the inn of the sixth happiness (mark robson, usa 1958)

Veröffentlicht: Februar 18, 2015 in Film
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Wenn es Gladys Aylward nicht wirklich gegeben hätte, Hollywood hätte sie erfinden müssen. 1902 in London in eine Arbeiterfamilie geboren, träumte sie schon früh davon, zu Missionsarbeiten nach China zu gehen. Gegen jede Vernunft und ohne echte Qualifikation für einen Posten investierte sie 1932 alle ihre Ersparnisse für ein Zugticket und begab sich auf die beschwerliche Reise quer durch Europa, Russland und Sibirien, wo sie gezwungen wurde, auszusteigen und den Rest der Strecke zu Fuß zurückzulegen. In der Provinzstadt Yangcheng im Nordosten Chinas angekommen, arbeitete sie als Gehilfin der Missionarin Jeannie Lawson, die die Herberge des Filmtitels leitete und hungrigen Wanderern nebenbei Bibelgeschichten näherbrachte. Nach dem Tod Lawsons arbeitete Aylward für die Regierung als „Fußinspektorin“ und gewährleistete in dieser Funktion, dass das Fußbindeverbot eingehalten wurde. Sie erwarb 1936 die chinesische Staatsbürgerschaft, half dabei, einen Gefängnisaufstand friedlich zu beenden, indem sie nötige Reformen einleitete, nahm zahlreiche Waisen bei sich auf und gewann so über Jahre Vertrauen, Respekt und Anerkennung der einheimischen Bevölkerung. Ihre größte Aufgabe tat sich 1938 auf, als die Japaner das Land überfielen: Hinter feindlichen Linien gefangen, führte Gladys Aylward mehr als 100 Waisenkinder quer durch unwegsames Gebirge in Sicherheit. Alan Burgess schrieb ihre Geschichte in dem 1957 erschienen Buch „The Small Woman“ nieder, das auch als Vorlage für Robsons Film diente, der nur ein Jahr später erschien.

Der Film hält sich im Wesentlichen an diese Geschichte, vereinfacht manches, baut anderes aus und erfindet natürlich eine Liebesgeschichte hinzu, ohne die ein solches Epos damals wie heute anscheinend nur schwer vorstellbar war bzw. ist. Curd Jürgens als Halbchinesen zu akzeptieren, ist schwer genug, die Liebesbeziehung, die sein Captain Lin Nan mit der schönen Gladys (Ingrid Bergman) eingeht, wirkt auch ohne das Wissen über die wahre Geschichte Aylwards, die nur ihrem Herrgott verpflichtet war, wie aufgepfropft. Gladys Aylward war angeblich erbost über den Film, der sich ihrer Ansicht nach ungebührliche Freiheiten nahm, unter anderem die, zu suggerieren, sie sei am Schluss zu einem Mann zurückgekehrt, anstatt sich weiterhin der christlichen Missionsarbeit zu widmen, wie sie es in Wirklichkeit selbstverständlich getan hatte. So sehr man Aylwards Entrüstung versteht, sie zeugt natürlich von Naivität gegenüber der Hollywood-Maschine, die bei THE INN OF THE SIXTH HAPPINESS alles in die Waagschale wirft, um den Zuschauer(inne)n den gewünschten tränenreichen Nachmittag zu bescheren. Als abgebrühter Filmseher durchschaut man alle diese Mechanismen, schmunzelt darüber, dass der ganze Film in Wales gedreht wurde, und fühlt sich angesichts des Kulturimperialismus, der alle wichtigen chinesischen Rollen mit Westlern besetzt (neben Curd Jürgens agiert Robert Donat als Mandarin Tsien Chang), durchaus ein wenig ideologisch herausgefordert. Aber was soll ich sagen: Am Schluss, als die seit Tagen überfällige Aylward mit den Kindern endlich wohlbehalten in die Stadt marschiert, von den erleichterten Menschenmassen euphorisch empfangen wird, da lief auch mir ein Tränchen über die Wange. Manchmal ist es doch einfach schön, so richtig nach Strich und Faden manipuliert zu werden. THE INN OF THE SIXTH HAPPINESS macht das ausgezeichnet und bildgewaltig, auch wenn 150 Minuten Altruismus mitunter reichlich zäh werden können.

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