the miracle of morgan’s creek (preston sturges, usa 1944)

Veröffentlicht: Dezember 30, 2012 in Film
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Dieser Film ist so unfassbar gut gescriptet, dass es fast nicht mehr lustig ist. Nachdem gleich in der ersten Szene das titelgebende, jedoch nicht näher beschriebene Wunder für größte Aufregung und Hysterie sorgt, eine Weltsensation von ungeahnten Ausmaßen versprochen wird (u. a. vom „great McGinty“ und dem „Boss“ aus THE GREAT MCGINTY), wird der Zuschauer im Folgenden 90 Minuten lang auf die Folter gespannt, bis Sturges endlich enthüllt, worin dieses Wunder besteht. Aber diese 90 Minuten sind so aufregend, witzig, geistreich und turbulent, dass man unterwegs fast vergisst, auf eine Auflösung zu warten.

THE MIRACLE OF MORGAN’S CREEK funktioniert ähnlich wie der unmittelbar nach diesem entstandene HAIL THE CONQUERING HERO: Von einer einfachen Ausgangssituation ausgehend, setzt Sturges eine verheerende Kettenreaktion in Gang, die schließlich in einer Katastrophe für die Protagonisten mündet. Diese Eskalation der Ereignisse trägt deutlich albtraumhafte Züge, zumal die beiden Verantwortlichen keinerlei böse Absichten verfolgen, sich lediglich ohne Schaden aus einer für sie unguten Situation befreien wollen. Diese Dramaturgie wird durch Eddie Brackens bubenhaftes Pfannkuchengesicht und sein Spiel, das als unbeholfenes Taumeln am Rande des Nervenzusammenbruchs charakterisiert werden kann, noch verstärkt. Er ist der tragische Held des Films, weniger Handelnder als willig bereitstehendes Opfer, an dem sich Sturges mit perfider Schadenfreude abarbeitet.

Morgan’s Creek ist ein beschaulicher Ort im amerikanischen Mittelwesten, der gerade im Begriff ist, seine jungen Männer in den Zweiten Weltkrieg zu verabschieden. Bei den dazu veranstalteten rauschenden Festen muss natürlich auch Trudy Kockenlocker (Betty Hutton) dabei sein, Tochter des örtlichen Constables (William Demarest). Weil der alleinerziehende Mann aber recht repressive Moralvorstellungen hat (und aus eigener Erfahrung weiß, wie Soldaten so ticken), gestattet er Trudy nicht, daran teilzunehmen. Kurzerhand spannt sie ihren Freund Norval Jones (Eddie Bracken) ein, einen gutmütigen, gutgläubigen jungen Mann, der seit Kindergartentagen in Trudy verliebt ist und ihr keinen Gefallen abschlagen kann: Sie behauptet vor ihrem Vater, mit Norval ins Kino zu gehen, bringt diesen jedoch dazu, ihr sein Auto zu leihen, damit sie zu der Abschiedsparty fahren kann, und später als ihr Alibi zu fungieren. Norval willigt ein, nicht ahnend, dass seine Komplizenschaft ihn in größte Schwierigkeiten bringen wird: Wieder zu Hause fällt Trudy nämlich ein, dass sie im Rausch der vergangenen Nacht geheiratet hat – nur wer der Glückliche ist, ist ihr ebenso entfallen wie die Heiratsurkunde. Doch damit nicht genug: Ein paar Wochen später erfährt sie von ihrem Arzt, dass die Hochzeitsnacht nicht spurlos an ihr vorübergegangen ist. Der einzige Weg aus der misslichen Lage, als gattenlose Frau ein Kind zur Welt zu bringen, scheint eine erneute Heirat und Norval der naheliegende Kandidat. Doch zunächst muss die bestehende Ehe mit dem unbekannten– und demzufolge abwesenden – Ehemann aufgelöst werden …

Schon aus dieser kurzen Zusammenfassung sollte hervorgehen, welches Maß an Chaos und Verwirrung Sturges entfesselt. Es ist ein Vergnügen, sich seiner minutiösen Konstruktion hinzugeben: Um die Wirkung von THE MIRACLE OF MORGAN’S CREEK adäquat zu umschreiben, muss man die leider über inflationären Gebrauch etwas abgegriffene Achterbahnmetapher bemühen. Immer, wenn man meint, der Gipfelpunkt sei erreicht und die klimaktische Talfahrt stehe unmittelbar bevor, führt Sturges den Betrachter nach einer unerwarteten Kurve dem nächsten, noch höher gelgenen Gipfel entgegen. Norval, sowieso schon ein Nervenbündel, zudem von nervösem Stottern geplagt, ist gegen Ende nur noch eine schlotternde Gliederpuppe, keines artikulierten Satzes mehr fähig. Die hintersinnige Komödie über falsche Moral und gesellschaftliche Heuchelei wird zum anarchischen Slapstick-Spektakel mit perfekt gesetzten Pointen. Wie Sturges hier Details anhäuft, ein realistisches Szenario zum grotesken Comic überformt, lässt etwas an die cartoonesken Filme Frank Tashlins denken, mit dem Unterschied, dass Sturges eher der Tradition eines Lubitsch entstammt: Im Zentrum stehen ganz konkrete gesellschaftliche Zustände und die Probleme, die seinen Protagonisten daraus erwachsen. Das hemmungslose Lachen gründet immer auf der Ahnung, dass die Folge kleiner Fehltritte hier nur haarscharf am sozialen Aus aller Beteiligten vorbeiführt – einem Schicksal, das echten Menschen, die sich nicht auf einen begnadeten Drehbuchautoren verlassen können, nicht vergönnt ist.

THE MIRACLE OF MORGAN’S CREEK unterscheidet sich recht stark von Sturges‘ eher klassischen, aber nicht minder genialen Screwball-Komödien wie THE LADY EVE oder THE PALM BEACH STORY, weshalb es mir schwerfällt, einen Film aus seinem durchweg grandiosen Werk hervorzuheben (zumal ich noch nicht alle kenne). Wollte man aber die Sternstunden des meinetwegen als „Körperkomödie“ bezeichneten Subgenres benennen, so müsste dieser göttliche Film seinen Platz auf dem Thron mit nicht allzu vielen anderen Kandidaten teilen.

Kommentare
  1. Ghijath Naddaf sagt:

    Toller Text. Ein zeitgenössischer Kritiker meinte ja damals, das Hays Komitee hätte wohl gepennt als sie den Film
    freigaben. Umso besser für uns. Allein das die mit dem Namen Kockenlocker durchgekommen sind, grenzt an ein
    Wunder. Da dies eine meiner absoluten lieblings Komödien ist habe ich natürlich auch aus internationalen
    Quellen einiges über den Film gelesen. Deine Besprechung gehört mit zum besten.

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