15. hofbauer-kongress: thriller: en grym film (bo a. vibenius, schweden 1973)

Veröffentlicht: Januar 8, 2016 in Film
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thriller-poster2_vamosalcineEin mehr als gelungener Auftakt, der mir zudem mal wieder bewies, wie wahnsinnig viel in den letzten 10, 12 Jahren passiert ist. Zwar fand ich Vibenius‘ Rachefilm damals, im Jahre des Herrn 2005, wohl doch weniger schlecht als ich das in Erinnerung hatte, aber aus meinem alten Text spricht trotzdem zunächst mal die große Verwirrung über das Gesehene. Der Film machte damals dank des Tarantino-Gütesiegels – der Regisseur outete sich als Fan, was entsprechende Veröffentlichungen nach sich zog – die Runde und wurde mir von einem Freund als geiler Exploiter empfohlen. Ich hatte etwas deutlich anderes erwartet als das, was dann kam.

Angeblich schwebte Regisseur Vibenius damals vor, den kommerziellsten Film aller Zeiten zu machen, wozu er dann, auf die Sensationsgeilheit des Publikums bauend, einen Rape-and-Revenge-Stoff um ein drogenabhängig gemachtes und zur Prostitution gezwungenes, seit einem Missbrauchsfall in der Kindheit stummes Mädchen Frigga (Christina Lindberg) erdachte, das blutige Rache an seinen Peinigern nimmt. Was erstaunlich ist an THRILLER, ist dann aber, wie frappierend unkommerziell diese Geschichte erzählt wird. Der Film ist von einer geradezu quälenden Langsamkeit, Leere und emotionalen Kälte, dass es einem die Schuhe auszieht, die Inszenierung schmucklos, nüchtern, fast dokumentarisch. Die (von der deutschen Synchro zugegebenermaßen noch unterstrichene) Amateurhaftigkeit mancher Szenen (etwa beim Kampfsportlehrer oder – mein Favorit – wenn der auf vornehm machende Oberzuhälter im Luxusrestaurant den Sekt der Marke Henkell mit großer Kennergeste verköstigt,als handle es sich um die rare Hausmarke) kehrt die Banalität des Ganzen, die mitleidlose Beiläufigkeit, mit der hier Menschen exekutiert werden, noch besonders hervor. Die Katharsis, die man bei vergleichbaren US-Filmen erfährt, wenn der Bösewicht bestraft wird, bleibt hier völlig aus. Man nehme nur die endlos gedehnten Zeitlupenstudien oder aber die totale emotionale Entkoppelung der Protagonistin, die es dem Zuschauer unmöglich machen, in den Film einzutauchen und sich mit ihm fortreißen zu lassen. Man kommt aus dieser aufgezwungenen distanzierten Betrachterrolle einfach niemals raus, hat keine Chance, in irgendeiner Form Anteil am Gezeigten zu nehmen.

In seiner letzten Szene, in der Frigga endgültig den Wandel zum der Hölle entsprungenen Racheengel vollzieht, dem Oberschurken in einem fast postapokalyptisch anmutenden Ackerszenario mithilfe eines Pferdes das Genick bricht, verlässt der doch anscheinend so mit beiden Füßen im irdischen Materialismus stehende Film – und mit ihm Frigga – jede noch marginal verbliebene Bindung zur Welt und verwandelt sich in eine dystopische Vision vom Tod jeder Menschlichkeit. Am verheerenden Eindruck, den THRILLER hinterlässt, können weder Vibenius immer wieder beherzt durchbrechender Dilettantismus noch die deutsche Fassung mit ihren Gaga-Dialogen und den Zensurschnitten etwas ändern. Ein angemessener Start für vier Tage voller Kinoverstrahlung.

Kommentare
  1. Martin Otremba sagt:

    Ich kenne die deutsche Synchro nicht und will sie nun eigentlich auch gar nicht kennenlernen. Man kann sich den Film auch im schwedischen Original mit englischen Untertiteln anschauen, die Dialoge sind meines Erachtens auch nur Beiwerk und von keiner großen Bedeutung. Der ganze Film wirkt auf mich wie eine Mischung aus Arthouse Film, Revenge Movie und Independent-Doku. Trotz seiner Langsamkeit und auch Unzugänglichkeit unglaublich faszinierend. Und ich stelle mir die Frage: Ein Racheengel (in Gestalt der wunderschönen Christina Lindberg) im langen Ledermantel mit schwarzer Augenklappe und abgesägter Flinte; war das nun seiner Zeit um Jahre voraus, ist das einfach nur zeitlos, oder wurde das erst durch Tarantino’s Kommentar zum coolen Kult?
    Ich glaube, diese Figur könnte auch genau so gut aus einem Comic Strip entlehnt sein; ich sehe hier einen Hauch MANGA, eine Prise DARK KNIGHT und einen Happen HIT GIRL…
    Und nun sollte man unbedingt nochmals einen Blick auf Entstehungsjahr und Land werfen…!
    (gesehene Fassung: uncut/unrated US-DVD)

    • Oliver sagt:

      Nein, ich glaube nicht, dass das seiner Zeit voraus war, auch wenn Vibenius möglicherweise nicht wusste, dass er sowohl vom Italowestern als auch vom japanischen Pinkfilm oder natürlich US-Exploitern wie SWITCHBLADE SISTERS geklaut hatte. Besonders wird THRILLER erst durch die Zusammenführung dieser auf den ersten Blick unvereinbaren Elemente und die krude, amateurhafte Form, die zur Poesie wird.

      • Martin Otremba sagt:

        Stimmt, der Italowestern fiel mir auch erst nach meinem Kommentar ein.
        Allerdings gab es auch eine Szene, wo ich vor Erstaunen fast vom Stuhl fiel: Wenn sie sich im Auto die Haare nach vorne fallen lässt um sich mit Isolierband eine Pistole in den Nacken zu kleben…Aber Hallo, wer denkt da nicht sofort an John McLane (Die Hard, 1989) ?
        Wie dem auch sei, es ist immer wieder schön zu sehen/zu lesen, wenn sich noch Leute die Mühe machen, in den letzten Ecken zu wühlen bzw. zu kleinen Festivals zu gehen, um solche Raritäten oder auch Perlen abseits jeglichen Mainstreams zu sehen und zu kommentieren.(Wobei das jetzt nicht negativ gegenüber dem Mainstream gemeint sein soll)
        Nochmals danke dafür!

      • Oliver sagt:

        Gern geschehen, aber THRILLER ist ja nun längst keine Entdeckung mehr. Die Arbeit wurde ja schon von anderen geleistet. 🙂

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