dikaya okhota korolya stakha (valeri rubinchik, weißrussland 1979)

Veröffentlicht: Mai 24, 2012 in Film
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In den letzten Tagen des 19. Jahrhunderts sucht der junge Akademiker Andrej (Boris Plotnikov) vor einem Unwetter Unterschlupf in einem gewaltigen Schloss. Es wird von der anämischen Nadeshda Janowska (Yelena Dimitrova) und ihren Dienern bewohnt, die den jungen Mann freundlich aufnehmen. Doch Andrej, nach eigenem Bekunden Sammler von Sagen und Volksliedern, bemerkt schnell, dass etwas nicht stimmt: Alle Bewohner der Region scheinen verängstigt und geradezu fatalistisch, empfehlen ihm, die Gegend schleunigst wieder zu verlassen. Er erfährt von einer mysteriösen Mordserie, die die Einheimischen einem uralten Fluch zuschreiben: Vor Jahrhunderten soll ein Vorfahre der Janowska König Stach und seine Männer ermordet, die Leichen auf ihren Pferden festgebunden und in die Sümpfe getrieben haben. Weil Stach kurz vor seinem Tod noch ewige Rache schwören konnte und Augenzeugen tatsächlich von einer Reiterschar berichten, die aus den Sümpfen komme, befürchtet man, dass sich der Fluch tatsächlich bewahrheitet. Andrej beginnt nachzuforschen – und die Skepsis des Studierten gerät heftig ins Wanken, als er selbst der Reiterschar begegnet …

Um im Bild zu bleiben, könnte man sagen, dass DIE WILDE JAGD DES KÖNIG STACH (wie die freie deutsche Übersetzung des russischen Originaltitels lautet) nach dem etwas holprigen Schweinsgalopp über Stock und Stein namens ZIRNEKLIS anmutet wie ein entspannter Ausritt durch malerische Landschaften auf dem Rücken eines prächtigen Zuchthengsts. In opulenten Bildern erzählt Rubinchik seine Geschichte in getragenem Tempo und richtet den Fokus weniger auf ihren fantastischen Gehalt als auf die Auswirkungen der vermeintlich übernatürlichen Bedrohung auf die zahlreichen Figuren. Bleischwer lastet die Angst auf den Menschen um die Janowska, die sich längst apathisch ihrem vermeintlich unausweichlichen Schicksal ergeben haben. Man meint, hier durch die Brille des Mysterythrillers direkt in die von Gefühlswallungen hin und her gerissene russische Seele blicken zu können. Zu diesem Eindruck tragen auch die unglaublich Settings bei: Der barocken Düsternis des Schlosses steht die Kargheit der dieses umgebenden Sumpflandschaft gegenüber, die sich im ewigen Nebel bis in die Unendlichkeit auszudehnen scheint und nur wenig Hoffnung auf ein Morgen macht, das in Form eines neuen Jahrhunderts vor der Tür steht. DIKAYA OKHOTA KOROLYA STAKHA ist – wie eben erwähnt – ein Mysterythriller, ja, sein Plot nicht unähnlich etwa Arthur Conan Doyles THE HOUND OF THE BASKERVILLES (der mir natürlich auch wegen seines Sumpfsettings als Parallele eingefallen ist), was bedeutet, dass sich die übersinnliche Bedrohung am Ende als sehr weltlich erweist, hinter dem Spuk ein schnöder Mordplan steckt. Die Enttäuschung des Zuschauers darüber, dass hier kein aus dem Jenseits zurückgekehrter Geist sein Unwesen treibt, findet diegetisch ihre Entsprechung im Abschied einer von Aberglauben und Mythen geprägten Zeit und dem unvermeidlichen Eintritt in ein „aufgeklärtes“ Jahrhundert, das den endgültigen Siegeszug der Naturwissenschaften mit sich bringen wird. Zwar löst sich die Angst der Protagonisten zum Schluss in Luft auf, doch statt ihres Lebens haben sie etwas anderes verloren. Und die freudige Erwartung, mit der das Erwachen des 20. Jahrhunderts verkündet wird, kann der Zuschauer, der weiß, was dieses für Schrecken mit sich bringen wird, nicht teilen. Gegenüber den europäischen Schlachtfeldern des Ersten und Zweiten Weltkriegs nimmt sich die Rache König Stachs vergleichsweise harmlos aus.

