salvador (oliver stone, usa 1986)

Veröffentlicht: August 15, 2019 in Film
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Der Bürgerkrieg von El Salvador, einem mittelamerikanischen Kleinstaat mit einer Einwohnerzahl von rund 7,5 Millionen Menschen, dauerte von 1979 bis 1992 und kostete schätzungsweise 75.000 Menschen das Leben. Der Konflikt zwischen der Militärjunta und der linken Farabundo Martin National Liberation Front bedeutete die Eskalation eines krassen sozioökonomischen Missverhältnisses innerhalb der Bevölkerung, das bereits in den Dreißigerjahren zu einem Blutbad geführt hatte: Als sich die Bauern und Arbeiter 1932 erhoben, um gegen die Ungleichheit zu demonstrieren, die zwei Prozent der Bevölkerung mit 95 Prozent der finanziellen Mittel ausstattete, wurden sie in einer Schlacht, die als „La matanza“ – „das Massaker“ – in die Geschichtsbücher einging, umgebracht. Zwischen 10.000 und 40.000 Menschen, die Berichte variieren, verloren ihr Leben. Das Ereignis vergrößerte die eh schon bestehende Kluft zwischen den Herrschenden und dem einfachen Volk und führte zu Spannungen, die sich schließlich, knapp 50 Jahre später, im Bürgerkrieg entluden. Zusätzliches Feuer erhielt der Konflikt durch die Tatsache, dass die Regierungsmächte El Salvadors aufgrund ihrer antikommunistischen Haltung Unterstützung durch die USA erhielten, die in dem Kleinstaat einen Verbündeten im Kampf gegen den sowjetfreundlichen Fidel Castro sahen. Sie ließen der Regierung nicht nur finanzielle Mittel und Waffen zukommen, sie trainierten auch das Militär. Die Verbindung ging so weit, dass US-amerikanische Offiziere hohe Posten in der salvadorianischen Armee bekleideten. Mittendrin im Konflikt war der Journalist Richard Boyle, ein Kriegsreporter, mehr noch aber ein Draufgänger und Abenteurer, den die finanzielle Not, aber auch das Bedürfnis, dran zu sein am Puls der Geschichte, in das Land geführt hatten.

In einem Nachruf auf den 2016 verstorbenen Boyle, den Stone über den Vietnamveteran Ron Kovic (über den Stone später BORN ON THE 4TH OF JULY drehen sollte) kennengelernt und mit dem zusammen er das Drehbuch zu SALVADOR auf Basis von dessen Aufzeichnungen geschrieben hatte, beschreibt Stone Boyle als Getriebenen, Rastlosen, dessen Hang zum Chaos und zum Exzess James Woods, der ihn verkörpern sollte, geradezu abstieß:

„Jimmy Woods, who adores order and cleanliness in his otherwise chaotic mind, abhorred Richard and didn’t want him anywhere next to him, as Richard would miss a shower or two and his one set of clothes would generally stink. But when Richard, who was by my side throughout the shoot, would comment on his performance, Jimmy’d freak out.“

Und Kovic sagte über den Mann:

„He was one of a kind, larger than life, a true original, so complex, a consummate hustler, brave war correspondent, gifted author, rebel, lover, deviant, so many memories. […] He was fascinating, amazing, impatient, terribly driven. He made me feel anything was possible. Even your wildest dreams were possible. He bet his life on it constantly in a thousand crazy adventures and dangerous assignments abroad. We all thought he would outlive us all. We were sure of it. Even in his often reckless and deadbeat later years he reeked of royalty. He had dignity. He loved life and taught me and so many others that we could always do more, accomplish more, be more than we thought possible.“

Diese Beschreibungen lassen erahnen, was Stone an Boyle faszinierte und warum er mit ihm zusammen an einer Verfilmung seiner Erlebnisse arbeitete. Tatsächlich liefern die Figur und seine Geschichte – ob sie im Film wirklich wahrheitsgetreu wiedergegeben wird, sei mal dahingestellt – Stoff für einen faszinierenden Film, der rückblickend als einer der Höhepunkte von Stones Filmografie gelten darf. Aber die Figur selbst und die Faszination, die in den Zitaten oben und in SALVADOR zum Ausdruck kommen, sind auch ziemlich problematisch. Gerade vor dem Hintergrund von Stones politisch fragwürdigen Äußerungen und Aktionen in den letzten Jahren wirkt SALVADOR in gewisser Hinsicht prophetisch. Das wertet die heutige Sichtungserfahrung noch zusätzlich auf, führte bei mir aber auch dazu, dass ich emotional auf Distanz zum Gezeigten ging. Der Film ist in gewisser Weise „nachbelastet“ durch die Autorschaft Stones, der heute mit Putin sympathisiert, Castro hofierte und mit seiner generellen Begeisterung für einen bestimmten Typus Mann heute schrecklich gestrig rüberkommt.

