papaya dei caraibi (joe d’amato, italien 1978)

Veröffentlicht: November 19, 2015 in Film
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Zwei Szenen nahm der deutsche Verleih zum Anlass, Joe D’Amatos Sexfilm dem Kannibalenfilm-Genre einzuverleiben: Gleich zu Beginn beißt die mysteriöse Karibikschönheit Papaya (Melissa Chimenti) ihrem Liebhaber während des hitzigen Tingeltangels den Schniepel ab, ca. in der Mitte des Films wohnen die beiden Protagonisten Sara (Sirpa Lane) und der Geologe Vincent (Maurice Poli) einem heidnischen Ritual bei, bei dem auch ein menschliches Organ verspeist wird. Die Zuschauer, die damals aufgrund des Titels PAPAYA – LIEBESGÖTTIN DER KANNIBALEN einen splatterigen Urwald-Schocker erwarteten, sahen sich ob des mit viel Sex garnierten Öko-Dramas vernutlich bitter enttäuscht. Vielleicht wurden sie aber auch, so wie ich gestern, von der eigentümlichen Schönheit des Films eingenommen, vergaßen den Etikettenschwindel, dem sie aufgesessen waren, und verließen das Kino erholt wie nach einem dreiwöchigen Karibikaufenthalt, Urlaubsliebschaft inklusive.

Wollte man eine Handlung aus dem Film herausschälen, so ginge es um eine Mordserie, die sich rund um den geplanten Bau eines Atomkraftwerks auf einer kleinen Karibikinsel ereignet. Einen wunderschönen Platz habe man für das die Umwelt zerstörende Bauwerk gefunden, direkt zwischen den Bergen und dem Meer, weiß der vor lauter Euphorie völlig verblendete Vincent zu berichten, und die Bewohner kurzerhand in ein anderes Dorf umgesiedelt. Die sind logischerweise weniger begeistert davon und beseitigen nacheinander mithilfe der weiblichen Reize von Papaya und schwarzer Magie alle, die etwas mit dem Bauwerk zu tun haben. Was sich wie ein pulpiger Groschenheftstoff liest, wird von D’Amato konsequent aller potenziell spannender Szenen bereinigt. Stattdessen wird viel ziellos herumgeschlendert und -gefahren, sich lang und entspannt unterhalten und immer wieder enthemmt gefummelt. Die Atmosphäre wird sehr durch die menschenleeren Dörfer begünstigt, in denen der Film spielt, und die ein wenig an Matul, die Insel aus Fulcis ZOMBI 2, erinnern. Alle Bewohner scheinen sich, von der Mittagshitze gepeinigt, zur Siesta in ihre schattigen Häuser zurückgezogen zu haben, die Insel denen überlassend, die sich nicht an solche Gepflogenheiten halten. PAPAYA DEI CARAIBI gewinnt so eine heimlich-verstohlene Qualität: Man meint die Crew förmlich vor sich sehen zu können, wie sie sich, von D’Amato zur höchsten Eile getrieben, mit ihrem Equipment an die Drehorte schleicht, um dort ihr Pensum zu bewältigen, bevor das Leben auf die Straßen zurückkehrt. Die Protagonisten sind völlig alleingelassen, bewegen sich wie durch einen rätselhaften Traum, auf den beide jedoch ganz unterschiedlich reagieren, was ein weiteres Faszinosum ist. Während Vincent gar nicht mitbekommt, was um ihn herum geschieht, ganz gebannt ist, von seiner eigenen Eloquenz und dem ihn vorwärts ziehenden Pochen in seinem Schaft, zeichnet sich auf Sarahs Gesicht zunehmend tiefe Verwirrung ab. Sirpa Lane ist eines der kleinen Wunder des Films, eine herbe finnische Schönheit, die u. a. in Roger Vadims LA JEUNE FILLE ASSASSINÉE und Walerian Borowczyks LA BÊTE mitgewirkt hatte, und sehr ungekünstelt agiert. Keine Schauspielerin im engeren Sinn, gelingt es ihr vielleicht mehr als einer professionelleren Akteurin, das Wechselspiel von erotisierender Befremdung und  kribbelndem Unbehagen, das die seltsamen Ereignisse des Film bewirkt, sicht- und fühlbar zu machen. Der Sex verwandelt sich so vom tristen Gerödel im Scheinwerferlicht tatsächlich zu einer den natürlichen Schutzschild durchstoßenden Kraft, der beide Darsteller ganz und gar erliegen. Man beachte nur ihre Gesichter in der grandiosen Szene, in der Papaya sie in der Badewanne zur gegenseitigen Befriedigung anregt. Jede professionelle Distanz zum Geschehen verabschiedet sich hier.

Spannend im traditionellen Verständnis des Wortes ist PAPAYA DEI CARAIBI zu keiner Sekunde, aber, die nötigen Antennen vorausgesetzt, durch und durch einnehmend in seiner Autonomie und seinem unerschütterlichen Selbstverständnis. Es ist eine hohe Kunst, den Müßiggang, den der Film widerspiegelt, mit solch zielstrebiger Konsequenz zu verfolgen. D’Amato erzählt vom Nichts in einer Art und Weise, die einen gänzlich eigenen Blick auf die Dinge vermuten lässt und PAPAYA DEI CARAIBI folgt einer inneren Logik, die unübersehbar, aber nie wirklich nachvollziehbar ist. Wunderbar!

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