Micheline Presle), die ihn auch finanziell immer unterstützt hat. Die Fragen des ermittelnden Kommissars (Salvo Randone) lassen den jungen Mann in sich gehen und seine Beziehung zu Adalgisa und bis zur Trennung Revue passieren. Ist er wirklich so unschuldig wie er glaubt?

Die Ausgangssituation von Elio Petris erstem Spielfilm ließ mich gestern unweigerlich an Franz Kafkas „Der Proceß“ denken: Hier wie dort bekommt ein Mann aus heiterem Himmel Besuch von der Polizei und wird festgenommen, ohne dass ihm Gründe dafür genannt werden. Das Problem von K., dem Protagonisten von Kafkas Roman, besteht darin, dass es diese Gründe gar nicht gibt: Seine Suche nach Antworten führt ihn auf eine Odysse durch die absurd verschachtelte Bürokratie seiner Stadt, an deren Ende seine Hinrichtung steht, die er resigniert hinnehmen muss. Auch wenn es in L’ASSASSINO einen konkreten Vorwurf gegen Alfredo gibt, seine Unschuld am Ende bewiesen wird und Petris Film zudem mit beiden Füßen fest in der italienischen Realität der frühen Sechzigerjahre steht, so gibt es dennoch eine weitere Parallele zwischen beiden Werken: Denn wie K. erweist sich auch Alfredo als wenig sympathischer Zeitgenosse, der andere manipuliert, betrügt und ausnutzt, wo es nur geht. Seine vorübergehende Inhaftierung stößt zwar die Selbstreflexion bei ihm an, doch eine grundlegende Änderung seines Wesens kann man von ihm nicht mehr erwarten. Für ihn geht es nur darum, heil aus der Sache rauszukommen, um schließlich genauso weitermachen zu können wie zuvor.

Elio Petri näherte sich dem Film zunächst als Kritiker, so wie seine französischen Kollegen der Nouvelle Vague, bevor er dann zum Regieassistenten von Giuseppe De Santis wurde, einem der Protagonisten des italienischen Neorealismus. Politisch stand er als aktives Parteimitglied der KPI weit links und so verwundert auch die Stoßrichtung seines Films nicht. Alfredo hat die im Kapitalismus vorherrschende Mentalität gut verinnerlicht. In jeder Beziehung geht es ihm in erster Linie um den Profit, den er daraus ziehen kann. Nächstenliebe oder Mitgefühl sind ihm fremd: Die zwei alten Männer, die in einer unbeheizten Baracke am Stadtrand hausen und ihm ein paar Fundstücke anbieten, speist er mit einem lächerlichen Bruchteil des Geldes ab, dass er später dafür verlangen und bekommen wird und das obwohl einer der beiden dringend ärztliche Behandlung bräuchte. Und so verhält er sich auch in der Beziehung zu Adalgisa: Er spannt sie einem Bekannte aus, weil es sich gerade anbietet, er nimmt gern ihr Geld an, als es darum geht, sein Geschäft zu eröffnen, lässt sie aber fallen, als sich ihm die jüngere Antonella (Cristina Gaioni) anbietet, die ebenfalls aus wohlhabendem Hause kommt. Auch seine Reflexion ist rein oberflächlich. Sie bricht in dem Moment ab, als der wahre Täter gefasst wird, ihm also dämmert, dass er keinerlei Sanktionen zu befürchten hat. Kaum ist er zu Hause, macht er da weiter, wo er zuvor aufgehört hat. Der Tod seiner Freundin ist längst vergessen.

L’ASSASSINO markiert den beachtlichen Beginn von Petris Karriere: Kompositorisch ist er deutlich ausgereifter und ambitionierter als das, was man von einem Debüt gemeinhin erwartet. Der Schnitt, mit dem Petri teilweise nahtlos von der Gegenwart in die Erinnerungen Alfredos springt, ist sogar als spektakulär zu bezeichnen, Fotografie, Schauspielführung und Score runden den Film perfekt ab. Wirklich herausstechend ist aber der Ton des Films: Trotz seiner pessimistischen, ja sogar zynischen Weltsicht, mutet L’ASSASSINO nie wie eine Predigt von hoher Kanzel herab an, wie das für gesellschaftskritische Filme durchaus nicht selbstverständlich ist. Ein ganz feiner Humor durchzieht Petris Film, der auch seine Zukunftsdystopie LA DECIMA VITTIMA auszeichnet: Er philosophiert nicht mit dem Hammer, sondern indoktriniert den Zuschauer ganz sanft, sodass der gar nicht richtig bemerkt, was ihm da soeben verabreicht worden ist. Einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass L’ASSASSINO so funktioniert wie er funktioniert, hat Mastroianni, dem es tatsächlich gelingt, Sympathie für seinen aalglatten Egoisten beim Zuschauer zu wecken. Umso erschreckender wirken schließlich seine Missetaten. Aber Petri gibt sich keinen Illsuionen hin: Wir sind eben alle kleine Sünderlein. Er würde sich davon wahrscheinlich nicht ausnehmen.

 

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