a.w.o.l. (sheldon lettich, usa 1990)

Veröffentlicht: Dezember 10, 2012 in Film
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Als der Fremdenlegionär Léon Gaultier (Jean Claude Van Damme) erfährt, dass sein Bruder schwerverletzt in einem Krankenhaus in L.A. liegt, tritt er die Flucht an. Von Afrika führt ihn die Reise nach New York: Völlig mittellos und ohne Papiere trifft er Eldridge (Harrison Page), der Bare-Knuckle-Straßenfight organisiert und in Léon gleich ein großes Talent erkennt. Auch die schwerreiche Cynthia (Deborah Rennard) sieht sofort, wie viel Geld sie mit dem schweigsamen Kämpfer machen kann und überredet Léon zu weiteren Kämpfen in L.A. Dort angekommen, muss Léon zunächst erkennen, dass er zu spät kommt: Sein Bruder ist tot, alle Bemühungen, dessen Witwe und Tochter zu helfen, prallen am Stolz der Dame ab. Unterdessen plant Cynthia, ihren Goldesel hereinzulegen und haben die Spürhunde der Fremdenlegion die Witterung aufgenommen …

Neben BLOODSPORT ist A.W.O.L.  – was für „Absent without leave“ steht und natürlich Léons Flucht aus der Fremdenlegion meint – wahrscheinlich der beste, rundeste Film aus Van Dammes Frühphase (wenngleich ich den avantgardistischen CYBORG ebenfalls sehr verehre). Die Plotline klingt zunächst nach dem Drehbuchkurs „Actionfilme für Anfänger“, überrascht dann aber damit, dass es für Léon mitnichten darum geht, den ermordeten Bruder zu rächen: Man wisse weder, wer die Übeltäter seien, noch welche Motive sie hatten, berichtet der Arzt dem bestürzten Protagonisten – der diese Auskunft nicht zum Anlass nimmt, gleich mit dem ganzen Gesocks aufzuräumen, sondern sich seiner Schwägerin und seiner Nichte zu widmen. A.W.O.L. trägt eindeutig melodramatische Züge und in seiner Gegenüberstellung von (leicht romantisiert dargestellter) Armut und Dekadenz erinnert er an ein Sozialmärchen: Es gibt eine Szene, in der Léon bei einem Spaziergang durch sein Viertel eine Art Hinterhof entdeckt, der von in Lumpen gehüllten Bettelfamilien bewohnt wird, bei der man sich in die Zeit der Depression zurückversetzt fühlt.

Das ist überhaupt ein gutes Stichwort, denn auch wenn A.W.O.L. in der damaligen Gegenwart angesiedelt ist, wirkt der Modus der Erzählung wesentlich älter. Wie die Krankamera zu schwelgender Musik die maroden Straßenzüge abfährt, auf denen geschäftiges Treiben herrscht, Léon sein Leben dafür aufs Spiel setzt, seiner Nichte ein Fahrrad kaufen zu können und der brave Eldridge seinem Schützling nicht mehr von der Seite weicht, weil er in ihm das Potenzial sieht, das er bei sich selbst nicht verwirklichen konnte, ist der Stoff, aus dem auch Charles Dickens seine Epen gewoben hat. A.W.O.L. bleibt seinem eigentlichen Genre zwar weitestgehend treu, bietet in regelmäßigen Abständen immer wieder Kämpfe auf und hat für den Showdown auch einen ganz besonders fiesen Oberboss parat, den es plattzumachen gilt, doch dieses ganze Bareknuckle-Sujet ist im Grunde austauschbar. Lettich etablierte mit diesem Film einen Teil der Van-Damme-Persona, der diesen zumindest in der ersten Hälfte seiner Filmkarriere auszeichnete: Er ist der gutherzige (sein Kampfname – und Alternativtitel des Films – ist hier auch „Lionheart“) Familienmann, der durch vergangene Schicksalsschläge vom rechten Weg abgekommen ist und nun Abbitte leisten muss. Der Status als Fremdenlegionär ist dann auch sein ganz persönliches Fegefeuer. Jeder Kampf, den er schlägt und der ihm seinem hehren Ziel näherbringt, ist immer auch eine Erinnerung daran, was er sich einst zu Schulden kommen ließ. A.W.O.L. erzählt die Geschichte dieser Wiedergutmachung mit viel Pathos, aber auch Empathie. Klingt blöd, aber A.W.O.L. ist ein Weihnachtsfilm für Kerle. Schön.

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