the grapes of wrath (john ford, usa 1940)

Veröffentlicht: Oktober 1, 2018 in Film
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Als Ford John Steinbecks Roman „Früchte des Zorns“ verfilmte, der heute als einer der Meilensteine englischsprachiger Literatur gilt und 1962 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, war das Buch gerade mal ein Jahr alt – hatte aber bereits hohe Wellen geschlagen. Die Geschichte der Familie Joad, einfacher Farmer in Oklahoma, die die volle Wucht der Depression zu spüren bekommen, ihre von Dürre und Sandstürmen geplagte Heimat verlassen müssen und ihr Glück zusammen mit Tausenden anderer im entfernten Kalifornien suchen, nur um auch dort bitter enttäuscht zu werden, war eine unverhohlene Anklage des Kapitalismus, der Menschen zum Vorteil der Mächtigen entwurzelte und in unwürdige Verhältnisse stürzte. Darryl F. Zanuck hatte einige Bedenken, den Film zu produzieren, schließlich wollte er nur ungern als Kommunist gebrandmarkt werden. Die auf den ersten Blick überraschende Wahl des eher als konservativ geltenden John Fords als Regisseur ist vor diesem Hintergrund relativ einleuchtend – und rückblickend natürlich ein Geniestreich: THE GRAPES OF WRATH fügt sich nahtlos ins Werk des Filmemachers, der innerhalb weniger Jahre seinen zweiten Academy Award (nach THE INFORMER) einstrich – und das hochverdient. Die damals nahezu tagesaktuelle Geschichte – man muss sich das immer wieder klarmachen, dass die Geschehnisse, von denen Steinbeck und Ford erzählten, nur wenige Jahre in der Vergangenheit lagen – wird dank Fords Regie und Gregg Tolands unvergleichlicher Kameraarbeit zum Schöpfungsmythos, ohne dabei ihrer Durchschlagskraft beraubt zu werden. Dies gelingt durch den Wechsel überirdisch-außerzeitlich-ikonischer, dann wieder dokumentarisch anmutender Bilder und einer Verschiebung des Fokus weg von der Individualität seiner Protagonisten hin zum Universellen. Die Joads sind bei Ford nur Platzhalter, an denen sich das Leid Tausender abzeichnet.

Das von der literarischen Vorlage abweichende, optimistischere Ende knüpft in gewisser Hinsicht an die Schlusseinstellung des kurz zuvor erschienenen YOUNG MR. LINCOLN an: Blickte dort der junge Lincoln in eine für ihn ungewisse, für den Betrachter aber bekanntermaßen ruhmreiche Zukunft, so verspricht der straffällige Tom Joad (Henry Ford) sich für das Wohlergehen aller Arbeiter und Hilfebedürftigen einzusetzen, murz bevor er seine Familie verlässt, um sie nicht länger zu gefährden. Es ist nicht nur dieses Ende, das Filmwissenschaftler immer wieder dazu angeregt hat, den Film auf seine christliche Symbolik abzuklopfen – was zugegebenermaßen nahe liegt: Ford verleiht seinem ganzen Film etwas Sakrales, gerade im ersten Drittel, das Schicksal der Familie Joad ist selbst eine Passionsgeschichte und mit dem ehemaligen Priester Casy (John Carradine) werden religiöse Themen auch immer wieder ganz direkt adressiert. Fonda, im genannten YOUNG MR. LINCOLN sowas wie der Vater der Demokratie und der amerikanischen Nation, wird als Tom Joad eigentlich erst in dieser Schlussszene mit einem Ziel ausgestattet. Er ist bis dahin weitestgehend passiver Beobachter der Geschehnisse um ihn herum, die er genauso wenig versteht wie seine Familie und die zahllosen „Okies“, die mit ihnen den Weg gen Westen antreten. Als sie in einem Camp damit konfrontiert werden, dass das, was sie erwartet, mitnichten das wirtschaftliche Glück ist, sondern eine noch viel schlimmere Form der Armut, können sie es kaum glauben. Für eine Umkehr ist es da sowieso schon zu spät. Natürlich bewahrheiten sich die Warnungen: Großvater und Großmutter, die die Anstrengungen der Reise nicht überstehen, sterben völlig umsonst. Am Ziel werden die Joads als frühe Version heutiger „Wirtschaftsflüchtlinge“ angefeindet, unter menschenunwürdigen Bedingungen eingepfercht, gegängelt und ausgebeutet. Eine „Lösung“ deutet sich kurz an, als die Joads ein Camp finden, in dem sie tatsächlich wie Menschen behandelt und für ihre Arbeit angemessen entlohnt werden, aber das Glück kann natürlich nur von kurzer Dauer sein. Tom Joad hat sich da insgeheim bereits für ein anderes Leben entschieden: Er will sich für die Rechte der Arbeiter einsetzen.

Der Zugang zu THE GRAPES OF WRATH fällt nicht nur deshalb so leicht, weil wir, sobald wir heute den Fernseher einschalten, sowohl mit dem Leid der Familie Joad konfrontiert werden als auch mit den Vorurteilen und der Ablehnung, denen sie sich gegenübersehen. Erschreckend, wie sehr sich die Bilder gleichen. Es ist aber auch die schon angesprochene Ford’sche Inszenierung: warmherzig, aber ohne falsches Pathos, nachdrücklich, aber ohne erhobenen Zeigefinger, bildgewaltig, aber niemals kitschig, ergreifend, aber nicht rührselig. Gerade im ersten Drittel spürt man den Einfluss der deutschen Expressionisten, wenn dunkel, betont artifizielle Bilder die beinahe apokalyptische Tragweite der Ereignisse greifbar machen. Wenn sich die Joads auf die Reise begeben, wird der Film zum Road Movie und damit auch weltlicher, greifbarer, episodischer: Ford gießt Geschichte in Bilder und erreicht Komplexität und Ambivalenz durch Auslassung und den „Mut zur Lücke“: Zwei Figuren verschwinden einfach, ohne dass dies jemals thematisiert würde. Wahrscheinlich waren organisatorische Probleme die Ursache, die sich in der Postproduktion nicht beheben ließen, aber filmimmanent macht das durchaus Sinn: In dieser Zeit verschwanden Menschen spurlos, wurden Familien für immer zerrissen. Unvorstellbar, dass dies außerhalb des Kriegsirrsinns des 20. Jahrhunderts geschehen konnte. Fords THE GRAPES OF WRATH wird uns für immer eindrucksvoll daran erinnern. Schade, dass sein Ruf als Klassiker ihm heute nicht mehr Zuschauer beschert. Es wäre dringend nötig.

 

 

Kommentare
  1. […] – Oliver Nöding führt auf Remember It For Later seine John-Ford-Retro mit einem von dessen bekanntesten Filmen weiter: “Früchte des Zorns”. […]

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