the long voyage home (john ford, usa 1940)

Veröffentlicht: Oktober 8, 2018 in Film
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Ein Schiff liegt still in der Abenddämmerung vor der Küste einer Karibikinsel. Ein warmer, schwüler Wind geht. Die Matrosen stehen an der Reling, gelangweilt und geil, lauschen den verführerischen Gesängen der einheimischen Schönheiten, die am Strand nur darauf warten, endlich diese fremden Männer besuchen zu können, die vom anderen Ende der Welt kommen. Doch bevor sie an Bord klettern, in ihren üppig gefüllten Obstkörben ist natürlich auch etwas Rum versteckt, müssen sie noch etwas warten. Und mit ihnen die Männer, von denen viele längst auf diesem Schiff zu Hause sind. Für ein Leben an Land und die menschliche Gesellschaft sind sie nicht mehr zu haben: Sie treiben von einem Hafen zum nächsten, ständig in Bewegung, doch darum, ein „Ziel“ zu erreichen, geht es längst nicht mehr. Eine Ausnahme ist der Schwede Olsen (John Wayne), ein junger, gutaussehender Mann, der ein Zuhause, ein Mädchen, eine Familie und Hoffnung auf eine Zukunft jenseits trauriger Seelenverkäufer hat. THE LONG VOYAGE HOME erzählt viele kleine Geschichten, aber im Mittelpunkt steht die Mission von Olsens Kameraden, sicherzustellen, dass er dieses Schiff nach Hause nimmt, nicht wie sie direkt auf dem nächsten Kahn anheuert.

John Fords Film beginnt wie ein feuchter Traum: Das ganze Karibik-Szenario ist entweder als unwirklich oder aber als hyperreal zu bezeichnen. Die Luft ist elektrisch aufgeladen, man spürt die Lust der Seeleute und die Freude der Frauen daran, einmal so begehrt zu sein wie Filmstars. Die Langeweile liegt Zentnerschwer auf den Schultern der Seemänner, die die ganze Welt bereisen, aber doch immer nur dieselben schäbigen Pinten sehen, von ihren Vorgesetzten an der kurzen Leine gehalten werden und am Ende mit einem traurigen Hungerlohn für die Knochenarbeit bedacht werden, der ihnen keine andere Perspektive offenbart, als gleich den nächsten Auftrag anzunehmen.

Der Beginn des Zweiten Weltkriegs und der bevorstehende Auftrag, eine ganze Schiffsladung von TNT sprichwörtlich unter dem eigenen Hintern nach Großbritannien zu transportieren, verursacht eine gewisse Nervosität, aber unter den Belastungen des Alltags, der Enge in den winzigen Kojen und dem Mangel an Zerstreuung liegen die Nerven eh schon blank. Yank (Ward Bond), einer der Veteranen unter den Matrosen, erliegt einer Verletzung, die er sich bei dem Versuch zuzieht, das Schiff während eines Sturms vor dem Kentern zu bewahren, danach versteigen sich die überspannten Männer in den Verdacht, der eigenbrötlerische Alkoholiker Smitty (Ian Davis) sei ein Spion in Diensten der Nazis. Besonders die Zeitungsmeldung, deutsche Spione nutzten harmlose Liebesbriefe als Geheimnachrichten, regt die Fantasie der Matrosen an: In einer schmerzhaften Szene halten sie Smitty fest und verlesen in seiner Gegenwart laut seine privaten Briefe, die er in einem kleinen Kästchen aufbewahrt. Erst nach einigen Minuten geht ihnen auf, wie schäbig und idiotisch ihre Verdächtigungen sind. Der Schaden ist da aber bereits nicht mehr rückgängig zu machen. Wie geprügelte Hunde wenden sie sich ab, beschämt über ihre Niedertracht.

THE LONG VOYAGE HOME endet in einem britischen Hafen: Bevor sie Olsen auf sein Schiff nach Hause schicken, gehen die Männer noch einmal gemeinsam einen draufmachen, doch plötzlich ist der Kumpel weg, entführt von niederträchtigen Gesellen, die Betrunkene in den Kneipen aufgreifen, um sie dann auf ihre Schiffe verschleppen und zur Arbeit als Besatzungsmitglieder zu verdonnern. In einer finalen Keilerei gelingt es ihnen, ihren Freund zu befreien und ihre Mission zu erfüllen, doch zu spät bemerken sie, dass der alte Driscoll (Thomas Mitchell) dabei zurückgeblieben ist. Das Bedauern weicht einem schadenfrohen Lachen: Drisk hat schon so viele Schiffe gesehen, er wird es schon überstehen. Nur einer lacht nicht: Er lässt die Zeitung, die davon berichtet, dass Drisks Schiff im Ärmelkanal von den Deutschen torpediert wurde, ins Wasser gleiten …

