00 schneider – im wendekreis der eidechse (helge schneider, deutschland 2013)

Veröffentlicht: Oktober 6, 2014 in Film
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Helge Schneider war in den letzten Jahren zwar keinesfalls untätig, was Filme angeht, aber sein letzter echter, eigener Film JAZZCLUB – DER FRÜHE VOGEL FÄNGT DEN WURM ist mittlerweile zehn Jahre alt. 00 SCHNEIDER – IM WENDEKREIS DER EIDECHSE lässt deutlich erkennen, dass Schneider sich in dieser Zeit durchaus weiterentwickelt, dabei aber das, was seine Filme einst auszeichnete, bewahrt hat. Der ausgestellte Dilettantismus von Filmen wie TEXAS – DOC SNYDER HÄLT DIE WELT IN ATEM, oo SCHNEIDER JAGT NIHIL BAXTER oder PRAXIS DR. HASENBEIN, der dazu führte, dass sie damals von vielen als nicht ernstzunehmender Gaga-Trash rezipiert wurden, ist aus dem neuesten Werk fast gänzlich verschwunden (nur einmal muss einer der Schauspieler angesichts von Schneiders Darbietung lachen). Auch der improvisatorische Charakter, der Schneiders musikalisches und filmisches Werk ganz entscheidend prägt, beschränkt sich diesmal fast ausschließlich auf Dialoge und Schauspiel: Formal ist 00 SCHNEIDER – IM WENDEKREIS DER EIDECHSE beinahe als „geschliffen“ zu bezeichnen. Man merkt, wie viel Wert auf Bildkomposition und Ausleuchtung gelegt wurde, und selbst das Set-Design, bei dem Schneider sonst so gern das Chaos walten ließ, wirkt sehr reduziert und durchdacht, ohne jedoch den Schneider’schen Charme einzubüßen.

Die Zuschauer, die von diesen stilistischen Fortschritten enttäuscht sein könnten, sind wahrscheinlich bereits mit dem Abebben des Schneider-Hypes in den mittleren Neunzigerjahren ausgestorben. Wer die oben genannten Filme schon damals aufgrund ihrer poetischen, verstörenden und atmosphärischen Qualitäten zu schätzen wusste, wird sich von 00 SCHNEIDER – IM WENDEKREIS DER EIDECHSE hingegen bestätigt fühlen. Schneider hat sich offenkundig viele Polizeifilme angesehen und dampft dessen Klischees mal wieder zu einer gelungenen Meditation über das Absurde ein – tatsächlich so weit, dass man seinen neuesten Film beinahe als Neo-Noir bezeichnen müsste, sträubte sich der ganze Film nicht geradezu vehement gegen jede zeitliche oder historische Einordnung. Kommissar Roy Schneider trägt Sonnenbrille, eher als Instrument des Ausdrucks denn als Sonnenschutz, und sein Trenchcoat, den er nie ablegt, auch zu Hause nicht, ist gleichermaßen modisches Statement wie Panzer. Der Pomeranian Spitz namens Zorro und die Memoiren, die er nach Feierabend schreibt, sind Elemente der „badass juxtaposition“: Sie verdeutlichen die Distanz, die Schneider zur Welt einnimmt, und dass er mehr ist als sein Beruf. (Die Tagline ist also nicht nur ein Schneider’sches Non-sequitur.) Die Verbrecherjagd, die Suche nach Spuren und logischen Zusammenhängen, ist ja nur die naheliegendste Möglichkeit, der Welt den Sinn abzuringen, der ihr abhanden gekommen zu sein scheint. Und was ist das für eine Welt? Mülheim entpuppt sich als im luftleeren Raum existierende Mega-City, die eine eigene schroffe Atlantikküste, einen verschneiten Berggipfel und einen „spanischen Teil“ ihr eigen nennt. In Schneiders Polizei-Hauptquartier, einem mit „Police“ gekennzeichneten Hochhaus, arbeiten Amerikaner, Italiener und Deutsche zusammen, und die Bevölkerung wird schließlich von Jean-Claude Pillermann (Rocko Schamoni) heimgesucht, einem französischen Schwerverbrecher deutsch-belgisch-türkischer Abstammung. Es gibt einen Straßenstrich, dessen Nutten verdächtig nach verkleideten Männern ausschauen, einen rachsüchtigen Staubsaugervertreter und dessen kriminellen, halbwüchsigen Sohn, einen perversen Zahnarzt, einen entflohenen Gorilla und einen Psychologen, dem ein Blick auf einen Fußabdruck genügt, um messerscharf festzustellen, dass er von einem starken Raucher stammt. „Was ist das nur für eine Stadt?“, fragt Kommissar Schneider einmal in einem jener typischen Männerfilm-Momente, in denen der Weg des Helden an eine Gabelung trifft und er eine Entscheidung zwischen Rückzug und Melancholie oder aber Angriff und Zorn treffen muss. Man muss hier jederzeit mit allem rechnen, vor allem mit dem Unerwarteten: Tante Tyree (Tyree Glenn), die eines Tages vor Schneiders Tür steht, entpuppt sich am Ende als gemeiner Trickbetrüger, der nur den Lottogewinn einstreichen wollte, den Schneider erst nach ihrer Ankunft erzielte. Ein Mülheimer Erdbeben erwischt Schneider am Briefkasten völlig auf dem falschen Fuß („Ein Erdbeben? Um diese Zeit?“) und das seltsame Verhalten von Pillermann, der seine Opfer anzuspucken pflegt, lässt sich ganz einfach erklären: Alle 400 Jahre wird nämlich ein Eidechsenmensch geboren. Am Ende ist der Fall gelöst und Schneider schaut an einer hübschen Strandpromenade entspannt in den Sonnenuntergang. Wer mit dem Polizeifilm und seinen Helden vertraut ist, ahnt aber, dass er nicht der Typ für den Vorruhestand ist.

 

 

 

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