¿quien puede matar a un niño? (narciso ibáñez serrador, spanien 1976)

Veröffentlicht: Mai 20, 2009 in Film
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terrorquienpuedematarTom (Lewis Fiander) und seine schwangere Ehefrau Evelyn (Prunella Ransome) planen einen erholsamen Urlaub auf der spanischen Mittelmeerinsel Almanzora, die Tom, ein Biologe, vor Jahren schon einmal besucht und als überaus ruhig und idyllisch in Erinnerung behalten hat. Doch schon kurz nach der Ankunft wird beiden klar, dass hier etwas sehr, sehr Merkwürdiges vor sich geht: Abgesehen von ein paar Kindern ist die Insel vollkommen ausgestorben. Es wirkt fast so, als sei sie von den Erwachsenen geradezu fluchtartig verlassen worden. Doch die Wahrheit ist deutlich schlimmer: Wie von einer unbekannten Macht gesteuert haben die Kinder die Macht ergriffen und alle erwachsenen Bewohner ermordet. Tom und Evelyn müssen um ihr Leben fürchten …

Die schöne deutsche DVD-Edition (mitsamt einem feinen Text von Filmforist Michael Schleeh) hat eine nagende Lücke geschlossen, steht dieser spanische Horrorfilm doch schon seit Jahren auf meiner imaginären Liste dringend zu schauender Filme. „Horrorfilm“ beschreibt ¿QUIEN PUEDE MATAR A UN NINO allerdings nur sehr unzureichend, ist er doch viel eher eine Meditation zur moralphilosophischen Frage, ob und wenn ja, unter welchen Umständen es gestattet ist, ein Kind zu töten. Dies wird durch die äußere Klammer des Films noch bekräftigt: ¿QUIEN PUEDE MATAR A UN NINO beginnt mit einem siebenminütigen Prolog, der den Zuschauer auf das Kommende einstimmt. Sieben Minuten lang sieht man Wochenschaubilder aus verschiedenen Kriegen und erfährt, was diese vor allem für die Kinder für Folgen hatten. Leichen in Massengräbern, tote Kinderaugen, ausgemergelte und verstümmelte Körper: Die Bilder sind nur schwer zu ertragen. Immer wieder nennt der Sprecher aus dem Off die Zahlen der Kinder, die dem Treiben der Erwachsenen zum Opfer gefallen sind und zieht somit den Rahmen auf, vor dem Serradors Film seine ganze Kraft entfaltet. Kinder sind die Leidtragenden der Konflikte Erwachsener, sie werden vom eitlen und meist dummen Kriegstreiben am härtesten getroffen und haben keinerlei Chance, sich in irgendeiner Form zur Wehr zu setzen oder auch nur Gehör zu verschaffen. Wäre es unter diesen Umständen nicht gerecht bzw. wenigstens nachvollziehbar, wenn sie irgendwann zurückschlagen würden? Auf dem isolierten Eiland Almanzora erhalten sie nun Gelegenheit dazu. Was der Auslöser für ihr aggressives Verhalten ist, lässt Serrador offen (und gab damit dem deutschen Verleih die Möglichkeit, per Titel eine außerirdische Macht einzuführen, die als Erklärung herhalten musste – eine ähnliche Strategie fuhr man auch bei Wes Cravens THE HILLS HAVE EYES), erhöht so nicht nur den Druck auf sein Protagonistenpaar, sondern betont auch das Parabelhafte seines Stoffes. ¿QUIEN PUEDE MATAR A UN NINO? läuft ab wie ein wissenschaftlicher Versuch, was durch die glasklaren, von der glühenden Mittagssonne durchfluteten und aufgeheizten Bilder noch unterstrichen wird.

Die Idee des Spießumdrehens“ allein böte schon genug Stoff für einen exzellenten Film, doch Serrador geht noch einen Schritt weiter, indem er sein Augenmerk auf die Frage nach der moralisch richtigen Reaktion auf die Bedrohung richtet. Dürfen Tom und Evelyn die Kinder unter den gegebenen Umständen aus dem Weg räumen? Können sie es? Und sollte es ihnen gelingen: Ist es ihnen danach noch möglich, ein normales Leben zu führen? ¿QUIEN PUEDE MATAR A UN NINO? gibt keine einfachen Antworten auf diese Fragen. Aber man ahnt, dass „die Erwachsenen“ mit dem millionenfachen Kindermord bereits eine Kollektivschuld auf sich geladen haben, von der sie sich nicht mehr reinwaschen können.