Strukturell unterscheidet sich THE LONG VOYAGE HOME nicht so sehr von dem zur selben Zeit entstandenen THE GRAPES OF WRATH: Beide Filme sind „Reisefilme“, deren Narration durch die chronologische Abfolge von Episoden bestimmt wird. Doch THE LONG VOYAGE HOME wirkt noch deutlich loser und „entspannter“: Das liegt wohl auch daran, dass er sich trotz seiner Verortung im Zweiten Weltkrieg nicht in erster Linie mit historischen Fakten beschäftigt. Ja, es geht auch darum, was die Kriegserfahrung mit den Männern macht, wie sie sich auf ihr Denken und Handeln auswirkt, aber um welchen Krieg es sich dabei handelt, ist zweitrangig. Das ist gewissermaßen der Punkt: Ford erklärt gleich zu Beginn auf einer Texttafel, dass sein Film von Menschen handelt, die aufgrund ihrer Arbeit vom weltlichen Geschehen gewissermaßen entkoppelt existieren. Auf hoher See spielt das, was die „Landmenschen“ beschäftigt, eine nur sehr untergeordnete Rolle. THE LONG VOYAGE HOME entwickelt einen sehr eigenartigen Rhythmus und folgt einer fremdartigen Erzähllogik, in der die Ereignisse keine echten Konsequenzen haben. Der Tod fährt immer mit, das Risiko ist bekannt, für Trauer bleibt keine Zeit. Alle haben sich damit arrangiert, dass es sie schon bei der nächsten Fahrt genauso treffen könnte und nicht wenige von ihnen würden den Tod sogar als Erlösung ansehen. Der Film ist traurig und deprimierend, aber nicht wehleidig oder selbstmitleidig: Er erinnert darin etwas an die existenzialistischen Filme Jean-Pierre Melvilles, dessen Helden den eingeschlagenen Weg, den sie als den ihren erkannt haben, unbeirrbar verfolgen, auch wenn sie wissen, dass er sie nirgends hinführen wird. Dieses Wissen ist aber auch der Ursprung einer Kameradschaft, die die Männer zusammenschweißt und sie manche Härte überwinden lässt – und natürlich die ausgelassene Freude in den wenigen Stunden, in denen sie ihre Freiheit umso mehr genießen.

John Wayne spielt die nominelle Hauptrolle, aber er ist eigentlich nur eine Projektionsfläche, sowohl für seine Kumpels als auch für den Zuschauer: Er tut wenig mehr, als groß und gutaussehend im Wind zu stehen, all das zu verkörpern, was die anderen längst aufgegeben haben. Seine Dialogzeilen sind rar und selten gewichtig. Er ist ein Außenseiter an Bord, aber nicht im negativen Wortsinn: Alle schauen zu ihm auf, weil sie in ihm all das eigene ungehobene Potenzial sehen. Ihm den Abgang zu ermöglichen, wird ihre Lebensmission: Olsen soll das erreichen, was sie nicht geschafft haben und für sie das Leben führen, das ihnen nicht vergönnt war. Es gibt aber keinen tränenreichen Abschied, keine großen Reden und Freundschaftsbekenntnisse: Ein Film, der es mit seinem Altruismus ernst meint, muss seine Wohltäter nicht in strahlendem Licht erscheinen lassen. Sie tun einfach das, was sie für richtig halten, für ihren Freund. Ob der ihnen dafür dankbar ist und ihre Opferbereitschaft anerkennt, spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass er sein Schiff erreicht. Das reicht als Lohn.

Ich habe eben gelernt, dass der vom großen Gregg Toland fotografierte Film filmhistorisch für seinen Einsatz von Rückprojektionen bedeutsam war, mit denen der Kameramann seine später in CITIZEN KANE perfektionierten Tiefenschärfeaufnahmen verwirklichte. Tatsächlich ist THE LONG VOYAGE HOME visuell ein Gedicht, ganz gleich, ob er die sirenenhaft singenden Karibikschönheiten am Strand einfängt, die Rauchkringel, die Yank in die schwüle Seebrise bläst, oder die klaustrophobische Enge unter Deck der Glencairn. Aber am Ende summiert sich das alles zu dieser großen, versöhnlichen und hoffnungsvoll stimmenden Erkenntnis, dass auch der ärmste Tropf im Leben die Gelegenheit bekommt, etwas zu tun, das größer ist als er.

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