zinda laash (khwaja sarfraz, pakistan 1967)

Veröffentlicht: Juni 6, 2012 in Film
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Aus einem einfachen Hühnerei kann man eine Menge machen. Man kann es hart oder weich kochen, man kann es als Spiegelei braten, zu Rührei oder einem Omelett verarbeiten.  In einen Teig gemischt fungiert es als Bindemittel, das Eiweiß allein kann man zu einer schaumigen Masse aufschlagen. Sogar eine Süßspeise kann man aus einem simplen Hühnerei zaubern. Dieses einfache Nahrungsmittel ist so vielseitig, dass jemand, der nicht in die Geheimnisse der Kochkunst eingeweiht ist, nicht zwangsläufig erkennt, dass all diese verschiedenen Speisen aus ein und derselben Zutat hergestellt wurden. Am Anfang war immer das Ei.

Das Ei ist in meinem kleinen Vergleich – der vielleicht weniger plausibel und stimmig ist als ich es annehme, das überlasse ich jetzt meinen Lesern – Bram Stokers Roman „Dracula“. Die meisten der unzähligen Verfilmungen dieses Romans lassen ihre Quelle unzweifelhaft erkennen und unterschieden sich letztlich nur in mal mehr mal weniger entscheidenden Details voneinander. Tod Brownings DRACULA und Terence Fishers DRACULA verhalten sich zueinander wie das hartgekochte zum weichgekochten Ei: Oberflächlich ist kein allzu großer Unterschied zu erkennen, erst beim Reinbeißen offenbart er sich. Und auch wenn andere Dracula-Verfilmungen andere Aspekte des Romans betonen, romantische Aspekte hervorheben oder die Titelfigur historisch erden wie etwa Coppola in seinem Film, zusammengenommen bilden sie immer noch einen recht homogenen Korpus: Alle lassen sie sich dem Horrorgenre zuordnen. An dieser Stelle kommt ZINDA LAASH ins Spiel: Er basiert ebenfalls auf Stokers Bestseller und erzählt – mit kleineren, dem anderen Kulturkreis geschuldeten Veränderungen, die der Stoff gut verkraftet – dessen Geschichte doch recht originalgetreu. Dennoch fühlt er sich völlig anders an als alle anderen Adaptionen des Stoffes, die ich kenne. Um zum Bild zurückzukehren: Die Speise besteht aus Ei, sie sieht aus wie Ei – aber sie schmeckt vollkommen anders.

Die größte inhaltliche Veränderung (neben der Verlagerung der Geschichte in die pakistanische Gegenwart natürlich) ereignet sich gleich zu Beginn: Dracula ist hier keine antichristliche, mythische Figur, sondern der schnöde Wissenschaftler Dr. Tabani (Rehan), der nach der Verköstigung eines selbst gemixten Unsterblichkeitstranks zum Vampir mutiert und sogleich seine pummelige Geliebte? Haushälterin? beißt. Wenig später trifft Dr. Aqil (Asad) ein, der in dem unheimlichen Haus Tabanis übernachten möchte und einen sehr gastfreundlichen Hausherrn antrifft. Zwar beäugt der Gastgeber etwas zu angetan das Bild von Aqils Verlobter Shabnam, doch lässt sich der Reisende davon noch nicht beirren. Erst als ihn eine Frau (besagtes Pummelchen) versucht mit einem Tanz zu becircen und ihm eine Bisswunde am Hals zufügt, wird er misstrauisch, allerdings auch schnell vom heranstürmenden Tabani aus seiner misslichen Lage befreit. Aqil, das hat der Kenner längst begriffen, ist niemand anderes als der pakistanische Jonathan Harker, der hier aber bald sein normalsterbliches Leben lassen muss. In den Fokus tritt nun sein Bruder, der den armen Aqil von seinem Fluch befreit und anschließend die Familie von dessen Verlobter aufsucht, die als nächstes auf dem Speiseplan des Vampirs landet …

