wake in fright (ted kotcheff, australien/usa 1971)

Veröffentlicht: April 14, 2017 in Film
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WAKE IN FRIGHT von FIRST BLOOD-Regisseur Kotcheff, der in den letzten Jahren wiederentdeckt wurde – Gott sei Dank, möchte ich hinzufügen -, ist kein Horrorfilm im engeren Sinne, aber er hat mir Angst gemacht wie nur wenig in den letzten Jahren. Es ist ein Film übers hemmungslose Saufen und den damit einhergehenden Kontrollverlust und als solcher ist WAKE IN FRIGHT schon eine bemerkenswerte Ergänzung des Kanons an Trinkerfilmen, aber meiner Meinung nach geht es um etwas anderes, deutlich Universelleres und Beunruhigenderes: Der Film zeigt ziemlich nachdrücklich, wie schnell und bereitwillig der Mensch in die totale Barbarei abdriftet, wenn der erste Schritt gemacht ist, der Schleier der Zivilisation die ersten Löcher bekommen hat.

John Grant (Gary Bond) ist Lehrer in einem jämmerlichen Fleckchen Wüste namens Tiboonda. Er verdankt diesen Posten dem australischen Bildungsministerium, das Lehrer ein Pfand von 1.000 Dollar entrichten lässt, um sicherzustellen, dass sie nicht die Flucht ergreifen, wenn sie zum Unterricht ins Outback geschickt werden. Nach dem letzten Schultag vor den Weihnachtsferien begibt er sich auf den Weg ins über 1.000 Meilen entfernte Sidney, wo seine Freundin, die ihm in Tagträumen als stumme Verheißung erscheint, auf ihn wartet. Er landet in der Minenstadt Bundanyabba, von den Einwohnern nur „The Yabba“ genannt (Vorbild war das 20.000-Seelen-Städtchen Broken Hill), wo er eine Nacht verbringen muss, bevor er seine Reise am nächsten Tag fortsetzen kann, doch alles kommt anders. Er lernt den Polizisten Jock Crawford (Chips Rafferty) und das Glücksspiel kennen, mit dem sich die dauerhaft besoffenen und verschwitzten Männer der Stadt die Zeit vertreiben: Ein einfaches, geradezu archaisch anmutendes Münzwurfspiel, bei dem John auf Anhieb einen Haufen Geld gewinnt. Es könnte eine schöne Episode, ein glückliches Intermezzo auf seiner Reise bleiben, aber der enorm von sich eingenommene, sich insgeheim für etwas besseres haltende John sieht die große Chance, seinem Sklavendasein als Lehrer zu entkommen, indem er die 1.000 Dollar gewinnt, die ihn zu einem freien Mann machen. Natürlich verliert er beim nächsten Besuch in der Spielhalle alles. Die Gewissheit, in der Stadt festzusitzen, ist der Auftakt für eine mehrere Tage andauernde Sauftour mit dem in einer verkommenen Baracke lebenden Doc Tydon (Donald Pleasence) und seinen proletarischen Freunden, die mit dem misslungenen Versuch endet, „The Yabba“ zu entkommen und sein Leben zu beenden.

WAKE IN FRIGHT fesselt von der ersten Sekunde mit seiner grandiosen Fotografie und der endlosen Leere des Outbacks, dann schließlich mit dem bierseligen Treiben in Bundanyabba, einem erbarmungswürdigen Höllenloch voller einfach gestrickter, unentwegt Bier in sich hineinschüttender lads: John blickt zuerst von oben auf die Menschen und ihr einfaches Glück hinab. Dass alle diesen Ort als eine Art Paradies verklären, in dem jeder des anderen Kumpel sind und sich immer jemand findet, der einem ein Bier ausgibt, ist ihm nur ein herablassendes Lächeln wert. Doch als er schließlich auf genau diese Zuwendung angewiesen ist, wird er gnadenlos in die Säufergemeinschaft hineingezogen – und findet Gefallen daran, die Fesseln des guten Benehmens und des Zwangs abzustreifen. Der Intellektuelle, der dachte, über allem zu stehen, ist plötzlich mitten drin, säuft mit Wildfremden abgestandendes Bier bis zur Bewusstlosigkeit, isst Känguruhfleisch und lässt sich vom dubiosen Doc irgendwelche Pillen verabreichen, bevor er mit ihm und zwei hirnlosen Proleten auf halsbrecherische Kanguruhjagd geht. Der anhaltende Exzess kulminiert in einer schockierenden Szene, in der die Blödgesoffenen wie wild im Scheinwerferlicht ihres Autos wie angewurzelt stehende Kanguruhs wegballern, sich schließlich in einem absolut unwürdigen Akt mit dem Messer über die verwundeten Tiere hermachen. Es ist eine schmerzhaft-brutale und schlicht widerliche Szene (die finale Schrifteinblendung, dass die Tiere von professionellen Jägern und in Zusammenarbeit mit dem Umweltamt und nicht bloß „aus Spaß“ umgebracht wurden, erleichtert ungemein), nach der klar ist, dass John nicht mehr so einfach zurück kann. Innerhalb von wenigen Stunden hat er etwas zerstört, was sich nicht mehr reparieren lässt, etwas verloren, was man nicht ersetzen kann.

Auch ohne den „Gag“, dass die Flucht aus Bundanyabba ihn geradwegs in dieses Fegefeuer zurückführt, sind die Parallelen von WAKE IN FRIGHT zum Werk Kafkas offensichtlich: Da ist der Außenseiter-Protagonist, der in eine fremde, absurd scheinende Welt stolpert (allein der Name „The Yabba“ bestätigt mit seiner präverbalen Lautaneinanderreihung alle seine Vourteile), sie mit äußerster Arroganz beäugt, dann aber mit seiner angenommenen Überlegenheit fürchterlich baden geht. WAKE IN FRIGHT ist auch ein Film über die Blindheit der vermeintlich Aufgeklärten und Intellektuellen, die sich für etwas Besseres halten, dann aber selbst umso heftiger auf die Kacke hauen, sobald sie nur lang genug davon überzeugt wurden, dass das alles ganz normal ist, und steht somit natürlich in der Tradition der Kritischen Theorie von Horkheimer und Adorno: Das größte Übel geht nicht vom dümmlichen simpleton aus, sondern eben vom „Aufgeklärten“, der meint, dass er qua seiner humanistischen Bildung alles im Griff hat. Auch ohne Rückgriff auf solchen gesellschaftsphilosophischen Überbau funktioniert WAKE IN FRIGHT aber ganz hervorragend. Es ist einfach ein ungemeine intensiver Film, mit einer Vielzahl memorabler Charaktere und Situationen, die allesamt perfekt eingefangen werden, und einer Atmosphäre, die man greifen und, dem Sujet angemessen, riechen kann. Wer immer schon das inhärente Grauen bierseliger Männerbünde und im besoffenen Kopf geschlossener Verbindungen gesehen hat (und deswegen Bierzelte scheut wie der Teufel das Weihwasser) bekommt hier Wasser auf seine Mühlen. Meisterlich und unvergesslich.

 

 

Kommentare
  1. Dennis Neiss sagt:

    Grandioser Film! Der Score von John Scott verfolgt mich noch heute in meinen Träumen.

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