Kommentare
  1. bastro sagt:

    Hi Funky,

    als du mich neulich nach meinen Lieblingsfilmen fragtest (paßt hier nicht so ganz her, pardon), da hatte ich dummerweise HARAKIRI von Kobayashi vergessen. Ist eigentlich nicht so wichtig, doch hat mich das jetzt länger gewurmt.
    Schöner Text zu den Killer-Kids; schön auch, daß du hier wieder so aktiv bist!

    Liebe Grüße auch an die Dame des Hauses,

    Micha

  2. […] Die bekannte Geschichte um die mörderischen Kinder (man denke an VILLAGE OF THE DAMNED, QUIÈN PUEDE MATAR A UN NINO, DEVIL TIMES FIVE oder die zahlreichen Besessenheitsfilme mit kulleräugigen Satansbraten) wird […]

  3. […] des Zuschauers gleich mit zu thematisieren, wie dies etwa in Serradors meisterlichem QUIÉN PUEDE MATAR A UN NINO geschieht, und so neben dem bloßen Thrill noch eine weitere Ebene zuzuschalten. So bleibt BLOODY […]

  4. Thies sagt:

    Ich hatte den vor mehr als 10 Jahren (nach Einführung des Internets aber vor dem Euro) in einem Double.Feature mit „The bad seed“ gesehen und kann mich noch sehr gut an die hypnotische Kraft der Bilder erinnern und wie der Terror des Geschehens in mich eindrang.

    Auf dem diesjährigen Fantasy Filmfest wurde das (wahrscheinlich unvermeidbare) Remake „Come out and play“ gezeigt, dass sich fast sklavisch an den Handlungsablauf des Originals hält, aber durch die Wegnahme des Prologs noch stärker nach Exploitation riecht. Im Remake scheinen die Kinder eher einem über die Stränge schlagenden Spieltrieb zu folgen. Sauber gefilmt und gespielt hat mich „Come out and play“ mehr geärgert und enttäuscht als so mancher Splatter-Schund. Gerade weil das Thema eigentlich heutzutage nach einer Aktualisierung geradezu schreit.

    • Oliver sagt:

      Ich bin nicht auf dem Laufenden, von einem Remake habe ich noch rein gar nichts gehört. So wie sich das bei dir anhört, sollte man sein Glück dann vielleicht doch lieber noch einmal mit EDEN LAKE versuchen, obwohl ich den damals auch blöd fand.

      Meinst du mit „Prolog“ die Einführung des Protagonisten-Pärchens? Das Remake steigt also gleich auf der Insel ein? Das würde ja zu dem heute gängigen Drang passen, Gewalt zu dekontextualisieren, schmutziger und tierischer, aber gleichzeitig auch weniger schmerzhaft zu machen.

      Bei „über die Stränge schlagendem Spieltrieb“ fällt mir übrigens „Bloody Birthday“ ein, über den ich auch schon geschrieben habe.

      • Thies sagt:

        Es wird am Anfang die Suche nach einem Boot und die Fahrt zur Insel gezeigt – wie gesagt, beinahe kiomplett dem Original folgend. Die nicht erklärenden, aber das Geschehen in einen Kontext setzenden Nachrichtenbilder bleiben aber aus. Dafür gibt es andere Szenen in denen die Kinder aus Leichenteilen eine Kette basteln – was neben gelegentlichem Kichern die einzigem Hinweise sind, dass es sich nicht um besessene Monster handelt. Geblieben ist aber auch die Szene in der der Mordtrieb wie ein Virus an abseits des Dorfes lebende Kinder weitergegeben wurde.

        Gewalt gegen und von Kindern war interessanterweise eines der übergreifenden Themen auf diesem FFF. In der Racheinstinkte befriedigenden schwarzen Komödie „In the name of the son“ und in dem Gruselfim „Dark touch“ sind es Missbrauchsfälle die das Geschehen in Gang setzten. In „I declare war“ werden dagegen die Verhaltensmuster der Erwachsenen von einer Gruppe von Kindern im scheinbar unschuldigen Spiel nachgeahmt.

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