1. auswärtiger sondergipfel des hofbauer-kommandos: sünde mit rabatt (rudolf lobowski, deutschland 1968)

Veröffentlicht: November 12, 2014 in Film
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Bei der Projektion von Joseph W. Sarnos THE LOVE REBELLION wurde mir schlagartig klar, was diese „Sittenfilme“, aus denen das Kongress-Programm zum Großteil besteht, so einzigartig macht, was ihnen ihren doch sehr speziellen Charme verleiht – und was es eigentlich mit diesem viel zitierten „Verzichtkult“ auf sich hat. Alle diesen Filmen, vor allem jene aus der Zeit vor den 1980er-Jahren, ist gemeinsam, dass sie ihrem Publikum stets ein Alibi zum reuelosen Genuss nackter Körper und verbotener sexueller Praktiken mitliefern müssen. Es geht nie nur um Sex, meist nicht einmal in erster Linie, sondern zuerst immer um das Erfahren sozialer Demarkationslinien und dann schließlich, in einem Akt schmerzhafter Selbsterfahrung, die Überwindung herrschender Moral. Oft zeichnen die Filme diese Überwindung selbst wieder als lasterhaft oder zumindest als Quell potenzieller sittlicher Zerrüttung. So verorten sich diese Filme immer zwischen zwei Extremen, schleudern ihre Protagonisten – und mit diesen auch den Zuschauer, den der Filmemacher für ähnlich unaufgeklärt hält, halten muss – in ein Dilemma, das sie vor eine harte Zerreißprobe stellt. Die Wahl zwischen Sex oder Nicht-Sex, und damit verbunden möglicherweise zwischen lustvoller Hölle oder entbehrungsreichem Paradies, ist die Wahl zwischen Skylla und Charybdis. Mehr als alle explizit sexuellen Verheißungen, die – machen wir uns nichts vor – in diesen Filmen zeitbedingt meist sehr züchtig ausfallen, ist es gerade das damit einhergehende Sich-Winden in Leid und Seelenpein und die Zeichnung transzendentaler Obdachlosigkeit (wie das Christian Kessler einst ausdrückte), die den Filmen einen beträchtlichen Teil ihrer Schmierigkeit verleiht. Anders als bei aktuelleren Werken, in denen etwa ein gewisses Maß an Nacktheit längst Standard ist, ist die Fallhöhe hier ungleich größer. Eine zur falschen Zeit am falschen Ort entblößte Brust kann schon das gesellschaftliche Aus bedeuten, Familien zerstören. Aber natürlich funktioniert das Ganze auch andersherum: Die sexuelle „Entladung“ nimmt nicht selten quasireligiösen Charakter an. Was es mit dem Terminus der „sexuellen Befreiung“ tatsächlich auf sich hat, sieht man in entgleisenden Gesichtszügen, selig-entrücktem Grinsen und körperlichem Kontrollverlust. In diesen Filmen werden Grenzerfahrungen gemacht und wiederum filmisch weitervermittelt.

SÜNDE MIT RABATT ist ein Paradebeispiel für den deutschen Sexfilm zwischen ekstatischem Rausch und katholischer Scham. Sein Regisseur Rudolf Lubowski verstand sich selbst wohl als Mahner und bewegt sich damit genau auf dem oben skizzierten schmalen Grad zwischen Exploitation und Aufklärung (von dem er, wahrscheinlich ohne es wirklich bemerkt zu haben, allerdings schon recht schnell abgekommen ist): Einerseits handelt sein Film von den Gefahren, denen sich Frauen, die ihren Körper anbieten, unweigerlich aussetzen, andererseits sieht er ihnen sehr, sehr gern bei der Arbeit zu und genießt es, sie ihrer „verdienten“ Strafe zuzuführen. Die weiblichen Angestellten eines Nachtclubs mit Bordellanschluss, klinischer Festtagsbeleuchtung und stimmungsfördernd durchfallfarbener Bühne werden von einem unbekannten Killer umgebracht. Der ermittelnde Kommissar stößt auf Schweigen: Die Clubbetreiberin, eine ältere Dame, hat Angst ums Geschäft, und die Mädels rücken auch nicht recht mit der Sprache raus. Und im Zuschauerraum findet sich eine hübsche Ansammlung von Spießbürgern, die natürlich niemals offen zugeben würden, wie ihre Abendgestaltung aussieht. Am Ende erweist sich nicht etwa ein geiler Kunde als Killer, sondern einer der Bediensteten, der gegängelte, alternde Liebhaber einer Tänzerin.

Der Krimiplot wird von Lubowski sehr fahrlässig und lose entwickelt. Es gibt den Aufmarsch der üblichen Verdächtigen, darunter etwa der sadistische Zuhälter, der ein Kind mit dem ersten Opfer hat. Die ständige Anwesenheit dieses kleinen, vielleicht einjährigen Geschöpfes ist das schmerzhafteste am ganzen Film: Der Regisseur weiß ganz genau, wie er die Affekte des Publikums zu seinen Gunsten steuert. Den Großteil des Films verbringt er aber damit, die zahlreichen (braven) Bühnennummern des Clubs abzulichten, sowie die Interaktionen der käuflichen Damen untereinander oder mit den Kunden. In einer ultimativ verstörenden Szene wacht eine der Dirnen aus dem Drogenrausch und einem Traum auf, in dem sie von mehreren muskelbepackten männlichen Schönheiten buchstäblich auf Händen getragen wird. Doch als sie ihre Augen aufschlägt, taumelt ihr stattdessen ein skelettaler Greis in kochfester Unterhose entgegen, die Hand nach ihr ausstreckend, sein Gesicht eine Fratze des Begehrens. Der Alltag im Puff mag für die durchschnittliche Prostituierte tatsächlich nicht besonders erbaulich sein, doch Lubowski verzerrt ihn im Stile eines dem Realismus zugewandten Hieronymus Bosch zum höllischen Albtraum. Die Moral ist so verrückt, dass eines der Mädchen dem Lustmörder ein Liedchen widmet, das sie aus der Perspektive eines seiner Opfer vorträgt. Hier liegt einiges im Argen und das macht auch den Film so faszinierend.

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