und der regen verwischt jede spur (alfred vohrer, deutschland/frankreich 1972)

Veröffentlicht: September 22, 2015 in Film
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Klang des Titels, Thema des Films, Darstellerriege und Stabliste – allen voran natürlich Produzent Luggi Waldleitner und Regisseur Alfred Vohrer – suggerieren sofort eine weitere Simmel-Verfilmung. Doch nach UND JIMMY GIG ZUM REGENBOGEN, LIEBE IST NUR EIN WORT und DER STOFF AUS DEM DIE TRÄUME SIND wurde statt eines weiteren Romans des deutschen Bestseller-Autoren die Adaption der Novelle „Der Schneesturm“ von Alexander Puschkin besorgt – nach dem bewährten Erfolgsrezept natürlich. Die größte Überraschung, die sich während der Betrachtung des Films einstellt, ist dann auch die Tatsache, dass sich UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR trotz aller beabsichtigten Gemeinsamkeiten von Vohrers Simmel-Verfilmungen deutlich abhebt. Ihn als wirklich guten Film zu bezeichnen, ginge indes zu weit. Ich würde jederzeit argumentieren, dass die Waldleitner-Simmels gerade in ihrer ästhetischen Unerträglichkeit sehr einzigartig und faszinierend sind und mit solchem eigentümlichen Reit kann UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR nicht wirklich mithalten. Aber das kann man durchaus auch positiv sehen: Die Charaktere sind – anders als die Simmel’schen Egomanen – lebendig, sympathisch oder aber wenigstens nachvollziehbar in ihrem Handeln, die Weltsicht ist nicht ausschließlich besserwisserisch-negativ, Humor ist tatsächlich möglich. Ja, man hat wirklich den Eindruck, dass die Geschichte auf gewissen menschlichen Erfahrungswerten basiert, dass sie nicht von einem Narziss erdacht wurde, der seine Mitmenschen wie Versuchsobjekte und die Welt wie eine Ameisenfarm betrachtet und seine Romane konstruiert wie Thesenpapiere.

Die Abiturientin Christine Luba (Anita Lochner) hat sich in den einige Jahre älteren französischen Studenten Alain (Alain Noury) verliebt. Die beiden sind ein Herz und eine Seele, doch Christines Vater (Wolfgang Reichmann) behagt die Verbindung der beiden überhaupt nicht. Christines Mutter Irene (Ruth-Maria Kubitschek) verließ ihn wegen seiner unerträglichen Eifersucht, die eigene Schwester (Eva Christian) betrachtet er aufgrund der Tatsache, dass sie alleinerziehend ist, wie eine Aussätzige. „Liebe“ ist für ihn ein überkommenes Konstrukt für hoffnungslose Träumer und der richtige Mann für seine Tochter muss vor allem über einen gewissen Status verfügen. Eine Verkettung schicksalhafter Zufälle führt Christine schließlich mit dem Industriellensohn Martin (Malte Thorsten) zusammen, den Luba sofort als seinen Schwiegersohn in spe betrachtet. Was zunächst niemand weiß: Martin hat einen tragischen Unfall verursacht, bei dem Alain sein Leben verloren hat …

Die tragisch verlaufende Doppel-Liebesgeschichte, an deren Ende Christine den schmerzhaften Verlust gleich zweier Liebhaber betrauern muss, ist auf dem Papier tatsächlich aus demselben Stoff, aus dem die Simmel-Träume sind. Die Handlung der Puschkin’schen Novelle wurde für UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR aus dem Russland des 19. Jahrhunderts ins Lübeck der Gegenwart verlagert, wo sich diesmal aber kein in der Midlife-Crisis gefangener Großbürger auf verzweifelte Sinnsuche begibt, sondern ein junges Mädchen gegen die überkommenen Vorstellungen der Elterngeneration ankämpfen muss. Die erste Hälfte von Vohrers Film widmet sich ganz der blühenden Liebe von Christine und Alain, verplempert die kostbare Erzählzeit geradezu leichtsinnig mit der Darstellung des jungen Glücks und erspielt sich mit solcher Sorglosigkeit einige Sympathiepunkte. Selbst der „Schurke“ des Films, Christines patriarchischer Vater, darf mit seinen Sorgen und Ängsten Mensch bleiben, auch wenn er am Stammtisch Puffgeschichten von rassigen „Negerinnen“ zum Besten gibt. Das Liebespärchen ist vielleicht eine Ecke zu sorglos, um wirklich als authentisch durchzugehen – angeblich orientierte man sich am US-amerikanischen Vorbild LOVE STORY, das kurz zuvor sämtliche Kassenrekorde gebrochen hatte –, aber das verzeiht man dem Film, für den Vohrer sich einige hübsche Kabinettstückchen hat einfallen lassen. Irgendwann versumpft UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR dann aber: Das Geschichtchen ist auffallend banal, mäandert ohne rechte Entscheidungsfreude dahin, sodass man sich unweigerlich fragt: What’s the point? Der erzählerische Clou, der darauf die Antwort liefert, die Entscheidung, den Zuschauer über den Verbleib Alains erst mittels einer verspäteten Rückblende aufzuklären, wirkt indes unangenehm gimmickhaft und unaufrichtig. Der Junge, der immerhin eine gute Stunde lang Identifikationsfigur für den Zuschauer war, hat eigentlich mehr Respekt verdient, als für einen eher preisgünstigen Drehbuchkniff verheizt zu werden. Man nimmt es aber so hin, weil die unerwartete Verwebung der drei Schicksale nach der Story aus dem Bravo-Beziehungsratgeber wenigstens einen Hauch von narrativer Finesse mit sich bringt.

Am Ende ist UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR ein unbefriedigender Film: Er ist zu gut, und ja: zu sympathisch, um ihn vehement zu verreißen, aber auch irgendwie zu egal, um sich wirklich für ihn einzusetzen. Es fehlen ihm die bizarren Momente, die Geschmacksentgleisungen, der Hang zum bodenlosen Melodram, das Suhlen im Morast der Siebziger, die die Simmel-Filme zum Teil zwar so abstoßend machen, denen es damit aber eben immerhin gelingt, wenigstens eine echte Emotion beim Betrachter zu evozieren. UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR st hingegen: Nett. Klassischer Fall von kann man gucken, muss man nicht.

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