biggie and tupac (nick broomfield, großbritannien 2002)

Veröffentlicht: Januar 18, 2016 in Film
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biggie_26_tupac_dvdIch weiß noch ganz genau, wo ich war, als ich die Nachricht vom Tod Tupac Shakurs hörte. Ich kannte die Musik des Rappers zu diesem Zeitpunkt seit ca. vier, fünf Jahren, wusste sonst aber nur wenig über ihn (in diesen dunklen Vor-Internet-Zzeiten war es noch schwierig, Informationen über Themen zu bekommen, die abseits des Mainstreams lagen, und US-Hip-Hop gehörte zumindest im Deutschland der frühen bis mittleren Neunziger definitiv noch dazu), aber die Nachricht traf mich so sehr, dass ich selbst überrascht war. Shakur hatte kurz zuvor das Doppelalbum „All Eyez on me“ vorgelegt, vielleicht das letzte große Album der G-Funk-Ära, die mit Dr. Dres „The Chronic“ begonnen hatte, der Gipfel eines mehrjährigen Aufstiegs, dessen Ende nicht abzusehen war. Selbst seine Ausflüge ins Schauspielfach ernteten Anerkennung – durchaus nicht selbstverständlich für einen Popstar: Tupac schien zum Superstardom geboren. Bis ihn in der Nacht vom 13. September 1996 mehrere Schüsse aus dem Leben rissen.

Tupacs Tod brachte auch einen schwelenden Konflikt zum Ausbruch, resultierte im „Krieg“ zwischen East- und West Coast. Als Auftakt gilt heute eine anheizende Rede, die Death-Row-Labelchef und Westküsten-Capone Suge Knight bei den Source-Awards, der Preisverleihung des gleichnamigen Hip-Hop-Magazins, 1995 gehalten und damit Bad Boy, das Label von Ostküstenkonkurrent Sean „Puffy“ Combs, diffamiert hatte. Bad Boy war auch die Heimat von Christopher Wallace, besser bekannt als „The Notorious B.I.G.“, eines schwergewichtigen New Yorker Rappers, der mit intelligenten, wortgewandten und vielschichtigen Raps binnen weniger Jahre ebenfalls zu einem Rising Star mit schier endlosem Potenzial herangereift war. Er zeichnete sich durch eine tiefe Stimme aus, aus der eine Lebenserfahrung und Weisheit sprach, die sein junges Alter weit überstieg, doch er inszenierte sich nicht als Ghettopoet wie Tupac, sondern als Pulp Auteur, der seine und die Erfahrungen seiner Freunde in schillernden Crime Stories voller schwarzem Humor verpackte. Tupac und Biggie waren Freunde, Verbündete ihrer Kunst, doch in dem Krieg wurde diese Freundschaft aufgerieben: Als Tupac starb, wurde sofort das Gerücht lanciert, Bad Boy und Biggie stünden hinter der Ermordung. Tupac war schon zwei Jahre zuvor Opfer eines Attentats geworden, hinter dem er seinem Konkurrenten und dessen Entourage vermutete. Es war demnach zwar ein Schock, aber auch keine allzugroße Überraschung als Wallace im Frühjahr 1997, kurz nach der Veröffentlichung seines zweiten, prophetisch „Life after Death“ betitelten Albums, ebenfalls erschossen wurde. Der Verdacht eines Vergeltungsschlags lag nahe. Bis heute sind die genauen Umstände der beiden Exekutionen nicht geklärt, es kam nie zu einer Anklage. Ein von Voletta Wallace, Biggies Mutter, angestrebtes Verfahren gegen das LAPD, wurde 2010 abgeschmettert.

Nick Broomfields umstrittene Dokumentation stützt sich im Wesentlichen auf die These des aus dem Dienst entlassenen LAPD-Cops Russell Poole (der auf seinem Bürofernseher einmal Elvis und einmal Stevie Nicks laufen hat): Beide Morde gingen auf das Konto von Suge Knight, der den sich mit Abwanderungsgedanken tragenden Shakur abstrafte und den Mord an Wallace als vermeintlichen Vergeltungsschlag initiierte, um den Verdacht von sich abzulenken. Möglich wurden die beiden Morde durch die tatkräftige Unterstützung von Beamten des LAPD, von denen einige sich ein Zubrot als Leibwächter von Knight verdienten. Diese Verschwörungstheorie gilt als überholt und widerlegt, seit die L.A. Times kurz nach Erscheinen des Films das Ergebnis eigener Recherchen veröffentlichte. Nach deren Untersuchungen war Wallace durchaus nicht ganz unbeteiligt an der Ermordung Tupacs, während Knight nichts damit zu tun hatte. Die Kritik an Broomfields BIGGIE AND TUPAC beklagte vor allem die Leichtgläubigkeit des Filmemachers gegenüber seinen Zeugen: Poole sei nicht ohne Grund entlassen worden, zahlreiche andere, die Broomfield vor die Kamera zerrte, seien zweifelhafte Charaktere, die in späteren Verfahren zudem immer wieder angegeben hatten, unter psychischen Problemen gelitten zu haben. Er habe sich zudem vom Charme von Voletta Wallace einwickeln lassen, ihren Erzählungen über die Gutmütigkeit ihres Sohnes bedingungslos geglaubt, sich hingegen von der Weigerung von Tupacs Mutter, der ehemaligen Black-Panther-Aktivistin Afeni Shakur, ihm ein Interview zu geben oder auch nur Musik ihres Sohnes für den Soundtrack zur Verfügung zu stellen, negativ beeinflussen lassen. Echte Beweise würden zudem nie geliefert, die ganze Argumentation stütze sich letztlich auf die Aussagen höchst fragwürdiger Menschen.

