adieu poulet (pierre granier-deferre, frankreich 1975)

Veröffentlicht: August 24, 2018 in Film
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Nur Franzosen können einen so bitteren Stoff mit solcher Lockerheit erzählen: Einer von Kommissar Verjeats (Lino Ventura) Männern wird vom Ganoven Portor erschossen, als er diesen dabei erwischt, wie er einen harmlosen Wahlplakatkleber über den Haufen fährt. Die Spur führt zum Politiker Lardatte (Victor Lanoux), der offensichtlich Kriminelle dafür bezahlt, dass sie die Verbreitung von Wahlwerbung der Konkurrenz unterbinden. Doch weil Verjeat die von den Vorgesetzten geforderte Diplomatie im Umgang mit dem feinen Herrn vermissen lässt und Lardattes Beziehungen weit reichen, sieht sich der Kommissar einer Beförderung und Versetzung gegenüber, die seinen Ermittlungen schnellstmöglich einen Strich durch die Rechnung machen soll. Gemeinsam mit seinem Kollegen Lefèvre (Patrick Dewaere) ersinnt Verjeat einen Plan, wie er der „Weglobung“ entgehen und den white collar criminal einlochen kann …

ADIEU POULET ist zunächst – wieder mal – ein ganz typischer Vertreter des französischen Polizeifilms dieser Zeit: Die Politik hängt voll drin in den schmutzigsten Machenschaften, lässt nach Belieben und ohne Mitleid kleine Bürger über die Klinge springen, die eh keiner vermisst, und lässt dann die Muskeln spielen, wenn es darum geht, die Gesetzeshüter, die sich an ihre Fersen heften, aufs Abstellgleis zu schieben. Die Vorgesetzten der Beamten machen das Spielchen immer mit, appellieren an die „Vernunft“ jener Polizisten, für die Gerechtigkeit nicht nur ein leeres Wort ist, das man vor sich her trägt, aber nach Belieben verwirft, wenn es passt, sondern Berufung. Es wird immer schön nach unten getreten, aber nach oben der Buckel gemacht. Es gibt nicht viele Möglichkeiten: Entweder wird man arrangiert sich und wird selbst korrupt bei diesem Spiel, sichert sich das bescheidene Plätzchen im Trockenen, wenn es denn schon für die Sonne nicht reicht, man verbittert wie Verjeat, der immer so aussieht, als habe er auf dem Gesicht geschlafen, oder man macht sich einen Spaß aus der ganzen Misere wie sein jüngerer Kollege Lefèvre. Beide halten den ganzen Apparat zum Narren, als sie einen Prozess über ihre eigene vorgespielte Bestechlichkeit inszenieren und zeigen denen, die sie loswerden wollen, am Ende, als sie dem miesen Politiker den Arsch retten sollen, den Mittelfinger. (Mussten dabei auch noch andere an Snake Plisskens „Fuck you“ am Ende von ESCAPE FROM NEW YORK denken?)

Das Erstaunliche an ADIEU POULET ist aber, wie leichtfüßig er das präsentiert, fast im Stile einer Buddy-Komödie, aber eben einer, die sich die Flausen längst abgewöhnt hat. Ich wartete die ganze Zeit darauf, dass Verjeat und Lefèvre sich nun Lardatte vorknöpfen, ihm die Hölle heiß machen, ihn in die Ecke drängen, dass der Jüngere im Kampf vielleicht das Leben lassen muss, und der Ältee daraufhin endgültig alle Fesseln der Beherrschung abwirft, aber soweit kommt der Film gar nicht, weil seine Protagonisten ständig abgehalten werden: von sich selbst, von der Hatz nach den schmuddeligen Berufsverbrechern, die die nötige Leitersprosse auf dem Weg sind, von der Bürokratie, die ihnen Stöcke zwischen die Beine wirft. Zum Schluss erledigt sich der Fall nicht durch ihre geniale Ermittlungsarbeit, sondern eben von selbst, weil auch die „da oben“ bei aller Gerissenheit nicht vor blöden Schlenkern des Schicksals gefeit sind und manchmal von ihm aus dem Hinterhalt überfallen werden.

Die Interaktion von Verjeat und Lefèvre, Ventura und Dewaere, verleiht dem Film die scharfen Konturen. Da der alte, knurrige Profi, der noch jene Werte vertritt, von denen er weiß, dass sie ihn bloß behindern, da der junge Wilde, der skeine Ahnung hat, warum er eigentlich bei der Polizei gelandet ist. Es ist auch seine Respektlosigkeit und Unbekümmertheit, die Verjeat nicht gänzlich an seinen verklemmt-velogenen Vorgesetzten verzweifeln lässt. Die beiden nach einer durchzechten Nacht auf einer Parkbank, völlig erschlafft, aber in vertraut-entpannter Zweisamkeit ruhend, sich selbst genügend: Das ist vielleicht das schönste Bild des Films, ein Augenblick, in dem der ganze Bullshit unendlich weit weg ist, obwohl er sich in den Augenringen und der Müdigkeit der beiden Männer noch abzeichnet. Mega, absolut mega auch Lefèvres Auftritt im Edelbordell, dessen Leiterin er auf herrlich nonchalante Art und Weise fragt, ob sie Lust habe mit einem jüngeren Mann zu schlafen, kurz fallen lässt, dass er als sehr gutaussehend gelte und sie dann zu einer Bestechung überredet; später sein wunderbar treudoofer Blick, als er dem Staatsanwalt später erklären soll, was denn der Unterschied zwischen einer Bestechung und jenen „kleinen Aufmerksamkeiten“ sei, die er erhalten habe. Man ahnt da noch nichts von Verjeats und Lefèvres Plan und dass das alles so gut funktioniert, liegt auch am Spiel der beiden. Lino Ventura spielt seine ihm auf den Leib geschnittene Rolle wie ein alter Felsen und Patrick Dewaere ist der Freeclimber, der sich an der windgepeitschen Oberfläche nach oben zieht: Seine Nebenfigur ist ganz, ganz wesentlich für diese subtile Rotzigkeit, die den Film auszeichnet und ihn dann doch vom „typischen französischen Polizeifilm“ abhebt.

 

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