SALVADOR beginnt mit dem in seiner abgeranzten Wohnung von einem Streit aufgeweckten Boyle (James Woods): Der Vermieter liegt im Clinch mit Boyles Partnerin, streitet mit ihr lautstark um die ausstehende Miete, das gemeinsame Baby schreit. Boyle versucht im Anschluss verzweifelt Kohle aufzutreiben, indem er alte Pressekontakte abtelefoniert: Sein Thema ist der Konflikt in Salvador, er könne dort hinfahren und eine spektakuläre Story liefern, denn der Staat droht zu implodieren und Boyle hat aus der Vergangenheit gute Beziehungen. Aber keiner ist interessiert und man entnimmt Boyles Reaktionen, dass das zu einem guten Teil daran liegt, dass sie mit ihm nicht zusammenarbeiten wollen, weil er notorisch undiszipliniert ist. Der Beweis dafür folgt auf dem Fuße, als er von einem Streifenpolizisten aufgrund seines kaputten Wagens und einer Vielzahl nicht beglichener Strafzettel inhaftiert wird. Sein Kumpel, der Radio-DJ „Dr. Rock“ (James Belushi) zahlt seine Kaution und lässt sich von Boyle dazu überreden, mit ihm zusammen nach El Salvador zu fahren, nachdem der in seiner leeren Wohnung ein schriftliches „Fuck you!“ von seiner Freundin vorgefunden hat. In El Salvador könne man für 300 Dollar im Jahr leben, das Gras sei großartig und für sieben Mäuse setzen sich einem die schönsten Frauen der Welt aufs Gesicht, für fünf mehr geselle sich sogar deren beste Freundin noch dazu. Die Schwierigkeiten fangen aber schon kurz hinter der Grenze an, als die beiden vom Militär gefangen genommen und erst nach Stunden des bangen Wartens freigelassen werden. Im Folgenden taumelt Boyle durch das in Aufruhr befindliche Land, immer in dem Bemühen, möglichst nah ran zu kommen ans Geschehen, ohne sich dabei jedoch die Finger zu verbrennen. Seine Liebschaft zur armen Maria (Elpidia Carrillo), die mit ihrer Familie den regierungsfeindlichen Rebellen nahesteht, bringt ihn immer wieder in Gefahr, und irgendwann, nach der (auf realen Ereignissen fußenden) Erschießung des Erzbischofs Romero und der brutalen Ermordung und Vergewaltigung von drei amerikanischen Nonnen und einer Entwicklungshelferin bleibt Boyle nichts anderes übrig, als das Land mit Maria fluchtartig zu verlassen.

SALVADOR ist ein eindringlicher Film von fiebriger Intensität, der das Gefühl, in der Fremde nur einen Schritt vom bodenlosen Abgrund entfernt zu sein, sehr greifbar macht. Und James Woods, der für einen Academy Award nominiert wurde, ist brillant als „Zocker“ Boyle, ein Mann, der dahin geht, wo es wehtut, weil er die Langeweile nicht aushält und weiß, dass sich humanitäre Katastrophen gut verkaufen – der aber auch nicht ohne Idealismus ist. Stone zeichnet Boyle als unbequemen, unbestechlichen Widerständler, der auch vor den Mächtigen kein Blatt vor den Mund nimmt – und damit seine Reputation, aber auch sein Leben riskiert. Er ist ein Wahnsinniger, davon besessen, die Wahrheit in die Welt zu tragen, und mehr als einmal schockiert davon, wie weit ihn diese Obsession treibt. Lange scheint es so, als könne ihm nichts etwas anhaben, als habe er einen zuverlässigen Schutzengel oder auch nur jenes Quäntchen Glück, dass ihn unbeschadet aus jeder Gefahrensituation hervorgehen lässt: Wohl nicht zuletzt deshalb, weil er selber an dieses Glück glaubt. Erst sehr spät schleicht sich da die Angst in seinen Blick, das Wissen, dass er es nicht überstrapazieren sollte und die Situation in seiner Wahlheimat zu weit eskaliert ist, als dass sie noch berechenbar wäre.

Stones Porträt Boyles zeigt ohne Zweifel eine spannende Figur vor dem Hintergrund eines grausamen Konfliktes, dessen politischen Mechanismen leider immer noch nicht passé sind, aber Stones Faszination für und Zeichnung dieser Figur wirft auch einige Fragen auf: Ist dieser männliche Omnipotenzwahn, der jemanden wie Boyle mit der Pulle Fusel am Hals, den Gedanken an preisgünstige, willige Nutten im Kopf und dem Ziel, ein paar Bucks zu machen, in ein Entwicklungsland treibt, nicht auch nur eine Ausprägung derselben Haltung, die US-Militärs ihre Stützpunkte bei „Verbündeten“ errichten lässt? Ist Boyle mit seinem Goldgräberethos nicht eigentlich ein ziemlich ätzendes Arschloch, dem man für die unter normal denkenden Menschen reichlich selbstverständliche Haltung, das Abschlachten von wehrlosen Bauern verachtenswert zu finden, nicht unbedingt ein Denkmal bauen sollte? Sind diese Leute, die mit der Kamera um den Hals und einem Vorrat an Billiguhren als Bestechungsmittel im Handschuhfach in Bananenrepubliken reisen, um dann Massengräber und Gemetzel zu fotografieren, wirklich Aufklärer oder gar Märtyrer oder nicht doch nur Söldner, die sich mit dem Leid anderer, von dem sie profitieren, gemein machen, aber dann, wenn es ihnen zu heiß wird, einfach wieder abreisen können? Ich weiß es nicht genau, aber mich hat Stones Heldenverehrung für diesen hypernervös-dauerrauchenden Kokser schon auch ein wenig abgestoßen. Vielleicht liegt das aber auch, wie gesagt, daran, dass Stone es anscheinend nicht für einen Widerspruch hält, hier für die salvadoranischen Bauern einzuspringen und heute Putin die Hand zu schütteln. Andererseits gibt es an SALVADOR rein handwerklich mal gar nichts auszusetzen, vielmehr fesselt der Film über die volle Laufzeit. Trotz oder wegen dieser Fragestellungen.

 

 

 

 

 

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