Laut diverser Quellen beträgt die Laufzeit des Films offiziell 135 Minuten. Die DVD-Version, die mir vorlag, läuft satte 30 Minuten kürzer. Dass ich DIKAYA OKHOTA KOROLYA STAKHA dennoch als etwas langatmig und auch irgendwie umständlich erzählt empfand, liegt wahrscheinlich eher darin begründet, dass man hier versucht hat, einen Film in eine Schablone zu pressen, in die er einfach nicht hineingehört. Rubinchik folgt seinem eigenen Rhythmus, widersetzt sich dem bekannten Auf und Ab von spannenden, actiongeladenen und ruhigen Sequenzen, das für den Unterhaltungsfilm typisch ist. Nur selten sticht ein Set Piece aus dem Gesamtwerk heraus – etwa der erste Auftritt von König Stach und seinen Reitern -, das so enorm homogen wirkt und nur schwer in kleinere Sinneinheiten gegliedert werden kann. Wie ich schon sagte: Im zentrum des Films steht weniger seine Geschichte als vielmehr eine Stimmung. Ich schätze, dass diese in der langen Fassung noch stärker zum Tragen kommt, weniger im Clinch mit dem Plot liegt, wie es in der DVD-Version der Fall ist. Vielleicht muss man den Film aber auch einfach an einem tristen Herbsttag schauen …

Nächste Station: vermutlich das ehemalige Jugoslawien …

Kommentare
  1. […] die einsicht, dass der film übrigens in seiner gänze auch als metapher für den übergang russlands vom traditionellen zarismus zur revolution und dem folgenden sozialismus zu sehen ist, hatte so oder so ähnlich auch mein mann. […]

  2. Der offizielle deutsche (DDR-)Titel ist KÖNIG STACHS WILDE JAGD. Unter diesem Titel hab ich ihn Mitte der 80er Jahre in ARD oder ZDF gesehen. An meine Eindrücke vom Film kann ich mich aber nicht mehr erinnern. Im Lexikon des internationalen Films wird er verrissen. – Bei Boris Plotnikow hat es bei mir geklingelt: Seine erste Filmrolle (laut IMDb) war die Hauptrolle in Larissa Schepitkos erstaunlichem und grandiosem AUFSTIEG aka DIE ERHÖHUNG, den dringend mal jemand auf Deutsch besprechen sollte.

    • Oliver sagt:

      Danke! Der deutsche Titel ist mir im Netz wohl ein paar Mal untergekommen, den Verweis auf die DDR muss ich dabei übersehen haben. Einen Verriss hat der Film definitiv nicht verdient, aber das kennt man ja vom LdiF nicht anders. 🙂

      • Dass das ein DDR-Titel ist, habe ich auch nur (ohne letzte Sicherheit) dem LdiF entnommen: „Erstauffuehrung: 6.11.1981 Kino DDR/3.6.1983 DFF 1“. Ein alternativer deutscher Titel wird nicht angeführt, der Titel müsste also der DEFA-Synchronisation entstammen.

  3. Alex sagt:

    Hübsch in diesem Zusammenhang auch das Cover der alten österreichischen VHS, das einem irgendwie einen ganz anderen Film verkaufen will: http://www.google.de/search?tbm=isch&hl=de&source=hp&biw=1232&bih=652&q=wilde+jagd+vhs&gbv=2&oq=wilde+jagd+vhs&aq=f&aqi=&aql=&gs_l=img.3…2217.4230.0.5200.14.8.0.6.6.0.100.715.7j1.8.0…0.0.KsjmsqEQaAc (hoffentlich klappt das mit dem Link so, ansonsten bei der google Bildersuche „wilde jagd vhs“ eingeben) – die geht übrigens auch nur ca. 100 Minuten, die 130 Minuten-Version kam wohl evtl. nur in den russischen Kinos zum Einsatz. Ansonsten: Ja, das ist ziemlich sicher eher ein Herbst- oder Winterfilm, wurde ursprünglich vom Hard Sensations-Kollegen A. Poletz drauf aufmerksam gemacht.

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