Aber selbst wenn diese Kritik zutrifft, ändert das nichts daran, dass BIGGIE AND TUPAC ein höchst faszinierender und ungewöhnlicher Dokumentarfilm ist. Gerade die Tatsache, dass Broomfield da eine wahrlich beeindruckende Galerie seltsamer Vögel vor die Kamera zerrt, verleiht dem Film seinen Reiz. Verschwörungstheorien nachhängende oder kriminelle Ex-Cops, verurteilte Hochstapler mit Tourette-Syndrom, Ex-Bodyguards mit Rottweilerzucht und Cowboyhut, die ihre eigenen Aussagen abstreiten, Gangster, drittklassige Rapper, alte Weggefährten und natürlich, als krönender, denkwürdiger Abschluss, der einsitzende Suge Knight himself: Broomfield holt sie alle vor die Kamera und lässt sie reden und sein Film gewinnt durch den Kontrast zwischen diesen zwielichtigen Charakteren, die geradewegs einem alten Blaxploitation-Streifen entsprungen scheinen, und der schmalen, blässlichen Statur des britischen Filmemachers selbst, der, mit Mikrofon und Kopfhörer bewaffnet, ein bisschen wie ein Student aussieht, einen durchaus komischen Unterton. Broomfield bewegt sich hier völlig außerhalb seiner Komfortzone und scheint sich dessen mehr als bewusst zu sein.

Pleiten säumen seinen Weg, werden gnadenlos mitinszeniert: Als er einen alten Kumpel von Tupac trifft, von dem er ein Tape mit uralten Demoaufnahmen kaufen will, um den Mangel an Musik des Rappers wettzumachen, übertönt erst ein Helikopter den Sound aus dem kleinen Kassettenrekorder, dann kann sich der Freund nicht zu einem Verkauf des vermeitnlcihen wertvollen Tonbands entschließen. Als Broomfield in einem bunkerartigen Appartementhaus zögerlich an die Eisentür des dort lebenden Ex-Bodyguards von Biggie klopft, öffnet der Hüne mit einem Lachen und den Worten: „You knock like you scared.“ Danach erklärt er dem neugierig lauschenden Briten, das geöffnete Jalousien ein „white people thing“ seien. Suge Knights Stellvertreter lehnt am Telefon ein Interview mit Hinweis auf Broomfields Heidi-Fleiss-Film, der ihm überhaupt nicht gefallen haben, ab. Und wenn der Filmemacher Knight am Schluss im Gefängnis aufsucht, kann er sich den Hinweis nicht verkneifen, dass sein eigentlicher Kameramann sich aus Angst geweigert habe, mitzukommen. Der Vertreter filmt dann auch schon einmal ziellos ins Blaue hinein, „auf der Suche nach einem möglichen Fluchtweg“, wie Broomfield spöttisch kommentiert. In diesem letzten Kapitel fühlt man sich fast wie in einem Found-Footage-Film: Suge Knight ist durch das von ihm immer wieder eingeblendete Bildmaterial und die Aussagen über ihn zu einem echten Monstrum aufgebaut worden und man fürchtet tatsächlich um das Leben Broomfields, als dieser sich dem geschätzte drei Meter größeren Ex-Footballspieler mit der Unbedarftheit eines Kindes annähert. Der Dämon wird dann während des Interviews schnell entzaubert: Vor einem sitzt ein in der kalifornischen Sonne schwitzender Bär, der wie so viele Protagonisten des Films beharrlich um den heißen Brei herumlaviert.

Broomfields BIGGIE AND TUPAC mag von der Realität mittlerweile eingeholt worden sein, aber sehenswert ist er dennoch. Ganz abseits seiner beachtlichen „Schauwerte“ und der Faszination, die von solchen Verschwörungstheorien immer ausgeht, ist er vor allem als Metadokumentation unbezahlbar, zeigt er doch eindrucksvoll, wie entscheidend die Person des Dokumentarfilmers selbst für die gewonnenen Erkenntnisse ist, wie schwierig es ist, als Außenstehender Einblicke in einen verschworenen Kreis zu bekommen, wie leicht man Opfer von Beeinflussung und dem Wunsch wird, die große Enthüllung zu liefern.

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