ZINDA LAASH ist auf den ersten Blick deutlich weniger spektakulär, als man das von einem pakistanischen Vampirfilm erwarten mag und nicht geringen Anteil daran hat die Schwarzweiß-Fotografie, die potenziell exotischer Farbenpracht keine Chance lässt. Mehr noch sind es aber das aufreizend gemächliche Erzähltempo und der Einsatz diverser Tanz- und Gesangseinlagen – mal eher folkloristischer Natur, mal mit deutlichem Beat-Einschlag –, die der Etablierung einer durchgängig bedrohlichen Atmosphäre im Weg stehen. Oder positiv ausgedrückt: Das Übersinnliche bricht hier nicht mit Gewalt in ein geordnetes Leben ein, vielmehr scheint man in dieser Welt wenn schon nicht gewöhnt ans Vampirtreiben, so doch wenigstens nicht allzu verwundert über die Existenz blutsaugender Dämonen. Genauer: Wenn auch Shabnams Verwandte auch schockiert sind über die Nachricht, sie werde von einem Vampir heimgesucht, so suggeriert die Perspektive des Films doch, dass man in Pakistan deutlich engeren Kontakt zu infernalischen Kreaturen pflegt als in unseren Breiten. Würde man das Nebeneinander von Horrorszenen und Musikeinlagen in einem westlichen Genrefilm entweder als postmodernen Verfremdungseffekt, als bittere Ironie oder im äußersten Fall als Geschmacklosigkeit begreifen, so stehen die für uns disparaten Elemente hier ganz selbstverständlich nebeneinander. So deckt ZINDA LAASH das ganze Spektrum menschlicher Gefühle und Stimmungen ab, anstatt sich darauf zu versteifen, ausschließlich Angst und Schrecken zu verbreiten. Wenn man während der Sichtung mal so tut, als betrachte man ihn quasi als Tabula Rasa, als sei man gänzlich unvorbelastet von filmischen und literarischen Traditionen, verfüge über keinerlei nötiges Kontextwissen, ist ZINDA LAASH entschieden seltsam. Liefern Filme mit ihren Bildern, dem Ton und dem Schnitt doch gewöhnlicherweise eine Anleitung mit, wie man als Zuschauer das Gesehene einzuordnen und zu verstehen und vor allem, was man zu empfinden hat, so wird man bei ZINDA LAASH streckenweise völlig allein gelassen. Es ist ein bisschen, als sähe man einer fremden Spezies bei ihren Ritualen zu, ohne die leiseste Ahnung zu haben, was diese zu bedeuten haben. Und dieser Effekt wird hier noch potenziert, weil man die zugrunde liegende Geschichte doch in- und auswendig kennt. Man sieht Dracula, aber man fühlt ihn nicht. ZINDA LAASH verursacht keinen krachenden Kulturschock, sondern eher leise Desorientierung. Weshalb ich auch total meine Eiermetapher vergessen habe. Keine kleine Leistung.

Kommentare
  1. Alex sagt:

    Ich mag deine Eier-Metapher. 😀 Kleine Ergänzung noch, die den Interviews im Bonusmaterial der feinen Mondo Macabro-DVD zu entnehmen sind: Dracula durfte hier kein übernatürliches Wesen sein, da die Zensoren der Meinung waren, Gott würde dergleichen nicht zulassen, also mußte er zu einer Art Dr. Jekyll mutieren, um auf pakistanischen Leinwände laufen zu dürfen. Ansonsten wünsche ich noch viel Spaß mit weiteren pummeligen pakistanischen Frauen, dieses Schönheitsideal scheint dort ungebrochen die Jahrzehnte überdauert zu haben.

  2. Ja, ein nettes Kuriosum, dieser Film. Meine Gedanken dazu in Kurzform (und ohne Eier 🙂 stehen hier.

  3. […] mein mann hat natürlich auch ausführlich(er) über die beiden filme geschrieben. Teilen?Gefällt mir:Gefällt mirBe the first to like […]

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